Transkript
Metastasiertes Prostatakarzinom
Praxisverändernde Studien beim hormonsensitiven Karzinom
BERICHT
Die beiden beim ASCO präsentierten Phase-III-Studien ENZEMET mit Enzalutamid und TITAN mit Apalutamid zählten zu den Kongress-Highlights und werden voraussichtlich die klinische Praxis beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom (mHSPC) verändern. Beide Substanzen verlängern jeweils das progressionsfreie und das Gesamtüberleben signifikant – aber die Kombination mit Docetaxel erscheint ungünstig.
Die Behandlung beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom (mHSPC) besteht aus einer klassischen Androgendeprivationstherapie (ADT), die je nach Situation mit Abirateron oder mit Docetaxel kombiniert wird.
ENZAMET-Studie mit Enzalutamid plus Standardtherapie
In der randomisierten Phase-III-Studie ENZAMET wurde bei 1125 Männern mit mHSPC der Androgenrezeptorinhibitor Enzalutamid verglichen mit den klassischen nicht steroidalen Antiandrogenen (NSAA) Bicalutamid, Nilutamid oder Flutamid – jeweils als Zusatz zur Standardtherapie (ADT mit oder ohne Docetaxel). Es wurde davon ausgegangen, dass die stärkere Hemmung des Androgenrezeptors durch Enzalutamid das Gesamtüberleben (overall survival, OS) im Vergleich zu den anderen NSAA verbessern kann. ENZAMET ist somit die erste Studie bei mHSPC, die OS-Daten von Enzalutamid plus ADT sowie Ergebnisse zur begleitenden Chemotherapie mit Docetaxel untersucht. Die Ergebnisse einer geplanten Zwischenanalyse wurden von Prof. Christopher Sweeney, Boston (USA), als «Late-Breaking-Abstract» in der Plenary Session präsentiert und zurzeit auch im «New England Journal of Medicine» publiziert (1, 2). Stratifiziert wurden die Patienten nach Metastasenlast und frühzeitiger Docetaxelgabe. Das Durchschnittsalter lag bei 69 Jahren. 45 Prozent der Studienteilnehmer (n = 503) erhielten zusätzlich Docetaxel, unter ihnen waren 61 Prozent mit hohem Metastasenvolumen, 42 Prozent hatten sich einer Prostatektomie oder Strahlentherapie bei zuvor lokalem Krankheitsstadium unterzogen. 8,5 Prozent hatten eine adjuvante ADT erhalten.
Senkung des Mortalitätsrisikos um ein Drittel ...
Nach einem medianen Follow-up von 34 Monaten waren 245 Todesfälle aufgetreten, sie betrafen 102 von 563 Patienten im Enzalutamidarm und 143 von 562 Patienten im NSAA-Arm. Enzalutamid senkte damit das relative Risiko zu sterben signifikant um 33 Prozent gegenüber den anderen NSAA (HR: 0,67; p = 0,002). Nach drei Jahren lebten im Enzalutamid-Arm noch 80 Prozent und im NSAA-Arm noch 72 Pro-
zent der Männer. Besonders deutlich war der OS-Vorteil mit Enzalutamid bei Patienten mit niedriger Metastasenlast (3-Jahres-OS: 90 vs. 82%; HR: 0,48) und bei denen, die nicht mit Docetaxel behandelt wurden (3-Jahres-OS: 83 vs. 70%; HR: 0,53). Dagegen hatten Patienten, die zusätzlich Docetaxel erhielten, keinen OS-Vorteil (3-Jahres-OS: 74 vs. 75%; HR: 0,90). Die Studie erreichte auch die sekundären Endpunkte des PFS (PCWG2-Kriterien): Im Vergleich zum NSAA-Arm reduzierte Enzalutamid das Risiko für Progression zur Kastrationsresistenz (PSA-Anstieg, klinische Progression oder Tod) um 61 Prozent (HR: 0,39; p < 0,001) und das Risiko für eine klinische Progression (radiografisch, symptomatisch oder Tod) um 60 Prozent (HR: 0,40; p < 0,001). ... aber mehr Nebenwirkungen unter der Kombination Schwere Nebenwirkungen traten im Enzalutamidarm häufiger auf als im NSAA-Arm (42 vs. 34%). Erwartungsgemäss führte Enzalutamid häufiger zu Hypertonie (Grad 2: 11 vs. 5%; Grad 3: 8 vs. 4%), Fatigue (Grad 2: 25 vs. 14%; Grad 3: 6 vs. 1%) und Synkopen (4 vs. 1%). Trotz Ausschluss von Patienten mit bekannter Neigung zu Krampfanfällen erlitten 7 Patienten (1%) unter Enzalutamid einen epileptischen Anfall gegenüber keinem Patienten im NSAA-Arm. Im Enzalutamid-Arm wurde die Behandlung bei mehr Patienten wegen Nebenwirkungen abgebrochen (16 vs. 4%), und weniger Patienten konnten alle sechs Docetaxelzyklen absolvieren (65 vs. 76%). Ausserdem erhöhte Enzalutamid die auf Docetaxel zurückzuführende Toxizität, darunter neutropenisches Fieber (14 vs. < 1%), sensorische Neuropathie (9 vs. 0%) und Grad-2-Fatigue (20 vs. 10%). Dies ist besonders bedeutsam, weil die Subgruppe mit Docetaxel keinen OS-Vorteil mit Enzalutamid hatte. TITAN-Studie mit Apalutamid plus ADT Apalutamid ist ein selektiver Androgenrezeptorinhibitor der neuen Generation und ist in den USA seit Februar 2018 und in Europa seit Januar 2019 zur Behandlung des neu diagnostizierten, nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms mit hohem Metastasierungsrisiko (Hochrisiko-M0CRPC) zugelassen. ARS MEDICI 22 | 2019 755 BERICHT Ob die Zugabe von Apalutamid zur ADT auch zu einem verbesserten Überleben beim mHSPC führt, prüfte die Phase-III-Studie TITAN, deren erste geplante Zwischenanalyse der Studienleiter Dr. Kim Chi, Vancouver (Kanada), vorstellte und zeitgleich im «New England Journal of Medicine» publizierte (3, 4). An der Studie nahmen 1052 mHSPC-Patienten mit einem ECOG-Performance-Status von 0 bis 1 teil; 525 wurden zur Behandlung mit ADT plus Apalutamid (240 mg/Tag) und 527 zu ADT plus Plazebo randomisiert. Das mittlere Alter der Patienten betrug 68 Jahre, 64 Prozent besassen einen ECOG-PS von 0, 37 Prozent der Studienteilnehmer hatten eine niedrige und 63 Prozent eine hohe Tumorlast (≥ 4 Knochenmetastasen mit ≥ 1 Läsion ausserhalb von Becken und Wirbelsäule oder viszerale Metastasen und ≥ 1 Knochenmetastase). 16,4 Prozent der Patienten hatten sich bei zuvor lokaler Erkrankung einer Prostatektomie oder Strahlentherapie unterzogen. 10,7 Prozent hatten bereits in der de-novo-metastasierten Situation Docetaxel erhalten. Eine ADT, die weniger als 6 Monate vor Studieneinschluss begonnen wurde, war erlaubt. Signifikante Verbesserung des rPFS und des OS im Studienarm Die Zugabe von Apalutamid zur ADT verbesserte die beiden koprimären Endpunkte Gesamtüberleben (OS) und radiologisches progressionsfreies Überleben (rPFS) signifikant. Nach einem medianen Follow-up von 22,6 Monaten waren 200 Todesfälle aufgetreten, 83 im Apalutamidarm und 117 im Plazeboarm. Damit hatten die mit Apalutamid behandelten Patienten ein um 33 Prozent signifikant reduziertes relatives Sterberisiko (HR: 0,67; p = 0,0053), wobei das mediane OS in beiden Armen noch nicht erreicht war. Nach zwei Jahren lebten im Apalutamidarm noch 82 Prozent und im Plazeboarm noch 74 Prozent der Patienten. Beim rPFS zeigte sich eine Risikoreduktion um 52 Prozent zugunsten von Apalutamid. Auch hier war das mediane rPFS im Apalutamidarm noch nicht erreicht und betrug im Plazeboarm 22,1 Monate (HR: 0,48; p < 0,0001). Nach zwei Jahren waren noch 68 Prozent der mit Apalutamid behandelten Patienten am Leben und progressionsfrei – dies gegenüber 48 Prozent der mit Plazebo behandelten. Der Nutzen zeigte sich konsistent in nahezu allen untersuchten Subgruppen inklusive Patienten mit niedriger (HR: 0,36 [rPFS] und 0,67 [OS]) und hoher Tumorlast (HR: 0,53 [rPFS] und 0,67 [OS]). In der Subgruppe mit Docetaxelvorbehandlung verbesserte Apalutamid das rPFS signifikant, zeigte allerdings keinen OS-Vorteil. Die geringe Fallzahl erlaubt jedoch keinen sicheren Rückschluss. Signifikant verbessert waren auch der sekundäre Endpunkt Zeit bis zum Beginn einer zytotoxischen Chemotherapie (HR: 0,39; p < 0,0001) sowie die explorativen Endpunkte Zeit bis zur PSA-Progression (HR: 0,26; p < 0,0001) sowie zweites progressionsfreies Überleben (PFS2, definiert als Zeit zwischen Randomisierung und Progress unter der Folgetherapie;: HR: 0,66; p = 0,0026). Zum Zeitpunkt des Datenschnitts am 23. November 2018 standen im Apalutamidarm noch 66 Prozent und im Plazeboarm noch 46 Prozent der Patienten unter Behandlung. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde die Studie entblindet und den Patienten der Plazebogruppe ein Wechsel zu Apalutamid ermöglicht. Günstiges Sicherheitsprofil Das Sicherheitsprofil entsprach dem bereits bekannten Profil für Apalutamid bei M0CRPC. Insgesamt wurde die Rate an Grad-3- bis -4-Nebenwirkungen durch die Zugabe von Apa- lutamid nicht wesentlich erhöht (42,2 vs. 40,8%). Apaluta- mid führte häufiger zu den gut bekannten Hautausschlägen (überwiegend Grad 1 bis 2 und ohne Juckreiz; alle Grade: 27,1 vs. 8,5%; Grad ≥ 3: 6,3 vs. 0,6%) sowie zu Hypothy- reose (6,5 vs. 1,1%; keine Grad ≥ 3). Die Inzidenz weiterer wichtiger Nebenwirkungen von Apalutamid wie Fatigue, Sturzereignisse, Frakturen und Krampfanfälle war mit Pla- zebo vergleichbar. Etwas mehr Patienten mit Apalutamid mussten die Behandlung wegen Nebenwirkungen abbrechen (8 vs. 5%), am häufigsten aufgrund eines Hautausschlags. Die insgesamt gute Verträglichkeit von Apalutamid in Kombina- tion mit ADT spiegelte sich auch in der Lebensqualität der Patienten, gemessen am FACT-P-Gesamtscore, wider. Die Lebensqualität blieb während der gesamten Behandlungs- dauer erhalten und war nicht verschieden von jener im Plaze- boarm. Die Zugabe von Apalutamid verschlechterte somit die Lebensqualität im Therapieverlauf nicht. s Gerhard Emrich Referenzen: 1. Sweeney C et al.: Overall survival (OS) results of a phase III randomized trial of standard-of-care therapy with or without enzalutamide for metastatic hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC): ENZAMET (ANZUP 1304), an ANZUP-led international cooperative group trial. ASCO 2019, Abstract #LBA2. 2. Davis ID et al.: Enzalutamide with standard first-line therapy in metastatic prostate cancer. N Engl J Med. 2019; 381(2): 121-131. 3. Chi KN et al.: First results from TITAN: a phase III double-blind, randomized study of apalutamide (APA) versus placebo (PBO) in patients (pts) with metastatic castration-sensitive prostate cancer (mCSPC) receiving androgen deprivation therapy (ADT). ASCO 2019, Abstract & oral presentation #5006. 4. Chi KN et al.: Apalutamide for metastatic, castration-sensitive prostate cancer. N Engl J Med 2019; 381(1): 13-24. Auf einen Blick TITAN-Studie • Die Hinzunahme von Apalutamid zur Androgendeprivationstherapie verbesserte bei Patienten mit mHSPC sowohl das radiografische PFS als auch das OS signifikant. • Die Gruppe mit Docetaxelvorbehandlung profitierte anscheinend nicht (cave: kleine Fallzahl). • Das Nebenwirkungsprofil war akzeptabel und gut zu managen. ENZAMET-Studie • Enzalutamid plus Standardtherapie verbesserte das OS bei mHSPC-Patienten mit hoher und niedriger Tumorlast im Vergleich zu den klassischen Antiandrogenen plus Standardtherapie. • Besonders deutlich war der OS-Vorteil bei Patienten mit niedriger Metastasenlast und ohne zusätzliche Chemotherapie. Die Gruppe mit Docetaxel profitierte nicht. • Erwartungsgemäss waren Nebenwirkungen unter Enzalutamid stärker ausgeprägt als im Vergleichsarm. • Die Kombination von Enzalutamid mit Docetaxel erhöhte die docetaxelassoziierte Toxizität. 756 ARS MEDICI 22 | 2019