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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Hypertonie
Blutdrucksenker vor dem Schlafengehen einnehmen
Mit einer simplen Massnahme kann man die Wirksamkeit blutdrucksenkender Medikamente erheblich steigern: Im Vergleich mit Hypertonikern, die ihre Medikamente am Morgen einnahmen, verminderten diejenigen, die sie abends vor dem Schlafengehen schluckten, ihr Risiko für Herzinfarkt, koronare Revaskularisation, Herzinsuffizienz, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingten Tod um annähernd die Hälfte. Die Studie wurde in Spanien mit einem Patientenkollektiv durchgeführt, wie es
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für die Praxis typisch ist: Männer und Frauen mit Hypertonie im Alter von durchschnittlich 60,5 Jahren (±13,7 Jahre), die ein oder mehrere Blutdruckmedikamente einnahmen. Von 2008 bis 2018 wurden insgesamt 19 084 Patienten (10 614 Männer und 8470 Frauen) in die Studie aufgenommen und in zwei etwa gleich grosse Gruppen randomisiert. Die einen nahmen ihr Blutdruckmedikament am Morgen nach dem Aufwachen ein, die anderen am Abend vor dem Schlafengehen. Der Follow-up-Zeitraum betrug median 6,3 Jahre. Zu Beginn der Studie und zu jedem Follow-up-Termin (mindestens einmal im Jahr) wurde eine ambulante 48-Stunden-Blutdruckmessung durchgeführt. Primärer Endpunkt war eines der oben genannten kardiovaskulären Ereignisse. Ein solches Ereignis trat während des Follow-up bei 1752 Studienteilnehmern ein: 274 Herzinfarkte, 302 koronare Revaskularisationen, 521 Fälle von Herzinsuffizienz, 345 Schlaganfälle und 301 kardiovaskulär bedingte Todesfälle. Unter
statistischer Berücksichtigung wichtiger Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Diabetes, chronische Nierenerkrankungen, Rauchen, HDL, systolischer Blutdruck im Schlaf, Dipper-Status und frühere kardiovaskuläre Ereignisse zeigte sich, dass die abendliche Einnahme der Hypertoniemedikation offenbar von Vorteil ist: Das relative Risiko für die kardiovaskulären Ereignisse war im Studienzeitraum um 45 Prozent geringer (HR: 0,55; 95%-Konfidenzintervall: 0,5–0,51; p < 0,001). Auch in früheren Studien hatte sich mehrheitlich ein positiver Effekt für die abendliche Einnahme von Blutdrucksenkern gezeigt. Die nun vorliegende Studie weist diesen Effekt nun auch im Praxis-Setting nach. Das Nebenwirkungsprofil war bei morgendlicher und abendlicher Einnahme der Blutdrucksenker gleich. RBO s Hermida RC et al.: Bedtime hypertension treatment improves cardiovascular risk reduction: the Hygia Chronotherapy Trial. Eur Heart J 2019; pii: ehz754. Onkologie Künstliche Intelligenz erkennt krebsverdächtige Prostatabereiche Bei Verdacht auf ein Prostatakarzinom hält die Magnetresonanztomografie (MRT) zunehmend Einzug in den diagnostischen Prozess. Die MRT kann verdächtige Gewebebereiche identifizieren, die gezielt biopsiert werden sollten, und damit die Erkennungsrate von Prostatakrebs deutlich steigern. Die Beurteilung der MRT-Bilder ist komplex und erfordert erfahrene Radiologen. Ein Forscherteam am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und an der Urologischen Universitätsklinik Heidelberg konnte nun zeigen, dass künstliche Intelligenz (KI) verdächtige Bereiche in der Prostata-MRT ähnlich sicher identifiziert wie erfahrene Radiologen und diese bei der Beurteilung der Bilder unterstützen kann. Mit dem Ziel, das Potenzial der KI zur Unterstützung der Radiologen bei der klinischen Befundung von MRT-Bildern zu nutzen und eine hohe Qualität der Befundung zu garantieren, hatte das Heidelberger Team ein künstliches neuronales Netzwerk zunächst mit MRT-Aufnahmen von 250 Patienten trainiert. Anschliessend testeten die Forscher, ob die KI nun die MRT-Aufnahmen von 62 neuen Patienten korrekt interpretieren konnte. Die Erkennungsrate für klinisch relevanten Prostatakrebs lag für die KI bei 92 Prozent, während die Radiologen 88 Prozent der Patienten erkannten, die an einem klinisch relevanten Tumor erkrankt waren. Von den untersuchten Männern, die tatsächlich krebsfrei waren oder deren Tumoren nicht als behandlungsbedürftig galten, identifizierte die KI 47 Prozent korrekt, die Radiologen 50 Prozent. Die Unterschiede waren statistisch nicht signifikant. Automatisch erkannte verdächtige Herde stimmten gut mit klinischen Lä- sionen überein, welche die Radiologen definiert hatten. Auch stieg die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines klinisch relevanten Karzinoms an, wenn sowohl der Radiologe als auch die KI einen verdächtigen Befund als suspekt diagnostizierte. In einem nächsten Schritt will man nun diese und ähnliche Methoden weiterentwickeln und in grösseren Patientengruppen validieren sowie in einer prospektiven Studie erproben, um die Tauglichkeit der KI für den Einsatz im klinischen Alltag zu evaluieren. dkfz/RBO s Medienmitteilung des DKFZ auf idw-online.de am 9. Oktober 2019. Schelb P et al.: Classification of prostate cancer on MRI: Deep learning vs. clinical PI-RADS assessment. Radiology 2019; online first Oct 8th, 2019. 742 ARS MEDICI 22 | 2019 Kardiologie Smartphone-App sorgt für bessere Therapietreue Rückspiegel Man mag es sich schon so manches Mal gedacht haben, dass das Smartphone seinen Besitzer oft besser im Griff hat als umgekehrt, aber nun ist es amtlich: Wenn das Smartphone befiehlt, wird dem eher Folge geleistet als gut gemeinten Ratschlägen auf Papier – zumindest bei der Tabletteneinnahme. In einer Studie in Buenos Aires wurden 90 Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, in der Nachsorge in zwei Gruppen randomisiert: Die einen erhielten auf Papier detaillierte Informationen zu den Medikamenten, die sie fortan regelmässig einnehmen mussten. Die anderen bekamen eine Smartphone-App mit Alarmfunktion, welche sie an jede Tabletteneinnahme erinnerte. Aber nicht nur das: Nach der Einnahme bestätigten die Patienten in der App, dass sie die Medikamente tatsächlich genommen hatten. Die behandelnden Ärzte konnten so Tag für Tag verfolgen, ob sich ihre Patienten an die verordnete Therapie hielten oder nicht. Die App war also nicht nur ein hilfreicher Freund, der an die Medikamenteneinnahme erinnerte, sondern gleichzeitig auch ein «Big Brother», der das erwünschte Verhalten kontrollierte – vorausgesetzt, dass die Patienten ehrlich beim Bestätigen der Pilleneinnahme waren. Nach drei Monaten hätten in der App-Gruppe noch 65 Prozent der Patienten ihre Medikamente korrekt eingenommen, in der Kontrollgruppe seien es nur noch 21 Prozent gewesen, berichtete Erstautor Dr. Cristiàn M. Garmendia am Jahreskongress der Kardiologen in Argentinien. RBO s Foto: CanstockPhoto/dolgachov Medienmitteilung der European Society of Cardiology (ESC) anlässlich des 45th Argentine Congress of Cardiology (SAC 2019) vom 17. bis 19. Oktober 2019. Infektiologie Antibiotika mit neuartiger Wirkung entdeckt Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellen insbesondere gramnegative Bakterien, die gegen Carbapenem- und Cephalosporinantibiotika resistent sind, eine wachsende Bedrohung für die menschliche Gesundheit dar. Diese Erreger können schwere und oft lebensbedrohliche Infektionen wie Lungen- oder Hirnhautentzündungen, Wundinfekte oder Blutvergiftungen verursachen. Die letzte neue Klasse von Antibiotika, die gegen diese Mikroorganismen auf den Markt kam – die Fluorchinolone –, stammt aus den 1960er-Jahren. Neue Antibiotika mit neuartigen Wirkmechanismen gegen gramnegative Bakterien werden dringend benötigt, zumal auch Resistenzen gegen das letzte Reserveantibiotikum Colistin weltweit zunehmen. Schweizer Forscherteams der Universität Zürich, der Polyphor AG, Allschwil, der Universität Basel und der ETH Zürich haben eine neue Antibiotikaklasse entdeckt, die gegen mehrere Bakterien wirksam ist und über einen einzigartigen Wirkmechanismus verfügt. Sie blockiert den Aufbau der äusseren Membran und tötet so gramnegative Bakterien effektiv ab. Keine der bisher klinisch eingesetzten Antibiotika habe einen vergleichbaren Wirkmechanismus, heisst es in einer Medienmitteilung der Unversität Zürich. Die Polyphor AG ist ein ehemaliges Start-up-Unternehmen der Universität Zürich, das 1996 gegründet wurde. Das biopharmazeutische Unternehmen plant nun, eine der neuen Substanzen in die klinische Prüfung am Menschen zu bringen. UZH/RBO s Medienmitteilung der Universität Zürich vom 23. Oktober 2019. Luther A et al.: Chimeric peptidomimetic antibiotics against gram-negative bacteria. Nature 2019; online first Oct 23rd 2019. Vor 10 Jahren Teilchen fliegen wieder Nach über einem Jahr Zwangspause geht der Large Hadron Collider (LHC) am Kernforschungszentrum CERN bei Genf wieder in Betrieb. Die grösste Maschine der Welt war im Vorjahr nur neun Tage nach der Inbetriebnahme defekt. Nun läuft sie wieder und wird in den kommenden Jahren faszinierende Einblicke in die Welt der Elementarteilchen liefern. Vor 50 Jahren Erstes Internet An der University of California in Los Angeles führt der Versuch, eine Nachricht zwischen zwei weit entfernten, über das sogenannte Arpanet verbundenen Grossrechnern zu versenden, zunächst zu einem Computerabsturz. Man will das Wort «Login» übermitteln, doch bereits nach «Lo» ist Schluss. Erst im erneuten Anlauf klappt die Übermittlung des ganzen Wortes. Als eigentliche Geburtsstunde des Internets gilt vielen jedoch erst die Einführung des TCP/IP-Protokolls für Computernetzwerke 14 Jahre später. Vor 100 Jahren Mehr Sorge bei Tonsillektomie Im «British Medical Journal» warnt der Chirurg Douglas Drew davor, Kinder nach einer Tonsillektomie allzu sorglos wieder nach Hause zu schicken, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie dieses Zuhause aussieht. Viele Wohnungen seien überbelegt und schmutzig und somit alles andere als geeignet für ein Kind mit einer grossen Wunde im Hals. Er wundere sich, dass Komplikationen wie purulente Otitis media oder Mastoiditis nicht noch häufiger seien, schreibt Drew und fordert die Gründung von Zentren, in denen die Kinder während der Rekonvaleszenz gut betreut werden können. RBO s ARS MEDICI 22 | 2019