Transkript
Highlights des europäischen Herzkongresses
Antworten auf kontroverse Fragen
BERICHT
Am weltgrössten Herzkongress trafen sich dieses Jahr in Paris während fünf Tagen über 32 000 Teilnehmer aus 86 Ländern. Unter den über 600 Vorträgen zu 14 Themen haben wir eine kleine Auswahl an wichtigen Studien zusammengestellt, die an diesem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) präsentiert wurden. Dabei gab es Überraschungen sowie Erkenntnisse, die lange Kontroversen beenden könnten.
DAPA-HF: Antidiabetikum gegen Herzinsuffizienz
Das Potenzial der antidiabetischen SGLT2-Hemmer scheint noch nicht ausgeschöpft zu sein. In der am ESC-Kongress als Late-Break-Studie präsentierten DAPA-HF ging es um die Frage, ob Dapagliflozin bei etablierter Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) nicht nur bei Typ-2Diabetikern einen Nutzen bringt, sondern auch bei Herzinsuffizienzpatienten ohne Diabetes. Dazu nahmen 4744 Patienten mit einer HFrEF ≤ 40 Prozent aus 20 Ländern teil. 2137 Patienten hatten einen Typ-2-Diabetes, 2607 Patienten hatten keinen. Die Studienteilnehmer erhielten während median 18 Monaten doppelblind, randomisiert entweder Dapagliflozin 20 mg oder Plazebo zusätzlich zur Standardtherapie. Als primärer Endpunkt war die Kombination aus verschlechterter Herzinsuffizienz (Hospitalisation oder i.v.-Notfallbehandlung) oder kardiovaskulärem Tod definiert. Während der primäre Endpunkt in der Plazebogruppe in diesem Zeitraum bei 21,2 Prozent eintrat, ereignete er sich unter Dapagliflozin bei 16,5 Prozent signifikant seltener (Hazard Ratio [HR]: 0,74; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,65– 0,85; p < 0,00001). Die Gesamtsterblichkeit war unter Dapagliflozin gegenüber Plazebo um 17 Prozent reduziert (HR: 0,83; 95%-KI: 0,71–0,97). Dapagliflozin reduziere damit, zusätzlich zur Standardtherapie gegeben, Todesfälle und Hospitalisationen und verbessere die Lebensqualität bei Patienten mit HFrEF mit und ohne Typ-2-Diabetes, so das Fazit von Studienleiter Prof. John McMurray, University of Glasgow (UK), was ganz neue Möglichkeiten eröffne.
sich in einer Subgruppe, dass HFpEF-Patienten ebenfalls vom ARNI profitiert hatten (2), was Anlass zur nun am ESC-Kongress vorgestellten PARAGON-HF-Studie gab. Das Ziel dieser Studie war es, zu beweisen, dass Valsartan/ Sacubitril das Outcome einer HFpEF verbessert. Dazu erhielten 4822 HFpEF-Patienten mit einer EF ≥ 45 Prozent doppelblind, randomisiert entweder Valsartan/Sacubitril oder Valsartan allein während 34 Monaten. Als primärer Endpunkt war die Kombination aus herzinsuffizienzbedingter Hospitalisation und kardiovaskulärem Tod definiert. Die statistische Signifikanz wurde nicht erreicht. Die Hospitalisationen verringerten sich zwar unter dem ARNI, doch hatte dieser keinen Effekt auf den kardiovaskulären Tod oder auf die Gesamtmortalität. In den Subgruppen zeigte sich, dass dennoch Patienten mit einer EF < 57 Prozent sowie Frauen vom ARNI mit einer 22- beziehungsweise 28-prozentigen Reduktion des primären Endpunktes profitieren konnten. Die Studie wurde mit der Präsentation am Kongress zeitgleich im «New England Journal of Medicine» publiziert (3).
GALACTIC: intensivierte Vasodilatation bei akuter Herzinsuffizienz
Prof. Christian Müller vom Universitätsspital Basel präsentierte am ESC-Kongress die GALACTIC-Studie. Deren Hin-
PARAGON-HF: kein ARNI bei HFpEF
Für Patienten mit einer Herzinsuffizienz mit erhaltender Auswurffraktion (HFpEF) ≥ 50 Prozent wird es dagegen auch weiterhin keine durchschlagende Therapie geben. Das zeigte die PARAGON-HF-Studie mit dem Angiotensin-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) Valsartan/Sacubitril, in die so viel Hoffnung gesetzt worden war. Der ARNI wird gemäss ESC-Guidelines bei Patienten mit HFrEF in dritter Linie empfohlen, wenn ACE-Hemmer und Aldosteronantagonisten keine ausreichende Symptomverbesserung bewirken (1). In der wegen überzeugenden Vorteils bei HFrEF vorzeitig abgebrochenen PARADIGM-Studie zeigte
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tergrund waren die anhaltend hohe Morbidität und Mortalität bei der akuten Herzinsuffizienz und die Frage, ob eine frühzeitige intensive Dilatation die Halbjahresprognose dieser Patienten verbessern würde, wie das kleinere Studien angedeutet hatten. Zur Klärung dieser Frage erhielten 781 Patienten, die mit einer akuten Herzinsuffizienz auf der Notfallstation eingeliefert wurden, innerhalb von fünf Stunden randomisiert entweder die nach den ESC-Guidelines definierte Standardbehandlung oder eine kombinierte intensive Therapie mit den überall verfügbaren und kostengünstigen Vasodilatatoren Nitroglyzerin transdermal und sublingual sowie dem oralen Hydralazin. Der intensiven Vasodilatation folgte eine individualisierte aggressive Auftitrierung mit ACE-Hemmern höher als die Standarddosis oder höher als die Dosis bei Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern. Alle anderen Therapien inklusive Schleifendiuretika, Betablocker, Aldosteronantagonisten und kardialer Devices wurden gemäss ESC-Guidelines beziehungsweise nach Ermessen des behandelnden Arztes verabreicht. Der primäre Endpunkt war die Kombination aus Mortalität oder herzinsuffizienzbedingter Rehospitalisation im Zeitraum von sechs Monaten. Als sekundärer Endpunkt in-
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teressierte die quantitativ erfasste Dyspnoe an den Tagen 2 und 6. Die Resultate zeigten bei der Dyspnoe in beiden Studienarmen eine Verbesserung, jedoch ohne signifikanten Unterschied zwischen den beiden Massnahmen. Bezüglich des primären Endpunktes zeigte sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied (30,6 vs. 27,8%, HR: 1,97; 95%KI: 0,83–1,39; p = 0,589). Gemäss Subgruppenanalyse könnte sich die intensivierte Vasodilatation bei Frauen sogar schädlich auswirken. Diese Studie liefere damit wichtige und neutrale Erkenntnisse zur Behandlung von Patienten mit akuter Herzinsuffizienz und zeige, dass solche Therapiestrategien keinen Einfluss auf die langfristige Prognose hätten, so Müllers Fazit.
NZOTACS: kein genereller Nutzen von Sauerstoff im Akutfall
Die zweite Studie, die eine alte und kontroverse Frage bei Akutpatienten beleuchtet, war der New Zealand Oxygen in Acute Coronary Syndromes Trial. Der Nutzen einer routinemässigen Sauerstoffverabreichung bei Patienten mit Verdacht auf Myokardinfarkt oder mit bestätigtem Myokardinfarkt bei ausreichender Sauerstoffsättigung wird durch diese Daten erneut infrage gestellt. Das Ziel der Studie war es, Nutzen oder Risiko einer Sauerstofftherapie bei hypoxämen und nicht hypoxämen Patienten mit Verdacht auf oder bestätigtem Myokardinfarkt zu untersuchen. Dazu erhielten 40 000 Patienten randomisiert ein «high oxygen protocol» mit Sauerstoffgabe, unabhängig von der bestehenden Sauerstoffsättigung, und ein «low oxygen protocol» mit einer Empfehlung für eine Sauerstoffgabe bei Patienten mit einer Sättigung unter 90 Prozent, diese auf 94 Prozent zu erhöhen. Die als primärer Endpunkt definierte 30-Tages-Mortalität war in der Gruppe mit der hohen und in der Gruppe mit der niedrigen Sauerstoffsättigung etwa gleich hoch (3,1 vs. 3,0%). Dieses Resultat lege nahe, dass eine Sauerstoffgabe weder nützlich noch schädlich sei, so der Studienleiter Prof. Ralph Stewart, Green Lane Cardiovascular Service, Auckland City Hospital (NZ).
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Die meisten Patienten hatten eine normale Sauerstoffsättigung zwischen 85 und 90 Prozent. Nur ein kleiner Teil wies tiefere Werte auf. Bei ihnen war das Mortalitätsrisiko um das Vier- bis Fünffache erhöht. Mit einer Sauerstoffgabe konnte dieses etwa um 1 Prozent vermindert werden. Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt und normaler Sauerstoffsättigung profitierten also nicht von einer Sauerstoffgabe, so Stewart. Ist der Wert jedoch zu tief, könnte es nützlich sein, diesen zu normalisieren.
Plättchenhemmung beim akuten Koronarsyndrom
Gemäss ESC-Guidelines sind bei einem akuten Koronarsyndrom (ACS) zur Plättchenhemmung die P2Y12-Hemmer Ticagrelor und Prasugrel jeweils zusätzlich zu Acetylsalicyläure (ASS) für 1 Jahr empfohlen. Welche Therapie jedoch mehr Nutzen bringt, war bis jetzt nicht bekannt. Die am ESC-Kongress präsentierte ISAR-REACT-5-Studie untersuchte das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Kombination aus Tod, Myokardinfarkt, Hirnschlag) beider P2Y12-Hemmer bei 4018 ACS-Patienten mit und ohne ST-Strecken-Hebung (STEMI 41%, NSTEMI 46%, instabile Angina pectoris 13%) und geplanter invasiver Behandlung. Zur grossen Überraschung der Studienleiterin Prof. Stefanie Schüpke, Deutsches Herzzentrum, München (D), lag dieses nach 12 Monaten in der Prasugrel-Gruppe signifikant tiefer als unter Ticagrelor (6,9 vs. 9,3%). Auch bei Betrachtung der einzelnen Komponenten blieb das Risiko unter Prasugrel tiefer als unter Ticagrelor (Tod: 3,7 vs. 4,5%; Myokardinfarkt 3,0 vs. 4,8%; Hirnschlag 1,0 vs. 1,1%). Trotz der stärkeren Wirkung war das Blutungsrisiko unter Prasugrel nicht höher (4,8 vs. 5,4%; Unterschied nicht signifikant). Gemäss der Studienleiterin unterstützen diese Resultate den Einsatz von Prasugrel – ohne Vorbehandlung bei NSTE-ACS – als Erstlinientherapie bei ACS-Patienten. Ob das eine Änderung der Guidelines zur Folge hat, bleibt abzuwarten. Die Studie wurde zeitgleich mit der Präsentation am Kongress im «New England Journal of Medicine» publiziert (4)
POPular AGE: Plättchenhemmung bei über 70-jährigen Patienten
Bei Patienten mit NSTE-ACS empfehlen die ESC-Guidelines zur Plättchenhemmung die P2Y12-Hemmer Ticagrelor und Prasugrel sowie Clopidogrel, wenn der Einsatz der ersten beiden Medikamente nicht möglich ist. Inwieweit diese Reihenfolge auch für Patienten über 70 Jahre sinnvoll ist, untersuchte die POPular-AGE-Studie. An der als Late-Break-Studie präsentierten randomisierten Multizenterstudie aus Holland nahmen 1003 mit NSTE-ACS hospi-
talisierte Patienten über 70 Jahre teil. Diese erhielten innerhalb von 72 Stunden randomisiert entweder Clopidogrel oder einen der beiden anderen P2Y12-Hemmer, Ticagrelor oder Prasugrel, während 12 Monaten. Als primäre Endpunkte waren die Rate schwerer und leichter Blutungen definiert sowie der klinische Nettonutzen, bestehend aus Gesamtsterblichkeit, Herzinfarkt, Hirnschlag und Blutungsrate. Die Resultate zeigten, dass für ältere Patienten die Uhren anders ticken: Unter Clopidogrel war die Blutungsrate signifikant um 26 Prozent tiefer als unter den anderen beiden Plättchenhemmern (17,6 vs. 23,1%; HR: 0,74; 95%-KI: 0,56–0,97; p = 0,03). Der Anteil an schweren Blutungen war unter Clopidogrel ebenfalls signifikant tiefer. Bezüglich des klinischen Nettonutzens war die Ereignisrate unter Prasugrel mit 27,3 Prozent tiefer als unter Ticagrelor/Prasugrel mit 30,7 Prozent, woraus eine Reduktion des absoluten Risikos um 3,4 Prozent resultiert (p = 0,06). In dieser Auswertung verpasst Clopidogrel ganz knapp die Signifikanzschwelle für Nichtunterlegenheit, was sich aber gemäss Studienleiterin Dr. Marieke Gimbel, St. Antonius Hospital, Nieuwegein (NL), bei der endgültigen Auswertung der letzten Patienten vermutlich noch ändern wird. Dazu müsse die Publikation der Studie abgewartet werden. Die als sekundärer Endpunkt definierte Ereignisrate aus Tod, Herzinfarkt und Hirnschlag unterschied sich in beiden Studienarmen nicht. Das heisst, dass sich unter Clopdiogrel nicht mehr ischämische Ereignisse ereignen als unter den anderen beiden P2Y12-Hemmern. Verglichen mit Ticagrelor/Prasugrel führte Clopidogrel bei dieser Altersgruppe zu signifikant weniger Blutungsereignissen, dies bei ähnlich starker Verminderung von thrombotischen Ereignissen. Deshalb sollte bei über 70-jährigen NSTE-ACS-Patienten Clopidogrel bevorzugt werden, so das Fazit der Studienleiterin.
Valérie Herzog
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Quelle: «Highlight/Late Breaking Science Session». Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019, Paris.
Referenzen: 1. Ponikowski P et al.: 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment
of acute and chronic heart failure: The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure of the European Society of Cardiology (ESC), developed with the special contribution of the Heart Failure Association (HFA) of the ESC. Eur Heart J 2016; 37: 2129–2200. 2. McMurray JJV et al.: Angiotensin–Neprilysin Inhibition versus Enalapril in heart failure. N Engl J Med 2014; 371: 993–1004. 3. Solomon SD et al.: Angiotensin–neprilysin inhibition in heart failure with preserved ejection fraction. N Engl J Med 2019. Epub ahead of print. 4. Schüpke S et al.: Ticagrelor or prasugrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 2019 Sept 1; doi: 10.1056/NEJMoa1908973.
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