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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Transplantationsmedizin
Mehrheit für Widerspruchsregelung in der Organspende
Laut einer von Swisstransplant in Auftrag gegebenen Studie sind drei Viertel der Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger positiv eingestellt gegenüber einem Wechsel zur Widerspruchslösung in der Organspende. Die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage zeigen, dass auch die Spendebereitschaft in der Schweiz hoch bleibt: Eine klare Mehrheit der Befragten würde nach dem Tod ihre Organe spenden. Die Initiative «Organspende fördern – Leben retten» fordert den Systemwechsel von der expliziten Zustimmung hin zur vermuteten Zustimmung, auch Widerspruchslösung genannt. Offenbar besteht eine grundsätzlich positive Einstellung
der Schweizerinnen und Schweizer zu dieser Initiative. 76 Prozent der Befragten, die sicher an der Abstimmung teilnehmen wollen (n = 739), würden «eher» oder «bestimmt» für die Vorlage stimmen. Ähnliche Zahlen zeigen sich bei der Bereitschaft zur Organspende. Rund drei Viertel der Befragten (n = 1205) sind «eher bereit» oder «auf jeden Fall bereit», nach ihrem Tod ihre Organe zu spenden. Im September hat der Bundesrat der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenübergestellt. Der Bundesrat unterstützt die Widerspruchslösung grundsätzlich, schlägt aber eine Gesetzesänderung vor, die gleichzeitig die Rechte der
Angehörigen wahrt. Findet sich kein dokumentierter Widerspruch, würden wie bisher die Angehörigen befragt. Diese können einer Entnahme von Organen widersprechen, wenn das dem mutmasslichen Willen der verstorbenen Person entspricht. Damit kommt der Gegenvorschlag zwei wichtigen Anliegen, welche in der Umfrage als kritisch erachtet wurden, entgegen. Eine Mehrheit der Stimmbevölkerung ist nämlich auch der Ansicht, dass jeder das Recht haben sollte, sich nicht zu entscheiden, und dass eine Organentnahme ohne explizite Zustimmung problematisch ist. Swisstransplant setzt sich für die Umsetzung der Widerspruchslösung mittels einem Ja/Nein-Register ein. Das im Oktober 2018 lancierte Nationale Organspenderegister (www.organspenderegister.ch) ermöglicht es bereits heute, den persönlichen Entscheid für oder gegen eine Organspende online festzuhalten.
Swisstransplant/RBO s
Quelle: gfs.bern, Umfrage August 2019
Medienmitteilung von Swisstransplant vom 30. September 2019.
Neurologie
Neue Behandlungsoption bei Tremor und Parkinson
Als einziges universitäres Zentrum in der Schweiz bietet das Universitätsspital Zürich (USZ) die Therapie von Tremor mittels MRT-gesteuerten fokussierten Ultraschalls an. Die minimalinvasive Behandlung ist eine Option für Patienten mit einem ausgeprägten, therapieresistenten essenziellen Tremor oder mit Parkin-
In der speziellen Kopfvorrichtung sind 1024 Ultraschallquellen gezielt auf das zu behandelnde Hirnareal ausgerichtet. (Foto: USZ)
son-Tremor. Der Eingriff könne die Lebensqualität erheblich verbessern, heisst es in einer Medienmitteilung des USZ. Die Therapie mittels fokussierten Ultraschalls kommt dann zur Anwendung, wenn der Tremor als isoliertes Symptom auftritt und stark einschränkend wirkt. In Diskussion sind weitere Indikationen wie beispielsweise Epilepsie. Steht bei Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson das Zittern nicht als einziges Symptom im Vordergrund, ist hingegen die tiefe Hirnstimulation häufig die bessere Behandlungsalternative. Zwar ist diese mit einem operativen Eingriff verbunden, zerstört aber kein Hirngewebe. Die tiefe Hirnstimulaton ist insofern reversibel und eignet sich zur Behandlung eines weit grösseren Spektrums neurologischer Erkrankungen und Symptome.
Die neue Therapie ist hingegen bei isolier-
tem behandlungsresistentem Tremor die
Behandlung der Wahl, insbesondere wenn
eine tiefe Hirnstimulation nicht geeignet
oder zu belastend wäre. Der fokussierte Ul-
traschall zerstört dabei die für den Tremor
verantwortlichen Hirnregionen irreversi-
bel: Eine nur 2 bis 5 mm grosse Zielregion
wird dabei mittels 1024 rund um den Kopf
angeordneter Ultraschallquellen gezielt auf
zirka 60 °C erwärmt (Abbildung).
Die Therapie ist in einer einmaligen Be-
handlung von rund zwei Stunden Dauer
abgeschlossen. Die Behandlungskosten
werden von der Grundversicherung getra-
gen.
USZ/RBO s
Medienmitteilung des USZ vom 26. September 2019.
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ARS MEDICI 20 | 2019
Kardiologie
Herzinsuffizienzmedikamente oft zu gering dosiert
Wichtige Medikamente zur Behandlung bei Herzinsuffizienz werden oft in niedrigeren Dosierungen verschrieben, als die internationalen Richtlinien vorgeben. Ungeachtet potenzieller Nebenwirkungen liege ein Grund hierfür im unbewussten Handeln der verschreibenden Ärzte, heisst es in einer Pressemitteilung der Medizinischen Universität Wien. Für die Gabe von ACE-Hemmern, Betablockern und Angiotensin-Rezeptor-Blockern gibt es klare Richtlinien zur Dosierung. Anhand des nationalen österreichischen Herzinsuffizienzregisters mit knapp 4000 Patienten wurde nun überprüft, welche Dosierungen den ambulant behandelten Patienten tatsächlich verordnet werden. Diese lagen meist deutlich unterhalb der anzustrebenden therapeutisch optimalen Dosis. Innerhalb einer Substanzklasse mit unterschiedlicher numerischer Maximaldosierung zum Erreichen des gleichen Wirkungseffekts zeigte sich das besonders deutlich. So wurden Medikamente mit einer höheren Zieldosis in absoluten Zahlen (z. B. 10 mg vs. 200 mg) in einer deutlich niedrigeren Dosierung verschrieben als emp-
fohlen. War jedoch die Zieldosis eines Medi-
kaments numerisch niedriger (z. B. 5 mg vs.
10 mg), war die Wahrscheinlichkeit höher,
dass tatsächlich die maximale Zieldosis ver-
schrieben wurde.
Dr. med. Martin Hülsmann, der gemeinsam
mit Dr. med. Henrike Arfsten an der Medizi-
nischen Universität Wien an der Studie mass-
geblich mitwirkte, sieht eine kognitive Vor-
eingenommenheit als Grund. Eine unbewusste
Angst vor Überdosierung und Angst vor Ne-
benwirkungen von Medikamenten bestehe
auch in der evidenzbasierten Medizin weiter.
«Diese ist besonders ausgeprägt, je höher die
Zieldosis eines Medikaments ist, und verhin-
dert die Verabreichung der in Studien als op-
timal getesteten Medikamentendosierung»,
so Hülsmann. Er geht davon aus, dass diese
Übervorsichtigkeit kein spezielles Problem
bei kardiologischen Behandlungen ist, son-
dern auch in anderen medizinischen Berei-
chen vorkommt.
MedUni Wien/RBO s
Medienmitteilung der Medizinischen Universität Wien vom 1. Oktober 2019 und Arfsten H et al.: Prescription bias in the treatment of chronic systolic heart failure. Ann Int Med, published online 1 October 2019.
Pneumologie
Haben schnarchende Frauen häufiger Krebs?
Weil immer wieder Hinweise für einen möglichen Zusammenhang zwischen einer obstruktiven Schlafapnoe (OSA) und einer Krebserkrankung auftauchen, die verfügbaren Daten jedoch inkonsistent sind, machten sich schwedische Wissenschaftler daran, Registerdaten aus der europäischen Datenbank ESADA von 20 000 erwachsenen Patienten mit OSA im Hinblick auf Krebserkrankungen zu analysieren. Dabei zeigte sich bei Frauen eine Assoziation zwischen intermittierender nächtlicher Hyp-
oxie und einer erhöhten Krebsprävalenz. Das Krebsrisiko war für Frauen mit ausgeprägter OSA um das Zwei- bis Dreifache erhöht. Ob nächtliche Hypoxien aber tatsächlich eine potenzielle Ursache der Krebsentstehung sind, müssen nun weitere Studien klären. VH
s
Pataka A et al.: Cancer prevalence is increased in females with sleep apnoea: data from the ESADA study. Eur Respir J 2019; 53(6) pii:1900091.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Nobelpreis für Telomerforschung
Elizabeth H. Blackburn und Jack W. Szostak zeigten 1982, dass Telomere, die speziell strukturierten Enden von DNA-Strängen in Chromosomen, die Chromosomen vor Degeneration schützen. Die Telomere werden mit der Zeit kürzer. Wenn sie ein Mindestmass unterschreiten, kann sich die Zelle nicht mehr teilen. Die dritte Preisträgerin, Carol W. Greider, war eine Doktorandin von Blackburn. Die beiden Wissenschaftlerinnen machten Ende der 1980er-Jahre grundlegende Entdeckungen zum Enzym Telomerase und dessen Rolle für den Alterungsprozess von Zellen.
Vor 50 Jahren
Nobelpreis für Virologen
Max Delbrück, Alfred D. Hershey und Salvador E. Luria werden für ihre virologische Forschung mit dem Nobelpreis geehrt. Während Delbrück und Luria die Funktionsweise von Bakteriophagen aufklärten, konnte Hershey durch Experimente mit Bakteriophagen nachweisen, dass die Erbinformation in der DNA und nicht in Proteinen gespeichert ist.
Vor 100 Jahren
Nobelpreis für Immunologen
Erstmals nach dem Ersten Weltkrieg wird wieder ein Nobelpreis für Physiologie/Medizin verliehen. Er geht an Jules Bordet für grundlegende Erkenntnisse in der Immunologie. So identifizierte er als Erster Serumproteine, welche die Immunabwehr unspezifisch verstärken, das sogenannte Komplementsystem. Auf der Basis dieser Immunreaktion wurden in der Folge serologische Tests, zum Beispiel auf Syphilis, entwickelt. RBO s
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