Transkript
BERICHT
Sekundärprävention nach Hirnschlag
Was ist neu?
In der Rezidivprophylaxe von Hirnschlag und transitorischer ischämischer Attacke (TIA) haben neue Daten gezeigt, dass der Nutzen einer dualen Plättchenhemmung grösser ist als das Risiko, sofern sie nur über beschränkte Zeit eingesetzt wird. PD Dr. Gian Marco de Marchis, Neurologie und Stroke Center am Universitätsspital Basel, gab am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) in Basel ein Update zu diesem Thema.
Anhand eines klinischen Falls eines 65-Jährigen nach einem akuten ischämischen Hirnschlag zwei Tage zuvor beleuchtete de Marchis den unmittelbaren wie auch den langfristigen Handlungsbedarf. Vom behandelnden Arzt erhielt der erwähnte Patient zur weiteren Prophylaxe Acetylsalicylsäure (ASS) 100 mg/ Tag. Der Patient fragte nach zusätzlichem Clopidogrel 75 mg, da er im Internet gelesen hatte, dass dies besser sei als ASS allein. Was ist zu tun? «Aus der CHARISMA- und der MATCH-Studie ist bekannt, dass die nach Wochen eingerichtete Langzeitprophylaxe eines Hirnschlags oder TIA mit einer dualen Plättchenhemmung nicht besser ist als mit ASS oder Clopidogrel allein», sagte de Marchis. Nun zeigte aber eine neuere, drei Monate dauernde Studie (POINT) eine Reduktion der Rezidive unter der Kombination, dies vor allem in der ersten Woche nach dem akuten Ereignis. Doch traten unter der Kombination auch mehr als doppelt so viele schwere Blutungen auf (Hazard Ratio: 2,32) (1). Gemäss einer Metaanalyse über drei Studien – POINT eingeschlossen – zeigte sich, dass sich die meisten Rezidive innerhalb von 21 Tagen ereignen und sich Blutungsereignisse vor allem mit zunehmender Einnahmedauer (> 21 Tage) zu häufen beginnen. Ein Beginn mit täglich ASS/Clopidogrel 24 Stunden nach dem akuten Ereignis bis zum 21. Tag bringt somit mehr Nutzen als Risiko (2). Deshalb bestehe die heutige Praxis bei
ischämischer Hirnschlag keine antithrombotische Therapie bei Aufnahme
Vorhofflimmern Ja orale Antikoagulation
≤3
NIHSS
>3
ASS 100 mg/Tag plus Clopidogrel 75 mg/Tag (Loading dose 600 mg
für 21 Tage)
nach 30 Tagen ASS 100 mg/Tag
Abkürzung: NIHSS: National Institute of Health Stroke Scale Quelle: PD Dr. M. de Marchis, SGAIM Basel 2019
Abbildung: Mögliches Vorgehen bei ischämischem Hirnschlag
Hirnschlag oder TIA-Patienten (minor stroke, NIHSS ≤ 3) aus einer dualen Plättchenhemmung (ASS 100 mg/Clopidog rel 75 m) während 21 Tagen. Danach wird die duale Plättchenhemmung gestoppt und eine einfache Therapie fortgeführt, entweder mit ASS oder mit Clopidogrel (Abbildung), so de Marchis.
Hirnschlagprophylaxe bei Herzinfarktvorgeschichte
Hätte der Patient zusätzlich einen Herzinfarkt in seiner Vorgeschichte, würde das die gewählte Strategie der einfachen Plättchenhemmung zur Hirnschlaglangzeitprävention ändern? Diese Frage untersuchte die dreiarmige COMPASS-Studie. Darin erhielten 27 395 Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) während etwa zwei Jahren entweder ASS 100 mg/Tag oder Rivaroxaban 5 mg 2-mal täglich oder die Kombination aus beiden (ASS 100 mg/Tag plus Rivaroxaban 2,5 mg 2-mal täglich). Es zeigte sich, dass mit der Kombination der beiden Wirkmechanismen zwar weniger kardiovaskuläre Ereignisse auftraten als unter den beiden Einfachtherapien, dafür mehr schwere, aber keine intrakranialen oder tödlichen Blutungen (3). In einer weiteren Analyse der Studie stellte sich heraus, dass sich die ischämische Hirnschlagrate nach 23 Monaten unter der Kombination im Vergleich zu ASS allein nahezu halbiert hatte (4). Die Kombination von niedrig dosiertem Rivaroxaban plus ASS stellt deshalb für Patienten mit Atherosklerose eine gute Option für eine primäre oder sekundäre Hirnschlagprävention dar, so de Marchis. Erleidet ein KHK-Patient unter ASS 100 mg/Tag eine intrazerebrale Blutung, stellt sich die Frage, ob die ASS-Therapie nach einem Monat Pause wieder aufgenommen werden kann. Gemäss einer neuen Studie ist eine Plättchenhemmung oder Antikoagulation (ca. 80 Tage) nach diesem Ereignis nicht absolut kontraindiziert. Denn das Risiko für eine erneute intrazerebrale Blutung sei zu klein, um auf den Vorteil der sekundärpräventiven Plättchenhemmung zu verzichten, so das Fazit der Studienautoren (5). Den Zeitpunkt der Wiederaufnahme sollte man laut de Marchis jedoch von der Grösse der Blutung und von der Einschätzung des behandelnden Neurologen abhängig machen.s
Valérie Herzog
Quelle: «Sekundärprävention nach ischämischem Hirnschlag», Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, 5. bis 7. Juni 2019 in Basel.
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Referenzen: 1. Johnston SC et al.: Clopidogrel and aspirin in acute ischemic stroke and
high-risk TIA. N Engl J Med 2018; 379. 215–225. 2. Hao Q et al.: Clopidogrel plus aspirin versus aspirin alone for acute minor
ischaemic stroke or high risk transient ischaemic attack: systematic review and meta-analysis. BMJ 2018; 363: k5108. 3. Eikelboom JW et al.: Rivaroxaban with or without aspirin in stable cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 377: 1319–1330. 4. Sharma M et al.: Stroke outcomes in the COMPASS trial. Circulation 2019; 139: 1134–1145. 5. Al-Shahi SR et al.: Effects of antiplatelet therapy after stroke due to intracerebral haemorrhage (RESTART): a randomised, open-label trial. Lancet 2019; 393: 2613–2623.
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