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POLITFORUM
MOTION vom 21.3.2019
Den professionellen Umgang mit Versorgungsengpässen bei Heilmitteln sicherstellen
Edith Graf-Litscher
Nationalrätin SP Kanton Thurgau
Der Bundesrat wird beauftragt, die Versorgungsicherheit bei Heilmitteln zu erhöhen, indem er die bestehende Liste der lebenswichtigen Arzneimittel erweitert und eine Liste versorgungsrelevanter Medizinprodukte schafft. Die Stakeholder werden verpflichtet, bevorstehende Engpässe zu melden. Die publizierte Liste, die Dritte im Auftrag des Bundes führen sollen, enthält Substitutionsmöglichkeiten, therapeutische Alternativen sowie alternative Beschaffungswege.
Begründung Einerseits steigt die Zahl der Produkte, die nicht verfügbar sind. Andererseits nimmt die Dauer der Lieferengpässe in die Schweiz zu. Die Probleme treten weltweit auf, die Gründe sind komplex, vielfältig und nur schwer zu lösen. Eine Zunahme von Lieferengpässen droht auch bei den Medizinprodukten. Die umfassende Versorgung mit Heilmitteln ist eine wichtige Grundlage für ein funktionierendes Gesundheitswesen. Patientinnen und Patienten sind auf Ersatzmedikamente angewiesen, chronisch kranke Menschen müssen auf andere Therapien umgestellt werden. Ebenso zentral ist die Verfügbarkeit von Medizinprodukten. Die Visibilität über Versorgungsengpässe muss erhöht und der Umgang professionalisiert werden. Die bestehende Liste lebenswichtiger Arzneimittel gemäss dem Landesversorgungsgesetz (mit Pflichtlager) ist um eine Liste versorgungsrelevanter Arzneimittel und versorgungsrelevanter
Medizinprodukte (ohne Pflichtlager) zu erweitern. Generell sind alle Akteure der Versorgungskette besser einzubinden. Zulassungsinhaber und Vertriebsorganisationen von Heilmitteln, Vollgrossisten, Apotheken und Spitäler werden verpflichtet, Lieferengpässe in definierter und standardisierter Form frühzeitig zu melden. Das BAG wird beauftragt, zusammen mit einem externen Expertengremium Substitutionsmöglichkeiten und therapeutische Alternativen festzulegen. Es ist sicherzustellen, dass kosteneffiziente Alternativen von der Grundversicherung vergütet werden, auch wenn sie nicht in der SL sind. Soweit möglich sind alternative Beschaffungswege aufzuzeigen und gegebenenfalls Parallelimporte zuzulassen. Der Bundesrat erteilt nach einer öffentlichen Ausschreibung den Auftrag, die Liste mit den relevanten Inhalten tagesaktuell zu publizieren. Zu prüfen ist die Einbindung z.B der Stiftung Refdata oder von SwissDocu.
STELLUNGNAHME DES BUNDESRATES VOM 15.5.2019
Obwohl die Schweiz über eine leistungsfähige pharmazeutische Industrie verfügt, müssen die meisten Ausgangsstoffe für die Arzneimittelproduktion sowie ein Grossteil der Medikamente und Medizinprodukte importiert werden. Aufgrund dieser Importabhängigkeit ist es in den vergangenen Jahren wiederholt zu Lieferengpässen gekommen. Um Störungen frühzeitig zu erkennen und adäquat reagieren zu können, wurde per 1. Oktober 2015 eine Meldepflicht in Kraft gesetzt, welche die Zulassungsinhaber/-innen verpflichtet, ihre (potenziellen) Lieferengpässe bei lebenswichtigen Arzneimitteln dem Bund zu melden. In der Verordnung über die Meldestelle für lebenswichtige Humanarzneimittel wurde eine gegenüber der Pflichtlagerliste deutlich erweiterte Arzneimittelliste definiert, die laufend überprüft und ergänzt wird. Neben den Zulassungsinhaberinnen können auch Grossisten und Spitäler über die internetbasierte Plattform in definierter und standardisierter Form Meldung erstatten, eine Meldepflicht auf dieser Stufe hätte aber gegenüber dem aktuellen System keinen Mehrwert zur Folge. Für die Beurteilung der Meldungen wurde im Fachbereich Heilmittel der wirtschaftlichen Landesversorgung ein Fachausschuss geschaffen, in dem Spitäler, Kantone, Bundesbehör-
den und Industrie vertreten sind, welche die jeweils bestmögliche Empfehlung (generische Substitution, Pflichtlagereinsatz, Importe von Arzneimittel in ausländischer Aufmachung, therapeutische Alternativen) erarbeiten. Die Umsetzung obliegt der jeweils zuständigen Bundesstelle (Bundesamt für Gesundheit BAG, swissmedic, Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL). Die Empfehlungen werden tagesaktuell auf der Homepage des BWL publiziert. Arzneimittel der Spezialitätenliste (SL), die wegen eines Lieferengpasses nicht in der Schweiz verfügbar sind und importiert werden müssen, oder Therapiealternativen, die allenfalls off-label eingesetzt werden, können von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) im Einzelfall vergütet werden. Voraussetzung ist, dass keine vergütete und zugelassene Therapiealternative vorhanden ist und ein grosser Nutzen gegen eine Krankheit erwartet werden kann, die tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann. Da für die Beurteilung der Versorgungssituation auch firmeninterne, vertrauliche Daten benötigt werden (Lagermengen, Liefertermine usw.), wurde die Betreuung der Meldeplattform dem BWL, welches über die nötige rechtliche Grund-
lage für die Erhebung dieser Daten verfügt, übertragen. Die Publikation durch eine externe Stelle schafft keinen zusätzlichen Nutzen, weil der Massnahmenentscheid durch die Bundesstellen getroffen und umgesetzt werden muss. Die Liste der zu meldenden Arzneimittel wurde 2017 erstmals erweitert, eine nächste Anpassung ist Ende 2019 vorgesehen. Damit sind die Hauptanliegen der Motion bereits umgesetzt. Eine Ausweitung der Liste auf die Medizinprodukte macht insofern keinen Sinn, weil es sich dort um einen europaweit offenen Markt von mehreren hunderttausend Produkten handelt, in dem jeder Anwender sein Sortiment und seine Lieferanten selber bestimmt, und weil bisher kaum Versorgungsengpässe zu verzeichnen waren. Eine Erfassung sämtlicher Artikel wäre von der Zahl her, da die Liste immer aktuell sein muss, mit vernünftigem Aufwand nicht zu bewältigen. Eine Auswahl von Medizinprodukten zu treffen würde den individuellen Sortimenten der einzelnen Spitäler nicht gerecht, weshalb in diesem Gebiet die Versorgung vor allem mittels einer ausreichenden individuellen Bevorratung sichergestellt werden sollte.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
ARS MEDICI 19 | 2019
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