Transkript
FORTBILDUNG
Serie: E-Health – Digitalisierung im Gesundheitswesen
Kognitive Stimulierung durch Silver-Brain
Die von MyHandicap entwickelte Plattform Silver-Brain bietet die Möglichkeit, die kognitiven Fähigkeiten einmal anders zu trainieren, und will so dazu beitragen, das Alzheimer-Risiko spielerisch zu senken.
Sandro Hürsch
Aus wissenschaftlichen Studien und Forschung wissen wir, dass Alzheimer-Prävention nicht nur mit einzelnen Facetten des täglichen Lebens zu tun hat. Multiple Risikofaktoren müssen in Betracht gezogen werden und einige, wie Alter und genetische Veranlagung, sind ausserhalb unserer Kontrolle. Gewisse Gewohnheiten unseres täglichen Lebens können allerdings sowohl positive als auch negative Einflüsse auf das Risiko, eine Alzheimer-Erkrankung zu erleiden, haben. Regelmässiges körperliches Training fördert beispielsweise die Durchblutung des Gehirns. Das Training muss dabei nicht von intensiver Natur sein und sollte durchaus dem körperlichen Zustand und dem Alter der jeweiligen Person ang epasst sein. Wichtig ist lediglich die Regelmässigkeit der körperlichen Aktivitäten. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung gibt dem Körper die Energie zur Bildung von benötigten Reserven. Speziell eine mediterrane Diät (u.a. Fisch, Gemüse, ungesättigte Fettsäuren) wird oft als wertvoll angepriesen. Soziale Interaktionen und Kontakte können helfen, den Abbau der grauen Substanz im Gehirn zu verlangsamen. Im folgenden Artikel liegt der Fokus aber auf dem Faktor des Gedächtnistrainings und welche potenziellen Effekte selbst einfache Trainings und Spiele auf unser Gehirn haben können.
Mit digitalen Angeboten dem Gedächtnisverlust begegnen
Mit Silver-Brain versucht die Stiftung MyHandicap einen neuen und innovativen Weg zu beschreiten, um mit ein fachen digitalen Lösungen zur Alzheimer-Prävention beizutragen. Computerbasierte Trainingsprogramme und Spiele haben sowohl Vorteile als auch Nachteile gegenüber herkömmlichen kognitiven Trainingsprogrammen. Es können alle Teilnehmer selbst bestimmen, in welchem Tempo und speziell mit welchem Fokus sie vorwärtsschreiten. Dieses individualisierte Format erlaubt Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten, gleichmässig daran teilzunehmen und die für sie passenden Trainings auszuwählen. Allerdings ist der Zugang zu den Trainings durch das Vorhandensein eines Computers oder eines mobilen Geräts und durch das relevante Anwendungswissen beschränkt. In unserer zunehmend digitalen Welt stellt dies zwar keine unüberwindbare Hürde dar, jedoch sind es vor allem ältere Menschen, welchen vielleicht genau dieses Anwendungswissen fehlt. Zudem ist es denkbar, dass die Akzeptanz solcher digita-
len Lösungen bei älteren Menschen erst geschaffen werden muss.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
In einer systematischen Aufarbeitung der Fachliteratur zum Thema «Computerbasierte kognitive Gehirntrainings» aus dem Jahr 2017 kamen Forscher zum Schluss, dass spezialisierte Trainings einen höheren Einfluss auf die kognitiven Funktionen haben als routinemässige, mentale Aktivitäten. Diese spezialisierten Trainings zeichnen sich durch ihre Adaptierbarkeit und fortlaufende, nicht monotone Herausforderung aus. Schwierig ist hingegen der Nachweis, dass die gesteigerten kognitiven Fähigkeiten auf andere Aufgaben transferierbar sind. Einige Untersuchungen dazu gibt es, aber die Grenze zwischen spezialisierten Trainings und Video spielen scheint nicht überall gleich definiert zu sein, was die Vergleichbarkeit erschwert (1). Allerdings können auch herkömmliche Videospiele positive Effekte auf unser Gehirn haben. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2017 haben Forscher die Auswirkung von 3-D-Plattform-Spielen, in diesem Fall Super Mario 64, auf die graue Substanz im Gehirn von älteren Spielern (55–75 Jahre) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass bei der Spielergruppe kein Verlust von grauer Substanz im Gehirn nachgewiesen werden konnte, während die Kontrollgruppe einen Verlust aufwies. Die Forscher konnten sogar ihre Hypothese bestätigen, dass sich durch das Spielen von Gelegenheitsspielen die graue Substanz im Gehirn erhöhen und das Erinnerungsvermögen verbessern kann (2). Einen allgemeinen Nachweis, dass computerbasierte Trainings- und Videospiele vor der Alzheimer-Erkrankung schützen können, gibt es jedoch noch nicht. Die Wissenschaft steckt in diesem Forschungsbereich noch in den Kinderschuhen. Dies zeigt sich auch daran, dass sich nur sehr wenige Artikel und Studien zum Thema Videospiele und computerbasierte Trainings finden lassen, welche älter als zehn Jahre sind. Die ersten Untersuchungen sind jedoch vielerorts positiv ausgefallen, auch wenn ihr Fokus nicht in erster Linie der Alzheimer-Prävention galt.
Was sagen Alzheimer-Organisationen dazu?
Ganz allgemein sind sich Forscher und Alzheimer-Organisationen einig, dass geistige Fitness unabdingbar ist, um auch im hohen Alter die mentale Gesundheit zu schützen. Die
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FORTBILDUNG
NACHGEFRAGT
Erste Erfahrungen mit Silver-Brain
Seit wann gibt es das Angebot Silver-Brain? Wie ist die Idee entstanden? Die Idee zu Silver-Brain entstand 2018, seit diesem Zeitpunkt setzen wir uns intensiv mit dem Thema Alzheimer-Prävention mittels digitaler Lösungen auseinander. Zurzeit befinden wir uns in einer Testphase.
Wie unterscheidet sich Ihr Angebot von anderen Videospielen? Auf den ersten Blick gar nicht. Wir haben weder das Know-how noch den Anspruch, Videospiele in dieser Phase des Projekts selbst zu programmieren. Wir haben unterschiedliche Anbieter von Browserspielen, kognitiven Trainings und Serious Games. Oft verfolgen diese einen Top-down-Ansatz, und es wird viel Aufwand betrieben, um wissenschaftlich validierte und technisch komplexe Software, Programme und Spiele zu entwickeln. Das verursacht hohe Kosten für die Nutzer (beispielsweise in Form eines Abonnements) und/oder stellt hohe Anforderungen an die technische Infrastruktur (leistungsstarke PC, VR-Brillen oder Bewegungskameras, durch welche die Spiele gesteuert werden). Wir möchten vielmehr einen Bottom-up-Ansatz verfolgen, bei dem uns unsere Nutzer sagen, was ihnen gefällt, damit wir dann unser Angebot anpassen können. Dabei benützen wir Open-SourceSoftware, Spiele und Anwendungen, die wir zu diesem Zeitpunkt ohne Gegenleistung auf Silver-Brain anbieten können.
An wen richtet sich die Website? Die Website richtet sich an Personen, welche ein Interesse an neuen Möglichkeiten zum Training der geistigen Fitness haben, und darüber hinaus natürlich an Menschen, die proaktiv etwas gegen eine poten zielle Alzheimer-Erkrankung unternehmen möchten. Wobei geistige Fitness nur einen kleinen Teil der möglichen Prävention ausmacht.
Welches Alter haben Ihre Nutzer? Unsere Seite steht grundsätzlich Menschen jeden Alters offen. Im April haben wir erstmals eine ausführliche Auswertung unserer Nutzer zahlen durchgeführt. Unsere Websitenbesucher sind zu 65 Prozent über 55 Jahre alt und zu 75 Prozent weiblich.
Welche Plattform wird primär verwendet? Die primäre Plattform in der Testphase wird der Computer sein (und möglicherweise Tablets durch Responsive Content), da die Verfügbarkeit von Spielen und Open-Source-Software für Computer weniger eingeschränkt ist. Dies kann und muss sich längerfristig ändern, da die Zukunft natürlich auf dem Mobile-Markt liegt, sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Nutzern.
Gibt es schon Feedbacks? Einzelfeedbacks sind vorhanden, Feedbacks aus einem wirklichen Test umfeld jedoch noch nicht. Unser Ziel für das erste Halbjahr ist es, vermehrt qualitative Nutzerfeedbacks einzuholen, um das Angebot anzupassen und zu erneuern. Die Individualisierung des Angebots soll dazu beitragen, Nutzer längerfristig an die Website zu binden.
Schweizer Alzheimer-Vereinigung schreibt dazu beispielsweise: «Ein plastisches Gehirn lässt sich trainieren! Zahl reiche Studien weisen darauf hin, dass sich bei geistig aktiven Menschen Abbauprozesse weniger stark oder erst später bemerkbar machen. Vermutlich erholt sich ein trainiertes Gehirn besser von Verletzungen und Schädigungen. Ausserdem hat es mehr Reserven und kann Abbauprozesse ausgleichen» (3). Ähnliche Aussagen und Informationen finden sich auch bei der deutschen Alzheimer Forschung Initiative (4). Geistige Fitness ist ein wichtiger Faktor, um das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, zu reduzieren sowie die graue Substanz im Gehirn zu erhalten. Allerdings umfassen die Ratschläge und Informationen dieser Organisationen selten digitale Lösungen und Spiele, sondern beschränken sich auf herkömmliche Trainings und Spielvarianten wie Kopfrechnen und Puzzles.
Silver-Brain
Die Silver-Brain-Website (www.silver-brain.ch) bildet den ersten Schritt für ein computerbasiertes Trainingsprogramm von MyHandicap. Dieses soll allen Menschen erlauben, selbst an ihrer geistigen Fitness zu arbeiten und, so erhoffen wir uns, aktiv Alzheimer-Prävention zu betreiben. Teilnehmer sollen unterschiedliche Trainings- und Spielvarianten finden, welche ihre Bedürfnisse und Wünsche so gut wie möglich abdecken. Dabei interessiert uns in erster Linie, mit welchen Inhalten wir die Teilnehmer regelmässig zum Mitmachen animieren können. Denn das Gehirntraining kann, ähnlich wie das körperliche Trai-
ning, seine Wirkung nur entfalten, wenn kontinuierlich gearbeitet wird. Silver-Brain soll dabei das Rad nicht neu erfinden, sondern die bereits vorhandenen Informationen bündeln und so zur Verfügung stellen, dass Einzelpersonen wie auch Institutionen diese nutzen und davon profitieren können. Dabei soll der Einstieg in die aktive Prävention so einfach wie möglich sein. Solange Heilung oder medikamentöse Prävention keine Optionen sind, stellt eine zeit- und kosteneffiziente Möglichkeit zur Risikovorbeugung immer noch die beste Präventionsmethode dar. Videospiele und computerbasierte Trainings könnten in Zukunft einen grossen Beitrag dazu leisten, und Silver-Brain soll ein Teil davon sein. s
Sandro Hürsch Internationale Stiftung MyHandicap 9500 Wil E-Mail: sandro.huersch@myhandicap.ch Internet: www.silver-brain.ch
Referenzen: 1. Shah TM et al.: Enhancing cognitive functioning in healthly older adults:
a systematic review of the clinical significance of commercially available computerized cognitive training in preventing cognitive decline. Neuropsychology Review 2017; 27(1): 62–80. 2. West GL et al.: Playing super mario 64 increases hippocampal grey matter in older adults. Plos One 2017; doi.org/10.1371/journal.pone.0187779 3. Konsensus Demenz – Diagnose, Behandlung und Betreuung. 2014; www.rosenfluh.ch/qr/broschuere_demenz 4. https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/vorbeugen/geistigefitness/
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