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SUMMER SCHOOL
Hypertonie
Neue Schweizer Guideline zur Diagnose und Behandlung der Hypertonie
In den beiden letzten Jahren wurden sowohl die amerikanischen als auch die europäischen Guidelines zur Diagnose und Behandlung der Hypertonie überarbeitet. Zum Sommer diesen Jahres erfolgte nun auch eine Aktualisierung der schweizerischen Empfehlungen. Diese fällt inhaltlich ähnlich aus wie die gemeinsamen europäischen Empfehlungen der European Society of Cardiology und der European Society of Hypertension (ESC/ESH).
An der grundsätzlichen Definition einer Hypertonie hat sich in den neuen Schweizer Guidelines nichts geändert, als normal gelten in der Praxis Blutdruckwerte von < 140/90 mmHg. Erst bei systolischen Werten ab 140 mmHg liegt eine Hypertonie vor, die behandelt werden sollte. Erhöhte Blutdruckwerte sollten durch wiederholte Messungen überprüft werden, entweder innerhalb der Praxis oder durch ergänzende Messungen ausserhalb der Praxis. Bei Heimmessungen sollte der Blutdruckwert tagsüber < 135/85mmHg, der Mittelwert einer 24-Stunden-Blutdruckmessung sollte < 130/80 mmHg betragen und nachts beziehungsweise im Schlaf < 120/70 mmHg. Bei allen Erwachsenen sollte nach einer Hypertonie gesucht werden und mindestens alle fünf Jahre eine Blutdruckmessung erfolgen, bei hochnormalen Werten auch häufiger. Die Messungen sollten im Sitzen und nach einer initialen Messung an beiden Armen weiterhin an dem Arm mit dem höheren Wert erfolgen. Als spezielle Formen der Hypertonie werden die Weisskittelhypertonie, die maskierte Hypertonie und resistente Hypertonien erwähnt. Letztere gilt dann als gegeben, wenn sich die definierten Zielwerte (Praxis und 24-Stunden-Messung) unter einer Kombinationstherapie mit mindestens drei Substanzen und gewährleisteter Therapieadhärenz nicht erreichen lassen. Steckbrief Wer hat die Guidelines erstellt? Schweizerische Gesellschaft für Hypertonie Wann wurden sie erstellt? 2019 Für welche Patienten? Patienten mit Hypertonie Was ist neu? Aktualisierte Empfehlungen zur Behandlung der Hypertonie Sobald alle Sprachversionen vorliegen, finden Sie die Guidelines online unter www.swisshypertension.ch Ab wann therapieren? Patienten mit einer Grad-1-Hypertonie, entsprechend einem Praxisblutdruck von systolisch 140 bis 159 und diastolischen Werten zwischen 90 und 99 mmHg, sollten dann eine medikamentöse Behandlung erfahren, wenn der Blutdruck mit Lebensstilmassnahmen allein nicht in den Griff zu bekommen ist. Bei Hochrisikopatienten mit Grad-1-Hypertonie sowie Patienten mit höhergradiger Hypertonie sollte parallel zu den Lebensstilmassnahmen bereits mit einer medikamentösen Therapie begonnen werden. Für alte und gebrechliche Patienten gelten andere Kriterien. Bei Patienten jenseits der 80 Jahre, deren Blutdruck bislang keiner medikamentösen Behandlung bedurfte, sollte eine solche erst bei systolischen Werten ab 160 mmHg in Betracht gezogen werden – abhängig vom individuellen Zustand. Das Alter sollte kein Grund sein, ihnen die Behandlung zu verweigern oder sie abzubrechen. Ab einem Alter von 65 Jahren sollte der systolische Wert nicht unter 130 mmHg gesenkt werden. Ähnliche Blutdruckziele gelten auch für Patienten, die an einem Diabetes mellitus erkrankt sind. Bei allen Patienten sollte der systolische Wert nicht unter 120 mmHg gesenkt werden, der diastolische Wert nicht unter 70 mmHg. Lebensstil ist nach wie vor wichtig Lebensstilinterventionen sind nach wie vor die Basis der Behandlung. Die Auswirkungen einer gesunden Ernährung mit moderatem Alkoholgenuss, regelmässiger Bewegung, Salzrestriktion, Rauchstopp und Gewichtskontrolle machen sich auch jenseits des Blutdrucks positiv bemerkbar. Zudem können sie nicht nur die Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie verzögern, sondern eine solche auch sinnvoll ergänzen. Gesamtrisiko berücksichtigen Die Wahl der einzusetzenden Substanzklassen sowie die Geschwindigkeit, in der die Medikamente zum Einsatz kommen, orientiert sich an der Höhe des Ausgangsblutdrucks sowie der individuellen Risikostratifikation. Bei einem systolischen Ausgangswert zwischen 140 und 159 mmHg und/oder einem diastolischen Blutdruck zwischen 90 und 99 mmHg und keinem oder einem Risikofaktor kann die Therapie mit ARS MEDICI 14–16 | 2019 501 SUMMER SCHOOL EXPERTENKOMMENTAR PD Dr. Isabella Sudano, Leiterin der Hypertonie-, Lipid- und Tabakentwöhnungssprechstunde, Universitätsspital Zürich, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Hypertonie auch nicht zu tief gesenkt werden. Was die grundsätzlich einzusetzenden Medikamente angeht, gibt es keine Unterschiede. Neu ist das Flussdiagramm, das die Bedeutung der Kontrolle betont. Die kurzfristige Kontrolle erlaubt frühzeitig eine Einschätzung, ob der Patient die Medikamente nimmt und ob sie im Einzelfall funktionieren. Das haben zwar viele Ärzte auch schon so gehandhabt, aber wir glauben, dass eine Festschreibung zu einer Verbesserung des Therapieerfolgs und der Adhärenz führen kann. Woran orientieren sich die neuen Schweizer Guidelines? PD Dr. Isabella Sudano: Wir haben in den neuen Schweizer Guidelines viel von den europäischen Guidelines übernommen, sowohl die Grenzwerte als auch die Zielbereiche sind in Anlehnung daran definiert. Bei uns hat lediglich die Monotherapie ein wenig mehr Raum bekommen, die in den ESC/ESH-Guidelines nur für die jungen Patienten mit niedrigem Risiko sowie die gebrechlichen Patienten vorgesehen ist. Dafür sollte aber innerhalb von sechs Wochen kontrolliert werden, ob der eingeschlagene Weg tatsächlich zum Ziel führt. Was unterscheidet die neuen Schweizer Guidelines von den vorherigen? Sudano: Wir haben neu keinen konkreten Zielwert, sondern einen Zielbereich definiert, den wir als vernünftig erachten. Der Blutdruck sollte Welche Botschaft ist für den Grundversorger besonders wichtig? Sudano: Unsere Botschaften sind nicht neu. Wir betonen im Rahmen der Diagnostik die Bedeutung der wiederholten Messungen in der Praxis wie auch ausserhalb. Ist der Blutdruck erhöht, soll er behandelt werden. Der Erfolg der Therapie muss kontrolliert werden, die Wirkung, die Nebenwirkungen, die Adhärenz. Dazu gehört auch die Frage, ob dem Patienten wirklich klar ist, dass es sich um eine lebenslange Therapie handelt. Das Ziel ist es, sein kardiovaskuläres Risiko zu reduzieren, um die Gefahr eines Herzinfarkts, eines Schlaganfalls oder einer Herzinsuffizienz zu senken. Immer noch beenden viele Patienten die Therapie, wenn ihr Blutdruck gut ist. einer Monotherapie aus ACE-Hemmer oder AngiotensinRezeptor-Blocker (A), einem Kalziumkanalblocker (C) oder einem Diuretikum (D) begonnen werden, falls nötig auch in Kombination. Ab zwei Risikofaktoren, einem schwerwiegenden kardialen Ereignis (major cardiovascular event; MACE) oder Endorganschäden (EOS), also einem höheren bis hohen Risiko, kommt eine Kombination aus A und C oder A und D infrage. Bei systolischen Ausgangswerten ab 160 mmHg und/oder einem diastolischen Wert ab 100 mmHg kann eine Kombinationstherapie aus A und C oder A und D auch schon bei einem niedrigeren Risiko eingesetzt werden. Ab zwei Risikofaktoren wird bei höheren Ausgangswerten eine Kombination aus drei Wirkstoffen empfohlen, A und C und D. Sollte das nicht ausreichen, kommt vorzugsweise Spironolacton als weiterer Kombinationspartner ins Spiel. Bei hohem Risiko wird zudem eine Konsultation bei einem Hypertoniespezialisten angeraten. Als Indikationen für Betablocker gelten lediglich eine resistente Hypertonie oder spezifische Indikationen für einen Betablocker, wie zum Beispiel eine Herzinsuffizienz, eine tachykarde Arrhythmie sowie eine Schwangerschaft (Labetalol). Behandlungsziele neu als Zielbereich definiert Als Behandlungsziel wurden auch in den Schweizer Guidelines neu Zielbereiche anstelle von Zielwerten definiert. Primäres Ziel einer Behandlung bei erhöhten Blutdruckwerten ist es, den Blutdruck nach drei Monaten unter 140/90 mmHg zu senken. Als Zielbereich für den systolischen Blutdruck gelten Werte zwischen 120 und 140 mmHg, als optimal gilt ein Wert von 130 mmHg, sofern er toleriert wird. Der diastolische Wert sollte in einen Bereich zwischen 70 und 90 mmHg gesenkt werden, optimal wäre hier ein Wert von 80 mmHg. Fixkombinationen bevorzugen Wann immer möglich sollten Fixkombinationen zum Einsatz kommen, da dies die Einnahme für die Patienten erleichtert und die Adhärenz verbessert. Im Unterschied zur vorherigen Guideline wurde ein etwas konkreteres Raster für die Evaluation der Therapiewirkung entwickelt, um die Adhärenz besser überprüfen zu können. Nach 2 Wochen sollte evaluiert werden, ob es zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen gekommen ist – selbstverständlich mit entsprechender Anpassung der Therapie im Fall des Falles. Nach 6 bis 8 Wochen sollte überprüft werden, ob das Therapieziel erreicht wurde. Ist das nicht der Fall und die Adhärenz gesichert, muss die Therapie ausgebaut, anderenfalls muss die Adhärenz optimiert werden. Ist eine Anpassung erforderlich, wird wiederum nach 6 bis 8 Wochen der Erfolg der Massnahmen überprüft. Ist das Therapieziel erreicht, sollte nach 6 Monaten eine Kontrolle der Werte erfolgen. Therapieziel: Mehr als Blutdrucksenkung Zur Therapie des erhöhten Blutdrucks gehört immer die gesamthafte Betrachtung des Patienten. Um das kardiovas- kuläre Risiko gesamthaft positiv zu beeinflussen, müssen neben allfälligen Lebensstilmassnahmen erhöhte Lipid- und Blutzuckerwerte als wichtige kardiale Risikofaktoren glei- chermassen therapeutisch adressiert werden. s Christine Mücke Referenzen: www.swisshypertension.ch 502 ARS MEDICI 14–16 | 2019