Transkript
BERICHT
Studie der JHaS zur Versorgungssituation in der Schweiz
Hausarztmedizin hat an Attraktivität gewonnen
Die hausärztliche Versorgung schweizweit sicherzustellen, wird eine immer grössere Herausforderung. Schon seit einigen Jahren mangelt es an Hausärzten, und die Suche nach einem Nachfolger bleibt eine (oftmals unlösbare) Aufgabe. Die Studie zum zehnjährigen Bestehen der Jungen Hausärztinnen und ärzte Schweiz (JHaS) lässt hoffen, sie zeigt ein wachsendes Interesse an der Hausarztmedizin. Der Nachwuchs ist unterwegs, aber noch nicht am Ziel. Jetzt gilt es, die Weichen weiterhin richtig zu stellen.
Eigentlich könnte das Berufsbild des Hausarztes attraktiv sein: Schweizer Hausärzte behandeln ihre Patienten zu über 90 Prozent abschliessend, ohne dass eine Überweisung an den Spezialisten notwendig wird (1). Ihre Patienten sind zufrieden – 98,3 Prozent der Befragten finden, dass Hausärzte genug Zeit für sie aufwenden – und 2014 forderten 88 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Schlüsselrolle für die Hausarztmedizin im Schweizer Gesundheitswesen (2). Dennoch fanden viele Jahre lang zu wenig Junge den Weg in die Hausarztmedizin, und wenn doch, fühlten sie sich häufig alleingelassen mit den anstehenden Herausforderungen.
Zunehmendes Interesse
Dieses Dilemma war 2009 Anlass zur Gründung des Vereins JHaS, der heute bereits über 1100 Mitglieder zählt. Er setzt sich nicht nur für die Unterstützung angehender Hausärzte ein, sondern ebenso für bessere Rahmenbedingungen in Ausund Weiterbildung sowie in der Forschung. Die gemeinsamen Anstrengungen und die Begeisterung, die die aktiven Mitglieder für ihre Sache haben, setzte viele positiven Ener-
gien frei. Regelmässige Stammtische, das Engagement sowohl bei den Studierenden als auch in der Politik, gemeinsam mit weiteren Partnern, haben das Interesse an der Hausarztmedizin geweckt. Waren es 2008 nur 10 Prozent, die sich am Ende ihres Studiums für die Hausarztmedizin entschieden, (3), war der Anteil Interessierter 2017 schon deutlich grösser: 20 Prozent waren bereits sicher, und 40 Prozent äusserten sich interessiert an einem Weg in die Hausarztmedizin (4), wie Prof. Dr. Sven Streit, ehemaliger Präsident der JHaS und jetzt am Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM) für die Nachwuchsförderung zuständig, anlässlich der Vorstellung der Studienergebnisse berichtete. Dennoch mangelt es in den nächsten Jahren noch immer an Hausärzten (siehe Abbildung 1).
Wunsch oder Wirklichkeit?
Um herauszufinden, ob den Wünschen Taten folgen und wo und wie die Jungen den Weg in die Hausarztpraxis finden, hat der Verein zusammen mit Streit, dem BIHAM sowie der Nachwuchskommission der SGAIM anlässlich des zehnjährigen Bestehens eine Studie initiiert. Die Ergebnisse ermöglichen erstmals einen Gesamtblick auf den hausärztlichen Nachwuchs, so Streit, ein entsprechendes Register fehlt bis heute. Fast die Hälfte der JHaS-Mitglieder nahmen daran teil, und anhand der Zulassungsbewilligungen wurde erhoben, ob ausreichend viele auch bereit sind, auf dem Land zu arbeiten.
Abbildung 1: Trotz zunehmendem Interesse ist in den nächsten Jahren ein wachsender Mangel an Hausärzten absehbar. Um die hausärztliche Versorgung ab 2040 zu gewährleisten, müssten sich jetzt 50 Prozent der Medizinstudierenden für die Hausarztmedizin entscheiden.
Erfreuliche Umfrageergebnisse: Nachwuchs im Kommen
Die Ergebnisse sind erfreulich und weisen den Weg für die Zukunft. Schon jetzt sind rund 30 Prozent der Mitglieder – mehr als 350 – in der Praxis angekommen und arbeiten gleichmässig verteilt in Städten/Agglomerationen sowie auf dem Land. Ihr Weg führte mehrheitlich in Doppel- oder kleinere Gruppenpraxen, so sind auch Teilzeitpensen einfacher zu realisieren. Gemeinsam betreuen sie über 700 000 Patienten (siehe Abbildung 2). Aber auch Einzelpraxen «leben» weiter, noch immer entscheiden sich 10 Prozent der jungen
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Junge Hausärztinnen und -ärzte in der Praxis:
Arbeitspensum (pro Woche):
7% arbeiten
> 5 Tage,
17%
4,5–5 Tage,
38%
3,5–4 Tage,
38%
3 oder weniger Tage
Diese Hausärzte sehen in Anbetracht ihres Pensums pro Jahr Total
700’000
Patienten
42 Prozent übernahmen eine Praxis, in der sie zuvor als Assistenten eine Praxisassistenz absolviert hatten – die mehrheitlich kantonal finanzierten Programme dienen als gute Basis für den Sprung in die Praxis (siehe Abbildung 3). Diese Erkenntnis hat im Kanton Bern auch die Politik erreicht, 2017 hat der Grosse Rat einstimmig für die Verlängerung und den Ausbau des kantonalen Praxisassistenz-Programms gestimmt. Heute ist das Berner Programm mit 35 Stellen in der Hausarztpraxis zu sechs Monaten landesweit das grösste, die Nachfrage ist anhaltend, das Programm ausgebucht. Und dabei helfen diese Praxisassistenzen nicht nur den Jungen in die Praxis, sondern auch den älteren Kollegen bei der Suche nach einer Nachfolge.
Abbildung 2: Die Befragten haben sich für verschiedene Arbeitszeitmodelle entschieden.
Hausärzte für diese Form der Tätigkeit. Welche Argumente für die eine oder andere Form sprechen, darüber berichten zwei junge Kolleginnen, die im Forum auf Seite 534 schildern, warum sie sich für eine Anstellung beziehungsweise die Arbeit in der eigenen Praxis entschieden haben.
42%
steigen dort ein wo sie eine Praxisassistenz gemacht haben
Bessere Verankerung, bessere Begleitung
Auch wenn die Hausarztmedizin auf gutem Wege ist, ist sie
doch noch nicht am Ziel.
Um die Hausarztmedizin weiter zu stärken, müssen die Wei-
chen früh gestellt werden. Zum einen sollte sie schon im Stu-
dium noch stärker präsent sein, so Streit. Obligatorische
Hausarztpraktika sind dabei ein wichtiger Schritt. In der
Weiterbildung nach dem Studium brauche es dann Praxisas-
sistenzstellen – und hier sei sicher noch ein Ausbau möglich,
im Tessin beispielsweise gebe es ein solches Angebot derzeit
noch gar nicht. Ergänzend helfen Curricula und Mentoring-
Programme, allfällige Hürden auf dem Weg in die Praxis ge-
meinsam besser zu meistern. Ein Monitoring sollte optima-
lerweise auch darüber hinaus fortgeführt werden.
s
Christine Mücke
Mehr zum Thema finden Sie im Interview mit Prof. Dr. Sven Streit auf Seite 529 sowie im Forum auf Seite 534.
Abbildung 3: Die Praxisassistenz ist oft Ausgangpunkt für die spätere Tätigkeit – das Programm ist für die Kantone der Schlüssel zur nachhaltigen Grundversorgung.
Referenzen: 1. Tandjung R et al.: Referral determinants in Swiss primary care with a
special focus on managed care. PLoS One. 2017; 12(11): e0186307. 2. Obsan Bulletin 11/2016. 3. Tschudi P, Bally K, Zeller A: Wer will heute noch Hausarzt werden …?
Umfragen bei Medizinstudierenden und Jungärzten. Praxis 2013; 102: 335–339. 4. Beatrice Diallo et al.: How many advanced medical students aim for a career in general practice? Survey among Swiss students. Praxis 2019. Accepted for publication.
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