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BERICHT
Update 2019
Was hilft bei Arthrose?
Arthrose heilen kann man bis heute nicht. Sie ist häufig und ab einem gewissen Alter bei den meisten zu finden, verbunden mit mehr oder weniger schmerzhaften Symptomen. An der interdisziplinären Fortbildungsveranstaltung «Top Five 2019» erläuterte Dr. med. Pius Brühlmann, RheumaClinic Bethanien Zürich, aktuelle Empfehlungen zur Arthroseprävention und -behandlung.
Für die Diagnose einer Arthrose könne man sich das Röntgenbild sparen, betonte der Referent gleich zu Beginn seines Vortrags. Selbst wenn mittels Röntgen oder anderer bildgebender Verfahren Gelenkschäden sichtbar gemacht werden, heisst das klinisch noch lange nichts. Im Kniegelenk weisen beispielsweise die meisten über 50-Jährigen mehr oder minder schwere arthrotische Veränderungen auf, aber längst nicht alle haben deswegen auch Schmerzen. Sie haben eine sogenannte latente Gonarthrose. Das Ziel jeglicher Arthrosetherapie sei es, den symptomatischen Patienten wieder in die latente Phase zurückzubringen, sagte Brühlmann. Heilen kann man die Arthrose nach wie vor nicht.
Symptomatisch, aktiviert oder dekompensiert?
Die klinische Diagnose bestimmt die Behandlung: Ist der Schmerz intraartikulär, periartikulär, mechanisch oder entzündlich? Typisch bei einer symptomatischen Gonarthrose sind der intraartikuläre Anlauf- und Bewegungs- beziehungsweise Belastungsschmerz. Von einer aktivierten Arthrose spricht man bei einer Synovitis mit Erguss, von einer dekompensierten, wenn periartikuläres Gewebe in Mitleidenschaft gezogen wird (Ligamentosen, Tendinosen, Myosen), also eine
Tabelle 1:
Behandlungsempfehlungen bei Arthrose
Symptomatische Arthrose
Aktivierte Arthrose (Synovitis mit Erguss) Dekompensierte Arthrose
Prävention
systemische oder topische NSAR Hyaluronsäure intraartikulär eventuell intraartikuläre Injektion von plättchenreichem Eigenplasma (PRP)
NSAR systemisch Steroide intraartikulär (nur während der aktivierten Phase)
Physiotherapie Steroide periartikulär NSAR topisch
Übergewicht abbauen (Gonarthrose) Chondroitinsulfat evtl. Glukosaminsulfat (fraglicher Nutzen, kaum Studien)
Quelle: Vortrag P. Brühlmann, Top Five 2019, 16. Mai 2019, Bern
Periarthropathie vorliegt. In Tabelle 1 werden die entsprechenden Behandlungsempfehlungen zusammengefasst. Auskunft über die klinische Relevanz verschiedener Massnahmen gibt die aus Studienresultaten ermittelte sogenannte Effektgrösse (effect size). Dabei gilt folgende Einstufung: s 0,20 entspricht einem kleinen s 0,50 einem mittleren s 0,80 einem grossen Effekt. Die Effektgrössen verschiedener Interventionen bezüglich der Arthroseschmerzen sind in Tabelle 2 zusammengefasst.
Coxibe anstelle klassischer NSAR
Arthroseschmerzen seien fast immer prostaglandininduziert, erläuterte Brühlmann. Darum wirkten gute Prostaglandinsynthesehemmer bei Arthrosepatienten fast immer besser als reine Analgetika, und die meisten bevorzugten nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) gegenüber Paracetamol. Dies zeigte sich auch in einer Umfrage, in der gut 80 Prozent der Befragten NSAR bevorzugten (1). Um die bekannten gastrointestinalen Nebenwirkungen der NSAR zu mildern, werden diese häufig zusammen mit einem Protonenpumpenhemmer (PPI) verschrieben. Von dieser Strategie hält Brühlmann nichts: «Erstens kostet es viel, und zweitens muss der Patient dann zwei Medikamente nehmen.» Er empfiehlt, ein Coxib zu verordnen, eine Substanzklasse mit einem ähnlich verminderten gastrointestinalen Nebenwirkungsrisiko wie bei NSAR plus PPI. Infrage kommen Celecoxib (Celebrex®) oder Etoricoxib (Arcoxia®), wobei Letzteres nur einmal täglich eingenommen werden muss. In seiner Klinik sei Etoricoxib darum «wahrscheinlich das am häufigsten eingesetzte Medikament», nicht nur bei Patienten mit peripherer Arthrose, sondern auch bei Arthrose an der Wirbelsäule.
Topische NSAR
Erstaunlich gut wirkten topische NSAR, sagte Brühlmann. Neben der Pharmakokinetik (Wirkstoffkonzentration dort erhöht, wo sie nützlich ist) spiele hierbei wahrscheinlich auch der mechanische, quasi physiotherapeutische Effekt beim Einreiben eine grosse Rolle: «Wenn Sie einreiben, behandeln Sie gleich noch die Ligamente!» Je nach Alter und Hautbeschaffenheit des Patienten gibt es grosse individuelle Unterschiede bei der lokalen Wirkstoffkonzentration und Wirksamkeit der topischen NSAR. Ein NSAR-Spray sei weniger günstig, weil damit die Haut aus-
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Tabelle 2:
Effektgrösse verschiedener Interventionen gegen Arthroseschmerzen
Intervention
Information vs. Kontrolle Paracetamol vs. Plazebo Gewichtsreduktion vs. Kontrolle NSAR vs. Plazebo Krafttraining vs. Kontrolle ohne Kraftraining topische NSAR vs. Plazebo Hyaluronsäure vs. Plazebo Steroide vs. Kontrolle Gelenkersatz vs. Kontrolle
Effektgrösse
0,1 0,15 0,2 0,3 0,35 0,45 0,6 0,6 > 1,0
0,20 entspricht einem kleinen, 0,50 einem mittleren und 0,80 einem grossen Effekt. Quelle: Vortrag P. Brühlmann, Top Five 2019, 16. Mai 2019, Bern
trockne. Sehr gut hingegen seien NSAR-Pflaster (z.B. Olfen Patch Pflaster, Flector EP Tissugel®), weil die Haut darunter feucht bleibt und dadurch eine stete Resorption des Wirkstoffs gewährleistet wird.
Hyaluronsäure
Intraartikuläre Hyaluronsäureinjektionen seien in praktisch alle peripheren Gelenke wie Knie-, Hüft-, Daumensattel-, Zehengrund- und Kiefergelenke möglich. Die Hyaluronsäure verbessere die Gleitfähigkeit des Gelenks sowie dessen Pufferfähigkeit, sagte Brühlmann. Man könne dafür genauso gut eines der Präparate mit tiefem Molekulargewicht verwenden wie eines der teureren, hochmolekularen. Während man früher noch 5 Injektionen empfahl, sollte man es heute anders machen: Man gibt zunächst einmal 1 Injektion und wartet ab. Mitunter genügt bereits 1 Injektion für eine monatelange, gute Wirkung, bei manchen Patienten sogar für ein ganzes Jahr. Ob die Hyaluronsäureinjektion neben der Schmerzlinderung auch einen chondroprotektiven Effekt hat, wisse man nicht, weil noch nie Studien dazu gemacht wurden, so Brühlmann. Hyaluronsäureinjektionen werden von den Krankenkassen nicht übernommen.
Steroidinjektionen
Diese wirkten «nach wie vor hervorragend, wenn sie richtig eingesetzt werden», sagte der Referent und widersprach damit einer Studie (2), die vor zwei Jahren publiziert worden war und grossen Wirbel bei Orthopäden und Rheumatologen auslöste. In dieser Studie hatte man 140 Patienten mit Gonarthrose 2 Jahre lang alle 3 Monate eine intraartikuläre Injektion gegeben, in der Verumgruppe mit Triamcinolon, in der Kontrollgruppe mit physiologischer Kochsalzlösung. Nach 2 Jahren gab es keinen Unterschied bezüglich WOMAC-Score (Schmerz, Steifigkeit, Funktion), aber in der Steroidgruppe hatte das Knorpelvolumen stärker abgenommen als in der Plazebogruppe: Beschleunigte das Steroid also das Voranschreiten der Arthrose?
Für Brühlmann sind Fragestellung und Patientenauswahl in dieser Studie fehlerhaft und irreführend. Man habe einfach alle Patienten mit Gonarthrose einbezogen, unabhängig von den eingangs genannten Stadien, welche die Auswahl der Patienten für eine intraartikuläre Steroidinjektion bestimmt. Die Frage sei nicht, ob eine intraartikuläre Steroidinjekton allen Patienten mit Gonarthrose helfe, sondern ob sie denjenigen mit aktivierter Arthrose mit Erguss und Entzündung helfe. Diese Patienten sollten die Injektion bekommen, aber selbstverständlich nicht alle 3 Monate, sondern nur bei einem Erguss.
Neuen Knorpel aufbauen?
Verlorenen Gelenkknorpel wieder aufzubauen sei noch immer nicht möglich, jedenfalls nicht in der Praxis, sagte Brühlmann. Zwar gelang es in einer niederländischen Pilotstudie mit Gonarthrosepatienten, die Neubildung von Knorpel nachzuweisen – allerdings um den Preis einer monatelangen Gelenksdistraktion mittels externer Fixierung des Gelenks (3). Dies sei sicher keine praktikable Methode. Auch eine intraartikuläre Stammzelltherapie sei noch weit von der klinischen Anwendung entfernt. Im Wesentlichen gebe es hierzu nur Tierversuche. Demnach scheint ein Knorpelaufbau im Gelenk prinzipiell möglich zu sein. Allerdings sei dieser vermutlich nicht in erster Linie auf die Transformation von Stammzellen zu Chondrozyten zurückzuführen, die sich dann wieder im Gelenk ansiedeln, sondern auf die Modulation immunologischer Prozesse. In diesem Jahr wurde eine Metaanalyse von fünf Studien mit insgesamt 220 Arthrosepatienten publiziert (4). Die Stammzellentherapie war in Bezug auf den WOMAC-Score besser als Hyaluronsäure, physiologische Kochsalzlösung oder Zellmedium. Im MRI zeigte sich aber kein Wiederaufbau von Knorpelmasse. Die klinische Relevanz dieser Stammzelltherapie sei noch völlig unklar, sagte Brühlmann. Er halte sie zwar für einen interessanten Ansatz, sei aber nicht davon überzeugt, dass sie sich in naher Zukunft durchsetzen werde.
Knorpel schützen
Allfälliges Übergewicht zu reduzieren ist eine wichtige Massnahme, um den Kniegelenksknorpel zu schützen. Dass leichtund normalgewichtige Personen ein wesentlich geringeres Gonarthroserisiko haben, ist bekannt (5). Doch auch bei bereits symptomatischer Gonarthrose ist die Reduktion des Gewichts nützlich, um Gonarthroseschmerzen zu reduzieren. Ebenfalls nützlich ist Krafttraining, um die Gelenke zu entlasten. Einen gewissen Knorpelschutz bewirken auch Präparate mit Glykosaminglykanpolysulfaten. Diese Substanzen sind Bestandteile der extrazellulären Knorpelmatrix. Sie stimulieren die Proteoglykan- und Hyaluronsäuresynthese und hemmen knorpelabbauende Enzyme. Für Glukosaminsulfat (Glucosulf®) und Glukosaminhydrochlorid (Volatflex®) gebe es jedoch nur weniger gute beziehungsweise gar keine klinischen Studien, sagte Brühlmann. Eine ganze Reihe von Studien gibt es hingegen zum Chondroitinsulfat (Condrosulf®, Structum®). In einer Metaanalyse wurde im Vergleich zwischen Chondroitinsulfat und Plazebo eine Effektgrösse von 0,23 bezüglich der Knorpelprotektion bei Gonarthrose errechnet (6).
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Eine minimale Knorpelprotektion könne man mit Chondroitinsulfat also wahrscheinlich durchführen, kommentierte Brühlmann. Es seien aber noch viele Fragen zu diesen Präparaten offen, beispielsweise wann man damit anfangen sollte, wie lange man sie nehmen muss und ob damit tatsächlich die Notwendigkeit von Prothesen verhindert oder hinausgezögert werden kann. Chondroitinsulfate seien allerdings die einzigen Präparate, die man speziell bei Fingerpolyarthrose verordnen könne, sagte Brühlmann. In einer Studie mit 119 Patienten hatte sich gezeigt, dass die Fingerarthrose nach 3 Jahren bei rund 30 Prozent der Patienten in der Plazebogruppe, aber nur bei rund 9 Prozent in der Verumgruppe vorangeschritten war (7). Ebenfalls den Knorpel schützen sollen Injektionen mit plättchenreichem Eigenplasma (PRP). Nachgewiesen hat das allerdings noch niemand, denn es gibt keine entsprechenden Studien. Dem Patienten wird Blut entnommen, aufbereitet und das PRP ins Gelenk injiziert. Was man dabei genau ins Gelenk spritzt, weiss bis heute niemand. Die Injektion enthält ein individuelles Zufallsgemisch aus Hunderten von Faktoren mit mehr oder weniger immunologischer Relevanz. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse von 12 sehr kleinen randomisierten Studien zeigte, dass PRP bezüglich Schmerz und Funktion nicht besser war als Hyaluronsäure oder Steroide, aber etwas besser als Plazebo (physiologische Kochsalzlösung). Immerhin beruhigend war der Befund, dass keine vermehrten Infektionen nach PRP-Injektionen auftraten. PRP-Injektionen werden von den Krankenkassen nicht bezahlt. Die Preise schwanken enorm und können bei manchen
Anbietern ohne Weiteres im vierstelligen Bereich liegen. Auch
wenn man anscheinend selbst nicht so recht von PRP-Injek-
tionen überzeugt ist, auch in der RheumaClinic werden sie
durchgeführt, denn «sonst geht der Patient woanders hin». s
Renate Bonifer
Quelle: «Arthrose: Therapie 2019», Referat von Dr. med. Pius Brühlmann an der interdisziplinären Fortbildung «Top Five 2019» am 16. Mai 2019 in Bern, organisiert von Universitätsspital Zürich, RheumaClinic Bethanien und Mepha Schweiz AG.
Referenzen: 1. Pincus T et al.: Preference for nonsteroidal antiinflammatory drugs
versus acetaminophen and concomitant use of both types of drugs in patients with osteoarthritis. J Rheumatol 2000; 27(4): 1020–1027. 2. McAlindon TE et al.: Effect of intra-articular triamcinolone vs saline on knee cartilage volume and pain in patients with knee osteoarthritis: a randomized clinical trial. JAMA 2017; 317(19): 1967–1975. 3. Mastbergen SC et al.: Tissue structure modification in knee osteoarthritis by use of joint distraction: an open 1-year pilot study. Ann Rheum Dis 2011; 70: 1441–1446. 4. Kim SH et al.: Intra-articular injection of mesenchymal stem cells for clinical outcomes and cartilage repair in osteoarthritis of the knee: a metaanalysis of randomized controlled trials. Arch Orthop Trauma Surg 2019, published online Feb 11, 2019. 5. Muthuri SG et al.: What if we prevent obesity? Risk reduction in knee osteoarthritis estimated through a meta-analysis of observational studies. Arthritis Care Res (Hoboken) 2011; 63(7): 982–990. 6. Hochberg MC: Structure-modifying effects of chondroitin sulfate in knee osteoarthritis: an updated meta-analysis of randomized placebocontrolled trials of 2-year duration. Osteoarthritis Cartilage 2010; 18 (Suppl 1): S28-31. 7. Verbruggen G et al.: Chondroitin sulfate: S/DMOAD (structure/disease modifying anti-osteoarthritis drug) in the treatment of finger joint OA. Osteoarthritis Cartilage 1998; 6 (Suppl A): 37–38.