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Titel
Was Hausärzte über Schlaganfälle wissen sollten – «Das Zeitfenster ist grösser geworden»
Untertitel
Interview mit Prof. Marcel Arnold, Bern
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Die Möglichkeit, verschlossene Hirngefässe mittels Katheter wieder durchgängig zu machen, ist ein grosser Fortschritt für die Behandlung von Schlaganfallpatienten. Wir sprachen mit Prof. Marcel Arnold, Leiter des Stroke-Centers am Inselspital Bern, darüber, was Hausärzte heutzutage über die Behandlung von Schlaganfallpatienten in der Praxis wissen müssen, sowohl bei der Erstversorgung als auch bei der Betreuung nach der Rückkehr der Patienten in den Alltag.
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INTERVIEW
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INTERVIEW
«Das Zeitfenster ist grösser geworden»
Was Hausärzte heute über Schlaganfall wissen sollten

Die Möglichkeit, verschlossene Hirngefässe mittels Katheter wieder durchgängig zu machen, ist ein grosser Fortschritt für die Behandlung von Schlaganfallpatienten. Wir sprachen mit Prof. Marcel Arnold, Leiter des Stroke-Centers am Inselspital Bern, darüber, was Hausärzte heutzutage über die Behandlung von Schlaganfallpatienten in der Praxis wissen müssen, sowohl bei der Erstversorgung als auch bei der Betreuung nach der Rückkehr der Patienten in den Alltag.

Ars Medici: Herr Prof. Arnold, welche neuen Erkenntnisse gibt es zum Schlaganfall, die für einen Hausarzt besonders relevant sind? Prof. Marcel Arnold: Die Hausärzte sollten wissen, dass das Zeitfenster für die Thrombolyse und insbesondere die endovaskuläre, katheterbasierte Rekanalisation in den letzten Jahren grösser geworden ist. Früher waren es 6 Stunden, aber seit 2015 wissen wir, dass die Therapie bei Selektion mit Bildgebung bei vielen Patienten auch noch wirksam ist, wenn sie verzögert erfolgt. Patienten mit bestimmten MRI-Befunden können sogar dann noch profitieren, wenn sie erst nach 24 Stunden beginnt. Das Gleiche gilt für bestimmte Patienten, die einen Schlaganfall im Schlaf erleiden. Für die Hausärzte bedeutet dies, dass nicht nur diejenigen Patienten notfallmässig ins Spital müssen, deren Symptome 3 bis 6 Stunden zuvor begannen, sondern alle Schlaganfallpatienten – vor allem in den ersten 24 bis 48 Stunden. Das Schlagwort «time is brain» gilt zwar immer noch, aber man kann, wenn man Patienten gut selektioniert, auch später noch erfolgreich rekanalisieren.
Hände weg von Blutverdünnern in der Akutphase!
Was soll der Hausarzt bei der Erstversorgung eines Schlaganfallpatienten tun, bevor die Rettung eintrifft? Arnold: Das Wichtigste ist, keine Zeit zu verlieren! Bei Verdacht auf einen Schlaganfall soll er sofort den Rettungsdienst alarmieren, am besten schon, bevor er selbst beim Patienten eintrifft, das heisst, gleich nachdem er in der Praxis angerufen wurde. Zweitens sind Umwege bei der Hospitalisierung zu vermeiden. Der Patient soll gleich in ein Stroke-Center oder die nächstgelegene Stroke-Unit gebracht werden und nicht einfach in das nahe gelegene Regionalspital, wo die Thrombolyse meistens nicht verfügbar ist. Bezüglich der Erstversorgung gelten die üblichen Richtlinien zur Sicherstellung der Vitalfunktionen. Beim Schlaganfall sind die Vitalfunktionen relativ selten eingeschränkt. Die

Zur Person
Prof. Marcel Arnold ist Stv. Chefarzt an der Universitätsklinik für Neurologie, Leiter des Stroke-Centers am Inselspital Bern und Präsident der Schweizerischen Hirnschlaggesellschaft.
meisten Patienten sind bei Bewusstsein, der Kreislauf ist meistens auch stabil. Es ist aber möglich, dass ein Patient gleichzeitig einen Schlaganfall und einen Herzinfarkt, Herzrhyhthmusstörungen oder eine Aortendissektion hat und dann kardial instabil ist, aber sonst gelten für alle die gleichen Richtlinien. Ebenfalls wichtig ist es, dass der Hausarzt eine gute Anamnese bezüglich Symptombeginn erhebt, entweder vor Ort oder telefonisch, und dabei nach Antikoagulanzien und Kontraindikationen fragt. Mit diesen Informationen können wir im Spital die Thrombolyse rascher einleiten.
Und was sollte der Hausarzt bei der Erstversorgung auf keinen Fall tun? Arnold: Was er auf keinen Fall geben sollte, sind Acetylsalicylsäure oder Antikoagulanzien. Das passiert in der Praxis zwar fast nicht mehr, aber noch vor zehn Jahren haben das einige Hausärzte getan. Der Grund ist, dass man klinisch nicht zwischen einer Blutung und einem Infarkt unterscheiden kann. Deshalb ist klar: Hände weg von Blutverdünnern in der Akutphase! Den Blutdruck soll man in der Regel nicht senken, wenn der Patient keine Symptome hat. Es gibt zwar keine Studien, die

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beweisen, dass das schadet, aber auch keine, dass es etwas nützt. Deshalb wird empfohlen, dass man den Blutdruck in der Regel so lässt, wie er ist. Hohe Blutdruckwerte in der Akutphase werden toleriert, wenn der Patient das vom Kreislauf her toleriert. Selbst systolisch 220 mmHg und diastolisch 120 mmHg liegen da noch im Rahmen. Wenn dann im Spital klar wird, dass es sich um eine Hirnblutung handelt, versucht man dort tendenziell, den Blutdruck unter 140/90 mmHg zu senken. Bei der Ischämie tolerieren wir in der Akutphase einen eher höheren Blutdruck und senken ihn vor der Thrombolyse beziehungsweise Rekanalisation allenfalls auf unter 185/115 mmHg. Aber noch einmal: In der Prähospitalphase ist es eher geboten, sich passiv zu verhalten und die Vitalfunktionen sicherzustellen.
Eine TIA muss man wie einen Schlaganfall notfallmässig begleiten.
Kommt man von jedem Punkt der Schweiz aus schnell genug in ein Stroke-Center? Arnold: Dank der guten Rettungsdienste ist das in der Regel gegeben. Natürlich hat man einen gewissen Vorteil, wenn man in Basel oder in Bern wohnt, aber die Helikopterdienste und Ambulanzen sind sehr gut organisiert. Es bestehen auch Netzwerke, sodass der Patient erst einmal in die nächste Stroke-Unit kommt, zum Beispiel nach Chur, und gegebenenfalls von dort weiter nach St. Gallen, wobei bereits in Chur eine intravenöse Thrombolyse durchgeführt wird. Die Schweizerische Hirnschlaggesellschaft arbeitet zurzeit an Richtlinien für die Triage bezüglich der Katheterbehandlung. Wenn die Wahrscheinlichkeit bei grossen Schlaganfällen hoch ist, dass ein grosses Gefäss verschlossen ist, das man mittels Katheter rekanalisieren kann, sollte der Patient in der Regel direkt in ein Stroke-Center kommen, während andere Patienten auch gut in einer Stroke-Unit aufgehoben sind. Wohin der Patient letztlich gebracht wird, hängt auch von den geografischen Gegebenheiten ab und bei Helikopterflügen auch vom Wetter.
Worauf sollte der Hausarzt bei einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) achten? Arnold: Sehr gute Studien zeigen, dass das Schlaganfallrisiko nach einer TIA sehr hoch ist. 7 bis 10 Prozent der Personen mit einer TIA erleiden innerhalb einer Woche einen Schlaganfall und zirka 5 Prozent innert 48 Stunden. Deshalb ist es klar, dass man eine TIA wie einen Schlaganfall notfallmässig begleiten muss. Es ist vernünftig, diese Patienten in einer Stroke-Unit oder einem Stroke-Center zu behandeln, weil sie dort schneller abgeklärt werden. Falls es ein Spital gibt, das diese Patienten lokal perfekt managt, geht das auch, aber das ist regional sehr unterschiedlich. Wichtig ist, dass man in kurzer Zeit eine Bildgebung, ein Echokardiogramm, ein Langzeitmonitoring sowie eine Darstellung der Gefässe realisieren kann. Die britische EXPRESS-Studie belegte einen klaren Vorteil für TIA-Patienten, wenn man sie unverzüglich abklärt und sofort eine Sekundärprävention einleitet, das heisst zum Bei-

spiel Plättchenhemmer und Antikoagulanzien geben oder eine Karotis-OP durchführen, falls das nötig ist. All das mindert das Risiko für einen Schlaganfall nach der TIA erheblich. Bei einigen Hausärzten scheint diese Message aber noch nicht angekommen zu sein. In einer Umfrage, die wir zusammen mit dem Berner Institut für Hausarztmedizin durchgeführt haben, berichteten viele Hausärzte, dass ihnen das hohe Schlaganfallrisiko nach einer TIA bewusst sei. Trotzdem gaben sie an, dass sie TIA-Patienten nicht standardmässig ins Spital einweisen. Diese Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln können wir uns nicht erklären, aber es gibt natürlich auch TIA-Patienten, die nicht ins Spital wollen, und bei Befragungen können immer Missverständnisse entstehen.
Welche Rolle spielt das Vorhofflimmern bei der Primärprophyhlaxe von Schlaganfällen? Arnold: Es gibt sehr gute Studien, dass auch Patienten mit intermittierendem Vorhofflimmern von einer Antikoagulation profitieren, und wir haben gute Risiko-Scores, die den Hausärzten bekannt sind. Wenn zusätzliche Risikofaktoren bestehen, ist die Notwendigkeit einer Antikoagulation zur Schlaganfallprophylaxe klar. Besteht hingegen nur ein isoliertes Vorhofflimmern, was relativ selten der Fall ist, muss man das Risiko-Nutzen-Verhältnis abwägen und das Blutungsrisiko beachten. Im Wesentlichen kann man sich aber dabei an die Guidelines der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie halten, was letztlich bedeutet, dass im Grunde alle Patienten mit Vorhofflimmern in der Regel von einer Antikoagulation profitieren, mit Ausnahme der wenigen Personen mit isoliertem Vorhofflimmern, die unter 65-jährig sind und sonst keine vaskulären Risikofaktoren aufweisen.
Auch Patienten mit intermittierendem Vorhofflimmern profitieren von einer Antikoagulation.
Und der Blutdruck? Arnold: Die Bedeutung des Blutdrucks wird unterschätzt, nicht nur von Patienten, sondern auch von einigen Hausärzten. Hypertonie ist ein sehr gewichtiger Risikofaktor für Schlaganfall, Demenz und Herzinfarkt, auch bei einer isolierten systolischen Hypertonie oder einer nur moderaten Blutdruckerhöhung. Deshalb sollte man viel Zeit investieren, um den Blutdruck gut einzustellen. Es gibt die neuen amerikanischen Richtlinien, die 130/90 mmHg als Zielwert für alle nennen, sowie differenziertere Richtlinien, wonach je nach Risikokonstellation 140 oder 130 mmHg systolisch angestrebt werden sollen, und Richtlinien, die das Alter stärker berücksichtigen und für ältere Personen eher 140 mmHg als Grenzwert empfehlen. Ich denke, hier sind die Bücher noch nicht definitiv geschlossen. Bei Schlaganfallpatienten, die häufig Hochrisikopatienten sind, empfehlen wir in der Regel einen Blutdruck unter 130/90 mmHg. In der Primärprävention ist es für jüngere Leute auch ein Blutdruck unter 130/90 mmHg, und bei älteren Patienten achten wir auf das gesamte Risikoprofil.

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Welche Rolle spielt die Ernährung für die Prävention von Schlaganfällen wirklich? Arnold: Entscheidend für mich ist, dass die Resultate der Studien konsistent sind, sowohl diejenigen der früheren Beobachtungsstudien als auch diejenigen der randomisierten Ernährungsstudien zur kardiovaskulären Prävention, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden. Das Ergebnis lautet im Grunde immer: «Viele Früchte und viel Gemüse, mediterrane Diät mit Olivenöl und Nüssen und Vollkornprodukte wirken präventiv» – und natürlich viel Bewegung. Was vergessen wird, ist die beträchtliche Risikoreduktion durch gesunde Ernährung, zum Beispiel durch regelmässigen Früchte- und Gemüsekonsum um ein Viertel bis zu einem Drittel; das liegt etwa im Bereich der Risikoreduktion, die wir mit Acetylsalicylsäure in der Sekundärprävention erreichen.
Die Bedeutung des Blutdrucks wird unterschätzt – auch von einigen Hausärzten.
Wie erfolgreich ist die Neurorehabilitation nach dem Schlaganfall? Arnold: Zunächst einmal ist wichtig: Neurorehabilitation betrifft nicht nur die Motorik. Es gibt Studien, die etwas zu sehr auf die Verbesserung der Handfunktion oder der Motorik fokussiert waren. Wenn man in solchen Studien nach drei Monaten mit dreimal Therapie pro Woche keinen hochsignifikanten Nutzen erkennen kann, ist das nicht verwunderlich. Neurorehabilitation als Gesamtpaket, das heisst mit Bezug auf sämtliche Defizite und mit Berücksichtigung der psychosozialen Aspekte sowie der sozialen und beruflichen Integration, ist hingegen etwas ganz anderes. Bei einer solchen Neurorehabilitation erlebt man im klinischen Alltag doch sehr viele erstaunliche Erfolge.
Was sind die Ursachen, wenn Rehabilitationsziele nicht erreicht werden? Arnold: Bei ausgedehnten Infarkten kann die Schädigung ein gewisses Niveau erreichen, bei dem beispielsweise eine vollständige Wiederherstellung der Sprachfähigkeit nicht mehr möglich ist. Wir dürfen dann als Ziel nicht mehr die Heilung postulieren. Die Handfunktion ist ein ähnliches Beispiel. Aber man erlebt auch positive Überraschungen. So haben wir es schon erlebt, dass Patienten trotz riesiger Infarkte wieder laufen lernten.

sind mehr Betten für die frühe akute Rehabilitation von schwerkranken Patienten, die auch medizinische Versorgung brauchen. Die Rehabilitation nach einem Schlaganfall läuft also eigentlich recht gut. Wir haben aber zum Teil zu lange Wartefristen, und die erforderliche Kostengutsprache mit den Krankenkassen vor der Verlegung beschleunigt das Verfahren auch nicht gerade. Eine Rehabilitation nach einem Schlaganfall ist für mich eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Zwar bewilligen das die Kassen meistens, aber das ist zum Teil mit unnötiger Bürokratie verbunden. Dass man zum Beispiel bei einem jungen Patienten mit einer Aphasie erst noch auf eine Kostengutsprache warten muss, ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll.
Was ist das Spezielle an einer Post-Stroke-Depression? Arnold: Man muss diese unterscheiden von normalen Trauerreaktionen in der frühen Phase nach dem Schlaganfall. Bereits früh können schwere Depressionen auftreten, und etwa die Hälfte der Patienten durchlebt etwas später, im Lauf des ersten Jahres nach einem Schlaganfall, eine depressive Phase. Darauf sollten die Hausärzte gerade im ersten Jahr achten. Neben der Psychotherapie können Medikamente unterstützend helfen.
Worauf sollte der Hausarzt bei der langfristigen Betreuung von Schlaganfallpatienten sonst noch achten? Arnold: Es ist zunächst wichtig, die Entwicklung von Defiziten zu verfolgen, etwa bei der Kognition. Dann sollte der Fokus auf die Eindämmung von Risikofaktoren gelegt werden, wie Hypertonie oder ungünstige Cholesterinwerte. Es sind die bekannten Zielwerte anzustreben, und dazu muss man den Patienten motivieren. Ausserdem ist der Hausarzt natürlich wichtiger als wir, wenn es um die Beratung bezüglich des Lebensstils geht. Es ist erstaunlich, wie viele Patienten nach einem Schlaganfall trotzdem weiterrauchen und sich ungesund ernähren! Ein weiteres wichtiges Thema ist die Adhärenz, gerade bei den Antikoagulanzien. Wir sehen doch recht viele Patienten, die ihre Medikamente nicht einnehmen oder vergessen oder aus irgendwelchen Gründen absetzen. Hier besteht sicher noch Verbesserungspotenzial von Hausarzt- und Patientenseite.
Neurorehabilitation betrifft nicht nur die Motorik.

Wie gut ist das Rehabilitationsangebot in der Schweiz? Arnold: Es gibt in der Schweiz im Allgemeinen gute Rehabilitationsangebote, aber das ist regional unterschiedlich. Schwierig ist es vor allem noch für ältere Patienten, auch wenn die geriatrische Rehabilitation immer besser wird. Auch die neurologische Expertise ist gewachsen, und es werden mehr und mehr ganzheitliche Reha-Konzepte realisiert. Auch wir in Bern haben grosse Fortschritte gemacht. Am Inselspital gibt es eine Akutneurorehabilitation in unserer Klinik, und am Spital Riggisberg wurde ein zweiter Standort für die weiterführende Neurorehabilitation aufgebaut, der zu unserer Klinik gehört. Woran es vielerorts etwas mangelt,

Welche Fortschritte der letzten Jahre sind für Schlaganfallpatienten besonders relevant? Arnold: Die katheterbasierte Rekanalisation ist ein Riesenfortschritt. Zurzeit kann man nur die Hauptstämme und Hauptäste rekanalisieren, aber ich denke, dass das mit der Zeit auch bei kleineren Gefässen möglich sein wird. Bei den Medikamenten sind zunächst einmal die sogenannten neuen Antikoagulanzien zu nennen, die nicht mehr gar so neu sind. Mittlerweile ist klar, dass sie weniger Hirnblutungen verursachen als Vitamin-K-Agonisten. Deshalb empfehlen auch wir, bei neu diagnostiziertem Vorhofflimmern die neuen Antikoagulanzien zu geben. Bei Patienten mit dem

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früher üblichen Gerinnungshemmer muss man individuell entscheiden, ob ein Umstieg sinnvoll ist. Schade ist, dass wir noch keine besseren Plättchenhemmer haben. Bezüglich Schlaganfall wurden Studien mit Ticagrelor und Prasugrel durchgeführt. Diese Substanzen waren aber, im Gegensatz zu kardiologischen Indikationen, für Schlaganfallpatienten im Vergleich mit Acetylsalicylsäure und Clopidogrel nicht besser.
Etwa die Hälfte der Patienten durchlebt im Lauf des ersten Jahres nach einem Schlaganfall eine depressive Phase.
Auf welche neuen Therapien hoffen Sie für die Zukunft? Arnold: Zu einigen Ansätzen einer biochemischen Neuroprotektion gab es bis jetzt viele negative Studien, was sicher auch daran lag, dass die Patienten erst sehr spät behandelt werden konnten. Nun, aufgrund besserer Infrastrukturen, sind die Patienten immer früher bei uns. Deshalb wächst nun auch die Chance, zum Beispiel durch Immuntherapien die biochemische Kaskade der neuronalen Schädigung an verschiedenen Stellen zu blockieren. Kombiniert mit der Rekanalisation sehe ich hier ein grosses Potenzial. Es laufen bereits

Studien. Allerdings ist zu erwarten, dass der Nachweis eines zusätzlichen Nutzens von Neuroprotektiva schwierig zu führen sein dürfte, weil die Rekanalisation ja bereits bei der Hälfte bis zwei Drittel der Patienten zu guten Resultaten führt.

Wir sprachen nur über den ischämischen Schlaganfall, aber

was ist mit der Hirnblutung?

Arnold: Im Gegensatz zum ischämischen Schlaganfall treten

wir bei der Hirnblutung in vielen Bereichen therapeutisch auf

der Stelle. So versucht man es mit der Absenkung des Blut-

drucks, konnte in Studien bis jetzt aber nur leichte Effekte

nachweisen. Bezüglich der grösseren raumfordernden Hirn-

blutungen leiten wir von Bern aus die internationale Switch-

Studie; hierbei wird das Hirngewebe mittels Hemikraniekto-

mie entlastet. Darüber hinaus gibt es Studien, bei denen man

das Blut minimalinvasiv absaugt oder ein Thrombolytikum

injiziert – bisher wurde der Erfolg dieser Methoden aber noch

nicht bewiesen.

L

Herr Prof. Arnold, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Dr. Renate Bonifer.

PREISGEKRÖNT

Ausgezeichnete Vasopressinforschung
Prof. Mirjam Christ-Crain, stellvertretende Leiterin der Klinik fur̈ Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus und Co-Leiterin des Departements Klinische Forschung am Universitätsspital Basel, erhielt in diesem Jahr den European Journal of Endocrinology Award; dieser gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen in der Endokrinologie. Gewürdigt wurden ihre zahlreichen Forschungsarbeiten zur Rolle des Vasopressins bei Störungen des Wasser- und Salzhaushalts, die in den letzten zehn Jahren publiziert wurden (Foto: K. Duffner).

Schnelle Herzinfarktdiagnose
Dr. med. Raphael Twerenbold, Universitätsspital Basel, wurde mit dem Forschungspreis der Schweizer Herzstiftung ausgezeichnet. Der Kardiologe bestätigte in einer breit angelegten Studie mit 4368 Patienten, dass ein Algorithmus auf der Basis des hochsensitiven Troponintests eine rasche und zuverlässige Herzinfarktdiagnose erlaubt, auch bei Patienten, deren Symptome erst kurz vor Eintritt auf die Notfallstation aufgetreten waren. Die Resultate bekräftigen die Empfehlung der Europäischen Gesellschaft fur̈ Kardiologie (ESC), den hochempfindlichen Troponintest zusammen mit dem 1-Stunden-Algorithmus einzusetzen (Foto: Schweizer Herzstiftung).

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