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BERICHT
Kopfschmerz und Migräne
Nützliche Tipps zur Kopfschmerzprävention
Nicht selten wird unterschätzt, wie sehr Kopfschmerzen das Leben eines Patienten beeinträchtigen können. Am 2. Swica-Symposium in Bern ging es in erster Linie darum, wie man Kopfschmerzen vorbeugen kann. Aber auch die wichtige Frage, wann Kopfschmerzen für einmal nicht «banal», sondern Warnsymptom einer schweren Erkrankung sein können, wurde beantwortet.
«Das Gefährlichste am Kopfschmerz ist die übliche und meist angenommene Banalität von Kopfschmerzen und damit die verspätete Erkennung ernster Ursachen», sagte Prof. em. Mathias Sturzenegger. Die häufigste Fehldiagnose bei gefährlichen Kopfschmerzen sei die Migräne. Zirka 2 Prozent der Notfallkonsultationen erfolgen wegen Kopfschmerzen. Die meisten dieser Patienten haben primäre Kopfschmerzen, und in der Tat ist es dann meist Migräne. Nur bei rund 20 bis 30 Prozent der Kopfschmerznotfallpatienten stecken organische Ursachen dahinter (z.B. Infekte, Traumata, Blutungen usw.), und davon wiederum sind 5 bis 10 Prozent lebensgefährlich. Gefährliche Kopfschmerzen sind also sehr, sehr selten – was sie letztlich umso gefährlicher macht, weil sie in der Masse der banalen Kopfschmerzfälle untergehen. «Die detaillierte Anamnese und die Untersuchung sind entscheidend. Auch bei einem Migräniker ist nicht jeder Kopfschmerz eine Migräne!», sagte Sturzenegger. Dem gefährlichen Kopfschmerz komme man meist mithilfe von «red flags» auf die Spur (Kasten 1). Eine Bildgebung ohne konkrete Fragestellung bringe hingegen in der Regel nichts, sie sei nur dann sinnvoll, wenn sie gezielt mit einer ganz bestimmten Fragestellung erfolge.
KURZ & BÜNDIG
Eine heftige Kopfschmerzattacke muss nicht immer eine Migräne sein, auch bei einem Migräniker nicht!
Bei Migränikerinnen können Menstruationszyklus und Hormonpräparate eine grosse Rolle spielen.
Kopfschmerzpatienten dürfen auf eine Kontrolle ihrer Beschwerden hoffen, nicht aber auf eine Heilung im klassischen Sinn.
Nicht medikamentöse Massnahmen, wie zum Beispiel Ausdauersport, sind für alle Kopfschmerzpatienten sinnvoll.
Mit medikamentöser Migräneprophylaxe erreicht man etwa bei der Hälfte der Patienten eine Verminderung der Migränetage um mindestens 50 Prozent.
Hingegen betonte der Referent einen nur vermeintlich banalen, aber sehr wichtigen Tipp für jegliche Kopfschmerzabklärung: «Berühren Sie bei der Untersuchung des Patienten auch seinen Kopf! Die Berührung des Kopfes bedeutet wörtlich, dass das Problem überhaupt begriffen wurde!»
Zu späte Diagnose der Migräne
Obwohl die Migräne nicht selten ist (Kasten 2), scheint ihre korrekte Diagnose immer noch ein Problem zu sein. So dauere es beispielsweise etwa zehn Jahre, bis eine Migräne ohne Aura korrekt diagnostiziert werde, berichtete PD Dr. med. Andreas R. Gantenbein, RehaClinic Bad Zurzach und Präsident der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft. Ein Grund dafür könnte sein, dass Migränepatienten über lange Zeit hinweg versuchen, sich selbst zu helfen und mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln zurechtzukommen. Ohne Abklärung und medizinischen Rat und ohne sinnvolle Prophylaxemassnahmen kann dies der direkte Weg in den medikamentenabhängigen Kopfschmerz sein. An dieser Stelle kommt eine zweite Berufsgruppe ins Spiel, deren Bedeutung für die Kopfschmerzbehandlung bis anhin vielleicht noch nicht genügend beachtet wurde: die Apotheker. Sie sehen auch diejenigen Kopfschmerzpatienten, die noch nie mit einem Arzt darüber gesprochen haben, und könnten eine wichtige Triagefunktion übernehmen: Für wen reicht für einmal ein Schmerzmittel? Wer sollte sich dringend einmal von einem Arzt beraten lassen? Oder ist es gar ein Notfall, ein gefährlicher Kopfschmerz?
Modellprojekt mit Apothekern und Ärzten
Über ein Modellprojekt in Lausanne berichteten die Apothekerin Dr. Delphine Carli und Dr. med. Alexandre Gouveia, Unisanté Lausanne (Centre universitaire de médecine générale et de santé publique). An diesem Zentrum werden Kopfschmerzpatienten gleichzeitig von einem Arzt und einem Apotheker betreut, auch längerfristig. Für die Apotheker wurden in einem Konsensusverfahren Hilfsmittel (Checklisten zu Warnsymptomen usw.) bereitgestellt, um Risikosituationen beziehungsweise ärztlichen Beratungsbedarf zu erkennen. Auch im Lauf der Behandlung eines Patienten nehmen Ärzte und Apotheker immer wieder einmal Kontakt auf, zum Beispiel weil man Zweifel an der Diagnose hat oder neue
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BERICHT
Prof. Mathias Sturzenegger
PD Dr. med. Andreas R. Gantenbein
PD Dr. med. Christoph Schankin
Prof. Peter Sandor
Prof. Gabriele Merki
Dr. Daniel Kuma Baerlocher
Phänomene aufgetreten sind. Pro Jahr und Patient seien es im Durchschnitt schätzungsweise 20 Minuten Kommunikation zwischen Apotheker und Arzt, was auf den ersten Blick wenig zu sein scheine, aber tatsächlich etwas bringe, so Carli und Gouveia. Man plane deshalb, diese Zusammenarbeit auch auf andere Indikationen auszuweiten. Ärzte könnten ihren
Kasten 1:
Warnsymptome für gefährlichen sekundären Kopfschmerz (red flags)
Anamnese s erstmalige, bis anhin nicht bekannte Kopfschmerzen s Dauerkopfschmerz s schlagartiger, explosiver Beginn s zunehmende Intensität/Häufigkeit s stets gleichseitig, streng umschrieben, lokalisiert s ausgelöst durch Husten, Niesen, physische Anstrengung s Neoplasie in der Vorgeschichte s Alter über 65 Jahre s Schwangerschaft, Wochenbett s Immunsuppression s Kopftrauma
Begleitsymptome s Erbrechen (nüchtern) s Persönlichkeitsveränderung s epileptische Anfälle s Fieber, Gewichtsverlust s Verschlechterung des Allgemeinzustands s Seh-, Sprach-, Gleichgewichtsstörungen s Lähmungen, Gefühlsstörungen
Befunde s Wesensveränderung s neuropsychologische Defizite s Stauungspapillen s Meningismus s fokale neurologische Ausfälle (Augenmotorik, autonome Augen-
symptome, Paresen, Koordinationsstörung) s Fieber, erhöhte BSR, Anämie
Quelle: «Diagnostik – der gefährliche Kopfschmerz», Vortrag von Prof. Mathias Sturzenegger am Swica-Symposium, 11. April 2019, Bern
Aufwand als «Leistung in Abwesenheit des Patienten» abrechnen.
Einmal Migräne – immer Migräne?
Als roter Faden durch viele Referate am Symposium zog sich eine wichtige Erkenntnis: Worauf Kopfschmerzpatienten hoffen dürften, ist eine Kontrolle ihrer Beschwerden, aber keine Heilung im klassischen Sinn. Eine vorbeugende Therapie sei deshalb bei jedem Migräniker indiziert, nicht nur bei häufigen Attacken, sagte PD Dr. med. Christoph Schankin, Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital Bern. Gemeint sind damit in erster Linie nicht medikamentöse Massnahmen wie Ausdauersport, Entspannungsübungen oder Biofeedback. Eine medikamentöse Prophylaxe ist nur bei häufigen Kopfschmerzattacken indiziert. Ebenfalls für alle Kopfschmerzpatienten wichtig sei das Führen eines Kopfwehtagebuchs, um herauszufinden, was die Kopfschmerzen triggern könnte und ob eine prophylaktische Massnahme wirke oder nicht, betonte der Referent. Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft empfiehlt eine medikamentöse Migräneprophylaxe für Patienten mit mehr als 3 Anfällen im Monat (> 5 Tage), sehr schweren oder lang andauernden Anfällen, protrahierten oder gehäuften Auren, bei Kopfschmerzen wegen Medikamentenübergebrauch, bei Unverträglichkeit von Akuttherapeutika, ausgeprägter Beeinträchtigung der Lebensqualität sowie auch auf Wunsch des Patienten (5). Die medikamentöse Migräneprophylaxe scheitere in der Praxis aber oft an der mangelnden Adhärenz, sagte Schankin. Nach etwa einem Monat nimmt nur noch die Hälfte der Patienten die Medikamente ein, nach einem Jahr sind es nur noch 13 bis 16 Prozent. Auch eine zu geringe Dosis, eine zu langsame Aufdosierung und diverse Nebenwirkungen der klassischen Prophylaxemedikamente wie Betablocker, Topiramat oder Flunarizin sind für das Scheitern der medikamentösen Migräneprophylaxe verantwortlich. Hinzu kommt, dass sich die Patienten vermutlich mehr von den Medikamenten versprechen, als realistischerweise erwartet werden darf. Im Durchschnitt erzielt man damit bei 40 bis 60 Prozent der Patienten eine Reduktion der Kopfschmerztage um mindestens 50 Prozent. Nicht medikamentöse Massnahmen wie regelmässiger Ausdauersport (3 × 30 Minuten pro Woche) oder progressive Muskelentspannung (täglich 15 Minuten) sind genauso wirksam – aber auch nur dann, wenn sie konsequent und regelmässig durchgeführt werden. Eine neue Option sind Antikörper gegen CGRP (calcitonin gene-related peptide) beziehungsweise seinen Rezeptor.
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Kasten 2:
Prävalenz der Migräne – Umfrage in der Schweiz
Die Prävalenz der Migräne in der Bevölkerung wird auf 10 bis 15 Prozent beziffert (1, 2). Möglicherweise ist sie auch etwas höher. So scheint die Migräneprävalenz unter Neurologen wesentlich höher als in der Allgemeinbevölkerung zu sein. Deshalb müsse ihre Prävalenz auch in der Bevölkerung höher sein, als bis anhin angenommen werde, die Migräne werde nur zu selten diagnostiziert, meinen die Autoren einer entsprechenden Studie (3). Zu einem ähnlichen Schluss kommen die Autoren der Eurolight-Studie (4), einer Umfrage in zehn europäischen Ländern mit insgesamt 9247 Teilnehmern. Hier wird von einer Migräneprävalenz von durchschnittlich rund 38 Prozent berichtet, wobei allerdings nicht unbedingt repräsentative Bevölkerungsgruppen befragt wurden. Man hatte die Umfrageteilnehmer in den einzelnen Ländern auf unterschiedlichen Wegen rekrutiert: Sie wurden in Deutschland, Luxemburg und Italien per Post angeschrieben, in Holland über das Internet befragt und in Litauen durch Interviewer, die von Tür zu Tür gingen. In England, Frankreich und Österreich befragten Hausärzte jeden Patienten, der in ihre Praxis kam (egal, aus welchem Grund), in Spanien wurden Personen am Arbeitsplatz oder über eine Selbsthilfegruppe befragt, in Irland ausschliesslich über eine Kopfschmerzselbsthilfegruppe (4). Zurzeit läuft nun die erste nationale Studie dieser Art in der Schweiz als anonymisierte Onlineumfrage. Mehr dazu unter: https://www.rosenfluh.ch/gemeinsam-aktiv-gegen-kopfschmerzen
Während einer Migräneattacke ist der CGRP-Spiegel im Blut erhöht, und die experimentelle Gabe von CGRP konnte bei Migränikern Attacken auslösen. Seit Kurzem sind in der Schweiz zwei Antikörper zugelassen: Erenumab (Aimovig®) und Galcanezumab (Emgality®). In den aktuellen Schweizer Therapieempfehlungen wird auch bereits Fremanezumab (Ajovy®) genannt, das aber hierzulande noch nicht zugelassen ist (5). Erenumab und Galcanezumab sind ähnlich wirksam wie klassische Migräneprophylaktika. Ihr grosser Vorteil ist die wesentlich bessere Verträglichkeit und die einfachere Anwendung. Sie werden einmal im Monat injiziert (Selbstinjektion mittels Pen). Darüber hinaus haben Neurologen wie Prof. Peter Sandor, RehaClinic Zurzach und Baden und Chairman am Swica-Symposium, die Erfahrung gemacht, dass die Antikörper bei 10 bis 20 Prozent der Patienten ausserordentlich gut wirkten. Prädiktive Merkmale gebe es dafür zwar nicht, aber man könne nach spätestens drei Monaten Anwendung wissen, ob ein Migräniker auf die Antikörpertherapie anspreche oder nicht (6).
Hormone und Migräne
Frauen sind stärker von Migräne betroffen als Männer, und das hat mit dem Östrogen zu tun. Der Abfall des Östrogenspiegels vor der Menstruation ist ein klassischer Auslöser der Migräne, und bei jeder zweiten Migränikerin sind die
Attacken mit dem Menstruationszyklus assoziiert. Das kritische Intervall erstreckt sich von 2 Tagen vor Einsetzen der Blutung bis zum 3. Blutungstag. Auch in der Perimenopause kann es zu starken Schwankungen des Östrogenspiegels kommen, die Migräne auslösen können. Doch nicht nur körpereigene Hormonschwankungen, auch Hormonpräparate selbst können Migräne auslösen. Bei einer Frau mit Migräne gehöre die Frage nach einer Hormonbehandlung deshalb unbedingt zur Anamnese, betonte Prof. Gabriele Merki, Universitätsspital Zürich. Gemeint sind hier nicht nur hormonelle Verhütungsmittel, sondern jegliche Hormontherapie. Es mache auch keinen Unterschied, ob es sich um die üblichen, synthetisch hergestellten Produkte handelt oder um sogenannte «bioidentische» Hormone. Letztere seien nicht harmloser und qualitativ weitaus weniger gut kontrolliert als die synthetischen, als Arzneimittel zugelassenen Produkte, sagte die Referentin. Generell nicht zu empfehlen sind kombinierte orale Kontrazeptiva für Migränikerinnen, weil sie deren ohnehin bereits erhöhtes Schlaganfallrisiko zusätzlich steigern. Raucht die Frau obendrein, erhöht sich dieses Risiko um ein Vielfaches. Hormonspiralen erhöhen das Schlaganfallrisiko nicht, und sie führen bei vielen Frauen zu einer Sistierung der Menstruationsblutung. Sie beugen damit aber nicht notwendigerweise auch Migräneattacken vor. Vielmehr führten Hormonspiralen wegen der Nebenwirkung persistierender Follikel mitunter zu enorm hohen Östrogenspiegeln sowie extremen Hormonschwankungen und seien insofern eher ungünstig in Bezug auf die Kopfschmerzprophylaxe, so Merki. Ein reines Gestagenpräparat, die sogenannte Minipille, kann hingegen bei Migräne helfen, und zwar sowohl bei jüngeren Frauen als auch bei den Migränikerinnen in der Perimenopause. Alle in der Schweiz zugelassenen Präparate dieser Art enthalten 75 µg Desogestrel pro Tag, was die kontrazeptive Sicherheit gewährleistet. Höhere Dosierungen sind mitunter zur Migräneprophylaxe notwendig, sodass diese individuell angepasst werden sollte. Ein Nachteil der Minipille seien die jederzeit möglichen Schmier- und Zwischenblutungen, worüber die Patientin im Vorfeld informiert werden müsse, sagte Merki.
Kasten 3:
Probandinnen gesucht
Prof. Gabriele Merki ist Mitglied der Therapiekommission der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft und bietet in Zürich und Aarau Sprechstunden fur̈ hormonabhängige Migräne an. Für ihre Studie «Analyse der Migräneattacken im pillenfreien Intervall», eine tagebuchbasierte Untersuchung der Hormonentzugsmigräne, sucht sie noch Studienteilnehmerinnen mit menstrueller Migräne unter Einnahme von Verhuẗ ungsmitteln (mit Pillenpause 21/7 Tage).
Anmeldung: gabriele.merki@usz.ch Klinik fur̈ Reproduktionsendokrinologie, Universitätsspital Zürich
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Kopfschmerz-Coaching
Dass die Psychosomatik gerade beim Kopfschmerz eine grosse Rolle spielt, ist eine Binsenweisheit. Trotzdem «wollen Menschen mit somatischen Schmerzen auf gar keinen Fall zu jemandem gehen, dessen Berufsbezeichnung mit ‹Psych› anfängt», sagte der Psychologe und Psychotherapeut Dr. Daniel Kuma Baerlocher, Zürich. Als Gründungsmitglied der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft arbeitet er seit Jahrzehnten mit Ärzten zusammen. Seine Herangehensweise dürfte bei Kopfschmerzpatienten etwas anders sein als bei den meisten Psychotherapeuten. Er bezeichnet sein Konzept nicht als «Psychotherapie», sondern als «Coaching», und es geht dabei auch ganz detailliert um kopfschmerzrelevante Medikamente. Sein Konzept heisst: «Die nützlichen 5». Das Coaching umfasst 11 Stunden, verteilt auf 8 Termine, in denen es um die folgenden 5 Aspekte geht: Medikamente, Ängste (vor Medikamenten), Komplementärmedizin, Lebensumstände und Achtsamkeit. Viele Patienten wüssten gar nicht so genau, was sie alles schon eingenommen hätten und schon gar nicht, in welcher Dosis. Manche würden den Beipackzettel auch gleich wegwerfen, um nicht die mitunter beeindruckend lange Liste der potenziellen Nebenwirkungen lesen zu müssen, berichtete Baerlocher. Abhilfe schaffen kann hier «das schlaue Blaue», eine einfache blaue Heftmappe, in welcher der Patient alles sammelt, was zu seiner Kopfschmerzproblematik gehört (Beipackzettel, Notizen, Kopfwehkalender usw.). Das Besprechen der Medikamente und ihrer Vor- und Nachteile könne mitunter sogar «aus einem Nozebo ein Plazebo machen», sagte Baerlocher. Danach geht es um das weite Feld des Komplementären, wie Naturheilmittel, Homöopathie oder TCM, um nur einige davon zu nennen. Darunter gebe es Gutes und Schlechtes, so Baerlocher. Sobald aber Heilsversprechen gemacht würden, handle es sich aus seiner Sicht um «die Mogelpackung der alternativen Medizin». In diesem Abschnitt des Coachings geht es darum, gegebenenfalls nützliche komplementäre Methoden auszuwählen. Im nächsten
Schritt werden die Lebensumstände besprochen. Hilfreich ist
dabei das Zeichnen einer «Mindmap», einer assoziativen
Grafik, in welcher die Lebensumstände und ihre Wechselwir-
kungen vom Patienten visualisiert werden. Diese Zeichnung
wandert auch in «das schlaue Blaue», denn sie kann im
Rückblick eindrücklich zeigen, an welchen Stellschrauben er-
folgreich gedreht wurde und an welchen nicht. Zu guter Letzt
geht es um die Achtsamkeit im Alltag. Ausdrücklich betonte
Baerlocher, dass damit weder Yoga noch Meditation gemeint
seien. Vielmehr geht es um kleine, konkrete Massnahmen im
Alltag. Zunächst definiert der Patient, was für ihn ein norma-
les, neutrales Befinden bedeutet. Sodann versetzt er sich in
verschiedene Situationen und bewertet sein Befinden auf
einer Skala von 1 bis 10. Auf diese Weise werden kritische
Situationen identifiziert und eingestuft: «Und dann schauen
wir, was man tun kann.» Der Effekt der Massnahmen wird
nach einem Monat evaluiert.
Bleibt die Frage, welche Aspekte der «nützlichen 5» ein
Hausarzt angesichts seiner weitaus begrenzteren Konsulta-
tionszeit in der Praxis anwenden könnte? Auf jeden Fall das
«schlaue Blaue», meinte Baerlocher.
s
Renate Bonifer
Quellen: 2. Swica-Symposium: Der Kopfschmerzpatient – eine interprofessionelle Herausforderung. Bern, 11. April 2019.
Referenzen: 1. Diener HC et al.: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der
Migräne. S1-Leitlinie 2018. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 3. Mai 2019). 2. www.migrainetrust.org, abgerufen am 3. Mai 2019. 3. Yeh WZ et al.: What is the actual prevalence of migraine? Brain and Behavior 2018; 8: e00950. 4. Katsarava Z et al.: Poor medical care for people with migraine in Europe – evidence from the Eurolight study. J Headache Pain 2018; 19(1): 10. 5. Schweizerische Kopfwehgesellschaft, Therapieempfehlungen für primäre Kopfschmerzen inkl. Kopfschmerzalgorithmus für den Hausarzt. 10., vollständig überarbeitete Auflage 2019; www.headache.ch 6. Update Migräne: Neue Substanzklasse erweitert Therapieoptionen. Interview mit Prof. Peter Sandor. ARS MEDICI 2019; 109(5): 151–154.
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