Transkript
FORTBILDUNG
Empfehlungen zum Management der Gicht
Medikamentöse Harnsäuresenkung: Für wen und womit?
Bei Gicht handelt es sich um eine entzündliche Arthritis, die durch Ablagerungen von Natriumuratkristallen in Gelenken und Geweben gekennzeichnet ist. Im Krankheitsverlauf kommt es zu rezidivierenden Schmerzanfällen, zwischen denen oft lange schmerzfreie Zeiträume liegen. In einer Übersichtsarbeit wurden die Empfehlungen zum Management der Gicht zusammengestellt.
British Medical Journal
Als bedeutsamster Risikofaktor für die Entwicklung von Gicht gilt eine persistierende Hyperurikämie, die durch eine Überproduktion oder eine zu geringe Ausscheidung von Urat verursacht wird. Eine pathologische Hyperurikämie liegt definitionsgemäss ab einer Harnsäurekonzentration von 408 µmol/l im Serum vor. Oberhalb dieser Schwelle bilden sich bei physiologischem pH-Wert und physiologischer Temperatur Natriumuratkristalle. Bei den meisten Patienten ist die verminderte Ausscheidung von Harnsäure die Ursache der Gicht. Zu den weiteren Faktoren, die eine Gicht begünstigen, gehören Medikamente wie Diuretika, Ciclosporin oder niedrig dosierte Acetylsalicylsäure. Eine beeinträchtigte Nierenfunktion und ein übermässiger Konsum von Fleisch, Meeresfrüchten, fruktosehaltigen Getränken und/oder Alkohol (vor allem Bier und Spirituosen) tragen ebenfalls zur Entwicklung von Gicht bei.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Eine Hyperurikämie allein ist für die Diagnose nicht ausreichend, da sich bei den meisten Patienten mit erhöhten Harnsäurewerten keine Gicht entwickelt. Eine chronische Hyperurikämie kann jedoch zu Tophi, chronischer Gichtarthritis und erosiver Arthritis führen. Die definitive Diagnose der Gicht erfolgt durch den Nachweis von Natriumuratkristallen in der Synovialflüssigkeit.
Ist Gicht mit Komorbiditäten verbunden?
Bis anhin konnte nicht konsistent belegt werden, dass ein erhöhter Harnsäurespiegel zu koronaren Herzerkrankungen, eingeschränkter Nierenfunktion, Bluthochdruck oder Diabetes Typ 2 führt. Bei Personen mit kardiovaskulären oder
MERKSÄTZE
Die definitive Diagnose der Gicht erfolgt durch den Nachweis von Natriumuratkristallen in der Synovialflüssigkeit.
Zur Behandlung des akuten Gichtanfalls stehen NSAR, Colchicin oder Kortikosteroide zur Verfügung.
Eine medikamentöse Senkung des Harnsäurespiegels (ULT) ist indiziert bei rezidivierenden Gichtanfällen, Tophi, Uratarthropathie und Niereninsuffizienz sowie bei symptomatischen Patienten mit sehr hohen Harnsäureserumwerten.
Allopurinol gilt als Option der ersten Wahl für die ULT.
renalen Erkrankungen sind erhöhte Harnsäurewerte jedoch mit ungünstigeren Outcomes assoziiert.
Wie wird ein akuter Gichtanfall behandelt?
Zur Behandlung eines akuten Gichtanfalls werden nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) als Option der ersten Wahl empfohlen. Das Gleiche gilt für das Colchicin, das in der Schweiz jedoch nicht mehr im Handel ist (Bezug ggf. aus Deutschland [Dispert®] oder Magistralrezeptur). Systemische Kortikosteroide bleiben Patienten vorbehalten, die auf die beiden anderen Arzneimittel nicht ansprechen oder diese nicht vertragen, als Reserve kommen Interleukin-1-Inhibitoren infrage. NSAR: Für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Herzinsuffizienz, kardiovaskulären Erkrankungen, gastrointestinalen Perforationen, Ulzera oder gastrointestinalen Blutungen sind sie nicht oder nur bedingt geeignet. Patienten mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Komplikationen sollten zusätzlich einen Protonenpumpeninhibitor erhalten. Colchicin: Die British Society of Rheumatology (BSR) empfiehlt zur Behandlung des akuten Gichtanfalls zwei- bis viermal täglich eine Colchicindosis von 0,5 mg. Höhere Dosierungen sind häufig mit gastrointestinalen Nebenwirkungen verbunden. Bei Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion raten die Experten zu einer niedrigeren initialen Dosis oder längeren Pausen zwischen den Applikationen. Es gibt eine Reihe potenzieller Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (z.B. Cytochrom-P-450-3A4-Inhibitoren), die Dosisreduktionen erfordern, sowie Nebenwirkungen, auf die zu achten ist. Kortikosteroide: Für Patienten, die NSAR oder Colchicin nicht vertragen, empfehlen die European League of Rheumatism (EULAR) und die BSR eine kurzfristige Behandlung (3–5 Tage) mit einem oralen Kortikosteroid (Prednisolon, 30–35 mg/Tag). In manchen Fällen kann auch eine intraartikuläre Kortikosteroidinjektion sinnvoll sein. Dies gilt vor allem, wenn nur ein einziges Gelenk betroffen ist oder wenn Komorbiditäten andere Alternativen ausschliessen. Ist eine Monotherapie zur Behandlung des akuten Anfalls nicht ausreichend wirksam, kann eine Kombination aus NSAR mit einem intraartikulären oder systemischen Kortikosteroid oder eine Kombination aus NSAR mit Colchicin angewendet werden. Interleukin-1-Inhibitoren: In einem Cochrane-Review wurde bei Gichtpatienten nur eine geringfügige Wirksamkeit des Interleukin-1-Hemmers Canakinumab (Ilaris®) beobachtet.
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ARS MEDICI 13 | 2019
FORTBILDUNG
Tabelle:
Startdosierung von Allopurinol entsprechend der Nierenfunktion
Geschätzte GFR (ml/min/1,73 m³) <5 5–15 16–39 31–45 46–60 61–90 GFR = glomeruläre Filtrationsrate Initiale Allopurinoldosis 50 mg wöchentlich 50 mg 2-mal wöchentlich 50 mg alle 2 Tage 50 mg täglich 50 mg und 100 mg an abwechselnden Tagen 100 mg täglich Wer sollte eine harnsäuresenkende Pharmakotherapie erhalten? Entsprechend den Richtlinien der EULAR und der BSR sollte eine harnsäuresenkende medikamentöse Therapie (urate lowering therapy, ULT) für jeden Gichtpatienten erwogen und mit ihm diskutiert werden. Beide Fachgesellschaften empfehlen eine ULT bei zwei oder mehr Attacken pro Jahr sowie bei Tophi, Uratarthropathie oder Niereninsuffizienz. Des Weiteren wird eine ULT bei jungen Gichtpatienten < 40 Jahre und bei sehr hohen Harnsäurespiegeln (≥ 480 µmol/l) sowie bei Komorbiditäten (Niereninsuffizienz, Hypertonie, ischämische Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz) kurz nach der Erstdiagnose empfohlen. Die BSR rät zu einem initialen Harnsäurezielwert von 300 µmol/l im Serum. Nach Auflösung der Tophi und bei Symptomfreiheit des Patienten erachten die Experten dann einen Zielwert von 360 µmol/l als ausreichend. Die EULAR empfiehlt einen höheren initialen Zielwert von 360 µmol/l. Zur Empfehlung einer ULT für asymptomatische Patienten mit erhöhten Harnsäurewerten liegt keine ausreichende Evidenz vor. Mit welchen Medikamenten wird die ULT durchgeführt? Für eine ULT stehen zum einen Xanthinoxidaseinhibitoren wie Allopurinol (Zyloric® und Generika) und Febuxostat (Adenuric®) zur Verfügung, welche die Harnsäureproduktion verringern. Zum anderen können Urikosurika angewen- det werden, welche die renale Ausscheidung von Harnsäure erhöhen. In der Schweiz sind die Urikosurika Probenecid (Santuril®) und Lesinurad (Zurampic®, nur in Kombination mit Allopurinol, falls dieses nicht ausreicht) zugelassen. Allopurinol: Mit Allopurinol erreichen mehr Patienten den angestrebten Harnsäurewert; die Anzahl der akuten Gichtanfälle sinkt jedoch gemäss einem Cochrane-Review nicht. Empfohlen werden zu Beginn 50 bis 100 mg täglich, mit einer Dosissteigerung von 100 mg pro Monat, bis 900 mg pro Tag erreicht sind. Bei eingeschränkter Nierenfunktion sind die Startdosierungen niedriger (Tabelle). In seltenen Fällen (0,1–0,4%) ist Allopurinol mit schweren unerwünschten Wirkungen verbunden. Dazu gehören schwere Hautreaktionen wie SCAR (severe cutaneous adverse reaction), DRESS (drug rash with eosinophilia and systemic symptoms) und das Stevens-Johnson-Syndrom. Febuxostat: Febuxostat steht als Second-line-Option zur Verfügung, wenn Allopurinol kontraindiziert ist beziehungsweise nicht vertragen wird oder wenn der Harnsäurezielwert mit Allopurinol nicht erreicht werden kann. Unter Febuxostat wurden ähnliche unerwünschte Reaktionen beobachtet wie unter Allopurinol; Febuxostat ist möglicherweise mit einem höheren kardiovaskulären Risiko verbunden. Wann sollte mit der ULT begonnen werden? Üblicherweise wird mit der ULT nach dem Abklingen des ersten Gichtanfalls begonnen. Der Beginn während einer Gichtattacke beeinflusst nicht deren Dauer oder Schwere. Eine ULT sollte während eines akuten Schubs nicht unterbro- chen werden. Bei Beginn der ULT sollte eine antientzündliche Prophylaxe in Betracht gezogen werden. Die BSR empfiehlt dazu Colchicin (0,5 mg 1- oder 2-mal täglich) über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten. Wird Colchicin nicht vertragen, kann alternativ ein niedrig dosiertes NSAR mit begleitender Gastroprotektion gegeben werden. L Petra Stölting Quelle: Drug and Therapeutics Bulletin Editorial Office: Latest guidance on the management of gout. BMJ 2018; 362: k2893 doi: 10.1136/bmj.k2893. Interessenlage: Bei den Autoren der referierten Publikation liegen keine Interessenkonflikte vor, die gegen die Richtlinien des Drug and Therapeutics Bulletin (DTB) verstossen. Gicht – leicht verständlich und kurz erklärt Für Menschen mit Lese- oder Lernschwierigkeiten sind Texte oft zu kompliziert verfasst oder zu lang. Um auch diese Menschen anzusprechen und über rheumatische Krankheiten aufzuklären, lanciert die Rheumaliga Schweiz die neue Reihe «kurz & knapp». Den Text hat die Rheumaliga in Zusammen- arbeit mit Pro Infirmis Zürich nach den Regeln der leichten Sprache verfasst. Die leichte Sprache ist ein zentraler Bestandteil der Barrierefreiheit, denn sie macht komplexe Inhalte einem grossen Publi- kum zugänglich. Laut Pro Infirmis haben rund 800 000 Menschen in der Schweiz Mühe beim Lesen. Um auch Menschen mit Migrationshintergrund Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen zu ermöglichen, erscheinen die Broschüren der Reihe «kurz & knapp» neben den Landessprachen auch auf Albanisch, Bosnisch/Kroatisch/Montenegrinisch/Serbisch, Portugiesisch, Spanisch und Türkisch. Gicht ist das Thema der ersten Broschüre der neuen Reihe. Sie ist gratis erhältlich: https://www.rheumaliga-shop.ch > Publikationen
red
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