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Neues vom ECCMID
Update zu Antibiotika, Tuberkulose, HIV und Hepatitis C
BERICHT
In einem Vortrag am diesjährigen europäischen Kongress für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ECCMID) diskutierte Prof. Dr. med. Cristina Mussini, Direttore della Clinica delle Malattie Infettive, Policlinico di Modena, neue Forschungsergebnisse, von denen einige die klinische Praxis verändern könnten.
In einigen Ländern Europas, allen voran Griechenland und Italien, sind invasive Infektionen mit cephalosporinresistenten (insbesondere cetriaxonresistenten) Escherichia coli oder Klebsiella pneumoniae eine therapeutische Herausforderung, weshalb therapeutische Alternativen gefragt sind. In der MERINO-Studie hat sich gezeigt, dass eine Therapie mit Piperacillin-Tazobactam (Tazobac® oder Generika) die festgelegte Grenze für Nichtunterlegenheit im Vergleich mit Meropenem (Meronem® oder Generika) nicht erreichte (1). «Wir sollten also Carbapenemantibiotika nicht unnötigerweise einsetzen», kommentierte Mussini. In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde bei schweren Infektionen mit carbapenemresistenten, gramnegativen Erregern untersucht, ob eine Monotherapie mit Colistin der Kombination von Colistin und Meropenem überlegen sei (2). Dies war nicht der Fall, weshalb neue Medikamente bei gegebener Indikation doch eingesetzt werden sollten, wie die Infektiologin anmerkte. Als andere Alternative bei nosokomialen Pneumonien konnte in der REPROVE-Studie gezeigt werden, dass Ceftazidim-Avibactam der Standardtherapie mit Meropenem nicht unterlegen war (3).
KURZ & BÜNDIG
Carbapenemantibiotika sollten nicht unnötigerweise eingesetzt werden.
Mit Ceftazidim-Avibactam gibt es eine Alternative zu Meropenem.
Bei Tuberkulose beschäftigt sich die Forschung mit neuen Impfstoffen sowie verkürzter Therapiedauer bei latenter Tuberkulose und Multiresistenz.
In der antiretroviralen Therapie kommen neue Wirkstoffkombinationen hinzu, beispielsweise Bictegravir und Doravirin.
In Zukunft könnte eine HIV-Therapie auch mit einer Zweieranstatt einer Dreierkombination eingeleitet werden.
Im Kampf gegen Resistenzen: Verkürzung der Therapiedauer
Angesichts der Problematik verbreiteter Antibiotikaresistenzen ist eine Verkürzung der Behandlungsdauer ein Gebot der Stunde. Selbst bei unkomplizierten, ambulant erworbenen Pneumonien übertrifft die Therapiedauer oft die Empfehlungen zu einem beachtlich hohen Prozentsatz (> 70%), wie eine Untersuchung bei hospitalisierten Patienten in den USA ergab (4). Gemäss einer randomisierten, kontrollierten Nichtunterlegenheitsstudie war eine Verkürzung der Therapiedauer von 14 auf 7 Tage bei unkomplizierter gramnegativer Bakteriämie hinsichtlich eines kombinierten Endpunkts aus Mortalität, Komplikationen, Rezidiven und Rehospitalisationen äquivalent (5). Dies galt jedoch nur für sorgfältig ausgewählte, stabile Patienten, wie Mussini hervorhob.
Was ist neu bei Tuberkulose?
Tuberkulose ist in Ländern mit hoher Armutsquote unverändert ein drängendes Problem. Eine Impfstoffstudie aus Kenia, Südafrika und Sambia weckt zumindest Hoffnungen (6). Nach zweimaliger i.m.-Verabreichung im Abstand von einem Monat erzielte ein neuer Impfstoff eine Schutzrate von 54 Prozent. Die Therapie einer latenten Tuberkulose bei Erwachsenen, oft sind dies in unseren Breiten Patienten mit HIV-Infektion (menschliches Immunschwächevirus), ist durch die lange Therapiedauer von 9 Monaten mit Isoniazid eine Herausforderung. Eine Studie hat dieses Kontrollregime mit einer experimentellen Behandlung mit Rifampicin während 4 Monaten verglichen (7). Die kürzere Rifampicinbehandlung war hinsichtlich der Verhütung eines Übergangs zur aktiven Tuberkulose nicht unterlegen. Als wichtigste Ergebnisse stechen die wesentlich bessere Leberverträglichkeit und der höhere Anteil erfolgreich beendeter prophylaktischer Therapien unter Rifampicin hervor. Ein weiteres wichtiges Problemfeld sind Infektionen mit multiresistenten Mykobakterien (multidrug-resistant tuberculosis, MDR-T). Eine sehr grosse Metaanalyse, basierend auf 50 Studien aus 25 Ländern, wurde letztes Jahr publiziert (8). Sie ergab einen Behandlungserfolg bei 61 Prozent, Therapieversagen oder Rezidiv bei 8 Prozent sowie Tod in 14 Prozent der Fälle. Eine signifikante Assoziation mit einer reduzierten Mortalität ergab sich für Behandlungen mit Linezolid (Zyvo-
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xid® oder Generika), Levofloxacin (Tavanic® oder Generika), Moxifloxacin Avalox® oder Generika) oder Bedaquilin (zurzeit in der Schweiz nicht zugelassen). Eine kürzlich publizierte Studie befasste sich mit der Frage, ob eine Verkürzung der Therapiedauer auf 9 Monate bei rifampicinresistenter Tuberkulose mittels einer Kombinationstherapie unter Einschluss von hoch dosiertem Moxifloxacin möglich ist (9). Im Vergleich zur Kombinationsbehandlung über 20 Monate gemäss WHO-Empfehlung erschien die verkürzte Therapie auch bei positivem HIV-Status als nicht unterlegen. Ob dies ein gut gangbarer Weg ist, werden weitere Studien zeigen müssen. Jedenfalls ist der Verlängerung der QT-Zeit unter Moxifloxacin besondere Beachtung zu schenken. Die sorgfältige kardiale Überwachung dürfte gerade in Ländern mit verbreiteter MDR-T nicht gegeben sein, meinte Mussini.
Was ist neu bei HIV?
Patienten mit einer fortgeschrittenen HIV-Erkrankung und sehr tiefer CD4-Zahl haben bei der Behandlung einer Tuberkulose ein erhöhtes Risiko für eine überschiessende Immunreaktion (immune reconstitution inflammatory syndrome, Iris). In einer Studie mit solchen Patienten erfolgte zunächst eine Behandlung der Tuberkulose, dann innerhalb der ersten 30 Tage eine Randomisierung zu einer antiretroviralen Therapie (ART) mit 4 Wochen Predinson oder zu einer 4-wöchigen ART plus Plazebo (10). «Die Ergebnisse sind sehr ermutigend», sagte Mussini, «zwar ergab sich zwischen den beiden Behandlungsarmen kein Mortaliätsunterschied, aber mit Prednison war das Auftreten eines tuberkuloseassoziierten Iris statistisch signifikant seltener.» Die ART wird laufend durch neue Wirkstoffe bereichert. Dazu gehören Bictegravir und Doravirin. In einer Studie mit virologisch supprimierten erwachsenen HIV-1-Patienten wurde der Wechsel von Dolutegravir plus Abacavir und Lamivudin (Triumeq®) zu einem Kombinationspräparat mit Bictegravir plus Emtricitabin und Tenofoviralafenamid (Biktarvy®) untersucht (11). Primärer Endpunkt war der Anteil der Studienteilnehmer mit ≤ 50 HIV-Kopien pro Milliliter nach 48 Wochen. Die Kombination mit dem neueren Integrasehemmer Bictegravir war für den primären Endpunkt der Standardkombination nicht unterlegen. Nebenwirkungen waren in der Bictegravirgruppe seltener (8% vs. 16%). Bei therapienaiven HIV-1-Patienten war der neue nicht nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitor Doravirin einer Therapie unter Einschluss von Darunavir in der DRIVEFORWARD-Studie nicht unterlegen (12).
Einen möglichen Paradigmenwechsel in der ART könnten
die GEMINI-Studien (13) einleiten, meinte Mussini. Sie gin-
gen der Frage nach, ob die Einleitung einer ART bei therapie-
naiven HIV-Patienten auch mit einer Zweierkombination an-
statt der etablierten Dreierkombination wirksam und sicher
ist. Die beiden identisch entworfenen, doppelblinden, rando-
misierten Phase-III-Multizenterstudien erfolgten bei erwach-
senen Patienten mit ≤ 500 000 HIV-Kopien pro Milliliter. Sie
erhielten per os entweder 1-mal täglich 50 mg Dolutegravir
plus 300 mg Lamivudin oder 1-mal täglich eine Dreierkom-
bination (50 mg Dolutegravir, 50 mg Tenofovirdisoproxilfu-
marat plus 200 mg Emtricitabin). In beiden Studien war die
Zweierkombination der Dreierkombination hinsichtlich des
primären Endpunkts (< 50 HIV-Kopien/ml nach 48 Wochen) nicht unterlegen. Numerisch traten unter der Zweierkombi- nation weniger Nebenwirkungen auf. «Vor einem definitiven Wechsel zu einer ART mit zwei Wirkstoffen müssen die Langzeitergebnisse abgewartet werden, denn der Erfolg der bisherigen Therapie – eine mit der Allgemeinbevölkerung vergleichbare Lebenserwartung – wurde mit Dreierkombina- tionen erzielt», mahnte Mussini. s Halid Bas Quelle: 29th European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases, 13. bis 16. April 2019 in Amsterdam. Referenzen: 1. Harris PNA et al.: Effect of piperacillin-tazobactam vs meropenem on 30-day mortality for patients with E coli or Klebsiella pneumoniae bloodstream infection and ceftriaxone resistance: a randomized clinical trial. JAMA 2018; 320(10): 984–994. 2. Paul M et al.: Colistin alone versus colistin plus meropenem for treatment of severe infections caused by carbapenem-resistant Gram-negative bacteria: an open-label, randomised controlled trial. Lancet Infect Dis 2018; 18(4): 391–400. 3. Torres A et al.: Ceftazidime-avibactam versus meropenem in nosocomial pneumonia, including ventilator-associated pneumonia (REPROVE): a randomised, double-blind, phase 3 non-inferiority trial. Lancet Infect Dis 2018; 18(3): 285–295. 4. Yi SH et al.: Duration of antibiotic use among adults with uncomplicated community-acquired pneumonia requiring hospitalization in the United States. Clin Infect Dis 2018; 66(9): 1333–1341. 5. Yahav D et al.: Seven versus fourteen days of antibiotic therapy for uncomplicated Gram-negative bacteremia: a non-inferiority randomized controlled trial. Clin Infect Dis 2018, Dec 11 [Epub ahead of print]. 6. Van der Meeren O et al.: Phase 2b controlled trial of M72/AS01E vaccine to prevent tuberculosis. N Engl J Med 2018; 379(17): 1621–1634. 7. Menzies D et al.: Four months of rifampin or nine months of isoniazid for latent tuberculosis in adults. N Engl J Med 2018; 379(5): 440–453. 8. Ahmad N et al.: Treatment correlates of successful outcomes in pulmonary multidrug-resistant tuberculosis: an individual patient data metaanalysis. Lancet 2018; 392(10150): 821–834. 9. Nunn AJ et al.: A trial of a shorter regimen for rifampin-resistant tuberculosis. N Engl J Med 2019; 380(13): 1201–1213. 10.Meintjes G et al.: Prednisone for the prevention of paradoxical tuberculosis-associated IRIS. N Engl J Med 2018; 379(20): 1915–1925. 11. Molina JM et al.: Switching to fixed-dose bictegravir, emtricitabine, and tenofovir alafenamide from dolutegravir plus abacavir and lamivudine in virologically suppressed adults with HIV-1: 48 week results of a randomised, double-blind, multicentre, active-controlled, phase 3, non-inferiority trial. Lancet HIV 2018; 5(7): e357–e365. 12. Molina JM et al.: Doravirine versus ritonavir-boosted darunavir in antiretroviral-naive adults with HIV-1 (DRIVE-FORWARD): 48-week results of a randomised, double-blind, phase 3, non-inferiority trial. Lancet HIV 2018; 5(5): e211–e220. 13. Cahn P et al.: Dolutegravir plus lamivudine versus dolutegravir plus tenofovir disoproxil fumarate and emtricitabine in antiretroviral-naive adults with HIV-1 infection (GEMINI-1 and GEMINI-2): week 48 results from two multicentre, double-blind, randomised, non-inferiority, phase 3 trials. Lancet 2019; 393(10167): 143–155. 430 ARS MEDICI 12 | 2019