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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Ernährung
«Low carb» vielleicht doch nicht so gesund
Seit einiger Zeit wird wieder eine kohlenhydratarme Ernährung (low carb) als besonders gesundheitsfördernd propagiert, nachdem man früher eher eine fettarme Diät empfahl (und noch davor eine Low-carb-Diät, einige werden sich noch an Herrn Atkins erinnern). Dass das Einsparen von Kohlenhydraten aber nicht unbedingt gesund sein muss, zeigt eine Statistik, die vor Kurzem im «European Heart Journal» publiziert wurde. Die Autoren werteten dafür zum einen Daten von 24 828 Teilnehmern des «National Health and Nutrition Examination Survey» (NHANES) in den USA aus, zum anderen führten sie eine Metaanalyse von 9 prospektiven Kohortenstudien zu Ernährung und Gesundheit mit
insgesamt 462 934 Probanden durch. In beiden Analysen unterteilte man die Probanden je nach Kohlenhydratanteil ihrer Ernährung in vier Gruppen. Beide Statistiken ergaben, dass eine ausgeprägte Low-carb-Ernährung, die folglich protein- und fettlastig gewesen sein dürfte, zumindest nicht mit einem längeren Leben verbunden war. Vielmehr war das Mortalitätsrisiko jeweils in der Gruppe mit dem niedrigsten Kohlenhydratkonsum gegenüber demjenigen in der Gruppe mit dem höchsten Kohlenhydratkonsum in beiden Auswertungen etwas erhöht. So war das relative Mortalitätsrisiko in einem Studienzeitraum von zirka 16 Jahren für die Low-carb-Konsumenten im Vergleich mit den High-
beziehungsweise Normal-carb-Konsumenten um 6 bis 39 Prozent erhöht (RR: 1,22; 95%-Konfidenzintervall 1,06–1,39, p < 0,001). Bei aller Vorsicht, mit der solche Statistiken zu bewerten sind, weil sie bekanntermassen keine Beweise für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung liefern, darf man daraus wohl doch den Schluss ziehen, dass eine Low-carb-Ernährung jedenfalls nicht zwingend besonders gesund zu sein scheint. RBOL Mazidi M et al.: Lower carbohydrate diets and all-cause and cause-specific mortality: a population-based cohort study and pooling of prospective studies. Eur Heart J 2019; published online April 19, 2019. Prävention E-Zigaretten und Tabakerhitzer wohl kaum besser als Zigaretten Die Werbung für E-Zigaretten und Hochtemperatur-Tabakerhitzer suggeriert, dass diese in irgendeiner Weise «gesünder» sein könnten als klassische Zigaretten. Gegen einen gesundheitlichen Vorteil der neuen Zigarettenalternativen spricht eine Laborstudie, in der Bronchialzellen dem Rauch beziehungsweise Dampf von klassischen Zigaretten, E-Zigaretten und Hochtemperatur-Tabakerhitzern aus- gesetzt wurden. Das Ergebnis: Zellulär machte es in Bezug auf Toxizität keinen Unterschied, womit man die Zellen begaste. Die Autoren der Studie folgern, dass der Dampf beziehungsweise Rauch von Zigaretten, E-Zigaretten und Hochtemperatur-Tabakerhitzern in der Lunge in ähnlicher Weise oxidativen Stress, Entzündungsreaktionen und Remodelling induzieren dürften. Für den definitiven Nachweis solcher Effekt in vivo brauche es letztlich aber noch prospektive kli- nische Studien. RBO L Sohal SS et al.: IQOS exposure impairs human airway cell homeostasis: direct comparison with traditional cigarette and e-cigarette. ERJ Open Res 2019; 5: 00159-2018. Diabetes Bei SGLT2-Hemmern auf gute Hygiene achten Bis Januar 2019 gingen beim FDA-Nebenwirkungsregister FAERS (FDA Adverse Event Reporting System) 55 Meldungen zu Diabetikern mit nekrotisierender Fasziitis (Fournier-Gangrän) unter Behandlung mit SGLT2-Hemmern ein. Einige weitere Fälle wurden seitdem gemeldet. Der Zeitraum vom Beginn der Behandlung mit SGLT2-Hemmern bis zum Auftreten der Gangrän betrug im Mittel 9 Monate (5 Tage bis 49 Monate). Alle der bis Januar gemeldeten 55 Patienten hatten eine nekrotisierende Infektion im Bereich des Perineums (Vulva/Vagina, Skrotum, Gesäss). In Europa seien ähnliche Nebenwirkung bis anhin nicht bekannt, heisst es einem Blogeintrag der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Dennoch müsse man das Krankheitsbild kennen und an diese Möglichkeit denken, um sofort therapeutisch einzugreifen. Sonst könne es zu Todesfällen kommen. Wichtig sei es auch, insbesondere bei Adipösen oder Patienten, die nicht sehr gepflegt wirken und vermutlich nicht sehr auf ihre Hygiene achten, bei der Verordnung von SGLT2-Hemmer ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass wegen der Zuckerausscheidung im Urin auf eine besonders sorgfältige Genitalhygiene geachtet werden muss. RBO L Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, 17. Mai 2019: https://blog.endokrinologie. net/fournier-gangraen-sglt2-hemm 422 ARS MEDICI 12 | 2019 Infektiologie Neue Antibiotikatherapie in Sicht? Rückspiegel Im Labor synthetisiertes Lugdunin im Glaskolben (Foto: Universität Tübingen, Sebastian N. Wirtz) Wissenschaftler der Universitäten Tübingen und Göttingen haben den Wirkmechanismus der Fibupeptide, einer neuen Antibiotikaklasse, aufgedeckt. Möglicherweise könnte es Mikroben viel schwerer fallen, gegen Fibupeptide Resistenzen zu entwickeln als gegen herkömmliche Antibiotika. Fibupeptide werden vom Mikrobiom des Menschen selbst gebildet. Erst vor drei Jahren wurde der erste Vertreter diese Substanzklasse, das Lugdunin, entdeckt, benannt nach seiner Quelle, dem Bakterium Staphylococcus lugdunensis, das die Nasenschleimhaut besiedelt. Lugdunin wirkt im Labor unter anderem gegen methicillinresistente Staphylococcus aureus (MRSA). Nun wurden verschiedene Varianten des Lugdunins synthetisiert, getestet und der Wirkmechanismus wurde aufgeklärt. Demnach können Fibupeptide Wasserstoffionen durch die Bakterienmembran schleusen und so da- für sorgen, dass das Transmembranpotenzial zusammenbricht, wodurch das Bakterium ab- getötet wird. Die Transmembranspannung, die auf unterschiedlichen Ionenkonzentratio- nen innerhalb und ausserhalb des Bakteriums beruht, ist für die Mikrobe lebensnotwendig. Das Besondere an den Fibupeptiden ist, dass ihre Wirkung – anders als bei anderen antibio- tischen Peptiden – offenbar nicht von einer exakten räumlichen Wechselwirkung abhän- gig ist. Auch spiegelverkehrte Laborvarianten des Lugdunins funktionieren. Diese Eigen- schaft und die Tatsache, dass es bis anhin nicht möglich war, Resistenzen gegen das Lugdunin experimentell zu erzeugen, stim- men die Forscher hoffnungsvoll. Ob die neue Antibiotikaklasse aber auch tatsächlich kli- nisch eingesetzt werden kann, muss sich in präklinischen und klinischen Studien erst noch erweisen. RBO L Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 28. Mai 2019. Diabetes HbA1c-Empfehlungen für Patienten über 75 Jahre Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hat an ihrem Jahreskongress eine Reihe neuer Choosing-wisely-Empfehlungen formuliert, darunter auch eine zu den Zielwerten des HbA1c-Wertes bei älteren Diabetikern. Diese Zielwerte sollten ab einem Alter von 75 Jahren individuell gewählt werden, um Hypoglykämien und daraus folgende kognitive Probleme zu vermeiden. Ein HbA1c-Zielkorridor von 6,5 bis 7,5 Prozent ist demnach nur für fitte über 75-jährige Diabetiker anzustreben, die wenige Komorbiditäten sowie keine kognitiven oder funktionellen Einschränkungen aufweisen und mit einer Lebenserwartung von mehr als 15 Jahren rechnen dürfen. Ein HbA1c von unter 8,0 Prozent genügt hin- gegen für hochbetagte oder multimorbide Diabetiker beziehungsweise für Personen, die kognitiv oder funktionell leicht beeinträchtigt sind oder eine Lebenserwartung von unter 15 Jahren haben. Bei Patienten, die kognitiv stark beeinträch- tigt, pflegeabhängig oder funktionell stark eingeschränkt sind, liegt das HbA1c-Ziel unter 8,5 Prozent. RBO L Vom Tun und Bleibenlassen in der Inneren Medizin: 12 neue Choosing-wisely-Empfehlungen. Medscape, 10. Mai 2019. Vor 10 Jahren Mit Alzheimer «infiziert» Basler Forschern gelingt es, mittels Injektion von Tau-Protein in das Gehirn gesunder Mäuse eine ähnliche Aggregation der Filamente zu erzeugen wie in den transgenen Spendermäusen, die als «Alzheimer-Modell» gelten. Die Tau-Proteine breiten sich von alleine in den Gehirnen der zuvor gesunden Mäuse aus, sie sind quasi «infektiös». Die Pressestelle der Zeitschrift Nature verschickt daraufhin Medienmitteilungen, die auf den ersten Blick suggerieren, Alzheimer sei möglicherweise «ansteckend». Das ist zwar kompletter Unsinn, erregt aber Aufsehen – und gewaltigen Ärger bei den Basler Forschern, die eine derartige Schlagzeile niemals freigegeben hätten. Sie wurden von der Nature-Pressestelle aber erst gar nicht gefragt. Vor 50 Jahren Analgetikum gegen Migräne Spezifische Arzneimittel gegen Migräne sind kaum verfügbar. Man gibt Methysergid, zuweilen auch das Antiallergikum Cyproheptadin, das nicht nur an Histamin-, sondern auch Serotoninrezeptoren Wirkung entfaltet. Beide Substanzen haben erhebliche Nebenwirkungen. Nun versucht man es mit dem Analgetikum Dimetotiazin, doch auch das wird sich auf Dauer nicht bewähren. Vor 100 Jahren Kokain gegen Migräne Um Patienten mit schweren Migräneattacken zu helfen, die sämtliche Medikamente gleich wieder erbrechen, empfiehlt Prof. Alexander Pilcz aus Wien unter anderem die Einträufelung von Kokain in die Nase. Darüber hinaus rät er zu einer «energischen Karlsbader Kur» sowie zu Arsen-Eisen-Medikamenten. RBO L ARS MEDICI 12 | 2019