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Cochrane Library aktuell
Zusammenfassungen: Valérie Herzog; Herausgeber: Dr. med. Erik von Elm Cochrane Schweiz, swiss.cochrane@chuv.ch
Antibiotikaprophylaxe bei schwerer COPD
Das Interesse an einer prophylaktischen Antibiotikatherapie bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) zur Reduktion der Exazerbationshäufigkeit und zur Steigerung der Lebensqualität ist wieder erstarkt. Ob eine solche Prophylaxe in kontinuierlicher, intermittierender oder gepulster Form den erhofften Nutzen hat, analysierte ein systematischer Cochrane Review anhand von 14 randomisiert kontrollierten Studien (n = 3932). Die Studien dauerten 3 bis 36 Monate und schlossen Patienten mit einem durchschnittlichen Alter zwischen 65 und 72 Jahren mit meist mindestens mittelschwerer COPD ein. 9 Studien untersuchten eine kontinuierliche Makrolidtherapie, 2 Studien eine intermittierende antibiotische Prophylaxe (3 × pro Woche), 2 Studien eine gepulste Therapie (z.B. 5 Tage alle 8 Wochen), und 1 Studie umfasste 3 verschiedene Studienarme (kontinuierlich, intermittierend, gepulst). Die geprüften Antibiotika waren Azithromycin, Erythromycin, Clarithromycin, Doxycyclin, Roxithromycin sowie Moxifloxacin. Unter der Antibiotikaprophylaxe sank die Anzahl Patienten mit einer oder mehreren Exazerbationen (Odds Ratio [OR]: 0,57; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,42 bis 0,78; 8 Studien; moderate Evidenzqualität), in der Kontrollgruppe waren dies 61 Prozent der Patienten, in der Antibiotikagruppe 47 Prozent. Die «number needed to treat for an additional benefit» (NNTB) einer Antibiotikagabe zwischen 3 und 12 Monaten betrug dabei 8 (95%-KI: 5 bis 17). Die Exazerbationshäufigkeit pro Patient und Jahr wurde unter der Antibiotikaprophylaxe reduziert (Rate Ratio [RR]: 0,67; 95%-KI: 0,54 bis 0,83; 5 Studien; moderate Evidenzqualität). Auch die Zeitspanne bis zur ersten Exazerbation vergrösserte sich in vier Studien signifikant.
Die Lebensqualität, gemessen mit dem St. George’s Respira-
tory Questionnaire (SGRQ), stieg zwar statistisch signifikant
an, doch lag der Unterschied unter dem Schwellenwert von
4 Punkten für klinische Relevanz (Mean Difference [MD]:
−1,94; 95%-KI: −3,13 bis −0,75; 7 Studien; hohe Evidenz-
qualität). Bei sekundären Endpunkten wie Spitaleinweisungen,
forciertem Expirationsvolumen (FEV1), schweren Nebenwir-
kungen oder der Gesamtsterblichkeit wurde kein Unterschied
festgestellt. Nebenwirkungen wie Hörminderung traten unter
Azithromycin auf, gastrointestinale Nebenwirkungen ver-
mehrt unter Moxifloxacin, eine Verlängerung des QTc-Inter-
valls oder ein Tinnitus waren nicht signifikant häufiger als in
der Kontrollgruppe.
In Bezug auf die Reduktion von Exazerbationen ist eine kon-
tinuierliche oder intermittierende Antibiotikaprophylaxe mit
Makroliden bei dieser Patientengruppe demnach von Vorteil.
Die Wirkung einer gepulsten Therapie bleibt dabei jedoch
unklar. In Anbetracht des Resistenzproblems bei längerer
Anwendung und der spezifischen Nebenwirkungen sollte eine
prophylaktische Antibiose individuell abgewogen und die
Patienten auf mögliche Nebenwirkungen wie QTc-Anstieg,
Hörminderung und Tinnitus hin überwacht werden.
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Abkürzungen: OR = Odds Ratio; RR = Rate Ratio; KI = Konfidenzintervall; NNTB = Number Needed to Treat for an Additional Benefit; MD = Mean Difference
Quelle: Herath SC et al.: Prophylactic antibiotic therapy for chronic obstructive pulmonary disease (COPD). Cochrane Syst Rev 2018; 10: CD009764.
EXPERTENKOMMENTAR
Prof. Dr. med. Markus Solèr St. Claraspital 4016 Basel E-Mail: markus.soler@claraspital.ch
Die Rolle einer bakteriellen Kolonisation für die Entwicklung von akuten Exazerbationen bei COPD bleibt unklar. Andere Auslöser sind mit Sicherheit wichtiger! Die Studienevidenz belegt nach dieser Cochrane-Analyse, dass unter einer Antibiotikaprophylaxe die Häufigkeit der Exazerbationen und wohl auch deren Schweregrad bei fortgeschrittener COPD abnimmt. Dieser Effekt hält über die ersten 12 Monate der Prophylaxe an. Dieser Zeithorizont hat
allerdings «studientaktische» Gründe und wenig mit der reel-
len Lebenserwartung unserer COPD-Patienten zu tun. Die
Entwicklung von Resistenzen und substanzspezifischen
Nebenwirkungen ist nach einem Jahr mit Sicherheit nicht ab-
geschlossen! Diese Überlegungen und eine grundsätzliche
Tendenz zum sparsamen und gezielten Einsatz von Antibio-
tika lassen mich den Einsatz dieser Prophylaxe nur in selte-
nen Ausnahmefällen empfehlen.
Bei Patienten mit einer Bronchiektasen-Erkrankung und rezi-
divierenden Exazerbationen ist die Rolle der kolonisierenden
Bakterien viel grösser und eindeutiger. Die Evidenzlage zur
Antibiotikadauertherapie ist dort auch viel breiter abge-
stützt. Diese Patienten erfüllen die heutige, sehr weit gefasste
Definition der COPD auch. Vielleicht sollte bei häufig exa-
zerbierender COPD mit deutlicher, produktiver Bronchitis
öfter eine hochauflösende Computertomografie (HRCT) zur
Suche nach Bronchiektasen erwogen werden.
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ARS MEDICI 12 | 2019
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Graduierte Kompression zur Prävention der tiefen Beinvenenthrombose
Hospitalisierte Patienten, die aufgrund eines chirurgischen Eingriffs länger immobilisiert sind, haben ein erhöhtes Risiko für tiefe Venenthrombosen (TVT) in den unteren Gliedmassen und in den Beckenvenen. TVT können ihrerseits zu einer Lungenembolie führen. Kompressionsstrümpfe könnten bei hospitalisierten Patienten das TVT-Risiko senken. Inwieweit dies der Fall ist, wurde in einem Update eines systematischen Cochrane Reviews erneut überprüft. In die Auswertung kamen 20 randomisiert kontrollierte Studien: In 13 Studien wurden 1681 Patienten und in 7 Studien (n = 586) je ein Bein zum Tragen von Strümpfen beziehungsweise zur Kontrolle randomisiert. Davon untersuchten 19 Studien chirurgische Patienten und 1 Studie Patienten mit einer medizinischen Problematik (akuter Herzinfarkt). Graduierte Kompressionsstrümpfe mit unterschiedlichen Druckbereichen im Strumpf wurden den Patienten am Tag vor der Operation oder gleichentags angelegt. Diese wurden bis zur Spitalentlassung oder bis zum Erreichen der vollen Mobilität getragen. Das Follow-up dauerte 7 bis 14 Tage. In der Gruppe mit Kompressionsstrümpfen trat in 9 Prozent der Fälle eine TVT auf, in der Kontrollgruppe ohne Strümpfe bei 21 Prozent (Peto Odds Ratio [OR]: 0,35; 95%-KI: 0,28 bis 0,43; p < 0,001; 20 Studien; hohe Evidenzqualität). Die Inzidenz der proximalen TVT betrug 1 Prozent in der Gruppe mit Kompressionsstrümpfen und 5 Prozent in der Gruppe ohne Strümpfe (Peto OR: 0,26; 95%-KI: 0,13 bis 0,53; p < 0,001; 8 Studien; moderate Evidenzqualität). Eine Lungenembolie entwickelte sich bei 2 Prozent der Patienten mit Strümpfen und bei 5 Prozent in der Kontrollgruppe (Peto OR: 0,38; 95%-KI: 0,15 bis 0,96; p = 0,04; 5 Studien). Wegen der tiefen Ereignisrate von proximalen TVT und Lun- genembolie wurde der Qualitätsgrad jedoch herabgestuft. In einer Subgruppenanalyse wurden die chirurgischen Stu- dien für sich allein betrachtet. Dabei lag die Inzidenz für eine TVT mit Strümpfen bei 9,8 und ohne Strümpfe bei 21,1 Pro- zent (Peto OR: 0,35; 95%-KI: 0,28 bis 0,44; p < 0,001; 19 Studien; hohe Evidenzqualität). Die Inzidenz der proxi- malen TVT betrug 1,6 versus 6,4 Prozent (Peto OR: 0,26; 95%-KI: 0,13 bis 0,53; p < 0,001; 7 Studien; moderate Evi- denzqualität). Wegen tiefer Ereignisrate wurde die Evidenz für die proximale TVT heruntergestuft. In der Studie mit Patienten nach akutem Herzinfarkt kam es in der Gruppe mit Strümpfen zu keinem TVT-Fall und in der Gruppe ohne Strümpfe bei 10 Prozent (Peto OR: 0,12; 95%- KI: 0,03 bis 0,51; p = 0,004; 1 Studie, niedrige Evidenzquali- tät). Kein Patient entwickelte eine proximale TVT, die Inzi- denz einer Lungenembolie wurde nicht erhoben. Bei hospitalisierten Patienten nach einer Operation besteht demnach Evidenz von hoher Qualität dafür, dass graduierte Kompressionsstrümpfe das Risiko für die Entwicklung einer TVT reduzieren, mit oder ohne anderweitiger Thrombopro- phylaxe. Für die Senkung des Risikos einer proximalen TVT oder Lungenembolie ist die Evidenz für diese Massnahme dagegen moderat bis tief. L Abkürzungen: Peto OR = Odds Ratio; KI = Konfidenzintervall Quelle: Sachdeva A et al.: Graduated compression stockings for prevention of deep vein thrombosis. Cochrane Syst Rev 2018; 11: CD001484. Tranexamsäure bei Nasenbluten Nasenbluten beziehungsweise Epistaxis tritt häufig bei Kindern und alten Personen auf. Die meisten Episoden sind selbstlimitierend und können mit einfachen Mitteln wie manueller Kompression gestoppt werden. In schwereren Fällen braucht es eine Intervention, entweder mittels Nasentamponade oder Kauterisierung. Tranexamsäure als Antifibrinolytikum kann ebenfalls in bestimmten Fällen als zusätzliche blutstillende Massnahme angewendet werden. Welchen Effekt Tranexamsäure im Vergleich zu Plazebo, zu keiner zusätzlichen Intervention oder zu irgendeiner anderen hämostatischen Massnahme bei Patienten mit Nasenbluten hat, analysierte ein systematischer Cochrane Review. In die Auswertung wurden sechs randomisierte, kontrollierte Studien (n = 692) aufgenommen. Primärer Endpunkt war die Kontrolle der Epistaxis, definiert als Wiederauftreten von Nasenbluten innerhalb der folgenden 10 Tage. Für den Vergleich Tranexamsäure versus Plazebo dienten die Daten von drei Studien. Unter der oral applizierten Tranexamsäure trat eine Risikoreduktion von erneuten Blutungen von 69 auf 49 Prozent ein (Risk Ratio [RR]: 0,73; 95%-KI: 0,55 bis 0,96; 2 Studien, n = 157; moderate Evidenzqualität). Mit der topisch applizierten Tranexamsäure sank das Blutungsrisiko von 66 auf 43 Prozent (RR: 0,66; 95%-KI: 0,41 bis 1,05; 1 Studie, n = 68; geringe Evidenzqualität). Aufgrund der geringen Evidenzqualität mit nur einer Studie ist jedoch nicht klar, ob eine einmalige topische Applikation die Blutung in den nachfolgenden 10 Tagen tatsächlich stoppt. Die Hospitalisationsdauer war in einer Studie mit oraler Tranexamsäure versus Plazebo signifikant verkürzt (Mean Difference [MD]: −1,6 Tage; 95%-KI: −2,49 bis −0,71; n = 68), in einer zweiten Studie zeigte sich kein Unterschied (MD: 0,4 Tage; 95%-KI: −0,84 bis 1,64; n = 89). 440 ARS MEDICI 12 | 2019 Cochrane Library aktuell Zusammenfassungen: Valérie Herzog; Herausgeber: Dr. med. Erik von Elm Cochrane Schweiz, swiss.cochrane@chuv.ch Der sekundäre Endpunkt, Sistierung der Blutung in den ersten zehn Minuten, wurde bei 70 Prozent der Patienten nach der topischen Applikation erreicht, jedoch nach anderen hämostatischen Massnahmen (Epinephrin plus Lidocain oder Phenylephrin) nur bei 30 Prozent (RR: 2,35; 95-KI: 1,90 bis 2,92; 3 Studien, n = 460). Im Vergleich zu Plazebo zeigte die topische Applikation in einer weiteren Studie jedoch keinen Unterschied nach 30 Minuten (RR: 0,79; 95-KI: 0,56 bis 1,11; n = 68). Leichte Nebenwirkungen wie milde Übelkeit und Diarrhö oder schlechter Geschmack durch das Gel traten in den Studien in allen Gruppen gleich häufig auf. Schwere Nebenwirkungen wie Krampfanfälle oder thromboembolische Ereignisse wurden in den Studien nicht untersucht. Den Resultaten zufolge scheint das Risiko einer erneuten Blutung nach oraler oder topischer Anwendung der Trane- xamsäure kleiner zu sein als mit Plazebo oder Standardmass- nahmen. 3 der 6 randomisierten, kontrollierten Studien wurden je- doch vor 1995 durchgeführt. Seither haben sich die Techni- ken zur Blutstillung wie Verödung und Verfahren zur Nasentamponade weiterentwickelt, sodass neuere Studien den Nutzen der Tranexamsäure bewerten müssten. L Abkürzungen: MD = Mean Difference; RR = Risk Ratio; KI = Konfidenzintervall Quelle: Joseph J et al.: Tranexamic acid for patients with nasal haemorrhage (epistaxis). Cochrane Syst Rev 2018; 12: CD004328. Verlängerte Heparinprophylaxe über Spitalaufenthalt hinaus lohnt sich Bei grösseren Abdomen- oder beckenchirurgischen Eingriffen ist das Risiko für eine venöse Thromboembolie (VTE) erhöht. Die Verabreichung einer Thromboprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (LWMH) während des Spitalaufenthalts ist gut dokumentiert, doch die optimale Dauer der Verabreichung nach der Operation wird kontrovers diskutiert. Manche Studien kommen zum Schluss, dass eine Verlängerung der Verabreichung bis zu 28 Tagen nach der Operation für den Patienten einen Vorteil bringt. Ob eine Verabreichung von LWMH für mindestens 14 Tage nach Operation verglichen mit einer LWMH-Gabe nur während des Spitalaufenthalts wirksam und sicher zur Vorbeugung einer verspäteten VTE ist, prüfte ein systematischer Cochrane Review. Dazu wurden 7 randomisierte, kontrollierte Studien (n = 1728) mit verlängerter Thromboprophylaxe mit LWMH eingeschlossen. Die Resultate zeigten unter der verlängerten LWMH-Gabe nach einer abdominalen oder pelvinen Operation eine VTEInzidenz von 5,3 Prozent versus 13,2 Prozent in der Kontrollgruppe (Mantel Haenszel [M-H] Odds Ratio [OR]: 0,38; 95%-KI: 0,26 bis 0,54; moderate Evidenzqualität). Auch die Inzidenz aller tiefen Venenthrombosen (TVT) war unter der verlängerten LWMH-Gabe signifikant tiefer als in der Kontrollgruppe (M-H OR: 0,39; 95%-KI: 0,27 bis 0,55; mode- rate Evidenzqualität). Eine ähnliche Reduktion zeigte sich für die Inzidenz von proximalen TVT (M-H OR: 0,22; 95%-KI: 0,10 bis 0,47; moderate Evidenzqualität). Symptomatische VTE traten in der Gruppe mit verlängerter LWMH-Gabe zu 0,1 Prozent auf, während die Inzidenz in der Kontrollgruppe bei 1 Prozent lag (M-H OR: 0,30; 95%- KI: 0,08 bis 1,11; moderate Evidenzqualität). Bei der Inzi- denz von Blutungen kam es dagegen zu keinen Unterschieden zwischen den Gruppen (3,4 vs. 2,8%) (M-H OR: 1,10; 95%- KI: 0,67 bis 1,81; moderate Evidenzqualität). Eine über den Spitalaufenthalt hinausgehende Thrombopro- phylaxe mit LWMH von mindestens 14 Tagen senkt dem- nach das Risiko für VTE gegenüber einer auf den Spitalauf- enthalt beschränkten Verabreichungsdauer signifikant. Dies ohne die Blutungskomplikationen nach abdominalen oder beckenchirurgischen Eingriffen zu erhöhen. Das gilt auch, wenn nur das Auftreten einer proximalen TVT oder einer symptomatischen VTE betrachtet wird. L Abkürzungen: OR = Odds Ratio; KI = Konfidenzintervall Quelle: Felder S et al.: Prolonged thromboprophylaxis with low molecular weight heparin for abdominal or pelvic surgery. Cochrane Syst Rev 2018; 11: CD004318. ARS MEDICI 12 | 2019 441