Transkript
FORTBILDUNG
Idiopathische Lungenfibrose
Pirfenidon auch bei fortgeschrittener Erkrankung wirksam
Die idiopathische pulmonale Fibrose (IPF) wird heute verstanden als Form einer chronisch progredienten, fibrosierenden interstitiellen Pneumonie mit unbekannter Ursache. Internationale Leitlinien geben Empfehlungen zu Diagnose und Therapie. Dennoch werden (zu) viele IPF-Patienten nicht ausreichend medikamentös behandelt.
Respiration
Kürzlich sind die internationalen Leitlinien zur Diagnostik bei Verdacht auf IPF aktualisiert worden (1). Die Diagnose stützt sich neben der klinischen Symptomatik auf den Nachweis einer gewöhnlichen interstitiellen Pneumonie (usual interstitional pneumonia, UIP). Dieser kann mittels hochauflösender Computertomografie (high resolution computer tomography, HRCT) oder durch die Histopathologie einer bioptisch gewonnenen Lungenprobe erfolgen. Ist der HRCTBefund für eine UIP eindeutig, und können andere Ursachen (entzündliche rheumatische Erkrankungen, toxische Lungenschädigung) ausgeschlossen werden, kann die IPF-Diagnose gestellt werden. Erst bei nicht eindeutigem Befund kommt eine offene Lungenbiopsie infrage. Angesichts der Risiken des Eingriffs spricht sich die Leitlinie allerdings nur mit Vorbehalt dafür aus, da die Evidenz nicht ausreicht.
von einer langsamen physiologischen Verschlechterung mit Zunahme der Dyspnoe bis zur raschen Verschlechterung und Progression zum Tod, können aber auch Zeiträume mit relativer Stabilität umfassen, unterbrochen von Perioden akuter respiratorischer Verschlechterung mit Hospitalisation wegen Atemversagens. Die Leitlinien sprechen sich aufgrund der Evidenz eindeutig gegen oder bedingt für gewisse Therapien aus. Starke Empfehlungen gegen den Einsatz bei IPF gibt es für Antikoagulation, Imatinib, eine Kombinationstherapie aus Prednison, Azathioprin und N-Acetylcystein sowie Ambrisentan. Bedingte Empfehlungen für den Einsatz geben die Leitlinien hingegen für die antifibrotische Therapie mit Pirfenidon (Esbriet®) und Nintedanib (Ovef®). Die entsprechenden Empfehlungen weisen jedoch, basierend auf der Evidenz aus klinischen Studien, keiner Substanz eine Präferenz zu.
Sehr unterschiedliche individuelle Verläufe bei IPF
Die Leitlinien zur Therapie bei IPF sind demgegenüber etwas älter, sie stammen aus dem Jahr 2015 (2). Jede Entscheidung zur Therapie wird vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher individueller Verläufe bei IPF getroffen. Diese reichen
MERKSÄTZE
Die Verläufe bei IPF reichen von einer langsamen physiologischen Verschlechterung bis zur raschen Verschlechterung und Progression zum Tod. Es können aber auch Zeiträume mit relativer Stabilität vorkommen, unterbrochen von Perioden akuter respiratorischer Verschlechterung mit Hospitalisation wegen Atemversagens.
Zwar empfehlen die aktuellen Leitlinien bei etablierter IPF eine Therapie mit Antifibrotika, dennoch erhält nur ein Teil (ca. 60%) der Betroffenen eine solche Medikation.
In einer Erhebung bei Pneumologen und IPF-Patienten massen die Patienten der Verlangsamung der Krankheitsprogression mehr Bedeutung zu als den Medikamentennebenwirkungen, und die Ärzte beurteilten die Erfolgsaussichten der antifibrotischen Medikation zurückhaltender.
Pirfenidon stabilisiert die Abnahme der Lungenfunktion auch im fortgeschrittenen Stadium
In Phase-III-Studien hatte Pirfenidon eine signifikante Wirksamkeit bei akzeptablem Nebenwirkungsprofil bei leichter bis mittelschwerer IPF gezeigt. Bei fortgeschrittener Erkrankung ist die Datenlage hingegen beschränkt, da solche Patienten in den Studien ausgeschlossen worden waren. Eine retrospektive Studie hat sich daher der Frage gewidmet, ob Pirfenidon auch bei fortgeschrittener IPF wirksam und sicher ist (3). Ausgewertet wurden die klinischen Daten von 138 IPF-Patienten, bei denen die Erkrankung in 27 Prozent der Fälle als fortgeschritten eingestuft wurde. Eine fortgeschrittene IPF wurde definiert als forcierte Vitalkapazität (FVC) < 50 Prozent des Sollwerts oder als Kohlenmonoxiddiffusionskapazität < 30 Prozent des Sollwerts. Die mittlere Behandlungsdauer betrug 51,3 Wochen, eine Lungenfunktionsprüfung erfolgte bei 81 Patienten. Die Veränderungen der FVC und der totalen Lungenkapazität (TLC) waren nach 6 Monaten sowohl in der Gruppe mit fortgeschrittener als auch in der Gruppe mit nicht fortgeschrittener IPF signifikant reduziert. Die Abnahme der FVC und der TLC war vor der Therapie signifikant, nicht jedoch nach Behandlung, und zwar in beiden Gruppen. Die Gruppe mit fortgeschrittener Erkrankung zeigte eine insgesamt ähnliche Nebenwirkungsrate, schwerere Nebenwirkungen waren jedoch signifikant
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häufiger (40,5% vs. 10,9%; p < 0,001), inklusive Todesfall (24,3% vs. 5,0%; p = 0,002). Diesen Unterschied erklären die Autoren jedoch mit der Schwere der Grunderkrankung. In dieser Beobachtungsstudie war Pirfenidon somit in der Lage, die Abnahme der Lungenfunktion auch bei Patienten mit fortgeschrittener IPF zu stabilisieren. Die Raten der Abnahme sowohl der Lungenfunktion als auch der Krankheitsprogression wurden durch die Therapie signifikant gesenkt und verhielten sich in der Gruppe mit fortgeschrittener IPF ähnlich wie in derjenigen mit nicht fortgeschrittener Lungenfibrose. Dieses Ergebnis steht auch in Übereinstimmung mit einer offenen Phase-II-Studie sowie mit einer kleineren retrospektiven Beobachtungsstudie und Postmarketing-Surveillance-Daten. Ein begleitendes Editorial hebt die Tatsache hervor, dass in der retrospektiven Datenauswertung bei Therapie mit Pirfenidon keine neuen Nebenwirkungen beobachtet wurden (4). Ebenfalls von Bedeutung dürfte die Beobachtung sein, dass es in der Gruppe mit fortgeschrittener IPF Hinweise auf eine geringere Medikationsverträglichkeit gab. Dies betraf beispielsweise ein höheres Risiko für Nebenwirkungen wie Anorexie und Obstipation, die auch rascher auftraten und zu häufigeren Dosisreduktionen, Behandlungsunterbrüchen oder zum Absetzen von Pirfenidon führten. Ausserdem lässt die vergleichbare Effektivität von Pirfenidon in beiden Schweregradgruppen einen ähnlichen Behandlungsnutzen vermuten. Dies unter der Annahme, dass sich die Verlangsamung der FVC-Abnahme in einer Reduktion der Symptome, einer Verbesserung der Lebensqualität und/oder der Verminderung der Mortalität bei Patienten mit fortgeschrittener IPF niederschlägt.
Warum erhalten nicht alle IPF-Patienten ein Antifibrotikum?
Zwar empfehlen die aktuellen Leitlinien bei etablierter IPF eine Therapie mit Antifibrotika, dennoch erhält nur ein Teil (ca. 60%) der Betroffenen eine solche Medikation. Neue Evidenz aus Post-hoc-Analysen spricht für einen frühen Beginn einer antifibrotischen Therapie ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung mit dem Ziel, den Verlust an Lungenfunktion zu vermindern und die Progression der Erkrankung zu verlangsamen. Eine mittels elektronischer Fragebögen und direkter Interviews durchgeführte Untersuchung bei Lungenspezialisten und IPF-Patienten hat versucht, die Gründe zu eruieren, weshalb eine deutliche Minderheit der Betroffenen gar keine oder erst verspätet eine Behandlung mit Antifibrotika bekommt (5). Insbesondere interessierte auch die Frage, ob Unterschiede bestehen zwischen Pneumologen, die Antifibrotika innert der ersten 4 Monate nach Diagnosestellung verschreiben, und solchen, die ein abwartendes Vorgehen (watch and wait) bevorzugen. Von den Lungenspezialisten (24% Frauen) aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Grossbritannien nahmen 61 an einem Interview teil, und 287 füllten Online-Fragebögen aus. Von ihnen teilten die Autoren 46 Prozent einer Gruppe A zu, definiert als diejenigen, die mindestens die Hälfte der IPF-Patienten nach Diagnosestellung für mindestens 4 Monate nur überwachten, bevor sie eine antifibrotische Therapie begannen. 54 Prozent wurden einer Gruppe B zugeteilt, die eine Behandlung schon innert
der ersten 4 Monate initiierten. Alter und Geschlechtsverteilung sowie der Anteil der an spezialisierten Zentren tätigen Pneumologen waren in den beiden Gruppen vergleichbar. Demgegenüber sahen Lungenärzte in Gruppe A signifikant weniger schwerere IPF-Fälle. Von den erfassten IPF-Patienten (72% Männer) durchliefen 68 ein Interview, und 60 füllten Fragebögen aus. Alle Patienten hatten eine antifibrotische Behandlung erhalten (73% Pirfenidon; 18% Nintedanib; 8% zuerst Pirfenidon, dann Wechsel auf Nintedanib). Zum Zeitpunkt der Umfrage erhielten noch 77 Prozent der Patienten ein Antifibrotikum, der Rest hatte die Behandlung gestoppt.
Patienten wollen zu Diagnose und Prognose klarere Informationen
Sowohl hinsichtlich des Umgangs mit der Diagnose mit ihrer infausten Prognose als auch der Therapie äusserten Lungenärzte und Patienten beziehungsweise ihre Angehörigen unterschiedliche Einschätzungen und Erwartungen. Signifikant mehr Ärzte mit vielen IPF-Patienten, verglichen mit ihren Kollegen, die eine geringere Falllast trugen (60% vs. 4%; p < 0,05), diskutierten über die Prognose schon zum Zeitpunkt der Diagnose. Pneumologen der Gruppe A fühlten sich mit ihren Angaben bei der Patientenaufklärung über die Prognose weniger oft wohl als diejenigen der Gruppe B (22% vs. 33%). Ein beträchtlicher Anteil der Ärzte (40%) vermied es, die typische Prognose oder die Lebenserwartung bei IPF zu erwähnen, selbst wenn ein Patient danach fragte. Auch dies war in Gruppe A häufiger der Fall. In den Interviews kamen auch qualitative Aspekte zur Sprache: L «Meine Herangehensweise ist so, dass ich die Diagnose
nicht bestätige, aber versuche, den Patienten wissen zu lassen, dass er eine schwere Krankheit hat, ohne ihn zu verängstigen.» L «Wenn ich einem Patienten oder seiner Familie direkt nach der Mitteilung, dass er eine tödliche Krankheit hat, erkläre, dass ich mit der Behandlung lieber noch zuwarten möchte, denken diese, dass ich verrückt bin.» L «Manchmal habe ich das Gefühl, dass mit Therapien nur wenig erreicht werden kann, aber es ist schwierig, nicht etwas anzubieten.» Von den IPF-Patienten gaben 45 Prozent an, über ihre Diagnose an einem Spezialzentrum oder einer Universitätsklinik unterrichtet worden zu sein. Andere Ärzte waren seltener Quelle dieser Information (Hausärzte 10%). Die Mehrheit (77%) hatte vorher noch nie von dieser Krankheit gehört. 40 Prozent gaben an, dass sie zum Zeitpunkt der Diagnose von den Ärzten nicht genügend Informationen erhalten hätten. 57 Prozent erinnerten sich, dass man ihnen sagte, die Erkrankung verlaufe fortschreitend, 43 Prozent auch daran, dass die Prognose respektive die Auswirkungen auf ihr Leben erwähnt worden seien. Die Mehrheit erhielt im weiteren Verlauf Informationen über Behandlungsmöglichkeiten – diejenigen mit frühem Behandlungsbeginn früher, die anderen erst Monate später. In den Interviews brachten die Betroffenen ihre Frustration über den Informationsmangel oft zur Sprache: L «Die Ärzte sollten viel ehrlicher sein, Schönreden bringt nichts … Sie geben keine klaren, ehrlichen, offenen Antworten, die man wirklich verstehen kann.»
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L «Ich erinnere mich, dass ich im Internet gesucht habe und glaubte, dass ich wahrscheinlich bis nächste Woche tot sein würde. Am Anfang, wenn man so wenig weiss, kann es sehr beängstigend sein.»
Die meisten Patienten (90%) zogen es vor, Informationen über IPF von ihren Ärzten zu erhalten. Immerhin 70 Prozent suchten aber auch selbst nach Informationen, zum Beispiel bei Google oder anderen Internetsuchmaschinen, in OnlinePatientenforen oder anderen Online-Quellen.
Ärzte beurteilen Therapie zurückhaltender
In Gruppe A stimmten signifikant weniger Ärzte den Aussagen zugunsten einer frühzeitigen Behandlung mit Antifibrotika zu. Insgesamt äusserten 23 Prozent der Pneumologen die Ansicht, dass die Nebenwirkungen der pharmakologischen Therapie grössere Bedeutung hätten als die Risiken der IPFProgression. Diese Meinung wurde in Gruppe A signifikant häufiger vertreten als in Gruppe B. Rund die Hälfte der Ärzte gab als Grund für den Verzicht auf eine antifibrotische Therapie stabile Erkrankung, gute Lungenfunktion oder asymptomatische Erkrankung an. Andere Gründe, keine medikamentöse Behandlung zu beginnen, waren Unklarheit bei der Diagnose, höheres Alter, Begleiterkrankungen, Kosten der Behandlung oder Probleme der Kostenübernahme. 42 Prozent der Patienten gaben an, dass ihnen bei Diagnoseeröffnung eine Pharmakotherapie angeboten wurde, aber nur 10 Prozent begannen auch gleich mit einer solchen Behandlung, weitere 25 Prozent innert der folgenden 4 Monate.
Einige Patienten erklärten im Interview, dass sie sich ge-
wünscht hätten, die Behandlung wäre früher begonnen wor-
den. Bemerkenswerterweise sagten 87 Prozent der Patienten,
dass sie eine Verlangsamung des Fortschreitens der IPF für
wichtiger hielten als die potenziellen Nebenwirkungen der
Medikamente. Die Patienten unter antifibrotischer Behand-
lung waren überwiegend (85%) zuversichtlich, mit den
Nebenwirkungen umgehen zu können, und 63 Prozent be-
zeichneten die Behandlung mit Antifibrotika als «gute» oder
«sehr gute» Erfahrung.
L
Halid Bas
Quellen: 1. Raghu G et al.: Diagnosis of idiopathic pulmonary fibrosis. An official
ATS/ERS/JRS/ALAT clinical practice guideline. Am J Respir Crit Care Med 2018; 198(5): e44–e68. 2. Raghu G et al.: An official ATS/ERS/JRS/ALAT clinical practice guideline: treatment of idiopathic pulmonary fibrosis. An update of the 2011 clinical practice guideline. Am J Respir Crit Care Med 2015; 192(2): e3–e19. 3. Yoon HY et al.: Efficacy and safety of pirfenidone in advanced idiopathic pulmonary fibrosis. Respiration 2019; 97(3): 242–251. 4. Guler SA et al.: Antifibrotics: shrinking the box of therapeutic uncertainty. Respiration 2019; 97(3): 202–204. 5. Maher TM et al.: Identifying barriers to idiopathic pulmonary fibrosis treatment: a survey of patient and physician views. Respiration 2018; 96(6): 514–524.
Interessenlage: Yoon HY und Mitautoren deklarieren keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit ihrer Studie.
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