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Allergo Update 2019
Atopische Dermatitis
Empfehlungen zur Therapie im Säuglingsalter
10 bis 20 Prozent der Kinder leiden unter atopischer Dermatitis. Sie beginnt in der Regel nach dem zweiten Lebensmonat, und bei 60 Prozent der erkrankten Kinder beginnt sie im ersten Lebensjahr. An einem Workshop am PraxisUpdate in Bern erläuterte Dr. med. Christina Bürgler die aktuellen Empfehlungen zur Behandlung dieser Kinder in der Praxis.
Im eigentlichen Sinn «heilen» kann man eine atopische Dermatitis (AD) bis heute nicht, aber man kann sie gut kontrollieren. Eine frühzeitige, gute Behandlung lindere nicht nur die akuten Beschwerden, sondern sie vermindere auch das Risiko der Entwicklung von allergischen Erkrankungen, des sogenannten «atopic march», und sie erhöhe die Chance auf eine Remission, sagte Dr. Christina Bürgler vom Inselspital Bern: «Ziel ist nicht Heilung, sondern Kontrolle!» Es sei sehr wichtig, dies den Eltern gut zu erklären und ihnen die zentrale Bedeutung einer langfristigen, regelmässigen Hautpflege sowie der gegebenenfalls notwendigen antientzündlichen Behandlung zu vermitteln. Im Wesentlichen geht es dabei um folgende Punkte: • Bei einer AD ist die Hautbarriere gestört, die Haut ist
durchlässiger und trocknet aus. Sowohl Umweltfaktoren als auch die Genetik spielen dabei eine Rolle.
Kasten 1:
Feucht-fette Verbände
Feucht-fette Verbände (sogenannte «wet wraps») sind sehr gut zur Intensivierung der Rückfettung geeignet. Darüber hinaus kühlen sie und reduzieren so den Juckreiz: 1. Pflegelotion oder -creme auftragen. 2. Darüber einen feuchten Verband ziehen (Schlauchverband Tubi-
fast® 2-Way Stretch®): Den Verband dafür in Wasser legen und dann ausdrücken. 3. Darüber einen trockenen Verband anlegen (ebenfalls mit Schlauchverband). Feucht-fette Verbände kann man an Armen, Beinen und am Körper anlegen, den Schlauchverband gibt es in verschiedenen Grössen zum Zurechtschneiden. Bei Säuglingen sollte man den Verband nicht an mehreren Stellen gleichzeitig anlegen (Unterkühlung!). Ein feucht-fetter Verband sollte mindestens eine Stunde verbleiben und wird spätestens dann abgenommen, wenn er trocken ist. Als praktischen Tipp kann man den Eltern beispielsweise raten, den Verband vormittags an den Armen zu machen und nachmittags, nach dem Wickeln, an den Beinen oder am Körper.
• Eine Nahrungsmittelallergie ist daher keine Ursache einer AD, obwohl viele Eltern das glauben; falsche Vorstellungen führen oft zu unnötigen Diäten. Vielmehr verhält es sich andersherum: Die AD erhöht das Risiko, eine Nahrungsmittelallergie oder andere Allergien zu entwickeln.
• Bei therapieresistenter, schwerer AD ist jedoch eine allergologische Abklärung gerechtfertigt (Prick-Test/spezifische IgE bezüglich Kuhmilch, Hühnerei, Erdnuss, Soja, Nüssen, Fisch; evtl. Auslassversuch/Provokationstest). Keinesfalls sollte man ohne klinisch relevanten Anlass «einfach einmal testen», weil positive Resultate ohne klinische Relevanz in die Irre führen.
• Es gibt AD-Trigger, auf die zu achten ist (z.B. Hitze oder Kälte, Schweiss, kratzige Kleidung, Stress usw.).
• Die Impfungen erfolgen auch bei Kindern mit AD gemäss Schweizer Impfplan; die Impfungen erhöhen das Risiko einer AD nicht und verschlechtern sie auch nicht.
• Ziel der Behandlung ist es, die Hautbarriere zu unterstützen sowie Entzündungen und Juckreiz zu stoppen.
• Bei 50 bis 60 Prozent der betroffenen Kinder verschwindet die AD bis zum Alter von 12 Jahren, aber das Risiko für den «atopic march» besteht weiter.
Sehr hilfreich sind Schulungen der Stiftung aha! Allergiezentrum Schweiz, die für Eltern und Patienten angeboten werden, sowie die Infobroschüren der Stiftung, die man in der Praxis auflegen beziehungsweise den Betroffenen abgeben kann.
Basis ist eine gute Hautpflege
Basis jeglicher AD-Therapie ist die regelmässige, intensive Hautpflege. Das Rückfetten kann die gestörte Hautbarriere zumindest teilweise ausgleichen. Man muss mindestens ein Mal pro Tag gut eincremen, je nach Trockenheit der Haut kann das auch alle vier Stunden nötig sein. Pro Woche braucht man für einen Säugling zirka 100 bis 120 Gramm Pflegelotion oder -creme. Am besten wird direkt nach dem Baden eingecremt, weil die Haut dann noch ein wenig feucht und aufgequollen ist, sodass sie die Rückfettung besser aufnimmt. Besonders empfahl die Referentin feucht-fette Verbände (siehe Kasten 1): «Gutes Rückfetten hat auch einen steroidsparenden Effekt», sagte Bürgler. Wenn die Haut stark entzündet ist, wird das
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Rückfetten oft schlecht vertragen: «Mit Hautpflege allein geht es nicht, es braucht bei atopischer Dermatitis eben auch eine entzündungshemmende Therapie.» Die zur Rückfettung verwendete Lotion oder Creme sollte Feuchthaltemittel enthalten, wie Milchsäure oder Glycerin. Aufgrund der Erfahrungen in der AD-Sprechstunde am Inselspital Bern nannte die Referentin folgende Produktbeispiele: Antidry® Lotion, Dexeryl® Creme, Lipikar Baume AP+® (Körperbalsam oder Stift) sowie XeraCalm Avène. Antidry® und Dexeryl® stehen auf der Spezialitätenliste (SL) und werden mit einer Limitatio von der Krankenkasse bezahlt. Man sollte die Eltern verschiedene Produkte ausprobieren lassen, riet die Referentin, denn das steigere die Compliance. Auf keinen Fall sollten die Pflegeprodukte Duft- und Farbstoffe oder Nahrungsmittelbestandteile enthalten, weil diese Substanzen wegen der gestörten Hautbarriere leicht eindringen und zu einer Sensibilisierung führen können. Aus diesem Grund riet die Referentin auch von wollfetthaltigen Produkten (Lanolin) und Produkten mit pflanzlichen Inhaltsstoffen ab. Auch sollten die Pflegeprodukte für Kinder keinen Harnstoff (Urea) enthalten, insbesondere bei Kindern unter einem Jahr. Der Harnstoff brennt auf der Kinderhaut, und bei Säuglingen wurden Nierenfunktionsstörungen im Zusammenhang mit harnstoffhaltiger Hautpflege beschrieben.
Tägliches Pflegebad
Während man früher bei AD generell vom häufigen Baden und Duschen abriet, sieht das heute anders aus: Kinder mit AD sollten täglich kurz (5–10 Minuten) und nicht zu heiss (27–30 °C) baden. Als Badezusatz sind Öle (z.B. Antidry® bath oder Excipial Badeöl) oder Syndets zu verwenden, aber weder Seife noch Gel oder Schaum. Nach dem Baden wird die Haut trocken getupft (nicht reiben!) und dann eingecremt. Wenn die Haut gelblich verkrustet ist, was auf eine sekundäre bakterielle Infektion hinweist, kann man dem Bad auch einmal desinfizierende Substanzen zusetzen (Triclosan: Procutol® Haut Waschlotion).
Gegen den Juckreiz
Die bereits genannten feucht-fetten Verbände helfen gut gegen den Juckreiz. Hilfreich kann auch Thermalwasserspray (Avène) sein; das fein verteilte Wasser kühlt und lindert den Juckreiz. Ein ebenso einfacher wie wirkungsvoller Tipp ist, die Pflegelotion gekühlt zu verwenden (in den Kühlschrank stellen). Antihistaminika (Feniallerg® Tropfen) haben bei Säuglingen mit AD einen sehr guten Effekt auf den Juckreiz, auch wenn in Studien mit Erwachsenen kein Wirksamkeitsnachweis von Antihistaminika auf den Juckreiz erbracht werden konnte, so Bürgler. Man kann sie eher am Abend geben, um so die bekannte Nebenwirkung Müdigkeit zu nutzen, um den Schlaf zu verbessern.
Antientzündliche Therapie
Topische Steroide sind hier im Allgemeinen die erste Wahl (an Kopf, Genital und Intertrigines nur kurz anwenden). KlasseI-Steroide sollen nicht eingesetzt werden. Ihre Wirksamkeit ist gering, sie werden stark resorbiert und führen rasch zu einer Tachyphylaxie, erläuterte Bürgler.
In den europäischen Guidelines (siehe Infotipp) werden bei mildem, transientem Ekzem Klasse-II-Steroide empfohlen, bei mittelschwerem Ekzem Klasse-II- oder Klasse-III-Steroide. Am Inselspital verwende man jedoch fast immer Klasse-IIISteroide, auch bei Säuglingen (off-label) und bei schwerem Ekzem auch am Kopf, dort jedoch nur kurzzeitig (z.B. 3 Tage) mit einem raschen Wechsel zu Calcineurininhibitoren. «Wir wollen eine rasche und gute Kontrolle des Ekzems erreichen, um dann die Frequenz der Steroidanwendung zu reduzieren oder auf topische Calcineurininhibitoren zu wechseln», sagte die Referentin. Überdies führe eine rasche Ekzemkontrolle auch langfristig zu einer besseren Kontrolle der Beschwerden. Die initiale Anwendung der Steroide erfolgt ein Mal täglich, die Dauer von meist 3 bis 7 Tagen ist abhängig vom Schweregrad des Ekzems und seiner Lokalisation. Dann erfolgt entweder der Wechsel von Klasse-III- auf Klasse-II-Steroide (eher selten) oder (meist) auf topische Calcineurininhibitoren (s. unten) beziehungsweise die Verlängerung der Steroidintervalle (z.B. nur noch jeden 2. Tag oder drei Mal pro Woche, bis das Ekzem abgeheilt ist). Regelmässige klinische Kontrollen sind wichtig, um den Therapieerfolg zu beurteilen und die Behandlung anzupassen. Von den topischen Steroiden sollte nicht zu viel, aber auch – aus Angst vor Nebenwirkungen – nicht zu wenig verwendet werden. Je nach Patientenalter und Schweregrad des Ekzems sind die Kontrollen engmaschig zu planen (z.B. bereits nach einer Woche). Bei akutem Ekzem sollte man keine Salbe, sondern Creme verwenden, weil Salben hier zu okklusiv sind. Als topische Steroide kommen beispielsweise Advantan® Crème (Methylprednisolon), Monovo® (Mometason), Ovixan® Creme (Mometason) oder Prednitop® Creme (Prednicarbat) infrage. Bei allen topischen Anwendungen ist eine ausreichende Menge Creme entscheidend (Kasten 2). Von einer systemischen Steroidgabe riet Bürgler ab, auch weil diese nach dem Absetzen häufig zu einem Rebound führt. Systemische Steroide kommen nur in ganz seltenen Ausnahmefällen infrage, etwa wenn die Eltern nicht in der Lage sind, eine topische Therapie zu gewährleisten. Ansonsten sei die topische Steroidtherapie bei AD genauso wirksam wie eine systemische. Bei therapieresistenten Fällen riet Bürgler dazu, einen Spezialisten hinzuziehen (siehe auch Kasten 3). Topische Calcineurininhibitoren (Pimecrolimus: Elidel® Creme 0,1%; Tacrolimus: Protopic® Salbe 0,03%; beide offlabel unter 2 Jahren) haben eine gute antientzündliche Wirkung. Ein Vorteil gegenüber den topischen Steroiden ist, dass Calcineurininhibitoren keine Hautatrophie verursachen, was sie zur First-Line-Empfehlung für die Anwendung im Gesicht, am Genital und in den Intertrigines macht. Man sollte die Eltern vorab darüber informieren, dass lokale Nebenwirkungen (Brennen, rote Haut) möglich seien, diese jedoch nur vorübergehend aufträten, riet Bürgler. Sie betonte, dass Calcineurininhibitoren «ein exzellentes Sicherheitsprofil» haben. Im Jahr 2005 publizierte die FDA einen Warnhinweis, dass man aufgrund mangelnder Daten ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Lymphome nicht ausschliessen könne. Dieser Verdacht wurde zwar mittlerweile durch mehrere Langzeitstudien widerlegt, aber bekanntermassen vergesse das Internet nichts, sodass Eltern beunruhigt sein könnten, wenn sie beim Googeln auf diesen alten Warnhinweis stossen, so Bürgler.
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Kasten 2:
Topische Therapie – die richtige Menge
Die erforderliche Menge wird in «fingertip units» (FTU) gemessen: 1 FTU ist ein Cremestrang, der so lang ist wie das oberste Fingerglied am Zeigefinger. Diese Menge ergibt einen dünnen, gleichmässigen Auftrag, wobei 1 FTU die Fläche von 2 Handflächen eines Erwachsenen bedeckt.
Kopf Stamm Arm Bein
Alter 3–6 Monate
1 FTU 1 FTU vorn, 1,5 FTU Rücken 1 FTU 1,5 FTU
Alter 1–2 Jahre
1,5 FTU 2 FTU vorn, 3 FTU Rücken 1,5 FTU 2 FTU
Nach: Eichenfield L et al.: Translating atopic dermatitis management guidelines into practice for primary care providers. Pediatrics 2015; 136 (3): 554–565.
Proaktive Therapie
Auch wenn das Ekzem gut abgeheilt ist, sollte man die Eltern weiterhin auf die immer noch notwendige Hautpflege und die präventive Therapie hinweisen und das Kind immer wieder zu Kontrollterminen einbestellen, denn «der nächste Schub kommt bestimmt». Während man früher erst bei erneutem Ekzem wieder behandelte, empfiehlt man heute die sogenannte proaktive Therapie, welche die klinische Kontrolle verbessert und den Steroidbedarf langfristig vermindert.
Proaktive Therapie bedeutet, dass man – neben der stets nötigen rückfettenden Hautpflege – die antientzündliche topische Therapie an den Hautstellen, an denen die Ekzeme immer wieder auftreten, auch nach der Abheilung fortsetzt, aber mit niedrigerer, individuell angepasster Anwendungsfrequenz. Dies kann zum Beispiel bedeuten, mit topischen Steroiden oder Calcineurininhibitoren noch zwei Mal pro Woche für einige Wochen weiter zu behandeln.
Spezialkleidung
Für Kinder mit AD wird spezielle Kleidung angeboten, zum
Beispiel DermaSilk® (Seide mit antimikrobieller Beschich-
tung, die Krankenkasse übernimmt 2 Sets pro Kalenderjahr).
In den erwähnten europäischen Guidelines steht zwar, dass
der Nutzen dieser Kleidung nicht belegt sei, dies löste jedoch
eine heftige Diskussion unter Fachleuten aus, welche diese
Massnahme aufgrund guter klinischer Erfahrung und einiger
Studien trotzdem empfehlen.
Eine weitere Option sind sogenannte Skinnies, nahtlose Klei-
dung, damit die Nähte nicht auf der Haut reiben. Eine preis-
werte Alternative ist es, dem Kind die Kleidung einfach links
herum (inside out) anzuziehen. Nicht vergessen sollte man
auch, bei der Kleidung immer die Wäscheetiketten sorgfältig
abzuschneiden oder herauszutrennen.
L
Renate Bonifer
Quelle: Workshop «Atopische Dermatitis beim Säugling: aktuelle Empfehlungen» am PraxisUpdate Bern, 7. März 2019.