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FORTBILDUNG
Serologie nach jedem Zeckenstich?
Praxisfragen zu Borreliose und FSME
Mittlerweile gilt fast die ganze Schweiz als FSME-Risikogebiet, noch häufiger ist die Borreliose. Darum stellen sich in der Praxis häufig Fragen, wie nach einem Zeckenstich verfahren werden soll.
Frank Dressler
Frage 1: In welchen Fällen und nach welcher Zeit nach einem Zeckenstich ist eine serologische Diagnostik bezüglich einer Borreliose sinnvoll? Eine serologische Diagnostik nach Zeckenstich ist bei asymptomatischen Patienten in der Regel nicht sinnvoll. Borrelienserologien haben auch in guten Labors eine Spezifität von 95 Prozent, sind also in 5 Prozent der Fälle falschpositiv oder falschnegativ. Unangemessen durchgeführte Borrelienserologien führen also mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Fehldiagnosen und verursachen so hohe Kosten. Welche Ausnahme ist nun denkbar? Bei einer klinisch atypischen Wanderröte mit Pusteln kann eventuell eine Serologie mehr als 6 bis 8 Wochen nach dem Zeckenstich sinnvoll sein. Ähnlich wie bereits oben angemerkt erscheint mir am wichtigsten, dass eine genügend hohe Prätestwahrscheinlichkeit für eine Borreliose vorliegt und nicht unkritisch bei jedem Patienten mit unspezifischen Hauterscheinungen oder Kopfschmerzen eine Borrelienserologie erfolgt.
Frage 2: Welchen Stellenwert hat die einmalige Gabe von Doxycyclin 200 mg nach einem Zeckenstich? Die einmalige Gabe von 200 mg Doxycyclin an Erwachsene in nordamerikanischen Endemiegebieten nach Zeckenstichen konnte die ohnehin niedrige Wahrscheinlichkeit des
Fast die gesamte Schweiz ist FSME-Risikogebiet
Im Jahr 2018 wurde die höchste Zahl an FSME-Infektionen in der Schweiz seit dem Beginn der Meldepflicht vor 30 Jahren erfasst. Während in den frühen 2000er-Jahren die Nordostschweiz am stärksten betroffen war, hat sich die FSME mittlerweile weit in den Süden und den Westen der Schweiz ausgebreitet. Daher gilt seit 2019 die gesamte Schweiz mit Ausnahme der Kantone Genf und Tessin als FSME-Risikogebiet (2).
Gemäss schweizerischem Impfplan wird die FSME-Impfung für alle Erwachsenen und Kinder ab 6 Jahren empfohlen, bei denen ein erhöhtes Expositionsrisiko besteht (alle Kantone ausser Genf und Tessin). Bei Kindern unter 5 Jahren ist das individuelle Risiko zu bedenken.
Eine von 2005 bis 2011 durchgeführte Studie ergab, dass damals knapp
5 Prozent der Personen mit gemeldeter FSME-Infektion und bekann-
tem Impfstatus vollständig geimpft waren (3). Für einen optimalen
Schutz muss die Impfung mehrere Wochen vor der Exposition erfolgen,
idealerweise im Winter. Sie ist aber jederzeit möglich, und es gibt für
beide in der Schweiz verfügbaren Impfstoffe ein Schnellimpfungs-
schema.
RBO
Auftretens einer Borreliose senken, wobei 235 Patienten behandelt werden mussten, um 7 Fälle von Erythema migrans (EM) zu verhindern (EM bei 1 von 235 Doxycyclinbehandelten vs. 8 von 247 Plazebobehandelten) (1). In Europa wird eine Doxycyclinbehandlung von Zeckenstichen von den meisten Experten nicht empfohlen. Zu beachten ist zudem, dass es bei Kindern unter 9 Jahren nach Doxycyclin zu Zahnverfärbungen kommen kann.
Frage 3: In welchen Fällen ist entsprechend nach einem Zeckenstich die Bestimmung der FSME-Antikörpertiter sinnvoll? Ausserhalb der Risikogebiete (s. Kasten) ist eine FSME-Serologie nicht sinnvoll. Bei asymptomatischen Patienten ist die Serologie in der Regel auch nicht zu empfehlen, hingegen dann, wenn eine passende Klinik besteht.
Frage 4: Ist die FSME-Auffrischimpfung bei einer stillen-
den/schwangeren Frau möglich?
Eine FSME-Auffrischungsimpfung sollte wie bei allen Tot-
impfstoffen keine Probleme beim Stillen bereiten. In einer
Schwangerschaft ist die Indikation für alle Impfungen hinge-
gen streng zu stellen. Es sollte also ein besonderes FSME-Ri-
siko bestehen, damit eine Schwangere geimpft wird. Fast
immer wird es möglich sein, das Ende der Schwangerschaft
abzuwarten, bevor die Impfung aufgefrischt wird.
L
Dr. med. Frank Dressler Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 D-30625 Hannover
Interessenlage: Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen.
Literatur: 1. Nadelman RB et al.: Prophylaxis with single-dose doxycycline for the
prevention of Lyme disease after an Ixodes scapularis tick bite. N Engl J Med 2001; 345: 79–84. 2. Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME): Ausweitung der Risikogebiete. BAG-Bulletin 2019; 6: 12–14. 3. Schuler M et al.: Epidemiology of tick-borne encephalitis in Switzerland, 2005 to 2011. Euro Surveill 2014; 19(13): 1–7.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift «Der Allgemeinarzt». Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Verlag und Autor. Der Beitrag wurde für ARS MEDICI leicht überarbeitet; die Angaben zur FSME in der Schweiz und der Vorspann wurden durch die Redaktion von ARS MEDICI ergänzt.
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ARS MEDICI 10 | 2019