Transkript
STUDIE REFERIERT
Harninkontinenz bei Frauen
Pharmakologische und nicht pharmakologische Therapieoptionen
Harninkontinenz ist bei Frauen verbreitet und kann sich in ihrem Lebensalltag sehr negativ auswirken. Die Planung von Ausser-Haus-Routen entlang von öffentlich erreichbaren Toiletten bis hin zum sozialen Rückzug können Folgen dieser Störung sein. Medikamentöse wie auch nicht medikamentöse Therapien gibt es dafür einige. Welchen Stellenwert sie haben, analysierten ein systematischer Review und eine Netzwerkmetaanalyse.
Annals of Internal Medicine
Referenz: Balk E et al.: Pharmacologic and nonpharmacologic treatments for urinary incontinence in women: a systematic review and network meta-analysis of clinical outcomes. Ann Intern Med 2019, Mar 19; Epub ahead of print.
Interessenlage: Alle Autoren erhielten zur Durchführung dieser Studie eine Unterstützung der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ).
Urininkontinenz betrifft etwa 17 Prozent der nicht schwangeren Frauen, die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter, vor allem nach der Menopause. Der ungewollte Harnabgang kann negative Auswirkungen auf das physische, psychische und soziale Wohlgefühl der Frauen haben und zu Einschränkungen im Lebensstil führen. Die häufigsten Typen der Urininkontinenz sind Stressinkontinenz, Dranginkontinenz oder gemischte Inkontinenz. Bei der Stressinkontinenz kommt es zu ungewolltem Harnabgang beispielsweise bei sportlicher Betätigung, Husten oder Schnäuzen. Eine Dranginkontinenz ist definiert durch einen plötzlichen und schwierig kontrollierbaren Harndrang. Die gemischte Inkontinenz vereint Züge von beiden Inkontinenztypen. Als Therapie gibt es pharmakologische und nicht pharmakologische Möglichkeiten. Letztere bestehen meist aus Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur oder Verhaltensänderungen, die einen Einfluss auf die Blasenfunktion ausüben, wie beispielsweise das Blasentraining mit dem Ziel, den Harn länger halten zu können. Pharmakologische Therapien zielen meist auf Blase und urethrale Sphinkterfunktion ab. Welche Therapien sich wofür besser eignen, wurde in einem breit angelegten systematischen Review und einer Netzwerk-Metaanalyse erhoben. Die Analyse beschränkte sich auf nicht chirurgische Massnahmen bei nicht schwangeren Frauen mit Stress-, Drang- oder gemischter Inkontinenz. In die Analyse wurden 84 randomisierte Studien aufgenommen, die 14 Interventionskategorien testeten und deren End-
punkte jeweils als Heilung oder Symptomverbesserung definiert waren. 31 Studien befassten sich mit Stressinkontinenz, 16 mit Dranginkontinenz, 4 mit gemischter Inkontinenz und 32 mit allen Typen oder nicht spezifizierter Inkontinenz. In der Analyse befanden sich Interventionen mit Verhaltenstraining, meist Blasentraining und Muskelstärkung, elektrische oder magnetische Neuromodulation, Hormone wie Östrogen und Raloxifen sowie Anticholinergika mit elf spezifischen Vertretern (Darifenacin, Fesoterodin, Flavoxat, Oxybutynin, Phenylpropanolamin, Pilocarpin, Propanthelin, Propiverin, Solifenacin, Tolterodin, Trospiumchlorid).
Wirkung auf Stressinkontinenz
In der Erst- und Zweitlinientherapie zeigte sich die Verhaltenstherapie allein oder kombiniert mit Hormonen einer Therapie mit α-Agonisten (Duloxetin, Midodrin) oder Hormonen bei der Erreichung von Heilung oder Symptomlinderung überlegen. α-Agonisten waren zur Symptomlinderung wirksamer als Hormone. Bei den Drittlinientherapien zeigten sich die intravesikale Druckverringerung (IVPR) sowie die Neuromodulation, nicht aber «bulking agents», einer Therapie mit Hormonen oder keiner Therapie überlegen. Indirekte Evidenz gibt es für eine Überlegenheit der intravesikalen Druckverringerung gegenüber der Neuromodulation kombiniert mit Verhaltens- oder Hormontherapie, doch eine Verhaltenstherapie könnte wirksamer sein als eine Therapie mit «bulking agents» oder eine Kombination von Neuromodulation und Verhaltenstherapie.
Wirkung auf Dranginkontinenz
Unter den als Erst- und Zweitlinientherapien angewendeten Behandlungen der Dranginkontinenz war die Verhaltenstherapie signifikant wirksamer als Anticholinergika zum Erreichen einer Symptomlinderung oder Heilung. Bei den Drittlinientherapien waren Neuromodulation und Botox für eine Heilung wirksamer als keine Therapie, Botox schien jedoch wirksamer als eine Neuromodulation.
Fazit
Die Autoren gelangen mit der gewonne-
nen Evidenz zu vier Schlussfolgerungen:
1. Die Evidenz unterstützt die meisten
Therapieansätze bei der Behandlung der
Urininkontinenz – pharmakologische,
nicht pharmakologische oder Kombina-
tionen –, mit Ausnahme von Hormonen
und periurethralen «bulking agents».
2. Therapiestrategien, die eine Verhal-
tenstherapie umfassen, sind in der Be-
handlung von Stress- oder Dranginkon-
tinenz in der Regel erfolgreicher als sol-
che, die dies nicht tun. Die Ergebnisse
decken sich mit den Guidelines von
sechs internationalen Empfehlungen,
wonach erst eine konservative Therapie
versucht werden soll, bevor eine inva-
sive Massnahme durchgeführt wird.
3. Pharmakologische Behandlungen in-
duzieren bei alleiniger Anwendung nicht
schwerwiegende, aber störende Neben-
wirkungen wie Mundtrockenheit, Nau-
sea und Fatigue.
4. Drittlinieninterventionen wie Botox,
Neuromodulation und intravesikale
Druckverringerung sind in der Regel
wirksamer als andere Drittlinienthera-
pieansätze.
VH s
ARS MEDICI 10 | 2019
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