Transkript
BERICHT
Schwangerschaftsverhütung
«Es gibt keine sicheren Tage»
Ein einmal gewähltes Verhütungsmittel muss im Lauf der Jahre nicht immer das richtige bleiben. Je nach Lebensphase sind die Ansprüche an eine Verhütung unterschiedlich. Sie muss aber in jedem Fall wirksam, verträglich und sicher sein sowie möglicherweise noch einen zusätzlichen Nutzen bieten. Welche Methoden sich wofür eignen, erläuterte Dr. Friederike Thieringer, Frauenklinik, Universitätsspital Basel, am Forum für medizinische Fortbildung (FomF) Allgemeine Innere Medizin in Basel.
Zu den kombinierten hormonellen Verhütungen (CHC) gehören Kombinationen aus Östrogen und einem Gestagen wie beispielsweise die klassischen «Pillen», das Evra®-Pflaster sowie der Vaginalring NuvaRing®. Solche Hormonkombinationen bieten einerseits eine hohe Zyklusstabilität und andererseits auch die Verminderung der Blutungsstärke, von Androgenisierungserscheinungen, mastopathischen Beschwerden wie auch einen protektiven Effekt auf Endometrium- und Ovarialkarzinome. Zu bedenken sind häufige Nebenwirkungen wie Zwischenblutungen (18–30%), Kopfschmerzen (16–20%), Brustspannen (8–13%) sowie Übelkeit (6–8%), die aber gemäss Thieringer gut mit einer Dosisanpassung der einzelnen Hormonbestandteile behandelt werden können. Bei Zwischenblutungen helfen eine Erhöhung der Östrogendosis, ein Wechsel des Progesterons oder der Umstieg auf eine alternative Verhütungsform wie beispielsweise auf den NuvaRing®. Stören Brustspannen oder Kopfschmerzen allzu sehr, ist eine Reduktion der Östrogendosis und/oder ein Wechsel des Progesterons angezeigt. Falls Kopfschmerzen in der hormonfreien Zeit auftreten, ist ein Wechsel auf ein Präparat mit Estradiolvalerat eine Option. Bei auftretender Übelkeit können eine abendliche Pilleneinnahme, die Reduktion der Östrogendosis oder ein Wechsel auf eine «Progesteron-only-Pille» Abhilfe schaffen. Zuallererst sollte jedoch eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden.
Thromboembolierisiko abklären
Vor der Verschreibung einer hormonellen Kontrazeption sollten Risikofaktoren für venöse und arterielle Thromboem-
bolien abgeklärt werden. Dazu gehört die Familienanamnese für tiefe Venenthrombose, Lungenembolie oder Gerinnungsstörungen sowie Alter > 35 Jahre, Body-Mass-Index > 30, Rauchen und Migräne. Auch Erkrankungen, die möglicherweise mit einer Veränderung der Blutgefässe assoziiert sind, wie beispielsweise Hypertonie, Diabetes oder ein Lupus erythematodes, sind Risikofaktoren. Eine hormonelle Kontrazeption weist aber nicht nur Risiken auf, sondern für viele Frauen auch günstige Wirkungen auf Knochen, Ovar, Endometrium oder das allgemeine Wohlbefinden. Eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung liefert die Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine hormonelle Kontrazeption. Bei einer Erstanwenderin ist die Information über Frühsymptome einer Thrombose oder Lungenembolie wichtig (QR-Code). Vor jeder weiteren Verschreibung sollte das Risiko erneut abgeklärt werden. Bei hohem Risiko sind Alternativen wie reine Gestagenpräparate, Spiralen oder operative Methoden zu prüfen. Das Risiko für Brustkrebs aufgrund einer hormonellen Kontrazeption steigt kurzfristig: 1 zusätzliche Brustkrebserkrankung bei 7690 Frauen, die 1 Jahr lang hormonell verhüten (1). Die grosse Angst vor dem Brustkrebs sei jedoch nicht gerechtfertigt, so Thieringer. Nach Absetzen sinkt das Risiko bereits nach 5 Jahren auf das Durchschnittsrisiko der entsprechenden Altersgruppe. Überdies erfolgt die Pilleneinnahme in der Regel viele Jahre vor dem durchschnittlichen Alter, in dem eine Frau an einem Mammakarzinom erkrankt. Das Risiko scheint insgesamt gering zu sein, die WHO erlässt auch bei positiver Familienanamnese für Brustkrebs keine Anwendungsbeschränkungen, so Thieringer.
KURZ & BÜNDIG
Es gibt keine sicheren Tage. Bei östrogenbasierter hormoneller Kontrazeption Risiko-
faktoren ausschliessen. Enzyminduktoren können die Kontrazeption beeinträchtigen. Die Spirale danach ist die sicherste Notfallverhütung.
Progesteron bei Kontraindikationen für Östrogen
Verhütung kann auch mit Progesteronen erreicht werden. Die östrogenfreie Verhütung eignet sich für Frauen mit Kontraindikationen für eine kombinierte hormonelle Kontrazeption. Denn Progesterone haben einen sehr geringen Einfluss auf die Blutgerinnung, auf die Durchblutung und die Gefässkontraktilität. Sie haben damit gemäss der Gynäkologin kein signifikant erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse. Die Kontrazeption mit «Progesteron-only»-Präparaten erfolgt entweder täglich oral, alle 12 Wochen intramuskulär,
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ARS MEDICI 9 | 2019
BERICHT
Welche Kontrazeption für wen?
L Junge Frauen: «Pille», intrauterine oder implantierbare Kontrazeptiva
L Frauen < 35 Jahre ohne Kinderwunsch: «Pille» L Stillzeit: Progesteron only, intrauterine oder implantierbare Kontra-
zeptiva L Zwischen zwei Kindern: Kondome, «Pille» L Abgeschlossene Familienplanung (> 35 Jahre): Progesteron only,
intrauterine oder implantierbare Kontrazeptiva
via Hormonspirale alle 3 respektive 5 Jahre oder mit einem bis zu 3 Jahre lang wirksamen Implantat. Ein über die Verhütung hinausgehender Nutzen der Kontrazeption mit Progesteron besteht in der Reduktion von Menstruationsbeschwerden durch Transformation des Endometriums, in der Linderung der Dysmenorrhö durch Verminderung der Prostaglandinsynthese im Endometrium sowie in einer Reduktion der Intensität der menstruellen Migräne. Dafür können vor allem in den ersten 3 Anwendungsmonaten häufig irreguläre Blutungen auftreten. Eine Linderung lässt sich durch zusätzliches orales Progesteron oder, nach Ausschluss von Kontraindikationen, durch eine Östrogengabe für 1 Monat zur Stabilisierung des Endometriums herbeiführen. Mefenaminsäure ist auch eine Option, sie hemmt die Prostaglandinsynthese, so Thieringer. Bei der hormonellen Kontrazeption mit Progesteronen wie auch mit Östrogenen sollte an die möglichen Interaktionen mit CYP3A4-Induktoren wie beispielsweise Antikonvulsiva, Barbituraten, Tuberkulostatika, Johanniskrautpräparaten sowie diversen HIV-Therapeutika gedacht werden. Eine gleichzeitige Verabreichung kann die Plasmaspiegel der Kontrazeptiva verändern und deren Wirkung beeinträchtigen. Des Weiteren kann bei einer gleichzeitigen systemischen Aknetherapie mit Isotretinoin dieses die kontrazeptive Wirkung des Progesterons beeinträchtigen. Wegen der teratogenen Eigenschaft von Isotretinoin ist jedoch auf eine wirksame Verhütung zu achten.
Nicht hormonelle Kontrazeption
Kann oder will die Patientin nicht hormonell verhüten, gibt es neben natürlichen Verhütungsmethoden auch mechanische Barrieremethoden wie etwa das Kondom, Femidom (Frauenkondom) oder das Diaphragma. Für reversible Langzeitverhütung eignen sich Kupferspiralen. Der mikrogalvanische Effekt des Kupfers ist dabei spermizid und verhindert eine Befruchtung. Vorteil der Kupferspirale ist die Complianceunabhängigkeit während mehrerer Jahre, Nachteil ist eine mögliche Verstärkung der Monatsblutung oder Dysmenorrhö.
Thieringer. Wird eine Notfallkontrazeption nötig, gibt es ver-
schiedene Möglichkeiten. Levonorgestrel supprimiert den
LH-Anstieg, Ulipristalacetat reduziert als selektiver Progeste-
ron-Rezeptor-Modulator mit progesteronagonistischer Wir-
kung den LH-Anstieg. Beide sind nur wirksam vor dem
Eisprung. Ulipristalacetat kann auch noch bei Einnahme un-
mittelbar vor der Ovulation bei bereits ansteigendem LH-
Spiegel das LH-Level senken, den Peak verschieben und
somit die Ovulation verzögern (6). Eine weitere Option be-
steht im Einlegen einer Kupferspirale. Die Kupferionen wir-
ken einerseits spermizid, andererseits verhindern sie eine Ein-
nistung der befruchteten Eizelle. Ulipristalacetat kann auch
noch bei Einnahme unmittelbar vor der Ovulation bei bereits
ansteigendem LH-Spiegel den LH-Level senken, den Peak
verschieben und somit die Ovulation verzögern (6). Alle drei
Massnahmen wirken bis 3 Tage nach dem ungeschützten Ge-
schlechtsverkehr zuverlässig mit Schwangerschaftsraten von
1,5 bis 2,6 Prozent (Levonorgestrel) (2), 0,9 bis 1,6 Prozent
(Ulipristalacetat) (3, 4), wobei die Kupferspirale mit < 1 Pro- zent (5) am sichersten ist, wie Thieringer zusammenfasst. Sind bei der betreffenden Patientin beide hormonellen Not- fallkontrazeptiva möglich, empfiehlt sich Ulipristalacetat wegen der vermuteten besseren Wirksamkeit. In der Stillzeit sollte dagegen Levonorgestrel angewendet werden, und bei gleichzeitiger Einnahme von Enzyminduktoren sollte eine Kupferspirale empfohlen werden. Die Wahl der Notfallkon- trazeption ist jedoch unabhängig von Körpergewicht und Alter, so Thieringer abschliessend. L Valérie Herzog Quelle: «Verhütungsmittel», Forum für medizinische Fortbildung (FomF) Allgemeine Innere Medizin, 30. Januar bis 2. Februar 2019 in Basel. Referenzen: 1. Iversen L et al.: Lifetime cancer risk and combined oral contraceptives: the Royal College of General Practitioners' Oral Contraception Study. Am J Obstet Gynecol 2017; 216: 580.e1–580.e9. 2. von Hertzen et al.: Low dose mifepristone and two regimens of levonorgestrel for emergency contraception: a WHO multicentre randomised trial. Lancet 2002; 360: 1803–1810. 3. Creinin MD et al.: Progesterone receptor modulator for emergency contraception, a randomised controlled trial. Obstet Gynecol 2006; 108: 1089–1097. 4. Glasier AF et al.: Ulipristal acetate versus levonorgestrel for emergency contraception: a randomized noninferiority trial and meta-analysis. Lancet 2010; 375: 555–562. 5. Wu S et al.: Copper T380A intrauterine device for emergency contraception: a prospective, multicentre, cohort clinical trial. BJOG 2010; 117: 1205–1210. 6. www.swissmedicinfo.ch: Fachinformation ellaOne. Expertenbrief der gynécologie suisse (SGGG) zum Thromboembolierisiko Notfallkontrazeption Menstruationszyklen sind nicht immer regelmässig und müssen nicht 28 Tage dauern mit dem Eisprung am 14. Tag. Sie können auch 42 Tage dauern, mit Eisprung am 28. Tag, 35 Tage mit Eisprung am 21. Tag oder auch nur 21 Tage mit Eisprung am 7. Tag. «Es gibt keine sicheren Tage», betont Informationsblatt für die Patientinnen ARS MEDICI 9 | 2019 331