Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
© Charité Berlin © NTC
Kommunikation
Bessere OP-Vorbereitung dank Comic für Patienten
Vor einer Operation müssen Patienten umfassend über den geplanten Eingriff aufgeklärt werden. Oftmals fühlen sich die Betroffenen aufgrund der Komplexität der Inhalte aber eher überfordert als gut informiert. Zwei Kardiologinnen an der Charité in Berlin konnten jetzt am Beispiel der Herzkatheteruntersuchung zei-
gen, dass ein Comic hier helfen kann: Er erhöht das Verständnis und reduziert das Angstgefühl der Patienten. Prof. Verena Stangl und Dr. med. Anna Brand entwickelten gemeinsam mit einer Kommunikationsfachfrau und einer Grafikerin einen 15-seitigen Comic, der den häufigsten Eingriff in der Kardiologie veranschaulicht: die Herzkatheteruntersuchung und eine sich gegebenenfalls anschliessende Implantation eines Stents. Dann testeten sie die neue Aufklärungsbroschüre in einer randomisierten Studie: 121 Patientinnen und Patienten wurden vor der Herzkatheteruntersuchung entweder wie bisher nur in einem ärztlichen Gespräch anhand des offiziellen Aufklärungsbogens informiert, oder man stellte ihnen anschliessend zusätzlich den Comic zur Verfügung. Wer zusätzlich den Comic erhalten hatte, konnte im Schnitt knapp 12 von 13 Fragen zur Vorgehensweise, zu den Risiken und wichtigen Verhaltensregeln nach dem Eingriff korrekt beantworten. Nach der klassischen Aufklärung waren es nur 9
von 13 Fragen. Insgesamt sagten rund 72 Prozent der Patienten, dass sie mit der Comic-Aufklärung zufrieden waren und sich gut auf die Herzkatheteruntersuchung vorbereitet fühlten, nach der Standardaufklärung sagten das nur 41 Prozent der Patienten. «Ein Comic ermöglicht es, komplexe Inhalte sowohl textlich als auch visuell zu erfassen, und dies verbessert erwiesenermassen das Verstehen bei den verschiedenen Lerntypen», begründet die Co-Studienleiterin Brand den Effekt. Auch könne man sich beim Lesen so viel Zeit lassen, wie man möchte, was auch gegenüber einem Video von Vorteil sei. idw/RBOL
Pressemitteilung der Charité Berlin vom 9. April 2019 auf idw-online.de
Brand A et al.: Medical graphic narratives to improve patient comprehension and periprocedural anxiety before coronary angiography and percutaneous coronary Intervention: a randomized trial. Ann Intern Med 2019, published online Apr 9, 2019.
Dermatologie
Algorithmus schlägt Hautärzte, aber ...
Ein Algorithmus zur Beurteilung verdächtiger Hautveränderungen war in einer Heidelberger Studie treffsicherer als die meisten Hautärzte. 157 Dermatologen von zwölf deutschen Universitätskliniken traten gegen den Algorithmus an. Sie beurteilten 100 Aufnahmen von Hautveränderungen, 20 davon waren nachgewiesene schwarze Melanome, die restlichen 80 harmlose Muttermale. Die Ärzte mussten entscheiden, ob eine Biopsie nötig sei oder nicht. Dieselben 100 Bilder wurden anschliessend von einem zuvor mit 12 378 Bildern von Hautveränderungen trainierten Algorithmus automatisiert bewertet. Nur 7 der 157 Dermatologen schnitten besser als der Algorithmus ab, 14 erzielten gleich gute Ergebnisse, und 136 waren schlechter. Dabei spielte die Erfahrung des Arztes offenbar kaum eine Rolle: Im Durchschnitt urteilten Fach- und Oberärzte nicht besser als Assistenzärzte.
Die Diagnose von Hautveränderungen allein durch den Algorithmus ist allerdings nach Meinung der Heidelberger Wissenschaftler nicht zu empfehlen. Ein Einsatz auf mobilen Endgeräten sei zwar in bestimmten Situationen denkbar, setze die Patienten aber derzeit noch zu hohen Risiken aus, denn der Algorithmus kennt bis jetzt nur zwei Diagnosen: Muttermal oder schwarzer Hautkrebs. Nur bei dieser Fragestellung war die künstliche Intelligenz bei Bilddaten überlegen. «Die klinische Realität ist allerdings eine völlig andere: Ein Facharzt muss bei der körperlichen Untersuchung zwischen mehr als hundert Differenzialdiagnosen unterscheiden können, davon sind viele sehr selten, einige sind kaum allein am Bild zu erkennen, sondern brauchen weitere Informationen wie zum Beispiel Tastein-
drücke», sagte Prof. Alexander Enk, Direktor der Universitätshautklinik Heidelberg. Insofern kann auch dieser Algorithmus die klinische Diagnose durch den Hautarzt nicht ersetzen. NCT/RBO L
Pressemitteilung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg vom 11. April 2019.
Brinker TJ et al.: (2019) Deep learning outperformed 136 of 157 dermatologists in a head-to-head dermoscopic melanoma image classification task. Eur J Cancer 2019; 113: 47–54.
318 ARS MEDICI 9 | 2019
© Can Stock photo / KarSol
Sexualität
Auffällige Primaten haben kleine Hoden
Rückspiegel
Die meisten Primatenmännchen sind starker Konkurrenz ausgesetzt, wenn es darum geht, sich mit Weibchen zu paaren und ihr Erbgut an die nächste Generation weiterzugeben. Bei vielen Affenarten gehören zu den Männlichkeitsmerkmalen darum Waffen, wie grosse Eckzähne und eine kräftige Statur, oder auch auffälliger Schmuck, wie Mähnen, Bärte, Wangenwülste oder stark gerötete Hautstellen sowie grosse Hoden, um möglichst viele Spermien zu produzieren.
Das Problem: Das Entfalten aller möglichen
männlichen Attribute würde zu viel Energie
kosten. Der Evolutionsbiologe Prof. Stefan Lü-
pold an der Universität Zürich hat nun zusam-
men mit Kollegen der University of Western
Australia herausgefunden, welche Strategie die
Primatenmännchen bei den verschiedenen Af-
fenarten verfolgen. Sie verglichen die Sexual-
merkmale von über hundert Affenarten und
dem Menschen. Zum einen zeigte sich, dass alle
männlichen Merkmale stärker ausgebildet wer-
den, je grösser die Konkurrenz ist, zum anderen,
dass entweder in grosse Hoden oder auffällige
Körperstrukturen investiert wird. Anders for-
muliert: «Die auffälligsten Männchen haben die
kleinsten Hoden», so Lüpold: «Alles zu haben,
ist schlicht schwierig.»
UZH/RBO L
Pressemitteilung der Universität Zürich vom 10. April 2019
Lüpold S et al.: Sexual ornaments but not weapons trade off against testes size in primates. Proceedings of the Royal Society B 2019, published online April 10, 2019.
Nephrologie
Fluconazol bei Diabetes insipidus?
Bei Fluconazol wurde im Tierversuch eine überraschende neue Eigenschaft entdeckt. Es könnte bei der Rückgewinnung von Wasser in der Niere helfen und damit möglicherweise auch Patienten mit Diabetes insipidus. Die Substanz aktiviert offenbar zelluläre Wasserkanäle (Aquaporine) in der Niere. Normalerweise wird dieser Prozess durch Vasopressin gesteuert. Fluconazol könne dies zu einem gewissen Grad auch ohne das Hormon, heisst es in einer Pressemitteilung des Max-Delbrück-Zentrums Berlin (MDC). Bei Mäusen konnte Fluconazol etwa 30 Prozent der normalen Wasserrückgewinnung wiederherstellen. Nun hofft man, mit der altbekannten Substanz irgendwann einmal auch Patienten helfen zu können. Aber: «Fluconazol nützt nur etwas, wenn in der Nierenzelle noch die Maschinerie für die Aquaporine intakt ist», so PD Dr. Enno Klussmann, Leiter des MCD-Teams, das sich mit dieser Fragestellung befasst. Patienten, deren
Aquaporin-Gen mutiert ist, könne diese Therapie zum Beispiel nicht helfen. Hoffnung gebe es jedoch für diejenigen, deren Körper erblich bedingt zu wenig Vasopressin produziert oder deren Nierenzellen durch eine Mutation gegenüber dem Hormon unempfindlich sind. Zudem scheidet etwa die Hälfte der Personen, die Lithium einnehmen müssen, zu viel Wasser aus. Auch ihre Nieren reagieren nicht mehr ausreichend auf das Hormon und könnten möglicherweise von Fluconazol profitieren. Als nächsten Schritt plant man nun erste Tests an einigen wenigen Probanden. Erst dann wird sich zeigen, ob das Medikament auch beim Menschen den erhofften Effekt hat.
MDC/RBOL
Pressemitteilung des Max-Delbruck-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) vom 16. April 2019.
Vor 10 Jahren
«Influenza-Hysterie»
Während Regierungen für ihre Bevölkerung in grossem Massstab die neuen Neuraminidasehemmer gegen Grippe einkaufen, kritisieren Fachleute wie der Epidemiologe Tom Jefferson und der Arzt und Pharmakologe Bernd Mühlbauer die, wie sie es bezeichnen, grassierende «Influenza-Hysterie». Händewaschen sei immer noch der wirksamste Schutz vor Ansteckung und die flächendeckende Verteilung von Neuraminidasehemmern nicht nützlich, sondern im Gegenteil wegen der Nebenwirkungs- und Resistenzrisiken sogar gefährlich. Viel Geld werde sinnlos verpulvert, das man besser in die virologische Forschung stecken sollte.
Vor 50 Jahren
Pille als Thromboserisiko
An der Universitätsklinik in Graz erleiden sechs junge Frauen unter Einnahme von Ovulationshemmern zentrale Durchblutungsstörungen. In der «Wiener Medizinischen Wochenschrift» empfiehlt man, Frauen mit Risikofaktoren, wie Hypertonie, Migräne oder peripheren Thrombophlebitiden, vom Gebrauch der Pille abzuraten.
Vor 100 Jahren
Höhensonne gegen Rachitis
Die Rachitis, sowohl bei Kindern als auch, als sogenannte Spätrachitis, im Erwachsenenalter, scheint in Europa in den letzten Jahren deutlich häufiger zu werden. Man führt dies unter anderem auf die schlechte Ernährungslage infolge des Ersten Weltkriegs zurück. Auch das übliche Heilmittel, der Lebertran, ist knapp und nicht überall verfügbar. Ein Berliner Arzt versucht daraufhin, schwere Rachitisfälle mit künstlicher Höhensonne zu kurieren. Mit Erfolg: Es sei gelungen diese «durch blosse Bestrahlungen ... trotz Kriegskost zur vollständigen Ausheilung zu bringen», heisst es in der «Deutschen Medizinischen Wochenschrift».
RBO L
ARS MEDICI 9 | 2019