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BERICHT
Kardiovaskuläre Prävention
Konsequente Umsetzung verlängert Leben
Fotos: vh
Bei der Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen sind die Schweizer nicht so vorbildlich. So steigt das Übergewicht seit Jahren an, und geraucht wird stabil viel, wie neue Zahlen zeigen. Was der Hausarzt bei anderen beeinflussbaren Risikofaktoren unternehmen kann, war am Cardiovascular Update des Universitätsspitals Zürich zu hören.
Kardiovaskuläre Erkrankungen seien in Europa die Hauptursache für Mortalität und Morbidität, jährlich stürben rund 4 Millionen Menschen daran, berichtet PD Dr. Christian Schmied, Leitender Arzt, Kardiologie USZ. Dies zu ändern, ist das ehrgeizige Ziel der kardiovaskulären Prävention. Neben nicht beeinflussbaren Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht und familiärer Belastung gibt es einige Faktoren, mit deren Korrektur sich das Risiko für kardiovaskuläre PD Dr. Christian Schmied Erkrankungen reduzieren lässt, wie dies bereits die im Jahr 2004 publizierte INTERHEARTStudie, eine standardisierte Fall-Kontroll-Studie zu akutem Herzinfarkt mit über 30 000 Patienten, eindrücklich gezeigt hatte. Dabei schälten sich weltweit neun Risikofaktoren heraus, die für 90 bis 94 Prozent aller Myokardinfarkte verantwortlich gemacht werden können (1). Diese sind: Rauchen, Hypertonie, Diabetes, Bauchumfang, Ernährung, Bewegung, Alkohol, Dyslipidämie und psychologische Faktoren. Davon sind die wichtigsten vier Nikotin, CholeProf. Arnold von Eckardstein sterin, Stress und Übergewicht. An Aktualität haben diese Ergebnisse nichts eingebüsst. Gemäss aktuellen publizierten Daten des Bundesamts für Statistik rauchen in der Schweiz trotz zahlreichen Rauchverboten und öffentlichen Kampagnen weiterhin jeder dritte Mann und jede vierte Frau. Auch Übergewicht und Adipositas nehmen in der Schweiz seit 1992 ungebremst zu. 2017 waren in der Schweiz 39 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen übergewichtig und 12 beziehungsweise 10 Prozent adipös (2). Für das kardiovaskuläre Risiko kommt es dabei auch auf die Fettverteilung an, wozu sich der Body-Mass-Index als Messparameter weniger gut eignet als der Bauchumfang, der als Surrogatmarker für das viszerale Fett dient. Für Männer gilt ein Umfang von 94 bis 102 cm, für Frauen von 80 bis 88 cm als unbedenklich. Im Bereich der körperlichen Aktivität stimmt der Trend zuversichtlich: 2017 waren 78 Prozent der Männer und 74 Prozent der Frauen körperlich aktiv, seit 2002 ist das eine erfreuliche Zunahme um 10 beziehungsweise 16 Prozent (2). Bereits bei einer moderaten körperlichen Aktivität von bis zu 150 Minuten pro Woche sinkt das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis wie auch für Mortalität signifikant, ungeachtet des Alters, Übergewichts, Rau-
cherstatus oder der Komorbiditäten wie Hypertonie und Diabetes, wie eine Subanalyse der grossen PURE-Studie eindrücklich zeigte. Das Risiko sank überdies auch dosisabhängig: je mehr Sport, desto tiefer das Risiko (3). Sich mehr zu bewegen, lohne sich in jedem Fall, so Schmied. Das gilt auch für Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung (KHK). Auch bei ihnen sinkt das Mortaliätsrisiko mit zunehmender Bewegungsintensität (4). Die PURE-Studie brachte ausserdem weitere Erkenntnisse zum Einfluss der Ernährung auf die kardiovaskuläre Gesundheit: Ein Kohlenhydratanteil von > 60 Prozent erhöht das Risiko für Mortalität und KHK, ein verhältnismässig hoher Nahrungsfettanteil führt dagegen zu einem tieferen Mortalitätsrisiko. Dieses sinkt mit zunehmendem Anteil ungesättigter Fettsäuren (5). Das Genussmittel Alkohol hat gemäss einer neuen Studie in keiner Dosierung einen kardioprotektiven Effekt. Die frühere Annahme, dass täglich zwei Drinks für Männer und ein Drink für Frauen nicht schädlich seien, wurde in einer aktuellen Studie über den Einfluss von Alkohol auf die Mortalität widerlegt. Laut dieser Studie liegt die Alkoholdosis, mit der keine Gesundheitsschädigung herbeigeführt wird, bei null Drinks pro Woche (6). Ein weiterer Risikofaktor ist die Hypertonie, die nach wie vor als solche gilt, wenn der Blutdruck über 140/90 mmHg liegt. Die neuen Guidelines der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Hypertoniegesellschaft (ESH) haben die Definition entgegen den neuen amerikanischen Guidelines bei diesem Grenzwert belassen. Sie empfehlen aber neu, die Behandlung zugunsten der Compliance mit einer Zweierkombination ACE-Hemmer oder Sartan zusammen mit einem Kalziumantagonisten oder Diuretikum zu beginnen. Bei Nichterreichen der Blutdruckzielwerte soll ein drittes Antihypertonikum, vorzugsweise in einer Dreierkombination, verordnet werden (ACE-Hemmer/Sartan plus Kalziumantagonist plus Diuretikum). Betablocker sind nur noch bei Patienten mit Komorbiditäten wie Angina pectoris oder Herzinsuffizienz empfohlen (7).
«Je tiefer, desto besser?»
Was sich für die Blutdrucksenkung als falsch erwiesen hat, hat sich für die Dyslipidämie dagegen bestätigt. Der gut beeinflussbare Risikofaktor fällt mit sinkenden LDL-Cholesterin-Werten umso tiefer: Eine Senkung um 1 mmol/l reduziert das jährliche kardiovaskuläre Risiko um 20 bis 25 Pro-
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ARS MEDICI 9 | 2019
BERICHT
Tabelle:
AGLA-Empfehlungen 2018 zur Behandlung von Dyslipidämien
Kardiovaskuläres Risiko
LDL-CholesterinZielwert
Behandlung 4 Wochen
Weitere Behandlung
sehr hohes Risiko
< 1,8 mmol/l hochwirksames Statin (Atorvastatin, Rosuvastatin) plus Ezetimib 10 mg/Tag, falls Zielwert nach 4 Wochen nicht erreicht; PCSK9-Hemmer* (Evolocumab, Alirocumab) bei klinischer atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung und > 3,5 mmol/l ohne bzw. > 2,6 mmol/l mit zusätzlichen Risikofaktoren
hohes Risiko
< 2,6 mmol/l hochwirksames Statin (Atorvastatin, Rosuvastatin) plus Ezetimib 10 mg/Tag, falls Zielwert nach 4 Wochen nicht erreicht; PCSK9-Hemmer* (Evolocumab, Alirocumab) bei familiärer Hypercholesterinämie und > 5 mmol/l ohne bzw. > 4,5 mmol/l mit zusätzlichen Risikofaktoren
moderates Risiko
< 3,0 mmol/l Statin erwägen niedriges Risiko * siehe BAG-Limitationen kein Zielwert keine Pharmakotherapie Quelle: modifiziert nach (14) zent (8). Diese fast lineare Korrelation trifft selbst noch bei Spiegeln von 1 mmol/l zu, wie bei den neuen PCSK9-Hemmer-Studien eindrücklich zu beobachten war, so Schmied. So klar der positive Nutzen der Cholesterinsenkung indes belegt ist, so schwierig scheint der Umgang mit der Verneinung dieses positiven prognostischen Effekts zu sein. Eine dänische Studie untersuchte die Auswirkungen einer Negativkampagne über Statine in der Publikumspresse bei Patienten, die eine Statinverordung hatten. Tatsächlich stieg die Therapieabbruchrate nach der ausführlichen Berichterstattung über Nebenwirkungen im Jahr darauf an. Die Abbruchraten variierten jedoch je nach Verschreibungsgrund: Am tiefsten war sie bei Patienten nach Myokardinfarkt und am höchsten in der Primärprävention und bei Statinneuanwendern (9). Die Folgen eines frühen Abbruchs können gravierend sein: Nach zehn Jahren war die kumulative Inzidenz von Myokardinfarkt und kardiovaskulärem Tod bei Patienten, die die Statineinnahme früh gestoppt hatten, im Vergleich zu jenen, die sich nicht von Negativberichterstattungen beeinflussen liessen und ihr Statin weiter nahmen, signifikant angestiegen (10). LDL-Cholesterin effizient senken Bei Patienten mit Hypercholsterinämie und hohem KHKRisiko ist die Senkung des LDL-Cholesterins gemäss Guidelines der ESC ein primäres Behandlungsziel (11). Leider werden diese Ziele mit den verfügbaren Therapien von etwa KURZ & BÜNDIG Körperliche Aktivität senkt die Mortalität, ob mit oder ohne kardiovaskuläre Komorbiditäten. Hypertonie ab 140/90 mmHg von Beginn an mit Zweierkombination behandeln. LDL-Cholesterin-Senkung reduziert kardiovaskuläre Ereignisse. Nahrungsfettanteil, insbesondere ungesättigte Fettsäuren, erhöhen. 75 Prozent der Patienten in der Sekundärprävention und etwa der Hälfte der Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie nicht erreicht, wie Prof. Arnold von Eckardstein, Institut für klinische Chemie, Universitätsspital Zürich, berichtet. Mit den neuen PCSK9-Hemmern kann dieses Ziel besser erreicht werden. Wie die FOURIER-Studie zeigte, konnte der LDL- Cholesterin-Spiegel mit Evolocumab zusätzlich zur Statin- therapie nach 48 Wochen noch um weitere 59 Prozent ge- senkt werden, was sich auch auf die Rate kardiovaskulärer Ereignisse auswirkte. Diese sank im Vergleich zur alleinigen Statintherapie nach drei Jahren absolut um 2 Prozent (12). Ähnliche Resultate brachte die ODYSSEY-Studie mit dem zweiten PCSK9-Hemmer Alirocumab. Auch dieser reduzierte das LDL-Cholesterin um weitere 55 Prozent sowie die Rate für kardiovaskuläre Ereignisse absolut um 1,6 Prozent (13). Beide reduzierten die Herzinfarktrate absolut um 1,9 bezie- hungsweise 1,0 Prozent. PCSK9-Hemmer wären von der Wirksamkeit her gemäss von Eckardstein eigentlich die ideale Therapie für Dyslipidämien. Limitierend für deren Einsatz sind jedoch die Kosten. Demzufolge empfiehlt die Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) deren Ein- satz in der Sekundärprävention, wenn es bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko mit einer Statinthera- pie plus Ezetimib nicht gelingt, den LDL-Cholesterin-Spiegel unter 3,5 mmol/l zu senken. Bestehen weitere Risikofaktoren, wie beispielsweise eine progrediente kardiovaskuläre Erkran- kung, beträgt der Grenzwert 2,6 mmol/l (14). Mit den verfügbaren Statinen, Ezetimib und den PCSK9- Hemmern besteht nun die Möglichkeit, das LDL-Cholesterin effizient zu senken und kardiovaskulären Ereignissen vorzu- beugen. L Valérie Herzog Quelle: Cardiovascular-Update-Symposium Zürich, 6. Dezember 2018 in Zürich. Referenzen in der Onlineversion am Ende des Beitrags. ARS MEDICI 9 | 2019 329 BERICHT Referenzen: 1. Yusuf S et al.: Effect of potentially modifiable risk factors associated with myocardial infarction in 52 countries (the INTERHEART study): case-control study. Lancet 2004; 364: 937–952. 2. Bundesamt für Statistik: Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017. www.bfs.admin.ch. Letzter Zugriff: 7.12.18. 3. Lear SA et al.: The effect of physical activity on mortality and cardiovascular disease in 130 000 people from 17 high-income, middle-income, and low-income countries: the PURE study.Lancet 2017; 390: 2643–2654 4. Williams B et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2018; 39: 301–3104. 5. Dehghan M et al.: Associations of fats and carbohydrate intake with cardiovascular disease and mortality in 18 countries from five continents (PURE): a prospective cohort study. Lancet 2017; 390: 2050–2062. 6. 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Catapano AL et al.: 2016 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias: The Task Force for the Management of Dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS) Developed with the special contribution of the European Assocciation for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR). Atherosclerosis 2016; 253: 281–344. 12. Sabatine MS et al.: Evolocumab and Clinical Outcomes in Patients with Cardiovascular Disease. N Engl J Med 2017; 376: 1713–1722. 13. Schwartz GG et al.: The ODYSSEY OUTCOMES Trial: Topline Results. Alirocumab in Patients After Acute Coronary Syndrome. Präsentiert am ACC 2018, 10. März 2018, Orlando. http://www.acc.org/educationand-meetings/image-and-slide-gallery/media-detail?id= 90e30055844c402ba16d54fb05e45136. Letzter Zugriff: 10.12.18. 14. Prävention der Atherosklerose 2018. Fokus auf Dyslipidämie. 6. Auflage. www.agla.ch. Letzter Zugriff: 10.12.18. ARS MEDICI 9 | 2019