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FORTBILDUNG
Magen-Darm-Beschwerden: Standardtherapie natürlich ergänzen
Integrative Gastroenterologie bei M. Crohn, Colitis ulcerosa und Reizdarm
Reizdarmsyndrom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen werden grösstenteils mit Arzneimitteln behandelt. Diese pharmakologisch basierte Therapie kann um naturheilkundliche Selbsthilfestrategien, komplementäre Verfahren und Lebensstilmodifikation ergänzt werden. Für diese sogenannte integrative Gastroenterologie gibt es derzeit eine ansprechende Evidenz. Sie findet zudem in den medizinischen Leitlinien immer mehr Beachtung.
Jost Langhorst und Anna Katharina Koch
Mit etwa 5 bis 15 Prozent betroffener Menschen ist das Reizdarmsyndrom (RDS) eine der häufigsten Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts in der Schweiz. Regelmässige Arztbesuche sind häufig (9). Typische Symptome der Ausschlussdiagnose RDS sind Bauchschmerzen, Blähungen und Verstopfung oder Durchfälle, die sich unter Stress verschlechtern können. Organische Ursachen sind beim RDS als Erkrankungsursache ausgeschlossen. Auch chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sind in der Arztpraxis häufig. Für diese beiden Erkrankungen sind die Ursachen noch nicht abschliessend geklärt (3, 10). Allein in der Schweiz leben über 25 000 Menschen mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Hauptsymptome sind blutiger Durchfall und abdominelle Schmerzen. Bei CED ist die leitlinienkonforme Pharmakotherapie unerlässlich. Manche Betroffene sprechen darauf teilweise gar nicht an oder leiden unter starken Nebenwirkungen. Psychische und soziale Faktoren, die sowohl beim RDS als auch bei CED eine relevante Rolle im Krankheitsgeschehen spielen, werden im Rahmen der Behandlung häufig nicht beachtet. Auf dem Gebiet der komplementären Medizin, zu der auch die Naturheilkunde gehört, gibt es vielversprechende Ansätze. Sie können die pharmakologische Standardbehandlung sinnvoll ergänzen.
Starke Nachfrage bei Patienten nach Behandlungsalternativen
Unter Patienten mit CED und RDS gibt es eine starke Nachfrage nach komplementärer Medizin. Im internationalen Vergleich wird sie von 21 bis 60 Prozent der Patienten mit CED und RDS genutzt. Als Gründe werden vor allem die Suche nach der «optimalen» Therapie, Nebenwirkungen der konventionellen Therapie, der Wunsch nach persönlicher Aktivität und persönlicher Verantwortung in der Behandlung und ein ganzheitlicher Therapieansatz genannt (Abbildung) (6). Ein Grossteil der Betroffenen ohne Erfahrungen mit komplementärer Medizin ist zudem an einer Behandlung interessiert. Aus ärztlicher Sicht ist es nicht zuletzt aufgrund der
starken Patientennachfrage notwendig, über die Verfügbarkeit sowie die potenzielle Wirksamkeit und Sicherheit komplementärmedizinischer Präparate informiert zu sein. So kann der Arzt auch vermeiden, dass sich Patienten auf der Suche nach weiteren Therapiemöglichkeiten an unseriöse Quellen wenden.
Integrative Gastroenterologie – Schulmedizin und mehr
Die integrative Gastroenterologie nutzt komplementäre Ansätze und verbindet so die konventionelle Medizin, naturheilkundliche Selbsthilfestrategien, komplementäre Verfahren und Aspekte der Mind-Body-Medizin, wie die Lebensstilmodifikation. Im Folgenden werden exemplarisch einige Methoden vorgestellt, die in der integrativen Gastroenterologie unterstützend zur Standardbehandlung angewandt werden.
Phytotherapeutika bei CED und Reizdarmsyndrom
Einen wichtigen Teil der naturheilkundlichen Ansätze der Gastroenterologie machen Phytotherapeutika aus. Für viele dieser komplementär verwendeten Substanzen gibt es bis jetzt allerdings keine oder nur wenige Studien, die den Einsatz bei Patienten mit CED oder RDS untersuchen. Eine Ausnahme bildet zum Beispiel Pfefferminzöl, das bei RDS gegeben wird. Eine aktuelle Metaanalyse, die 9 randomisierte, kontrollierte Studien (randomised controlled trials, RCT) mit insgesamt 726 Patienten einschloss, kam zu folgendem Ergebnis: Pfefferminzöl in magensaftresistenten Kapseln kann kurzfristig zur Linderung der RDS-Symptomatik und vor allem der Bauchschmerzen effektiv eingesetzt werden, zur langzeitlichen Anwendung fehlen aber die Daten (5).
Pfefferminzöl, Curcuma und Co.
Durch unsachgemässe Anwendung der Kapseln besteht auch die Gefahr leichter und vorübergehender Nebenwirkungen wie Sodbrennen. Evaluierte Pfefferminzölpräparate sind auch in der Schweiz zugelassen und verfügbar. Auch STW5 und Flohsamen werden zur Therapie des RDS empfohlen.
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91,7%
befürworten die Kombination von CAM und konventioneller Medizin innerhalb
einer Institution
24,2%
fühlen sich
ausreichend über
CAM informiert
15,2%
informieren ihre behandelnden Ärzte nicht, dass sie CAM anwenden
Abbildung: Ergebnisse einer Patientenbefragung unter Betroffenen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen zum Thema «komplementäre und alternative Medizin» (CAM), n = 671 (6)
Bei CED ist Curcuma ein Phytotherapeutikum mit ersten vielversprechenden Studienergebnissen. In der Colitis-ulcerosa-Leitlinie gibt es die Empfehlung, dass man Curcuma – genau wie Flohsamen oder Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle – komplementär in der remissionserhaltenden Behandlung einsetzen kann (8). Das pflanzliche Kombinationspräparat aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle stand in präklinischen und klinischen Studien hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit und Wirkmechanismen besonders auf dem Prüfstand – mit einem grossen Potenzial, das eine evidenzbasierte Anwendung rechtfertigt (7, 8, 12). Ein weiteres aussichtsreiches, aber noch wenig erforschtes Phytotherapeutikum sind Heidelbeeren (Vaccinium myrtillus) beziehungsweise deren Extrakte. Die European Medicines Agency führt sie als traditionelle Heilpflanze unter «traditional use» gegen Diarrhö. Eine erste klinische Pilotstudie bekräftigt die positiven Effekte der Heidelbeere bei Colitis ulcerosa (1). Eine grosse multizentrische, multinationale RCT zur Wirksamkeit und Sicherheit von Anthocyanen – dem Hauptwirkstoff der Heidelbeeren – steht derzeit bei Colitis ulcerosa kurz vor dem Start.
Mind-Body-Medizin: vielversprechende Therapieergänzung
Die Mind-Body-Medizin bietet ebenfalls interessante Behandlungsoptionen bei CED und RDS. Sie ist die Grundlage für sogenannte Lebensstilmodifikationsprogramme mit kombinierten Elementen aus Ernährungsberatung, Bewegung, Stressmanagement, Achtsamkeit, Akupressur, Hydro- und Phytotherapie sowie Selbsthilfestrategien (4). Als Einzelverfahren ist etwa Yoga empfehlenswert, das der rein körperlichen Bewegung auch Atemübungen und meditative Aspekte hinzufügt. Eine aktuelle RCT hat 77 Patienten
mit Colitis ulcerosa in Remission und mit verminderter Lebensqualität in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe eingeteilt (2). Die Interventionsgruppe partizipierte über 12 Wochen an wöchentlichen, 90-minütigen HathaYoga-Kursen. Die Patienten der Kontrollgruppe erhielten Informationsmaterial zur Colitis ulcerosa und sollten weder Yoga noch andere sportliche Tätigkeiten beginnen. Am Ende der Studie zeigte sich, dass die Krankheitsaktivität in der Yogagruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant verringert und die Lebensqualität erhöht war. Die Zahl der unerwünschten Ereignisse unterschied sich nicht zwischen den Gruppen. Auch für Patienten mit RDS wurden in einer RCT die Effekte von Yoga getestet (11). Die Betroffenen wurden dafür 2 Gruppen zugeteilt, und zwar der Yogagruppe (hier nahmen die Probanden 12 Wochen lang 2-mal wöchentlich an einem 75-minütigen Hatha-Yoga-Kurs teil) oder der FODMAP(fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols-) Gruppe (hier erhielten die Teilnehmer in 4 Sitzungen und durch zusätzliche Informationsmaterialien eine Ernährungsberatung nach dem FODMAP-Prinzip). Dieses schliesst bestimmte Kohlenhydrate und mehrwertige Alkohole in der Ernährung aus. Nach Studienende und zum Follow-up nach 24 Wochen zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Symptome des RDS für beide Gruppen. Bezogen auf Parameter wie Lebensqualität und Wohlbefinden waren tendenziell positivere Effekte für die Yogagruppe zu beobachten.
Gefahren komplementärer Verfahren: Unwissen und finanzielle Belastung
Die Hauptgefahr komplementärer Verfahren ist deren unkritische Anwendung – insbesondere durch unqualifiziertes Personal, das die spezifische Symptomatik einer CED oder anderer Erkrankungen nicht ausreichend einschätzen und beurteilen kann. So kommt es etwa dazu, dass die konventionelle Pharmakotherapie vernachlässigt wird. Für die Patienten gibt es zudem die Problematik der finanziellen Belastung, da die Kostenträger bei einer Kostenübernahme meist nicht mitspielen.
Naturheilkunde zunehmend in den medizinischen Leitlinien vertreten
Durch die kontinuierlich wachsende Forschungsaktivität auf diesem Gebiet werden Verfahren der Naturheilkunde auch in den medizinischen Leitlinien immer mehr beachtet. Die S3-Leitlinien «Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie» (9), «Colitis ulcerosa: Diagnostik und Therapie» (3) und «Diagnostik und Therapie des M. Crohn» (10) verweisen an mehreren Stellen auf einen möglichen (komplementären) Einsatz naturheilkundlicher Verfahren. So steht etwa in der RDS-Leitlinie: «Verkapseltes Pfefferminzöl kann als Spasmolytikum bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden» (S. 272) und «mehrere Metaanalysen belegen einen Wirkungsnachweis für Spasmolytika (inklusive Pfefferminzöl-Präparate) in der Therapie des Reizdarmsyndroms» (S. 275). Die Colitis-ulcerosa-Leitlinie vermerkt zum Beispiel: «Akupunktur (…) kann im leichten bis moderaten Schub komplementär in der Therapie (…)» (S. 1325) und die «Mind-
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Body-Therapie (…) komplementär zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt werden» (S. 1324). Yoga wird als möglicher Behandlungsansatz ebenfalls thematisiert. Die Leitlinie zum Morbus Crohn adaptiert diese Hinweise. Als Phytotherapeutika werden bei Colitis ulcerosa Flohsamen, Curcumin und Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle genannt. Auch Probiotika wie VSL3 und E.-coli-Nissle bei Colitis ulcerosa sowie verschiedene Lacto- und Bifidobakterien bei RDS sind erwähnt. In der Colitis-ulcerosa-Leitlinie, die im Mai aktualisiert wurde, aber auch in der RDS-Leitlinie nimmt der Anteil naturheilkundlicher Verfahren ebenfalls weiter zu.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Jost Langhorst Chefarzt Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde Sozialstiftung Bamberg, Klinikum am Bruderwald Buger Strasse 80, D-96049 Bamberg E-Mail: jost.langhorst@sozialstiftung-bamberg.de
Dr. rer. nat. Anna Katharina Koch Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin Kliniken Essen-Mitte, Knappschafts-Krankenhaus D-45276 Essen
Zukunftsfähige Behandlungsstrategie: integrative Gastroenterologie
Die konsequente Forschung an komplementären Verfahren
und deren wachsende Beachtung in den medizinischen Leit-
linien sowie die starke Nachfrage durch Patienten werden
künftig dazu führen, dass sich immer mehr behandelnde
Ärzte über die Möglichkeiten und Grenzen der komplemen-
tären Therapie informieren und Patienten so der Zugang zu
den Verfahren erleichtert wird.
L
Interessenkonflikte: J.L.: Forschungsunterstützung von Steigerwald, Falk Foundation, TechLab, Dr. Willmar Schwabe, Repha GmbH Biologische Arzneimittel; Vortragshonorar von Falk Foundation, MSD Sharp & Dohme GmbH, Repha, Ardeypharm, Celgene, Dr. Willmar Schwabe; Berater-/Gutachtertätigkeit für Medizinverlage Stuttgart, Steigerwald, Repha, Ferring Arzneimittel GmbH – A.K.K.: keine deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt», 2018; 40 (16), Seite 43–48. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
Literatur unter www.arsmedici.ch
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Literatur: 1. Biedermann L et al.: Bilberry ingestion improves disease activity in mild
to moderate ulcerative colitis – an open pilot study. J Crohns Colitis 2013; 7(4): 271–279. 2. Cramer H et al.: Randomised clinical trial: yoga vs written self-care advice for ulcerative colitis. Aliment Pharmacol Ther 2017; 45(11): 1379– 1389. 3. Dignass A et al.: Aktualisierte Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa 2011 – Ergebnisse einer evidenzbasierten Konsensuskonferenz. Z Gastroenterol 2011; 49(9): 1276–1341. 4. Elsenbruch S et al.: Effects of mind-body therapy on quality of life and neuroendocrine and cellular immune functions in patients with ulcerative colitis. Psychother Psychosom 2005; 74(5): 277–287. 5. Khanna R et al.: Peppermint oil for the treatment of irritable bowel syndrome: a systematic review and meta-analysis. J Clin Gastroenterol 2014; 48(6): 505–512. 6. Langhorst et al.: Patterns of complementary and alternative medicine (CAM) use in patients with inflammatory bowel disease: perceived stress is a potential indicator for CAM use. Complement Ther Med 2007; 15(1): 30–37. 7. Langhorst J et al.: Distinct kinetics in the frequency of peripheral CD4+ T cells in patients with ulcerative colitis experiencing a flare during treatment with mesalazine or with a herbal preparation of myrrh, chamomile, and coffee charcoal. PLoS One 2014; 9(8): e104257. 8. Langhorst J et al.: Randomised clinical trial: a herbal preparation of myrrh, chamomile and coffee charcoal compared with mesalazine in maintaining remission in ulcerative colitis – a double-blind, doubledummy study. Aliment Pharmacol Ther 2013; 38(5): 490–500. 9. Layer P et al.: S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM), AWMF-Registriernummer: 021/016. Z Gastroenterol 2011; 49(2): 237–293. 10. Preiss JC et al.: Updated German clinical practice guideline on «Diagnosis and treatment of Crohn’s disease» 2014. Z Gastroenterol 2014; 52(12): 1431–1484. 11. Schumann D et al.: Randomised clinical trial: yoga vs a low-FODMAP diet in patients with irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther 2018; 47(2): 203–211. 12. Vissiennon C et al.: Mechanisms on spasmolytic and anti-inflammatory effects of a herbal medicinal product consisting of myrrh, chamomile flower, and coffee charcoal. Wien Med Wochenschr 2017; 167(7–8): 169–176.
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