Transkript
EDITORIAL
den, bis sie deren Eröffnungsstatement das erste Mal unterbrachen. Das ist nicht ganz neu, auch in früheren Studien aus den letzten 30 Jahren vergingen bis zur ersten Unterbrechung weniger als 30 Sekunden.
11 Sekunden sind zu wenig
Früher war im Arzt-Patienten-Verhältnis das Vertrauen einfach geregelt: Grundlage der Beziehung war das Wissen des Arztes, seinen Entscheidungen zu folgen der natürliche Weg. In Zeiten wachsender Autonomität stellt sich das zunehmend anders dar. Denn heutzutage braucht auch der Arzt Vertrauen in seine Patienten.
Das beginnt schon bei der Diagnose. Wissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der Ärzte sind eines. Zur Einordnung von Symptomen bedarf es aber auch einer möglichst exakten Beschreibung von Zusammenhängen. Banal, aber im praktischen Alltag ist das Zuhören offensichtlich keine ganz leichte Übung. Denn auch wenn Ärzte für ihre Patienten da sein wollen, eruierten in einer kürzlich publizierten Umfrage erfahrene Spezialisten und Hausärzte nur in gut einem Drittel der Begegnungen die Bedürfnisse ihrer Patienten (1). Und dabei vergingen im Median nur 11 Sekun-
Dabei können Patienten mit der Schilderung ihrer Beschwerden einen wertvollen Beitrag leisten und Ärzte zu besseren Diagnostikern machen. Damit das funktioniert, müssen Patienten sich ernst genommen fühlen im Wissen, dass sie zu ihrer Behandlung beitragen können. Sie brauchen das Vertrauen des Arztes. Verspüren sie das nicht, neigen sie auch selbst dazu, eher misstrauisch zu sein. Und Misstrauen kann weitreichende Folgen haben. Negative Erfahrungen beeinträchtigen nicht nur die gegenwärtige Situation, sondern entscheiden auch über die zukünftige Bereitschaft, einen Arzt (präventiv) aufzusuchen.
Mit dem Aufbau einer wechselseitig vertrauensvollen Beziehung ist also mehr erreicht als mit der blossen Suche nach Adhärenz für verordnete Massnahmen. Es handelt sich vielmehr um eine Investition, von der sowohl Patienten als auch Ärzte langfristig profitieren können.
Eine gemeinsame Entscheidung mit Empfehlungen, die Werte und Präferenzen der Patienten berücksichtigen, erhöht die Chance auf eine erfolgreiche Behandlung. Zeigen Sie Ihr Vertrauen ...
Christine Mücke
SinghOspina N et al.: Eliciting the patient’s agenda—secondary analysis of recorded clinical encounters. J Gen Intern Med 2019;34(1): 36–40.
ARS MEDICI 8 | 2019
265