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Therapie der Gicht – Erfahrungen aus der Praxis
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Gicht stellt bei Männern ab 40 Jahren die häufigste entzündliche Gelenkerkrankung dar. Zu ihrer kurzfristigen Behandlung stehen einige medikamentöse Entzündungshemmer bereit. Langfristig ist bei schwerer Gicht, neben der medikamentösen Prophylaxe, eine Ernährungsumstellung unumgänglich. Prof. Dr. med. Ulrich Walker, Universitätsspital Basel, gab am Forum für Medizinische Fortbildung in Basel Tipps aus der Praxis.
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Therapie der Gicht
Erfahrungen aus der Praxis

Gicht stellt bei Männern ab 40 Jahren die häufigste entzündliche Gelenkerkrankung dar. Zu ihrer kurzfristigen Behandlung stehen einige medikamentöse Entzündungshemmer bereit. Langfristig ist bei schwerer Gicht, neben der medikamentösen Prophylaxe, eine Ernährungsumstellung unumgänglich. Prof. Dr. med. Ulrich Walker, Universitätsspital Basel, gab am Forum für Medizinische Fortbildung in Basel Tipps aus der Praxis.

Gicht ist eine systemische Erkrankung (1). So induziert ein erhöhter Harnsäurewert sowohl einen Bluthochdruck als auch eine Niereninsuffizienz. Gleichzeitig gilt eine Hyperurikämie als unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor, der genauso stark wirke, wie beispielsweise Cholesterin, erklärte Walker. Zudem sei für Gichtpatienten mit einem Myokardinfarkt das Risiko zu sterben doppelt so hoch wie für Patienten ohne Gicht. Auch bei asymptomatischer Hyperurikämie (> 360 µmol/l) ist die Gesamtmortalität deutlich erhöht, Betroffene haben eine im Durchschnitt um ein bis vier Jahre verkürzte Lebenszeit.
Fallbeispiel Teil 1
Ein 70 Jahre alter Mann leidet plötzlich unter Fieber und starken Schwellungen am linken Knie, am rechten Ellenbogen und an vereinzelten Fingergelenken. Solche «wandernden» Schwellungen kennt er seit Jahren an Knien, Ellenbogen oder Sprung-, Hand- und Fingergelenken. Zudem sind Deformationen zu beobachten. Täglich raucht der übergewichtige Patient eine Schachtel Zigaretten und trinkt rund einen Liter Bier. Nach überstandenem Herzinfarkt leidet er an arterieller Hypertonie und kombinierter Hyperlipidämie. Seine Medikation besteht bisher aus Accuretic® (Quinapril/Hydrochlorothiazid), Bisoprolol, ASS und Simvastatin. Nach einer Ultraschall-, Röntgenund Laborabklärung wird für die Knie- und Ellenbogengelenke eine Bursitis, für die Fingergelenke hingegen eine Kristallerkrankung diagnostiziert (Fortsetzung unten).
Serum-Harnsäure-Level erst verzögert erhöht
«Nicht jede Schwellung in Gelenknähe ist eine Schwellung des Gelenks selbst», kommentierte der Basler Rheumatologe diesen Befund. Und die Fingergelenke? Zum Zeitpunkt des Schubes zeigten die Laborwerte einen normalen SerumHarnsäure-Level. «Das ist jedoch kein Beweis dafür, dass es sich nicht um eine Gicht handeln könnte. Denn während des Gichtschubes selbst sind die Harnsäurewerte zumeist nicht sonderlich hoch. Erst zwei Wochen danach stellt ein erhöhter Harnsäurespiegel ein verlässliches Anzeichen für eine Gicht dar», so Walker. Tatsächlich zeigten sich im Röntgenbild an den distalen Fingergelenken Erosionen. Sie waren etwas vom Gelenkspalt abgesetzt («overhanging») und nicht so sehr in Gelenknähe lokalisiert wie bei der rheumatoiden Arthritis. Der noch verbliebene originäre Knochen bildete einen typischen «Gichtstachel». Gleichzeitig waren Harnsäurekristallablagerungen unter der Haut zu erkennen.

Neue Diagnosetools
Wer eine eher wissenschaftliche Diagnose bevorzugt, kann nach dem Punktescore der EULAR/ACR-Klassifikationskriterien für Gichtarthritis vorgehen. In die einzelnen Domänen gehen klinische Symptome, Laborwerte und Resultate aus Gelenksonografie und neuen bildgebenden Systemen wie Dual-Energy-CT (DECT) ein, die mit unterschiedlichen Punktzahlen gewertet werden. Werden mindestens acht Punkte erreicht, leidet der Patient mit einer Sensitivität von 92 Prozent und einer Spezifität von 89 Prozent unter Gicht (2). Per DECT lassen sich auch Harnsäureablagerungen in den unterschiedlichsten Organen nachweisen. Allerdings sei DECT alleine noch lange kein Beweis für eine Gicht, so Walker. «Denn Patienten mit asymptomatischer Hyperurikämie können durchaus mehrere hundert Gramm Harnsäure durchs Leben tragen und zeigen trotzdem nicht notwendigerweise Symptome.»
Behandlungsoptionen im Akutfall
Für die Akutbehandlung von chronischer Gicht existieren verschiedene Optionen. Eine davon sind NSAR, wie zum Beispiel Indometacin, Ibuprofen oder (bei vorbestehendem Magenulkus) Coxibe (3). Letztlich sei hier jedoch kein NSAR dem anderen wirklich überlegen, sagte Walker. Wer seinen Patienten weniger Tabletten zumuten will, könne daher ein NSAR mit einer langen Halbwertszeit wählen. Eine zweite Option ist Colchicin, das jedoch in der Schweiz nicht zugelassen ist. Dieses Gift der Herbstzeitlosen kann allerdings bedenkliche Interaktionen hervorrufen, so mit P-Glycoproteinen (Interaktion mit Cyclosporin), CYP 3A4 (Interaktionen mit Clarithromycin, Erythromycin) und der Niere (Dosisanpassung bei GFR< 60 ml/min) (4). Die dritte Option sind Glukokortikosteroide, wobei man sich darüber im Klaren sein solle, dass selbst hohe Prednisondosen in randomisierten Studien keine besseren Ergebnisse erbracht haben als NSAR (5). Wenn nur sehr wenige Gelenke betroffen sind oder Kontraindikationen gegenüber NSAR bestehen, kann auch intraartikulär mit Triamcinolon (in Kombination mit Lidocain) behandelt werden (5, 6). Ernährungsgewohnheiten ändern Die Prävention der Gicht steht auf vier Pfeilern: s Veränderung der Lebensgewohnheiten s Management der Komorbiditäten s pharmakologische Harnsäuresenkung 226 ARS MEDICI 7 | 2019 BERICHT s eine prophylaktische Behandlung mit NSAR oder Colchicin für 6 Monate. Gicht ist klar mit Übergewicht korreliert (7). Während ein BMI von 22 das multivariate relative Risiko für Gicht nicht erhöht, zeigt sich dieses Risiko bei einem BMI von über 30 mehr als verdoppelt. Aber nicht nur die Quantität, auch die Qualität der Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Milchprodukte oder Kaffee senken das Gichtrisiko, dagegen erhöht sich das relative Gichtrisiko bei Konsum von Fleisch um 40 Prozent, bei Fisch um 50 Prozent, bei einer Orange um 60 Prozent und mehr als zwei Gläsern Soft- oder Fruchtsaftgetränke um rund 80 Prozent (7–9). Auch Alkohol fördert eine Hyperurikämie. So steigt das Gichtrisiko beim Konsum von 10 bis 15 g Alkohol pro Tag um 32 Prozent, bei 30 bis 50 g/Tag um 96 Prozent und mehr als 50 g/Tag sogar um 153 Prozent (10). Als Anhaltspunkt: 0,5 Liter Bier enthalten etwa 20 Gramm Alkohol. Da Bier die Vorläufersubstanzen von Harnsäure enthält, ist Bierkonsum mit einem höheren Risiko als andere Spirituosen verbunden. Dagegen lässt ein moderater Weingenuss das Risiko für Gicht nicht oder nur sehr gering wachsen. Harnsäure senken Gemäss den Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR) für das Management von Gicht sollte der Serumharnsäurespiegel im Blut dauerhaft unter 360 µmol/l (6 mg/dl) gesenkt werden (11). Der «Gichtklassiker» Allopurinol verzögert die Oxidation von Hypoxanthin zu Xanthin und weiter die Verstoffwechslung zu Harnsäure. Als Folge nimmt die renale Ausscheidung von Xanthin und Hypoxanthin zu und die Harnsäurekonzentration im Blut ab. Nach einer einschleichenden Dosierung von 100 mg wird die Allopurinoldosierung alle zwei bis vier Wochen erhöht, bis zu einer maximalen Dosierung von 900 mg/Tag (12). Dabei müsse nicht gewartet werden, bis ein akuter Schub abgeklungen ist, auch während des Gichtschubs könne man mit der Behandlung beginnen, erläuterte Walker, der Gichtschub würde dadurch nicht verlängert. Als Nebenwirkungen sind Hautausschläge (bei 2% der Behandelten), Vaskulitis, Hypersensitivitätsreaktionen mit Juckreiz, Hepatitis, Knochenmarkstoxizität und Niereninsuffizienz bekannt. Gerade bei einer begleitenden Niereninsuffizienz steigt die Gefahr schwerer Hautreaktionen, wie Erythema exsudativum multiforme (EEM), das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) sowie toxische epidermale Nekrolysen (TEN, früher Lyell-Syndrom) erheblich. Zudem sollten mögliche Interaktionen mit Azathioprin, von denen besonders Menschen asiatischer Abstammung betroffen sind, beachtet werden. Träger des verantwortlichen HLA-B-5801-Gens sind dabei besonders gefährdet, weshalb ein Screening auf diese genetische Konstellation für Personen aus China, Thailand und Korea empfohlen wird. Auch wenn dieser Sonderfall nicht vorliegt, ist Allopurinol bei einer Azathioprintherapie kontrainduziert. Alternativen zu Allopurinol Als Alternative zu Allopurinol kann auch mit Febuxostat (Adenuric®) behandelt werden. Der potente Xanthinoxidasehemmer hat den Vorteil, dass er renal unabhängig metabolisiert wird und daher sowohl bei moderater Niereninsuffi- zienz (bis GFR 30) als auch moderater Leberinsuffizienz noch ohne Dosisreduktion einsetzbar ist (13). Allerdings ist auch Febuxostat bei einer Azathioprintherapie kontrainduziert. Interessanterweise fungiert auch Losartan – und sonst kein Sartan, wie Walker betonte – als Urikosurikum, also als eine Substanz, welche die Ausscheidung der Harnsäure über den Urin begünstigt (14). In kleineren Studien wurde gezeigt, dass der Effekt von Losartan dem von 200 mg Allopurinol entspreche. «Das kann eine Chance sein, die wir bei manchen Patienten nicht verstreichen lassen sollten», so der Basler Experte. Auch das sich neu auf dem Markt befindliche Lesinurad (Zurampic®) ist ein Urikosurikum. Es hemmt spezifisch den URAT-1-Transporter. Allerdings darf es nur in Kombination mit Allopurinol verschrieben werden. «Wenn also ein Patient mit einer Dosissteigerung von Allopurinol das Ziel nicht erreicht, wäre eine Kombination mit Lesinurad eine Möglichkeit.» Kontraindikation sind dabei schwere Nierenstörungen. Das rekombinante Uratoxidase-Enzym Rasburicase (Fasturtec®) überführt hingegen Harnsäure in das wesentlich besser renal gängige Allantoin und wird somit leicht über die Niere ausgeschieden. Es wird bei einer durch eine Zytostatikatherapie verursachten massiven sekundären Hyperurikämie, beispielsweise bei Leukämie oder einem Non-Hodgkin-Lymphom, intravenös verabreicht. Zu den möglichen unerwünschten Wirkungen gehören Überempfindlichkeitsreaktionen, Auflösung der roten Blutkörperchen, Blutarmut und eine Methämoglobinämie. Weil durch die Harnsäure die Freisetzung von Interleukin 1 massiv getriggert wird, bekommen Gichtpatienten häufig Fieber. Deshalb zeigte der Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist Anakinra® in einer Pilotstudie vor einigen Jahren eine hohe Wirksamkeit bei der Behandlung von akuten Gichtschüben (15). Fallbeispiel Teil 2 Im Laufe seines akuten Gichtschubes an den Fingergelenken wird der 70-jährige Mann mit Prednison 50 mg für fünf Tage, Colchicin (1,8 mg in 1 Stunde) und Naproxen 500 behandelt. Zur Rezidivprophylaxe werden folgende Massnahmen eingeleitet: Gewichtsreduktion und Ernährungsberatung, der Konsum von Bier wird durch Wein ersetzt, Accuretic® wird durch Losartan abgelöst. Nach zwei Wochen liegt sein Serum-Harnsäure-Wert immer noch bei 556 µmol/l. Daher wird mit Allopurinol 100 mg/Tag begonnen und nachfolgend die Dosierung erhöht, bis die Harnsäure auf < 360 µmol/l fällt. Die Allopurinoltherapie wird auf Dauer fortgesetzt. Zusätzlich wird die Gabe von Naproxen 500 (1-0-1) über sechs Monate fortgeführt sowie mit Pantoprazol 50 mg (1-0-0) begonnen. Klaus Duffner Quelle: «Kristallerkrankungen», Vortrag im Rahmen des Forums für Medizinische Fortbildung Allgemeine und innere Medizin, 30. Januar 2019 in Basel. Literatur unter www.arsmedici.ch 228 ARS MEDICI 7 | 2019 BERICHT Referenzen: 1. Choi HK et al.: Independent impact of gout on mortality and risk for coronary heart disease. Circulation 2007; 116: 894-900. 2. Neogi T et al.: 2015 Gout classification criteria: an American College of Rheumatology/European League Against Rheumatism collaborative initiative. Ann Rheum Dis 2015; 74(10): 1789–1798. 3. Sutaria S et al.: Effectiveness of interventions for the treatment of acute and prevention of recurrent gout--a systematic review. Rheumatology 2006; 45(11): 1422–1431. 4. Terkeltaub RA et al.: High versus low dosing of oral colchicine for early acute gout flare: Twenty-four-hour outcome of the first multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled, parallel-group, dosecomparison colchicine study. Arthritis Rheum 2010; 62 (4): 1060–1068. 5. Janssens HJ et al.: Use of oral prednisolone or naproxen for the treatment of gout arthritis: a double-blind, randomised equivalence trial. Lancet 2008; 371(9627): 1854–1860. 6. Reiner TH et al.: Oral prednisolone in the treatment of acute gout: a pragmatic, multicenter, double-blind, randomized trial. Ann Intern Med 2016; 164(7): 464–471. 7. Choi HK et al.: Fructose-rich beverages and risk of gout in women. JAMA 2010; 304(20): 2270–2278. 8. Rider TG et al.: The modern management of gout. Rheumatology 2010; 49(1): 5–14. 9. Dalbeth N et al.: Effects of dairy intake on hyperuricemia and gout. Current Rheumatology Reports 2011; 13(2): 132–137. 10.Choi HK et al.: Alcohol intake and risk of incident gout in men: a prospective study. Lancet 2004; 363(9417): 1277–1281. 11. Richette P et al.: 2016 updated EULAR evidence-based recommendations for the management of gout. Ann Rheum Dis 2017; 76: 29–42. 12. Hill E et al.: Does Starting Allopurinol Prolong Acute Treated Gout? A Randomized Clinical Trial. J Clin Rheum 2015; 21(3): 120–125. 13. Saag KG et al.: Impact of Febuxostat on Renal Function in Gout Patients With Moderate‐to‐Severe Renal Impairment. Arthritis Rheum 2016; 68(8): 2035–2043. 14. Schmidt A et al.: The effect of ACE inhibitor and angiotensin II receptor antagonist therapy on serum uric acid levels and potassium homeostasis in hypertensive renal transplant recipients treated with CsA. Nephrol Dial Transplant 2001; 16(5): 1034–1037. 15. So A et al.: A pilot study of IL-1 inhibition by anakinra in acute gout. Arthritis Res Ther 2007; 9(2): R28. ARS MEDICI 7 | 2019