Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Blutdoping bei österreichischen Langläufern. Dumm gelaufen halt, alle andern hat man nicht erwischt. Die frivole Gisela, mal wieder rastlos nachdenklich: Was ist schlecht an Blutdoping, wenn es doch die Leistungsfähigkeit verbessert – angeblich auch die geistige? Man sollte es entkriminalisieren und stattdessen einführen für Politiker. Während der Sessionen, einmal pro Tag. Obligatorisch. Und freiwillig für Journalisten. Die frivole Gisela schaut keck. Sie hat heute einen guten Tag.
LLL
«Alles im Leben dreht sich um Sex, nur nicht der Sex. Der dreht sich um Macht.» (Wilde. Oscar, nicht Gina)
LLL
Gelesen (in «The European»): «Der Traum der konservativen Revolution ist die Assimilation der Zukunft. Mit gefährlicher Hauruckmentalität wird antimoderne Systemkritik gegen Internationalisierung ausgespielt. Aber die neoromantische kulturelle Unbedingtheit ist eine idée recue, die als banal-bürgerliche Farce eine leere MicromarketingArchitektur baut.» Und gedacht: … Hä? Wie ist das? Wer sich nicht einfach ausdrücken kann, kann einfach nicht denken? Oder ist das eine Art «Versteckte Kamera»: Man mokiert sich über die, die solche Buchstabenaneinanderreihungen für Sätze mit Sinn halten? Die Befürchtung aber ist: Die Autorin Simone Belko meint etwas damit, und sie meint es auch noch ernst. Denn man liest weiter: «Wenn marktgesteuerte Typisierung und produktabhängiger Content-Individualismus das heroische Streben nach der allumfassenden Weltharmonie ersetzen, hat sich mehr als nur das Framing verändert. Tatsächlich konkurriert die illegitime Fremdadaption von Erfahrung, die das digitale Geschäftsmodell bestimmt, mit der kritischen Selbstreflexion des Eigenen. Der Idealismus hat sich zur Hybris aufgebläht.» Verzweiflung macht sich breit. Wenn man nichts, absolut nichts
mehr von dem versteht, was andere sagen oder schreiben … ist dann Herr Alzheimer schon ganz nah? Der nächste Schritt ist der zum «Giftschrank»; es gilt, keine Zeit zu verlieren und ein Glas vom 79er Port Ellen zu geniessen, bevor man vergessen hat, dass es einen so guten Single Malt überhaupt gibt.
LLL
Nachbar A. zu Nachbarin B., die sich beklagt, ihr Tiefkühler sei defekt: «Ach, in Ihrem Alter lohnt es sich doch eh nicht mehr, etwas einzufrieren …» Tja, das war’s dann mit der freundnachbarschaftlichen Beziehung.
LLL
Darf man Dschihadisten in Länder ausschaffen, in denen Folter und Tod drohen? Nein? Auch nicht, wenn der Herr Dschihadist für Schweizer eine tödliche Bedrohung darstellt, wir ihn aber nicht präventiv einsperren dürfen? Dann reduziert sich das Problem auf eine Variante der altbekannten Frage: Darf man 200 Unschuldige opfern, um 10 000 Unschuldige zu retten? (Meistgewähltes Beispiel: Abschuss eines Passagierflugzeugs, von dem man weiss, dass es eine Atombombe enthält und von Terroristen in ein volles Fussballstadion gesteuert wird.) Darf man …? Muss man…? Wird man … den Befehl dazu erteilen? Es ist zu befürchten: Ja. Die schiere Zahl tut ihre Wirkung – es geht um 10 000 Unschuldige. Wenn im Flugzeug gar ausschliesslich Terroristen sitzen, ist der Fall sowieso klar: Sie oder wir. Also Abschuss! Wenn das aber so klar ist, muss es dann nicht auch erlaubt sein, Dschihadisten auszuschaffen? Sie oder wir. Finden Sie den Unterschied? Oder gibt es keinen?
LLL
Heikles Gedankenexperiment im Zusammenhang mit der Ausschaffung beziehungsweise potenziellen «Opferung» von ebenso potenziellen Terroristen (und
keinesfalls zu verwechseln mit einer Diskussion über Organtransplantation): Im Spital warten fünf Todkranke auf ein Spenderorgan: Zwei brauchen eine Niere, einer ein Herz, der vierte eine Leber und der fünfte eine Lunge. Sie alle sterben ohne Spenderorgan. Im Wartezimmer sitzt ein gesunder junger Mann. Darf man ihn umbringen, ihm die Organe entnehmen und sie den fünf Patienten einpflanzen? Nein? Warum nicht? Schliesslich retten wir fünf Menschen das Leben, wenn wir den einen opfern. Oder ist 5:1 bloss ein ungenügendes Verhältnis? Ab wann wär’s denn bitte akzeptabel? Ab 200 gegen 10 000?
LLL
Zusammenhanglos: Keine Meinung ist auch eine Form von Meinungsfreiheit.
LLL
Klar spricht die «wirtschaftliche Vernunft» für ein Rahmenabkommen. Ohne wird uns die EU genauso piesaken, wie sie den Briten schadenfreudig und beleidigt zuleide werkt. Doch neben der wirtschaftlichen gibt es auch noch eine politische und eine gesellschaftliche Vernunft. Und diese beiden «Vernunften» schaudert’s bei der Vorstellung, politische und gesellschaftliche Entscheidungskompetenzen an eine Staatengemeinschaft abgeben zu müssen, die von Deutschland (möchtegern) dominiert, von Frankreich (möchtegern) diszipliniert und intern weder der Korruption noch der Verschwendung von Geld Herr wird.
LLL
Und das meint Walti: Die lockere Behauptung «Ich mache mir keine Illusionen» ist vermutlich die häufigste.
Richard Altorfer
224
ARS MEDICI 7 | 2019