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BERICHT
Spezifische Immuntherapie
Was gilt es zu beachten?
Zur spezifischen Immuntherapie existieren mittlerweile unzählige unterschiedliche Leitlinien. Sie geben Auskunft über Effektivität, wirksame und unwirksame Extrakte, optimale Behandlungszeitpunkte, Nebenwirkungen und vieles mehr. Der Pädiater und Allergologe Dr. med. Peter Eng aus Aarau stellte am 7. allergologischen Burghalde-Symposium in Lenzburg wichtige Eckpunkte der beiden für die Praxis in der Schweiz wichtigsten Leitlinien vor.
Dr. med. Peter Eng
Die im Jahr 2014 publizierte gemeinsame Leitlinie der Allergiegesellschaften aus der Schweiz, Österreich und Deutschland und die unlängst veröffentlichten umfangreichen europäischen Empfehlungen sind für die spezifische Immuntherapie (SIT) in der Praxis am wichtigsten (1, 2). Neben den verschiedenen Leitlinien wurden in den vergangenen rund zwei Jahren zudem mindestens zehn Metaanalysen und vier systematische Reviews zur spezifischen Immuntherapie publiziert.
Wie wirksam sind spezifische Immuntherapien?
Die besten Resultate subkutaner Immuntherapien (SCIT)
werden bei Bienen- und Wespengiftanaphylaxien erzielt (Ta-
belle). So sind gemäss neueren Studien zwischen 85 und 95
Prozent dieser Patienten nach einer SCIT komplett geschützt. Auch bei den saisonalen Allergien, insbesondere bei Gräserund Baumpollenallergien, seien die Daten gut, sagte Dr. med. Peter Eng, pädiatrische Pneumologie und Allergologie, Kinderklinik Aarau. Bei den Hausstaubmilben dürften sie seiner Meinung nach noch besser sein. Sublinguale Immuntherapien in Form von Tabletten und Flüssigextrakten (SLIT) machen Fortschritte, darunter ein neues Präparat zur SLIT bei Hausstaubmilbenallergie mit einer Zulassung für Kinder ab 12 Jahren. Dagegen wurden nur wenige Studien zur Immuntherapie mit Katzen- oder Hundeallergenextrakten publiziert. Bei der atopischen Dermatitis wird über den Einsatz der Immuntherapie zwar diskutiert, eine atopische Dermatitis ohne zusätzliche respiratorische Symptome ist allerdings noch keine Indikation. Bei Nahrungsmittelallergien würden, zumindest am
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Tabelle:
Indikationen und Effektivität verschiedener spezifischer Immuntherapien
Hymenopterengiftallergien (Bienen, Wespen etc.) Saisonale Allergien (Gräser, Bäume) Hausstaubmilbenallergie Katzen und Hunde (Hautepithelien) Schimmelpilzallergien (Alternaria, Cladosporium) Atopische Dermatitis mit Nahrungsmittelallergie
+++++ ++++ +++ ++ + ?
Bei leichtem bis mittelschwerem Asthma kann der Verlauf der Erkrankung durch eine Immuntherapie günstig beeinflusst werden. Allerdings ist bei Asthma, das nur teilweise medikamentös eingestellt wurde, Vorsicht geboten: «Versuchen Sie deshalb, die Erkrankung vor Beginn der Therapie so gut wie möglich in den Griff zu bekommen», riet der Spezialist. So sollten gemäss den gemeinsamen Leitlinien der deutschsprachigen Länder weder subkutane Injektionen noch andere Formen der SIT vorgenommen werden, wenn das FEV1 kleiner als 70 Prozent ist. Es ist daher anzuraten, vor der Behandlung eine Spirometrie durchzuführen.
Kantonsspital Aarau, mangels Erfolgsaussichten und wegen des hohen Risikos für Nebenwirkungen, ebenfalls keine Immuntherapien im Kindesalter durchgeführt, berichtete Eng.
Behandlung mit Einzelextrakten sinnvoller
«Wir müssen weggehen von diesen unsäglichen Allergenmischungen, weg von Kompositionen aus 15 Prozent Beifuss, 15 Prozent Spitzwegerich, 10 Prozent Birke und 5 Prozent Hasel», erläuterte der Aargauer Experte. Viel besser seien Einzelextrakte, die nach neueren internationalen Standards geprüft werden und Majorextrakte in genügend hoher Dosis enthalten (2). Gemäss den Leitlinien sollten nur homologe Allergene (z.B. Baumpollen wie Birke, Erle, Hasel) gemischt werden. Nicht sinnvoll ist es, taxonomisch nicht verwandte Allergene (z.B. Baumpollen und Gräser) zu mischen. Das Gleiche gilt für Allergene mit enzymatischer Aktivität, wie sie beispielsweise bei Milben oder Schimmelpilzen vorkommen; sie sollten nicht mit anderen Allergenen gemischt werden. Auch bei der Verwendung von Einzelextrakten zur SCIT und SLIT ist darauf zu achten, dass in Studien ein Wirksamkeitsnachweis für verschiedene Altersstufen erfolgte und die Wirksamkeit in separaten Studien auch mit Kindern getestet wurde.
Allergische Rhinitis
Für die allergische Rhinitis ist gemäss den Empfehlungen eine spezifische Immuntherapie indiziert bei: s Kindern und Erwachsenen, wenn sie unter allergischer Rhi-
nitis mit und ohne Konjunktivitis leiden s Nachweis einer IgE-Sensibilisierung (positiver Prick-Test
und/oder serumspezifische IgE mit einem oder mehreren klinisch relevanten Allergenen) s mittelschwerer bis schwerer Krankheit, die die Lebensqualität einschränkt, beispielsweise wenn tagsüber kein Sport mehr möglich ist oder sich Schlafstörungen einstellen, trotz Antihistaminikatherapie. Bei Kindern sind die Kriterien für den Beginn einer Immuntherapie weniger streng als bei Erwachsenen. Es dürfe also auch bei weniger schwerer allergischer Rhinitis behandelt werden, um den weiteren Verlauf der Krankheit günstig zu beeinflussen und einen Etagenwechsel zu verhindern, sagte Eng. Kontraindikationen sind unkontrolliertes oder schweres Asthma, aktive systemische Autoimmunerkrankungen oder aktive maligne Neoplasien. Auch sollte eine Immuntherapie während einer Schwangerschaft nicht begonnen werden, wobei bereits bestehende Erhaltungstherapien jedoch weitergeführt werden können.
Beginn acht Wochen vor Pollensaison
In Metaanalysen hat sich gezeigt, dass sowohl unmodifizierte Depotallergene als auch Allergoide zur Immuntherapie wirksam sind (3). Deshalb wird in den Leitlinien beides empfohlen. Auch hinsichtlich der Frage, ob für eine SCIT nun präsaisonal oder perennial vorgegangen werden sollte, gibt es keine Präferenzen, beide Möglichkeiten werden als effektiv beschrieben. Bei SLIT sollte entweder kontinuierlich oder vor und während der Saison behandelt werden, wobei der Therapiebeginn mindestens 2 Monate vor Einsetzen des Pollenflugs liegen sollte, wie in einer sehr umfangreichen Analyse gezeigt werden konnte (4). Auch bei Hausstaubmilben ist es ratsam, noch vor der Milbenhochsaison zu beginnen, also im Spätsommer/Herbst, vor der Heizperiode. Die optimale Dauer der perennialen Immuntherapie liegt gemäss Studienlage bei mindestens 3 Jahren, da nur über einen solch längeren Behandlungszeitraum ein Langzeiteffekt zu erreichen ist. Immer wieder wünschen Eltern eine Immuntherapie für ihre Kinder, obwohl keine Sensibilisierung gegen die Majorallergene feststellbar ist. In solchen Fällen werde auf eine Therapie verzichtet, erklärte Eng. «Wir bitten dann die Eltern, einen genauen Beschwerdekalender im kommenden Jahr zu führen. Oft stellt sich heraus, dass es sich im Februar, März oder April um Infekte im Hals-Nasen-Bereich handelt, also nicht um Allergien.»
Nebenwirkungen zumeist lokal
Verstärkte Lokalreaktionen nach SCIT sind kein Risikofaktor für spätere systemische allergische Reaktionen. Trotzdem wird die präventive Gabe eines Antihistaminikums vor der Injektion empfohlen. Sie gilt als vorbeugend, vor allem gegenüber kutanen, aber auch gastrointestinalen Symptomen, schützt aber nicht unbedingt vor Anaphylaxien (5). Auch bei der SLIT sollten die Betroffenen darüber informiert werden, dass zumindest in den ersten Tagen nach Einleitung einer solchen Therapie Nebenwirkungen möglich sind. So kommt es bei über 50 Prozent der Patienten zu enoralem Juckreiz. Überdies wurden in sehr seltenen Fällen (nicht tödliche) Anaphylaxien beschrieben (6). Therapiepausen innerhalb einer SLIT sind bei oropharyngealen Läsionen respektive Infektionen, bei grösseren chirurgischen Eingriffen im Mundbereich (z.B. Zahnextraktionen) und offenen Wunden angezeigt. Auch wenn Kinder ihre Milchzähne verlieren, sollte eine Pause von 3 bis 7 Tagen eingelegt werden, um danach mit voller Dosierung weiterzubehandeln. Ob letztlich eine SLIT oder eine SCIT gewählt wird, ist individuell zu entscheiden. Dabei spielt die zu erwartende Com-
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pliance eine zentrale Rolle. «Beispielsweise kann die sublinguale Therapie bei einem Teenager, der anderes im Kopf hat, als an die tägliche Tablette zu denken, schwierig werden», berichtete Eng. Ein Wechsel von SCIT auf SLIT wegen schwerer Nebenwirkungen sei nicht zu empfehlen, da die bei SCIT auftretenden Beschwerden auch bei einer SLIT Risikofaktoren für potenziell schwere systemische Reaktionen darstellen (1).
Polysensibilisierung und Polyallergie
Die meisten erwachsenen Allergiepatienten sind polysensibilisiert, das heisst, sie reagieren gleich auf mehrere saisonale und perenniale Inhalationsallergene (7). Patienten mit einer Polysensibilisierung müssen aber nicht unbedingt polyallergisch reagieren. Sie sind beispielsweise sensibilisiert auf Birke, Erle, Hasel und Gräser, berichten jedoch, dass sie nur im Mai, Juni und Juli Probleme hätten. Von klinischer Relevanz sind bei ihnen nur Gräser. Entsprechend sollte auch nur mit einem Gräserpollenextrakt immuntherapiert werden. Dagegen sind polysensibilisierte und polyallergische Patienten über einen längeren Zeitraum von Symptomen betroffen. Ihnen wird empfohlen, zwei oder mehrere unterschiedliche Extrakte zu verwenden. Ob es sich nun um mono- oder polyallergisch reagierende Patienten handelt, könne in einer ausführlichen Anamnese zumeist festgestellt werden, erklärte Eng. Wenn das allein nicht aufschlussreich genug ist, kann eine komponentenbasierte Diagnose hilfreich sein. Dabei wird festgestellt, ob es sich um eine Sensibilisierung auf Minorallergene wie Procalcine oder Profiline oder auf die Majorallergene der Baumpollen handelt. Kommt man auch damit nicht weiter, besteht immer noch die Möglichkeit für nasale oder konjunktivale Provokationstestungen.
SIT auch für Kleinkinder?
Bei Kindern unter 5 Jahren ist die Evidenz für die Effektivität allergenbasierter Immuntherapien sehr gering. Allerdings zeigen die wenigen Daten, dass eine Immuntherapie auch bei kleinen Kindern wirksam ist. «Wir führen in der Praxis in speziellen Fällen und nach Rücksprache mit der Krankenkasse Immuntherapien ab 31/2 bis 4 Jahren durch», berichtete Eng. Das Ziel solcher frühen Therapien ist es, möglichst rasch eine potenzielle «Allergiekarriere» zu verhindern. Die Entscheidung für eine Immuntherapie sollte dabei immer in enger Absprache mit den Eltern und Kindern erfolgen. Für die Wirksamkeit einer perennialen SLIT bei Hausstaubmilben bei unter 12-Jährigen existieren bis anhin nur zwei Studien mit positiven Resultaten.
KURZ & BÜNDIG
Für eine erfolgreiche Immuntherapie sind folgende Faktoren entscheidend:
richtige Auswahl der geeigneten Patienten Wahl des richtigen Extrakts möglichst hohe Erhaltungsdosis hohe Dosierung, das heisst in der Regel 3 Jahre als
Mindesttherapiezeit.
Linktipp
Die deutschsprachigen und die europäischen SIT-Leitlinien stehen kostenlos zum Download zur Verfügung.
Leitlinie Schweiz, Österreich, Deutschland: unter: www.rosenfluh.ch/qr/dgaki oder direkt via QR-Code
Europäische Leitlinie unter: www.rosenfluh.ch/qr/eaaci oder direkt via QR-Code
Dosisreduktion nur bei beschwerdefreien Asthmatikern
Sind Asthmapatienten unter einer perennialen Therapie be-
schwerdefrei, wird eine 50-prozentige Dosisreduktion emp-
fohlen. Sofern keine Nebenwirkungen auftreten, ist hingegen
bei Rhinokonjunktivitis keine Dosisreduktion notwendig.
Die Erhaltungstherapie sollte bei mehrjährigen Immunthera-
pien alle 4 bis 8 Wochen wiederholt werden.
Es wird geraten, 1, spätestens jedoch 2 Jahre nach Beginn der
Immuntherapie den Nutzen der Allergiebehandlung zu eva-
luieren. Sind Verbesserungen nach dieser Zeit ungenügend
oder nicht feststellbar, ist ein Wechsel des Präparats oder des
Therapieschemas angezeigt. Auch ein kompletter Therapie-
abbruch kann dann in Erwägung gezogen werden.
Sportlichen Aktivitäten steht während einer Immuntherapie
nichts im Wege. Allerdings sollte 1 Stunde vor der Therapie
und danach für den Rest des Behandlungstages auf Sport und
Sauna verzichtet werden. Dies sind Erfahrungswerte von Ex-
perten, die nicht durch Studien belegt wurden, wie Eng be-
tonte. Sind Impfungen geplant, etwa gegen Masern, sollte
mindestens 1 Woche Abstand zur SCIT eingeplant werden.
Auch Notfallimpfungen, wie Tetanus, sind möglich, aller-
dings sollte danach 2 Wochen mit der Fortführung der sub-
kutanen Immuntherapie gewartet werden.
s
Klaus Duffner
Quelle: 7. Burghalde-Symposium: «Allergologische Tour de Suisse», am 13. September 2018 in Lenzburg.
Literatur: 1. Pfaar O et al.: Leitlinie zur (allergen-)spezifischen Immuntherapie. All-
ergo J Int 2014; 23: 282–319. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-004l_S2k_SIT_2014-12.pdf 2. AIT Guidelines. In: Muraro A, Roberts G (Eds.) Allergen Immunotherapy Guidelines Part 2: Recommendations. Zurich: European Academy of Allergy and Clinical Immunology, 2017; https://www.eaaci.org/documents/Part_II_-_AIT_Guidelines_-_web_edition.pdf 3. Dhami S et al.: Allergen immunotherapy for allergic rhinoconjunctivitis: A systematic review and meta-analysis. Allergy 2017; 72 (11): 1597–1631. 4. Calderon MA et al.: Prolonged preseasonal treatment phase with Grazax sublingual immunotherapy increases clinical efficacy. Allergy 2007; 62(8): 958–961. 5. Reimers A et al.: Reduction of side-effects from ultrarush immunotherapy with honeybee venom by pretreatment with fexofenadine: a double-blind, placebo-controlled trial. Allergy 2000; 55(5): 484–488. 6. Calderon MA et al.: Sublingual allergen immunotherapy: mode of action and its relationship with the safety profile. Allergy 2012; 67 (3): 302–311. 7. Migueres M et al.: Types of sensitization to aeroallergens: definitions, prevalences and impact on the diagnosis and treatment of allergic respiratory disease. Clin Transl Allergy 2014; 4: 46.
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