Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Preisgekrönt
Von Grundlagenforschung bis Behandlungsalgorithmus per Smartphone
Die Preisträgerinnen und Preisträger des Jahres 2019,
von links nach rechts: Greta Guarda, Viktor Kölzer, Kirsten Diana Mertz, Maxime Baud, Joël Federer-Gsponer, Daniela Stefanie Thommen,
Christian Ruiz, Cristina Quintavalle, Niklaus Labhardt, Oliver Alan Kannape, Paco Pino, Aline Fuchs, Panagiotis Antiochos, Josephine A.
Muhairwe, Kristina Keitel, Tamara van Donge, Isaac K. Ringera, Alexander Attinger, Jingjing Chen, Sonia T. Chelbi, Wilson Castro (nicht
abgebildet: Andrea Alimonti, Budhaditya Mukherjee, Bo Wang)
(Foto: © Stiftung Pfizer Forschungspreis).
Zum 28. Mal zeichnete die Stiftung Pfizer Forschungspreis junge Wissenschaftler in der Schweiz für herausragende Forschungsarbeiten aus. 12 Arbeiten von insgesamt 24 Preisträgerinnen und Preisträgern aus Basel, Baselland, Bellinzona, Genf, Lausanne, Lugano und Luzern wurden prämiert. Die diesjährige Preissumme betrug 180 000 Franken.
Prostatakrebs Zwei Arbeiten befassten sich mit neuen möglichen Angriffspunkten bei Prostatakrebs. Dr. Jingjing Chen und Prof. Andrea Alimonti, IOR Bellinzona und Universität Lugano, stellten in Tierversuchen fest, dass die genetische und pharmakologische Inaktivierung des PDHA1-Gens (Pyruvat-Dehydrogenase A1) zu einer Hemmung der Prostatakrebsentwicklung führte. Dr. Joël Federer-Gsponer, Dr. Cristina Quintavalle und PD Dr. Christian Ruiz vom Universitätsspital Basel untersuchten Biopsien bei der Erstdiagnose des Prostatakarzinoms und beim Rezidiv. Sie stellten fest, dass in den Tumorzellen grosse Chromosomenabschnitte zerstört
und wiederhergestellt werden (Chromothripsis). Dabei entstehen klonale Tumorzellpopulationen mit spezifischen Genaberrationen, die sich unter anderem durch eine übermässige Expression des Gens FKBP4 auszeichnen, das den Tumorzellen einen selektiven Wachstumsvorteil verschafft.
Autoantikörper bei KHK Die Rolle von Autoantikörpern gegen Apolipoprotein A-1 bei koronarer Herzkrankheit war das Thema von Preisträger Dr. Panagiotis Antiochos, CHUV Lausanne. Anhand der Daten der prospektiven, populationsbasierten Kohorte CoLaus (Cohorte Lausannoise) mit 5220 Personen, die im Mittel 5,6 Jahre beobachtet wurden, zeigte sich, dass das Auftreten dieser Autoantikörper möglicherweise KHK voraussagen kann.
Malaria und HIV Nach neuen Abwehrstrategien gegen Malaria suchten Dr. Paco Pino und Dr. Budhaditya Mukherjee an der Universität Genf. Sie entdeckten, dass das Überleben und die Verbreitung von Plasmodien von deren Fähigkeit ab-
hängen, in Wirtszellen einzudringen und diese wieder zu verlassen. Dabei spielen zwei bestimmte Enzyme eine zentrale Rolle – möglicherweise ein Ansatz für neue Therapien. In der Sub-Sahara-Region leben viele HIV-Infizierte, ein Grossteil von ihnen fern von Spitälern. Dass man deren Behandlung durch Diagnose und unmittelbare Behandlung vor Ort verbessern kann, zeigten Prof. Niklaus Labhardt, Schweizerisches Tropen- und PublicHealth-Institut in Basel, Isaac K. Ringera und Dr. Josephine A. Muhairwe, SolidarMed, Schweizer Organisation für Gesundheit in Afrika, Luzern, in einer Studie. In Lesotho wurden in 6655 Haushalten vor Ort zu Hause HIV-Tests durchgeführt. 278 Erwachsene mit positivem HIV-Test willigten ein, an der randomisierten Studie teilzunehmen. Eine Gruppe erhielt sofort die antiretrovirale Therapie, während die Kontrollgruppe gemäss üblichem Standardablauf an die zuständige Gesundheitseinrichtung verwiesen wurde. Bei sofortiger Abgabe der Medikamente wurden mehr HIV-Infizierte tatsächlich auch behandelt. Zudem zeigte sich
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in der Gruppe mit sofortigem Therapiebeginn nach 12 Monaten bei jedem zweiten eine die Ansteckungsgefahr verringernde Virussuppression. Bei der üblichen Behandlung durch die Gesundheitszentren war dies nur bei jedem dritten der Fall.
Smartphone-Algorithmus Im Fachbereich Pädiatrie wurde Dr. Dr. Kristina Keitel vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut, Basel, ausgezeichnet. Sie hatte mit ihrem Team eine Studie mit 3192 Kindern unter 5 Jahren in Tansania durchgeführt, um die Behandlung bei akuten Infektionen mithilfe eines Smartphone-basierten, digitalen Entscheidungsalgorithmus zu verbessern und überflüssige Antibiotikagaben zu vermeiden. Der interaktive Algorithmus ePOCT führt die Ärzte durch die Konsultation und schlägt aufgrund von Symptomen und Point-of-care-Labordiagnostik eine Behandlung vor. Kinder, die gemäss Algorithmus behandelt wurden, hatten trotz eines um zwei Drittel reduzierten Antibiotikaeinsatzes einen besseren Gesundheitsstatus im Vergleich mit Kindern in der Kontrollgruppe, die nach dem üblichen Standard behandelt wurden.
Killerzellen und CMV-Infektion Einen Transkriptionsfaktor hat das Team um Dr. Wilson Castro, Universität Lausanne, Dr. Sonia T. Chelbi und Prof. Greta Guarda, die sowohl an der Universität Lausanne als auch an Forschungsinstituten in Bellinzona und Lugano tätig sind, im Visier. Sie schalteten den Transkriptionsfaktor Rfx7 in vitro in Blutstammzellen ab und fanden so heraus, dass dieser ein Schlüsselelement für die Aufrechterhaltung der Funktion natürlicher Killerzellen ist, die unter anderem bei der frühen Abwehr einer CMV-Infektion eine Schlüsselrolle spielen.
Schlafwandler Schlafwandler sind die besseren Multitasker – zumindest im Gehen. Dies ist das Resultat einer Studie von Dr. Oliver Kannape, École Polytechnique Fédérale Lausanne. Die Probanden mussten, während sie sich bewegten, eine anspruchsvolle kognitive Leistung ausüben (in Siebenerschritten rückwärts zählen). Schlafwandler wiesen dabei eine stärkere Automatisierung ihrer Bewegungsabläufe auf sowie eine bessere Wahrnehmung ihrer Bewegung während der kognitiv schwierigen Aufgabe. Damit wurde erstmals ein Verhaltensbiomarker des Schlafwandelns identifiziert, der bei wachen Personen untersucht werden kann.
Epilepsie Dass das Auftreten epileptischer Anfälle kein reiner Zufall ist, sondern einem individuellen zyklischen Muster folgt, konnten Dr. Dr. Maxime Baud und sein Team nachweisen. Sie zeichneten bei 37 Patienten mithilfe eines im Gehirn implantierten Sensors das EEG über Jahre hinweg auf. Dabei zeigte sich, dass die epileptische Hirnaktivität mehrere Tage dauernde Zyklen umfasst, deren Periodizität spezifisch für den jeweiligen Patienten ist. Diese Zyklen beeinflussen die Wahrscheinlichkeit für einen epileptischen Anfall und stellen einen neuen Biomarker für den zeitlichen Verlauf der Anfälle dar. Noch ohne direkten klinischen Bezug sind die Resultate der Preisträger Dr. Alexander Attinger und Dr. Bo Wang, Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research, Universität Basel. Sie untersuchten, wie die Kopplung von Bewegung und sensorischen Reizen die Entwicklung visueller Prozesse im Hirn formt.
Lungenkrebs Einem neuen Biomarker für das voraussichtliche Ansprechen einer PD-1/PD-L1-Blockade bei Lungenkrebs sind Dr. Dr. Daniela Stefanie Thommen, Universitätsspital Basel, Dr. Viktor Kölzer und PD Dr. Kirsten Diana Mertz, Kantonsspital Baselland, auf der Spur. Sie fanden heraus, dass es bestimmte T-ZellPopulationen gibt, die unterschiedlich auf PD-1-/PD-L1-Hemmer ansprechen. Weitere Studien werden zeigen, ob die Quantifizierung von T-Zellen mit hohem Reaktionspotenzial Auskunft über die Erfolgsaussichten einer gegen PD-1/PD-L1 gerichteten Therapie geben kann.
Neugeborene
Das Team von Tamara van Donge und
Dr. Aline Fuchs am Universitätskinderspital
beider Basel evaluierte die unterschiedlichen
Dosierungsempfehlungen für das Antibioti-
kum Gentamicin bei Neugeborenen in Hin-
blick auf Wirksamkeit und Verträglichkeit,
um ein optimales Dosierungsschema zu erar-
beiten. Es zeigte sich zum einen, dass die zur-
zeit bestehenden empirischen Guidelines
überarbeitet werden sollten, und zum ande-
ren, dass bei Neugeborenen eine Dosis von
7,5 mg/kg mittels eines erweiterten Dosis-
intervalls von 36 bis 48 Stunden, abhängig
vom Gestations- und postnatalen Alter, ver-
abreicht werden sollte.
RBO L
Quelle: Pressemitteilung der Stiftung Pfizer Forschungspreis vom 7. Februar 2019
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Feinstaub im Kopf
Man untersucht bei 55 Kindern, die in Mexico City leben, einer Stadt mit bekanntermassen schlechter Luftqualität, mittels MRI das Gehirn und führt einige kognitive Tests durch. Die Resultate vergleicht man mit denjenigen von 18 Kindern, die in Städten mit guter Luftqualität lebten. Die Studienautoren kommen zu dem Resultat, dass die Kinder aus Mexico City weniger intelligent seien und gut die Hälfte von ihnen Hirnveränderungen aufweise. Schuld sei der Feinstaub. Man habe bei 7 jungen Hunden aus Mexico City nachgewiesen, dass die feinen Partikel die Blut-HirnSchranke überwinden können. Andere Forscher warnen angesichts der sehr kleinen Fallzahlen vor voreiligen Schlüssen.
Vor 50 Jahren
Stutenmilch bei TBC
Ärzte an einem Sanatorium in Süddeutschland empfehlen Stutenmilch, um die Heilung von Tuberkulosepatienten zu fördern. Ihrer Empfehlung liegt keine randomisierte Studie zugrunde, sondern sie argumentieren mit den Krankengeschichten von 165 Patienten und ausgewählten Fällen, in denen sich eine erstaunliche Wirkung gezeigt habe. Der Schluss ihres Artikels legt allerdings nahe, dass sie selbst um die dünne Datenlage zur Wirksamkeit wissen: Sie betonen, dass die Stutenmilch jedenfalls nicht schade.
Vor 100 Jahren
Paraffin gegen Tränensäcke
Um die Alterserscheinung Tränensäcke zu beseitigen, injizieren manche Ärzte Paraffin in das erschlaffte Gewebe. Die Folgen sind eher unschöner Natur. So berichtet ein Arzt in ARS MEDICI, dass er bereits bei zwei Patientinnen entstellende «Paraffintumoren» habe entfernen müssen, sodass die Damen am Ende noch zusätzlich Narben im Gesicht hatten.
RBO L
ARS MEDICI 5 | 2019