Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Wir sind auf dem Weg zur Gesellschaft von morgen: Bachblüten-Chirurgie, vegane Schlachthöfe, WaldorfKasernen und Büsser-Banken. Kurz: Wir halluzinieren Wirklichkeiten, die es nicht gibt.
LLL
Vor gut 50 Jahren waren wir die Revoluzzer, die Hippies. Wir waren überzeugt, die Welt retten und gerechter machen zu müssen und vor allem, es besser zu wissen als die Eltern und Älteren. Genau wie die klimastreikenden Schüler(innen) heute. Nur eines war anders. Niemand applaudierte. Die Älteren hielten uns für pubertäre Stänkeri, basta. Und recht hatten sie, irgendwie. Heute? Eltern und Ältere heulen vor Stolz über das Klima-Engagement ihrer Kids, deren Lebenserfahrung ihnen sagt, die Erde stehe kurz vor dem Untergang. Und aus lauter Rührung schenken sie den Teenies dann Ticket und Flug ins wilde Roskilde, ans Tomorrowland in Belgien oder zum Burning Man in Nevada. Oder auch nur zum Shopping nach London. Womöglich klimaneutralisiert.
LLL
Stimmt, finden sogar manche Ältere, die Generationen des vergangenen Jahrhunderts hinterlassen den Jungen ein kaputtes Klima und zerstören den Planeten. So schlimm, dass 15-Jährige zur Erkenntnis kommen: «Wenn der Kapitalismus das Problem nicht lösen kann, braucht es einen Systemwandel.» (Quelle: Schaffhauser AZ) Nun, es ist das gute Recht von Fünfzehnjährigen, Sätze aus den hintersten Ecken des ideologischen Antiquariats von sich zu geben, auch wenn sie bloss nachgeplappert sind. Das haben wir nicht anders gemacht. Peinlich ist nur, wenn Ältere eifrig und willfährig zustimmen, statt den Jungen anhand eines solch unschlagbar beispielhaften Satzes den Unterschied zwischen Bullshit und aufgeklärtem Denken aufzuzeigen.
LLL
Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Scheisse liegt.
LLL
Die Schweizer Landeskirchen sind sogenannte Körperschaften des öffentlichen Rechts. Für einen Laien etwas Ähnliches wie ein Verein. Man kann eintreten, muss aber nicht. Man bezahlt einen Jahresbeitrag. Man kann austreten. Grundsätzlich gilt – zum Glück: Niemand muss Mitglied werden. Ist ja bei allen Vereinen so: jeder legt seine Interessen und Aktivitäten selber fest, NichtMitglieder geht das nichts an. Wer Golfen doof findet, tritt keinem Golfclub bei, und wer Katzen hasst, wird nicht Mitglied eines Vereins zum Schutz von Katzen. Warum also um Himmels Willen regen sich Nicht-Katholiken darüber auf, dass Katholiken beziehungsweise deren «Verein» keine Homo-Ehe wollen oder gegen Abtreibung sind? Mitglieder des Schachclubs schreiben den Mitgliedern des Taubenzüchtervereins ja auch nicht vor, was für Futter für die Tauben gut ist. Wem’s nicht passt, kann aus- und einem andern Verein beitreten. Eigentlich ganz simpel. Nennt sich Toleranz.
LLL
So kommt es, wenn man gute Sprüche verhunzt: Er hat die Weisheit mit dem Löffel abgegeben.
LLL
Hannover, die Hauptstadt Niedersachsens, macht’s vor: die Verwaltung wird auf «gendergerechte Sprache» umgestellt. Nix mehr Herr oder Frau, keine Lehrerinnen und Lehrer mehr, nur noch Lehrende. So ist Deutschland. Im Rest der Welt entwickelt sich die Sprache im Volk. In Deutschland wird sie verordnet. Genau deshalb bleibt man Deutschland gegenüber immer ein wenig misstrauisch, egal ob unter Merkel, linker, grüner
oder rechter Herr-, sorry, Menschenschaft.
LLL
Ein Kommentator in der NZZ: die «Gilets jaunes» sollten endlich Ruhe geben, Macron habe doch Zugeständnisse gemacht. Weiter protestieren sei nur Zeichen von Mediengeilheit. Der Kommentator hat nicht begriffen, worum’s geht, genau so wenig wie Europas Politiker und Medien. Niemand konnte das besser dokumentieren als Markus Lanz, wichtig schwatzender, Promi-Ar… leckender Moderator von «Lanz»: «Es ist unbegreiflich, wie man die Engländer abstimmen lassen konnte über eine so wichtige Frage wie den Brexit.» Der Satz entlarvt alles. Die Politiker nicken heftig: man sieht ja, was herauskommt, wenn man das Volk fragt. Wenn irgendein Satz die Schweizer davor warnen sollte, Souveränität an die EU abzugeben, dann dieser. Sie «schnallen» nicht, dass die Menschen selber entscheiden und bestimmen wollen. Notfalls auch falsch. Es gibt Wichtigeres als Wohlstand und Wohlfahrt. Es nennt sich «Selbstbestimmung». Die Gelbwesten wollen genau das, die Italiener, die Ex-Ostdeutschen, die Dänen, Polen, Ungarn, Slowaken, neuerdings die Spanier. Die Briten sowieso. Wenn man sie ihnen nicht gibt, dann wählen sie eben jene, die ihnen Hoffnung machen darauf.
LLL
Und das meint Walti: Vielleicht zwitschern die Vögel früh am Morgen gar nicht fröhlich. Vielleicht gibt es einfach einen gut gelaunten Frühaufsteher unter ihnen und die übrigen pfeifen ihn an, er solle endlich die Fresse halten.
Richard Altorfer
96 ARS MEDICI 4 | 2019