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STUDIE REFERIERT
GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Wie hoch ist das Risiko für diabetische Retinopathie?
In einer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie waren GLP-(glucagon-like peptide-)1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) nicht mit einem höheren Gesamtrisiko für die Inzidenz einer diabetischen Retinopathie verbunden als die Einnahme von zwei oder mehr oralen Antidiabetika. In den Behandlungsmonaten 6 bis 12 wurde unter GLP-1-RA allerdings ein vorübergehend erhöhtes Retinopathierisiko beobachtet. Im Vergleich zu Insulin waren GLP-1-RA mit einem geringeren Retinopathierisiko assoziiert.
Diabetes Care
Bei GLP-1-RA handelt es sich um injizierbare inkretinbasierte Medikamente, die als zweite oder dritte Option zur Behandlung von Diabetes Typ 2 empfohlen werden. Diese Substanzen weisen ein neutrales bis günstiges kardiovaskuläres Profil auf. Aus älteren Studien geht jedoch hervor, dass es unter GLP-1-RA anfänglich zu einer Verschlechterung der diabetischen Retinopathie kommen könnte. Antoniuos Douros vom Jewish General Hospital in Montreal (Kanada) und sein Team untersuchten nun anhand einer Auswertung der U.K. Clinical Practice Research Datalink (CPRD) in einer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie, ob GLP-1-RA mit einem erhöhten Risiko für die Inzidenz einer diabetischen Retinopathie verbunden sind. Dazu analysierten die Wissenschaftler die Daten von 77 115 Diabetes-Typ-2-Patienten, die im Zeitraum von Januar 2007 bis September 2015 mit einer antidiabetischen Therapie begonnen hatten. Im Rahmen ihrer Studie verglichen die Autoren das Risiko für die Inzidenz einer diabetischen Retinopathie unter GLP-1RA (allein oder in Kombination mit anderen Nicht-Insulin-Antidiabetika) mit dem unter zwei oder mehr anderen oralen Antidiabetika. Ergänzend verglichen sie das Retinopathierisiko bei Neuanwendern von GLP1-RA und Insulin.
Vorübergehend erhöhtes Retinopathierisiko
Der durchschnittliche Beobachtungszeitraum betrug 2,8 Jahre (Maximum: 8 Jahre). Innerhalb der daraus errechneten 245 825 Personenjahre wurde bei 10 763 Patienten eine neu aufgetretene diabetische Retinopathie diagnostiziert.
GLP-1-RA waren nicht mit einem höheren Gesamtrisiko für die Inzidenz einer diabetischen Retinopathie verbunden als die Einnahme von zwei oder mehr oralen Antidiabetika (Hazard Ratio [HR]: 1,00; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,85–1,17). Bei der Betrachtung einzelner Behandlungsabschnitte zeigten sich jedoch Unterschiede. So war eine Anwendungsdauer von 6,1 bis 12 Monaten mit einem um 44 Prozent erhöhten Risiko für die Inzidenz einer diabetischen Retinopathie assoziiert (adjustierte HR: 1,44; 1,06–1,95). Bei einer kürzeren Behandlungszeit ≤ 6 Monaten (adjustierte HR: 0,94; 0,76–1,17) und einer längeren Behandlungsdauer von > 12 Monaten (adjustierte HR: 0,83; 0,60– 1,15) wurde dieser Zusammenhang dagegen nicht beobachtet. Das erhöhte Retinopathierisiko im Zeitraum zwischen 6,1 und 12 Behandlungsmonaten blieb in Sensitivitätsanalysen erhalten. Bei Patienten mit arterieller Hypertonie oder bei Einnahme von ACE-(«angiotensin-converting enzyme»-)Hemmern oder Angiotensinrezeptorblockern (ARB) war das Risiko für eine GLP-1-RAassoziierte diabetische Retinopathie besonders hoch. Im Vergleich zu Insulin waren GLP-1RA mit einem geringeren Risiko für eine diabetische Retinopathie assoziiert (HR: 0,67; 0,51–0,90). Das verminderte Risiko zeigte sich vor allem ab einer Behandlungsdauer von 12 Monaten (HR: 0,48; 0,31–0,76). Bei kürzeren Anwendungszeiten von ≤ 6 Monaten (HR: 0,84; 0,55–1,27) und von 6,1 bis 12 Monaten (HR: 1,05; 0,64–1,72) war das Retinopathierisiko unter GLP1-RA und Insulin etwa vergleichbar.
Diskussion
Die Autoren vermuten, dass die vorübergehende Erhöhung des Retinopathierisikos in den Behandlungsmonaten 6 bis 12 mit der raschen und ausgeprägten Verbesserung der glykämischen Kontrolle zusammenhängt. Diese stand auch in älteren Studien mit einer vorübergehenden Verschlechterung der diabetischen Retinopathie in Verbindung. Des Weiteren könnte die transiente Zunahme des Retinopathierisikos auf einer unmittelbaren Wirkung der GLP1-RA in den Retinazellen beruhen, da hier zahlreiche GLP-1-Rezeptoren exprimiert werden. Gegen diese Hypothese spricht jedoch, dass DPP-(Dipeptidylpeptidase-)4-Inhibitoren nicht mit einem erhöhten Retinopathierisiko verbunden sind, obwohl sie die endogenen GLP-1-Spiegel erhöhen. Das geringere Retinopathierisiko der GLP-1-RA im Vergleich zu Insulin sollte nach Ansicht der Autoren vorsichtig interpretiert werden. Zum einen waren die Insulinanwender älter, sodass bei ihnen bereits mit höherer Wahrscheinlichkeit diabetesbedingte Komplikationen vorlagen. Da Insulin zudem eine vorübergehende Verschlechterung der diabetischen Retinopathie bewirkt, könnte dieses Ergebnis eher auf das erhöhte Retinopathierisiko unter Insulin als auf ein verringertes Risiko unter GLP-1-RA zurückzuführen sein. PS s
Quelle: Douros A et al.: Glucagon-like peptide-1 receptor agonists and the risk of incident diabetic retinopathy. Diabetes Care 2018, Aug 27; pii: dc17-2280; doi: 10.2337/dc17-2280. (Original) PMID: 30150234.
Interessenlage: 2 der 7 Autoren der referierten Studie haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
122 ARS MEDICI 4 | 2019