Transkript
Therapie nach kardiovaskulärem Ereignis
Ist auch ein Therapiestopp möglich?
BERICHT
Fotos: vh
Eine Therapie zu beginnen, ist einfach, wenn die Indikation klar ist. Doch wie lange soll die Therapie bei kardiovaskulären Erkrankungen dauern? Können Betablocker und Statine gestoppt werden, wenn sich der Zustand bessert? Über diese Frage diskutierten verschiedene Experten am ESC-Kongress.
Prof. José López-Sendón Prof. Faiez Zannad Prof. Zeljko Reiner
Wie lange soll eine Betablockertherapie nach einem Myokardinfarkt andauern? Eine Betablockertherapie nach Infarkt verfolgt drei Ziele: das Leben zu verlängern, einem Reinfarkt vorzubeugen wie auch einem plötzlichen Herztod, erklärte Prof. José López-Sendón, La Paz University Hospital, Madrid. Doch seit der Aufnahme der Betablockerempfehlung durch alle amerikanischen und europäischen Guidelines in den 1990er-Jahren sind zahlreiche Therapiemöglichkeiten dazugekommen. Dieser Fortschritt hat dafür gesorgt, dass die 1-JahresMortalität von damals 25 Prozent im Lauf der Jahre auf etwa 15 Prozent absank und auf diesem Niveau seit den letzten 10 Jahren verharrt. Das zeigte das am Kongress präsentierte SWEDEHEART-Registry (1). Während die Mortalitätsreduktion unter Betablockern im ersten Jahr nach dem Herzinfarkt gemäss den damaligen Studien im Vergleich zu Plazebo bis zu 15 Prozent beträgt, scheint der Nutzen der Betablocker nach dieser Zeit nicht mehr gross zu sein, so López-Sendón. Diesen Schluss legen Register nahe wie beispielsweise das REACH Registry (2), das OBTAIN Registry mit einer
KURZ & BÜNDIG
Es gibt wenig Evidenz für eine Langzeittherapie von Betablockern ohne Herzinsuffizienz.
Die Herzinsuffizienztherapie trotz Verbesserung der LVEF beizubehalten, ist ratsam.
Der Nutzen einer Statintherapie ist in der Primärprävention auch nach 20 Jahren belegt, in der Sekundärprävention nach 5 bis 8 Jahren.
5-jährigen Nachbeobachtung, wonach die Betablocker nach einem Jahr in Bezug auf Mortalitätsreduktion keinen Nutzen mehr bringen (3). Prospektive, randomisierte Studien, die eine gesicherte Aussage zur Langzeittherapie zuliessen, gibt es dazu aber nicht. Betablocker werden im Allgemeinen zur Kurzzeitherapie bis zu einem Jahr zur Vorbeugung eines Reinfarkts eingesetzt. Ein langfristiger Einsatz ist bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder einer linksventrikulären Dysfunktion gerechtfertigt. Ohne diese Erkrankungen sind Betablocker zur Kontrolle von Arrhythmien, Hypertonie und Angina pectoris indiziert, eventuell aber auch bei Hochrisikopatienten mit Reinfarkt, unvollständiger Revaskularisierung oder Arrhythmien.
Betablocker bei Besserung der LVEF stoppen?
Aufgrund der über die Jahre weiterentwickelten Herzinsuffizienztherapie ist eine Verbesserung der linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF) bei diesen Patienten möglich geworden. Das gilt insbesondere für eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF, < 45%) (Abbildung). Patienten mit wiedererlangter (recovered) Auswurffraktion (HFrecEF, ≥ 45%) haben eine verbesserte Lebensqualität und ein verringertes Hospitalisations- und Mortalitätsrisiko. Doch gegenüber Gesunden bleiben Morbidität und Mortalität dennoch erhöht (4), und ihre Biomarker wie beispielsweise BNP und Troponin können immer noch abnormal sein (5). Gemäss einer prospektiven Studie aus Frankreich beträgt die «Recovery-Rate» 25 Prozent der Patienten mit HFrEF (6), «und das ist beträchtlich», so Prof. Faiez Zannad, Université de Lorraine, Vandœuvre-lès-Nancy. Von einer myokardialen Remission ist die Rede bei einer LVEF-Verbesserung bei ursprünglich anhaltender irreversibler Schädigung, wie beispielsweise nach Revaskularisierung einer ischämischen Herzerkrankung. Eine myokardiale Erholung (recovery) kann erreicht werden, wenn vorgängig keine anhaltende irreversible Schädigung erfolgt ist, wie zum Beispiel bei toxischen Einwirkungen wie Chemotherapien oder Alkohol. Die besten Chancen auf Erholung haben gemäss Zannad junge Patienten oder solche mit erst kurz
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linksventrikuläre Auswurffraktion (%)
60 vor der Diagnose
50
40
*HFrecEF undiagnostiziert
HFpEF HFmrEF
verbesserte EF HFrEF stabile EF
* Diagnose
reduzierte EF Zeit
Abbildung: Herzinsuffizienz nach Auswurffraktion
Abkürzungen: EF = Auswurffraktion; HFpEF = Herzinsuffizienz mit erhaltener (preserved) Auswurffraktion; HFmrEF = Herzinsuffizienz mit mittlerer (mid range) Auswurffraktion; HFrEF = Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion; HFrecEF = Herzinsuffizienz mit erholter (recovered) Auswurffraktion (Quelle: modifiziert nach [4])
ESC-Guideline Herzinsuffizienz
https://www.rosenfluh.ch/qr/herzinsuffizient-guideline
dauernder Erkrankung und einer nicht ischämischen Ätiologie, wie einer fulminanten Myokarditis, peripartalen oder Takotsubo-Kardiomyopathie, alkohol- oder chemotherapieinduziert. Soll die Therapie abgesetzt werden, wenn eine Besserung der LVEF eingetreten ist? Die Evidenz dazu ist schlecht, so Zannad. Grosse, randomisiert kontrollierte Studien, die diese Frage beantworten könnten, gibt es nicht. Eine kleine Studie mit 42 Herzinsuffizienzpatienten, deren LVEF unter Therapie angestiegen ist, dokumentierte nach Absetzen der Therapie eine erneute Verschlechterung der Herzinsuffizienz (7). Die Studie sei jedoch zu klein, um eine Antwort auf diese Frage zu liefern, so Zannad. Mangels Evidenz zum Therapiestopp sollte daher die Herzinsuffizienztherapie auch bei remittierter oder erholter Herzinsuffizienz beibehalten werden. Sollte man sich vor allem bei nicht ischämischer Ätiologie zu einem Absetzversuch entschliessen, sei es ratsam, dies zusammen mit dem Patienten zu beschliessen und ihn engmaschig mittels Bildgebung und Biomarkertests zu überwachen.
Lipidsenkung lebenslänglich?
Kann das Statin nach einem kardiovaskulären Ereignis wie einem akuten Koronarsyndrom (ACS) je wieder abgesetzt werden? Die Frage scheine einfach, sei es aber nicht, wenn es um eine evidenzbasierte Antwort gehe, findet Prof. Zeljko Reiner, University Hospital Center Zagreb. Aus grossen Studien ist bekannt, dass je tiefer das LDL-Cholesterin liegt, desto tiefer auch das Risiko für erste oder erneute kardiovaskuläre Ereignisse ist (8, 9). Erst seit Kurzem ist auch bekannt, dass je früher die LDL-Senkung beginnt und je tiefer sie erfolgt, sie sich umso stärker bezüglich kardiovaskulärer Risikosenkung auswirkt (10). Mit einer Statintherapie nach erfolgtem ACS kommt es aufgrund von pleiotropen Effekten auch zu einer Plaquestabilisierung, zu einer Verminderung von Thrombogenizität und Entzündung, einer Verbesserung der endothelialen Dysfunktion und zu einer Vorbeugung von
Vorhofflimmern, so Reiner. In einer Beobachtungsstudie zeigte der Statineinsatz bei ACS-Patienten bei Spitalentlassung im Vergleich zu keiner Statintherapie sowohl nach 30 Tagen wie auch nach 6 Monaten einen signifikanten Nutzen für das Überleben dieser Patienten (11). Die 1-JahresMortalität sank in einer anderen Studie in der Post-ACSPatientengruppe mit Statinbeginn noch im Spital verglichen mit Therapiebeginn bei Entlassung um 25 Prozent (12). Die aktuell gültigen ESC-Guidelines 2016 empfehlen bei ACS-Patienten den Beginn einer intensivierten Statintherapie innerhalb der ersten 4 Tage nach Hospitalisierung. Die Dosierung soll auf das Erreichen des LDL-Zielwerts von 1,8 mmol/l oder eine 50-prozentige Reduktion des LDL-Spiegels ausgerichtet sein. Der Lipidspiegel sollte dabei 4 bis 6 Wochen nach dem ACS-Ereignis nachkontrolliert und die Therapie entsprechend angepasst werden (13). Ein frühzeitiger Beginn einer intensivierten Statintherapie und ihre Aufrechterhaltung sind auch bei ACS ohne persistierende ST-Hebung (14) sowie nach akutem Myokardinfarkt mit ST-Hebung empfohlen (15). Die Frage, wie lange die Statintherapie aufrechterhalten werden soll, bleibt in der Guideline jedoch unbeantwortet. «In den grossen Sekundärpräventionsstudien vor etwa 20 Jahren zeigten die Patienten nach Langzeiteinnahme von Statinen nach 5 bis 8 Jahren eine längere Ereignisfreiheit als in den Kontrollgruppen», so Reiner. Eine jüngere Studie mit Statintherapie während 12 Jahren nach ACS zeigt bei > 75-Jährigen wie auch bei < 75-jährigen Patienten eine tiefere Rückfallrate als in der Kontrollgruppe (16). Auch in der Primärprävention ohne vorangegangenes kardiovaskuläres Ereignis bringt eine Statintherapie noch nach 20 Jahren Einnahme einen Nutzen, wie die im letzten Jahr veröffentlichen WOSCOPS-Langzeitdaten mit Pravastatin eindrücklich belegt haben. Unter dem Statin war das Risiko für kardiovaskulären Tod und Gesamtsterblichkeit auch nach 20 Jahren noch immer signifikant reduziert (17). Eine Langzeittherapie mit Statinen vor oder nach einem Ereignis scheint demnach vorteilhaft zu sein, so Reiner. Harte Daten, insbesondere solche, die gegen eine Fortsetzung der Statintherapie nach 5 bis 8 Jahren nach ACS sprechen, gibt es nicht und somit auch keine Empfehlung zu einem Stopp. Es ist jedoch auch bekannt, dass die Compliance nicht allzu gut ist und die Patienten das Statin nach einer Zeit in Eigenregie absetzen, so Reiner. Eine kürzlich publizierte retrospektive Beobachtungsstudie aus Deutschland mit Patienten nach einem Ereignis bestätigt diese Vermutung. Nur gerade 30 Prozent der Patienten erreichten die LDL-Zielwerte (18). L
Valérie Herzog
Quelle: «Starting is easy, stopping may be not», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2018, 25. bis 29. August in München.
Referenzen online unter www.arsmedici.ch
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Referenzen: 1. Jernberg T et al.: No changes in survival after acute myocardial
infarction in the last decade: new data from SWEDEHEART. Präsentiert am ESC 2018, 27. August 2018 in München. 2. Bangalore S et al.: β-Blocker use and clinical outcomes in stable outpatients with and without coronary artery disease. JAMA 2012; 308: 1340–1349. 3. Sorbets E et al.: CLARIFY: first-line anti-ischemic agents use and long-term clinical outcomes in stable coronary artery disease. Präsentiert am ESC 2018, 24. August 2018 in München. 4. Nijst P eta al.: Heart Failure with Myocardial Recovery – The Patient Whose Heart Failure Has Improved: What Next? Prog Cardiovasc Dis 2017; 60: 226–236. 5. Basuray A et al.: Heart failure with recovered ejection fraction: clinical description, biomarkers, and outcomes. Circulation 2014; 129: 2380–2387. 6. Lupon J et al.: Recovered heart failure with reduced ejection fraction and outcomes: a prospective study. Eur Heart J 2017; 19: 1615–1623. 7. Moon J et al.: Recovery and recurrence of left ventricular systolic dysfunction in patients with idiopathic dilated cardiomyopathy. Can J Cardiol 2009; 25: e147–e150. 8. Rosenson RS et al.: Statins: can the new generation make an impression? Exp Opin Emerg Drugs 2004; 9: 269–279. 9. Reiner Z et al.: Statins in the primary prevention of cardiovascular disease. Nat Rev Cardiol 2013; 10: 453–464. 10. Ference BA et al.: Low-density lipoproteins cause atherosclerotic cardiovascular disease. 1. Evidence from genetic, epidemiologic, and clinical studies. A consensus statement from the European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Eur Heat J 2017; 38: 2459–2472. 11. Aronow HD et al.: Effect of lipid-lowering therapy on early mortality after acute coronary syndromes: an observational study. Lancet 2001; 357: 1063–1068. 12. Stenestrand U et al.: Early statin treatment following acute myocardial infarction and 1-year survival. JAMA 2001; 285: 430– 436. 13. Catapano AL et al.: 2016 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias. Eur Heart J 2016; 37: 2999–3058. 14. Roffi M et al.: 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: Task Force for the Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent ST-Segment Elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2015; 37: 267–315. 15. Ibanez B et al.: 2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2017; 39: 119–177. 16. Endo A et al.: Comparison of the low-density lipoprotein cholesterol target value and the preventive effect of statins in elderly patients and younger patients. J Geriatr Cardiol 2017; 14: 383– 391. 17. Vallejo-Vaz AJ et al.: Low-density lipoprotein cholesterol lowering for the primary prevention of cardiovascular disease among men with primary elevations of low-density lipoprotein cholesterol levels of 190 mg/dL or above: analyses from the WOSCOPS (West of Scotland Coronary Prevention Study) 5-Year randomized trial and 20-Year observational follow-up. Circulation 2017; 136: 1878–1891 18. März W et al.: Utilization of lipid-modifying therapy and lowdensity lipoprotein cholesterol goal attainment in patients at high and very-high cardiovascular risk: Real-world evidence from Germany. Atherosclerosis 2018; 268: 99–107.
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