Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Ich höre, was Du denkst...
Ihrem Ziel, Gedanken zu lesen, ist eine Forschergruppe an der Columbia-Universität in New York einen grossen Schritt nähergekommen. Es ist ihnen gelungen, mithilfe von Computern und Sprachsynthesizern Hirnströme in verständliche Laute umzusetzen. Dies eröffne neue Wege für eine direkte, rein gedankliche Kommunikation mit einem Computer, heisst es in einer Medienmitteilung der Universität. Auf der einen Seite mag dies für viele eine alptraumhafte Vision sein, auf der anderen könnte es für ALS- oder Locked-in-Patienten eine grosse Chance bedeuten, wieder leichter kommunizieren zu können. Die Idee der Forscher war folgende: Beim Hören oder Sprechen derselben Worte entstehen dieselben Hirnströme, das gilt auch, wenn man an das Wort nur denkt. Wenn es nun also gelänge, bestimmte Hirnstrommuster bestimmten Lauten
zuzuordnen, könnte man diese Hirnstrommuster auch umgekehrt auslesen und mit einem Vocoder in hörbare Laute umsetzen. Zunächst wurden Hirnströme mit invasiven Elektroden direkt im Gehirn bei fünf Epilepsiepatienten abgeleitet, die bei Bewusstsein mehrfach neurochirurgisch behandelt wurden. Verschiedene Sprecher und Sprecherinnen lasen ihnen dabei 30 Minuten lang Geschichten vor. Um sicherzustellen, dass die Probanden aufmerksam zuhörten, unterbrach man den Vortrag hin und wieder und forderte sie auf, den letzten Satz zu wiederholen. Mit den aufgenommenen Hirnströmen und den dazugehörigen Lauten fütterte man entsprechend leistungsfähige Computer, die mittels ausgeklügelter Software und künstlicher Intelligenz sodann lernten, welche Laute zu welchen Hirnstrommustern gehören.
Dann folgte der Test: Bei dem nächsten Eingriff hörten die Probanden nun Zahlen, gleichzeitig wurden die Hirnströme wie beim ersten Mal invasiv abgeleitet. Der Computer übersetzte diese Hirnströme nun in Laute, die via Vocoder hörbar wurden. Die so erzeugten Laute spielten die Forscher zunächst ihren Arbeitsgruppenmitgliedern vor, und tatsächlich waren rund 75 Prozent der Laute verständliche, korrekte Zahlwörter. Wer sich die gespenstische Vocoderstimme selbst einmal anhören möchte, kann das hier tun:
https://www.rosenfluh.ch/qr/brain-computer
RBO L Akbari H et al.: Towards reconstructing intelligible speech from the human auditory cortex. Scientific Reports 2019; 9: 874.
Pharmakologie
Cannabidiol seit 2016 legal – eine Bilanz
Seit Sommer 2016 ist Cannabis mit hohem Cannabidiol- (CBD) und niedrigem Tetrahydrocannabinolgehalt (THC) in Fachgeschäften, im Supermarkt und im Kiosk erhältlich. Nun zieht Sucht Schweiz im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) eine erste Bilanz. Bereits seit 2011 war Cannabis mit weniger als 1 Prozent THC in der Schweiz nicht mehr illegal. Zur gleichen Zeit wurden in Nordamerika Cannabissorten entwickelt, die äusserst wenig THC, aber viel CBD enthalten. Diese Sorten wurden von Schweizer Produzenten übernommen und als «legales Cannabis» vermarktet. Das CBD-Cannabis wird meist in Form von Blüten (Marihuana) angeboten, die grundsätzlich geraucht werden. Einige Online-Shops bieten weitere Raucherwaren an (Harz, gerollte Joints, CBDZigaretten, Shisha-Tabak) sowie Liquide für E-Zigaretten. Auch Öl, das nach den Blüten am häufigsten angeboten wird, und Tinkturen mit CBD belegen im Sortiment einen wichtigen Platz. Verkauft
werden ebenfalls Lebensmittel und Kosmetika mit CBD. Eine Umfrage unter 1500 Personen in der Schweiz, die bereits einmal CBD-Cannabis konsumiert haben, ergab, dass etwa zwei Drittel von ihnen aktuell Konsumierende sind. Von diesen gebraucht wiederum etwa jeder Dritte täglich CBD. Die meisten konsumieren auch Tabak, E-Zigaretten und, wie zuvor, illegales Cannabis. Etwa ein Drittel aller Befragten leidet nach eigenen Angaben an einer ärztlich diagnostizierten Krankheit. Meist handelt es sich um Krankheiten wie Fibromyalgie, Arthritis, Rheuma, Muskel- und Gelenkbeschwerden aber auch um Depressionen. Gemäss Sucht Schweiz sind fünf unterschiedliche Konsumentenprofile auszumachen: 1. Tendenziell eher ältere Frauen, die CBD-
Öl aus medizinischen Gründen oder für das Wohlbefinden gebrauchen. 2. Kranke Menschen, die sowohl CBD als auch illegales Cannabis in Blütenform
konsumieren; sie weisen den höchsten Konsum auf und geben am meisten Geld dafür aus. 3. Jugendliche, die wegen Stress oder Schlafmangel neben illegalem Cannabis auch CBD konsumieren. 4.Eher junge Konsumenten von illegalem Cannabis, die mit CBD ihren Konsum reduzieren beziehungsweise alternieren; hierbei handelt es sich um die bei weitem grösste Gruppe in der Umfrage. 5. Neugierige, die sich für die Wirkungen von CBD interessieren. Es gebe Anzeichen dafür, dass der Schweizer CBD-Markt schrumpfen könnte. Die Studie von Sucht Schweiz zeige jedoch, dass das Interesse an dieser Substanz bei den Konsumierenden immer noch vorhanden sei. Dies bedeute, dass der Markt, auch wenn er kleiner werden und sich wandeln würde, sehr wahrscheinlich nicht verschwinden wird. Sucht Schweiz/RBO L
Medienmitteilung von Sucht Schweiz vom 28. Januar 2019
54 ARS MEDICI 3 | 2019
Angiologie
Armtraining verbessert die Durchblutung der Beine bei pAVK
Bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) empfiehlt man in der Regel ein gezieltes Beintraining, um die Durchblutung zu verbessern. Eine Studienübersicht in der Fachzeitschrift «physiopraxis» zeigt, dass die Betroffenen auch von einem Training am Arm-Ergometer profitieren. Gerade die Beinarbeit könne sehr schmerzhaft sein und werde von pAVK-Patienten oft abgelehnt, schreiben Erik Willems und Raphael Weidmann im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW) in Winterthur. Die beiden Physiotherapeuten suchten nach Trainingsalternativen für diese Patienten und werteten insgesamt vier Forschungsarbeiten dazu aus. Alle Untersuchungen zeigten, dass sich ein mehrwöchiges Armtraining positiv auf die pAVK-Symptome auswirkte. Die Patienten blieben beim Gehen länger schmerzfrei, und auch die maximale Gehstrecke, die sie am Stück zurücklegen konnten, verlängerte sich. Ausserdem verbesserte sich die Sauerstoffversorgung der Wadenmuskulatur. Die Probanden schätz-
ten zudem ihre Lebensqualität nach dem Trai-
ning positiver ein. «Diese Effekte waren ge-
nauso deutlich, zum Teil sogar deutlicher aus-
geprägt, als beim herkömmlichen Training mit
Laufband und Fahrradergometer», fassen Wil-
lems und Weidmann zusammen.
Vermutlich trage Ausdauertraining generell
dazu bei, dass sich Kollateralgefässe um blo-
ckierte Arterien herum entwickelten – und zwar
unabhängig vom Ort der Muskelbeanspruchung.
Auch wenn der Mechanismus nicht abschlies-
send geklärt ist, sei das Arm-Ergometer-Trai-
ning in jedem Fall eine sinnvolle Alternative zur
herkömmlichen Trainingspraxis, konstatieren
die Schweizer Physiotherapeuten. Das gelte ins-
besondere auch für Patienten mit fortgeschrit-
tener pAVK, denen aufgrund schwerwiegender
Durchblutungsstörungen von einem Beintrai-
ning abgeraten wird.
Thieme/RBO L
Medienmitteilung des Thieme-Verlags vom 31. Januar 2019 zu Willems E, Weidmann R: Sinnvolle Umleitung: Armergometertraining bei pAVK. Physiopraxis 2019; 17(1): 40–41.
Kardiologie
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
In einer schwedischen Studie wiesen Personen mit stiller Atherosklerose, denen man ein Jahr zuvor das Ultraschallbild ihrer Karotiden gezeigt hatte, bessere kardiovaskuläre Risikowerte auf als diejenigen, denen man ihr Ultraschallbild nicht gezeigt hatte. In die Studie aufgenommen wurden Personen im Alter von 40, 50 oder 60 Jahren mit einem oder mehreren der üblichen kardiovaskulären Risikofaktoren. Sie wurden untersucht, gaben Blutproben ab, und man führte eine Ultraschalluntersuchung der Karotiden durch. Die Werte gemäss Framingham Risk Score (FRS) und European Systematic Coronary Risk Evaluation (SCORE) wurden bestimmt. Rund 3500 Teilnehmer wurden in zwei Gruppen randomisiert: Die einen informierte man wie üblich, den anderen zeigte man auch das Ultraschallbild ihrer Karotiden, erklärte dessen diagnostische Relevanz und kontaktierte sie zusätzlich noch einmal telefonisch, um nachzufragen, ob sie die Erläuterungen auch richtig verstanden hätten.
Bei etwa gleichem Ausgangsniveau unterschieden sich die beiden Gruppen nach einem Jahr bezüglich FRS und SCORE. Der FRS sank in der Interventionsgruppe und stieg in der Kontrollgruppe. Der SCORE stieg in beiden Gruppen, mit der Intervention jedoch in geringerem Masse. Der Effekt war nicht vom Bildungsstand der Probanden abhängig. Das Arbeiten mit dem Bild könne eine einfache und kostengünstige Motivationshilfe für das Umsetzen präventiver Massnahmen, meinen die Studienautoren, auch wenn sie in ihrer Studie nicht nachprüfen konnten, ob die unterschiedliche Entwicklung der kardiovaskulären Risiko-Scores tatsächlich auf einen veränderten Lebensstil und allenfalls medikamentöser Prävention beruhte. RBO L
Näslund U et al.: Visualization of asymptomatic atherosclerotic disease for optimum cardiovascular prevention (VIPVIZA): a pragmatic, open-label, randomised controlled trial. Lancet 2019; 393: 133–142.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Kein Krebsschutz durch Vitamine
In einer Studie hatten rund 15000 Ärzte in den USA acht Jahre lang jeden zweiten Tag Vitamin E (400 IU) und täglich Vitamin C (500 mg) oder Plazebos eingenommen, um zu überprüfen, ob die zusätzliche Vitamingabe vor Krebs schützen könnte. Das war nicht der Fall. Sowohl das Prostatakarzinom als auch andere Krebsarten waren in der Vitamin- und der Plazebogruppe gleich häufig. Die Studie bestätigt damit Befunde anderer Forscher, die ähnliche Untersuchungen bereits in der Vergangenheit durchgeführt hatten. In der gleichen Ausgabe der Zeitschrift JAMA erscheinen die ebenfalls negativen Ergebnisse einer weiteren Studie, in der man plazebokontrolliert die Gabe von Vitamin E und Selen als Krebsprophylaxe testete.
Vor 50 Jahren
Herztransplantation in der Schweiz
Ake Senning, Direktor der Chirurgischen Klinik A am Universitätsspital in Zürich, führt die ersten Herztransplantationen in der Schweiz durch. Wie auch in anderen Ländern werden Herztransplantationen in der Schweiz wegen nicht beherrschbarer Komplikationen schon bald nicht mehr durchgeführt. Erst Mitte der 1980-er Jahre beginnt man in Zürich wieder damit.
Vor 100 Jahren
Kriegskost gegen Diabetes
In Österreich und Deutschland beobachteten
Ärzte während des Ersten Weltkriegs, dass
die Rationierung von Lebensmitteln für viele
Diabetiker eine positive Nebenwirkung hatte:
Ihr Blutzuckerspiegel normalisierte sich und
sie wurden wieder glukosetolerant: «Wir
haben gewissermassen ein Massenexperi-
ment mit gemischter Kohlehydratkost vor
uns, die ohne die schädliche Kalorienein-
schränkung bereits früher therapeutisch ver-
wendet wurde», berichtet ARS MEDICI am
28. Januar 1919. Ein Spital in Deutschland
habe bereits entsprechende, der Kriegskost
ähnelnde Diäten mit Erfolg bei ihren Diabe-
tespatienten ausprobiert.
RBO L
ARS MEDICI 3 | 2019