Transkript
Rückblick 2018/Ausblick 2019
Geriatrie
Prof. Dr. phil. Andreas U. Monsch Leiter Memory Clinic Universitäre Altersmedizin Felix Platter-Spital, Basel
Es ist unverändert wichtig, dass man Demenzpatienten möglichst frühzeitig diagnostiziert und betreut
1. Welche neuen Erkenntnisse des letzten Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend?
Besonders spannend fand ich im letzten Jahr, dass neue Möglichkeiten entstehen, Biomarker für die Veränderungen im Gehirn von Patienten mit einer Alzheimer-Krankheit nicht nur im Liquor, sondern auch im Blut nachweisen zu können. Konkret meine ich damit Amyloidmarker, die man mithilfe neuer Techniken nun auch im Blut diagnostizieren kann. Sehr faszinierend sind auch die Neurofilamente als neue Biomarker. Diese haben offenbar eine grosse Bedeutung, und man kann sie auch im Blut nachweisen. Eine wichtige Erkenntnis war zudem, dass Beta-Sekretase-Hemmer* in einigen Studien den Alzheimer-Patienten auch geschadet haben: Patienten, die gewisse Medikamente erhalten hatten, entwickelten sich kognitiv schlechter als die Patienten in der Plazebogruppe. Das war ein eher unerwartetes Resultat, und es zeigte sich in verschiedenen Therapieversuchen mit diesen Substanzen.
2. Welche neuen Erkenntnisse könnten Diagnose und/oder Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?
Hersteller, die jetzt Phase-III-Studien mit monoklonalen Antikörpern durchführen, scheinen optimistisch zu sein, dass die Studien positive Resultate liefern werden, denn sie sind bereits dabei, den Markt vorzubereiten. Wir erwarten die Resultate dieser Studien erst Mitte 2020, aber bereits jetzt befassen wir uns sinnvollerweise mit der Frage der Konsequenzen für das Gesundheitswesen, falls diese Medikamente wirksam sein sollten und zugelassen werden. Das ist eine hoch spannende Geschichte: Was tun wir, wenn wir eine wirksame, ursächliche Therapie gegen Alzheimer hätten? Was würde sich bezüglich Diagnostik ändern? Wir haben im letzten Jahr die kognitiven Testverfahren verbessern können, indem wir uns vom Mini Mental State (MMS) verabschiedet und zum Montreal Cognitive Assessment, dem sogenannten MoCA, gewechselt haben. Das betrifft übrigens nicht nur uns hier in Basel, sondern das scheint ein weltweiter Trend zu sein. Damit dies funktioniert, haben wir das MoCA bei 283 Gesunden normiert. Der Wechsel ist sinnvoll, weil wir mit dem MoCA heute in der Lage sind, die Patienten wesentlich früher zu diagnostizieren. Der MMS war einfach nicht genügend
sensitiv, sprich zu einfach, um die Patienten in frühen Stadien zu identifizieren.
3. Wurden 2018 in Ihrem Fachgebiet neue Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern könnten?
Nein, das war auch 2018 nicht der Fall. Erwähnen möchte ich aber eine Studie, an der wir sehr stark beteiligt waren, die TOMMORROW-Studie, die 2018 leider gestoppt wurde. Diese Studie hatte darauf abgezielt, zwei Fragen zu beantworten: Erstens die Frage, ob man einen bestimmten Genotyp, eine bestimmte Konstellation der Gene TOMM40 und ApoE auf Chromosom 19, als neuen, zusätzlichen genetischen Risikofaktor für Alzheimer identifizieren könnte, und zweitens, ob man mit sehr niedrig dosiertem Pioglitazon die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz bei Personen mit diesem Genotyp stoppen oder zumindest verzögern könnte. 3500 Personen mit einem bestimmten Genotyp wurden eingeschlossen, alle kognitiv gesund. Es war geplant, die Gesunden über vier bis fünf Jahre zu verfolgen und alle sechs Monate zu untersuchen. Der klinische Endpunkt war das Eintreten einer leichten neurokognitiven Störung. Leider wurde die Studie im Januar 2018 abgebrochen. Grund dafür war das Resultat einer sogenannten «futility analysis», das heisst einer vorläufigen Auswertung der Resultate mit der Fragestellung, ob diese darauf hindeuten, dass die Studie am Ende tatsächlich positiv ausgehen könnte. Die Firma kam zu dem Schluss, dass dem wahrscheinlich nicht so sei, und brach die Studie ab. Später jedoch, als man die bis zu diesem Zeitpunkt gesammelten Daten im Detail kannte, kamen im Oktober 2018 am CTAD-Kongress in Barcelona (CTAD = Clinical Trials in Alzheimer’s Disesase) nicht nur bei mir Zweifel daran auf, ob dieser Studienabbruch wirklich gerechtfertigt war. Sie hätte unter Umständen eine völlig neue Möglichkeit eröffnet, die Alzheimer-Demenz anzugehen. Auch die genannte genetische Konstellation scheint sich als Risikofaktor tatsächlich zu bestätigen.
4. Auf welche Studienresultate sind Sie für 2019 besonders gespannt?
Wir sind nun gespannt auf Anti-Tau-Medikamente, dazu laufen einige Phase-2-Studien. Bis jetzt haben Beta-SekretaseHemmer und Amyloidantikörper die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen können. Es laufen aber noch einige wichtige Studien mit aktiver oder passiver Immunisierung, deren Resultate aber erst im Jahr 2020 zu erwarten sind. Zusätzlich kommen jetzt also Studien mit Anti-Tau-Substanzen, die hochinteressant zu sein scheinen. Leider ist es so, dass meines Wissens bei den Anti-Tau-Studien keine Schweizer Institutionen dabei sind. Es ist heute durchaus vorstellbar, dass eine wirksame zukünftige Therapie aus einer Kombination von Anti-Beta-Amyloid und Anti-Tau bestehen wird. Worauf ich eigentlich schon lange warte, sind weitere Langzeitresultate der FINGER-Studie, die schon 2009 begann. Deren unmittelbares Resultat wurden bereits 2015 publiziert. Es ging um die Wirksamkeit einer multimodalen Inter-
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BrainCheck: www.braincheck.ch
BrainCoach: www.braincoach-programm.ch
MoCA:
www.mocatest.org www.mocatest.ch (mit Normierung)
vention bei Personen, die kognitiv leicht beeinträchtigt waren: körperliches Training, Ernährungsberatung, kognitives Training und einige andere Massnahmen. Man hat dann herausgefunden, dass sich die Kognition im Rahmen eines Zweijahresprogramms bei den Personen mit Intervention gegenüber der Kontrollgruppe tatsächlich verbessert hatte. Die jedoch entscheidende Frage, ob sich die Inzidenz der Demenz tatsächlich ändert, soll in einer Untersuchung sieben Jahre nach der Erstuntersuchung beantwortet werden. Darauf bin ich also schon länger gespannt: Sollte es wirklich möglich sein, mit so relativ einfachen Mitteln die Inzidenz, also die Zahl der demenziellen Neuerkrankungen, zu beeinflussen?
5. Und was fürchten Sie am meisten?
Am meisten fürchte ich weitere negative Studienresultate oder gar Resultate, die darauf hinweisen, dass man mit wohlüberlegten, gut gemeinten Therapieversuchen am Ende Schaden anrichten könnte.
6. Was ist Ihre wichtigste Botschaft für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis 2019?
Angesichts der Tatsache, dass man keine neuen oder wirklich
hochwirksamen Medikamente hat, ist meine wichtigste Bot-
schaft für die Kollegen in der Hausarztpraxis unverändert:
dass man Patienten frühzeitig diagnostiziert. Es geht nicht
nur darum, ein Medikament zu geben, sondern auch darum,
diese betroffenen Patienten und ihre Familien sehr frühzeitig
zu betreuen und sie nicht im Stich zu lassen. Dafür gibt es
neue, verbesserte Instrumente. Wir haben den BrainCheck
für die Hausärzte entwickelt, wir haben das MoCA normiert,
auch für die Hausärzte. Und es gibt auch das Programm
BrainCoach, bei dem man als Hausarzt gemeinsam mit den
Patienten herausfinden kann, welche kognitiven Aktivitäten
der Patient aufnehmen könnte, um dadurch das Ausbrechen
einer Hirnleistungsstörung aufgrund einer neurodegenera-
tiven Erkrankung etwas hinauszuschieben.
L
*Beta-Sekretase-Hemmer: Die Beta-Sekretase (BACE) spielt eine Rolle bei der Entstehung von Amyloidplaques, indem sie das Amyloidvorläuferprotein spaltet, so dass Beta-Amyloide entstehen, die letztlich die typischen Plaques bilden. BACE-Hemmer sollen diesen pathogenetischen Prozess unterbrechen.
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