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FORTBILDUNG
Indikationen beachten, Resistenzen vermeiden!
Antibiotika in der Hausarztpraxis
Was veranlasst Hausärzte zu einer Antibiotikaverordnung? Neben der Hoffnung, damit den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen und Komplikationen zu verhindern, spielen auch andere Gründe eine Rolle – etwa ein bevorstehendes Wochenende, fordernde Patienten oder die Angst vor juristischen Konsequenzen. Eine nicht indizierte oder falsch dosierte Antibiotikaverordnung sowie die Wahl einer ungeeigneten Substanzklasse kann jedoch auf Dauer grossen Schaden anrichten.
Raphael Weißgerber
Im Jahr 2015 wurden in Deutschland knapp 800 Tonnen Antibiotika verschrieben. Gut 40 Prozent werden dabei in der Humanmedizin eingesetzt, wobei die ambulante Medizin für acht von zehn Verschreibungen verantwortlich ist (1). Hausärzte verschreiben mengenmässig die meisten Antibiotika und liegen bei der Verordnung pro Konsultation gleich hinter HNO-Ärzten und Urologen (2). In Europa liegt Deutschland im Gesamtverbrauch der Antibiotika im guten oberen Mittelfeld – am wenigsten Antibiotika werden in den Niederlanden verabreicht (3). Ob dort weniger bakterielle Komplikationen auftreten, darf bezweifelt werden und wäre eine interessante Forschungsfrage. Bei der Substanzwahl ist im europäischen Vergleich der verbreitete Einsatz von Cephalosporinen in Deutschland auffällig. In den Niederlanden kommen diese nur in der Klinik zum Einsatz, was auch für
Tabelle 1:
WHO-Liste der Key-access-Antibiotika: Antibiotika, die zumindest in einer Indikation die Mittel der 1. oder 2. Wahl darstellen (Stand März 2017)
Betalactam-Antibiotika
Andere Antibiotika
Amoxicillin Cefotaxim*
Amikacin
Gentamicin
Amoxicillin + Ceftriaxon
Azithromycin* Metronidazol
Clavulansäure
Ampicillin
Cloxacillin
Chlor-
Nitrofurantoin
amphenicol
Benzathin-
Phenoxymethyl- Ciprofloxacin* Spectinomycin
Benzylpenicillin penicillin
(Penicillin V)
Benzylpenicillin Piperacillin + Clarithromycin* Sulfamethoxazol
(Penicillin G) Tazobactam*
+ Trimethoprim
Cefalexin
Procain-Benzyl- Clindamycin Vancomycin
penicillin (Depot-
(oral)*
Penicillin)
Cefazolin
Meropenem
Doxycyclin
Vancomycin
(parenteral)
Cefixim*
*Diese Antibiotika sind speziellen, limitierten Indikationen vorbehalten und stehen gleichzeitig auf der Watch-List (Tabelle 2); kursiv = Komplementär-Liste
Deutschland erstrebenswert wäre, da Cephalosporine zur vermehrten Resistenzentwicklung beitragen. Dies gilt insbesondere für Cephalosporine der zweiten und dritten Generation. Sie sind in den eingesetzten Wirkdosen vor allem bei Atemwegsinfektionen regelhaft unterdosiert und werden in keiner Leitlinie als Erstlinientherapeutikum erwähnt. Die häufige Anwendung bei «Penicillinallergie», zum Beispiel bei Gruppe-A-Streptokokken-Pharyngitis, ist falsch. Hier sollte vor allem die überdiagnostizierte Allergie infrage gestellt werden, gegebenenfalls mit einer Testung. Prozentual werden zudem in Deutschland zunehmend Reserveantibiotika verschrieben (4, 5). Die Definition von Reserveantibiotika ist uneinheitlich. Die WHO hat diese 2017 nun klar definiert als letzte Wahl, wenn andere Mittel in der Therapie versagt haben (6). Diese Substanzen sollten der Klinik vorbehalten sein. Viel wichtiger in der Hausarztmedizin sind die definierten «Key-access-Antibiotika» (Tabelle 1) und die «Watch-groupAntibiotika» (Tabelle 2). Erstere sollten unsere erste Wahl bei der Therapie bakterieller Erkrankungen sein. Sie sind ubiquitär verfügbar, wirtschaftlich und gut bekannt. In dieser Gruppe finden sich die Penicilline, Amoxicillin mit und ohne Clavulansäure, aber auch Doxycyclin und Nitrofurantoin. In der grossen Gruppe der «key access antibiotics» finden sich auch Fluorchinolone wie zum Beispiel Ciprofloxacin oder Makrolide wie etwa Azithromycin. Diese Mittel werden aber ebenso der «watch group» zugeordnet, da sie für die zunehmende Resistenzentwicklung verantwortlich gemacht werden. Sie sollten von uns Ärzten nicht primär verordnet und auf nationaler Ebene überwacht werden.
Hausärzte spielen zentrale Rolle bei der Resistenzentwicklung
Ein häufiger Einsatz von Antibiotika führt zu steigenden Resistenzraten. Dieser Zusammenhang ist unbestritten und belegt (7). Umgekehrt führt auch ein restriktiver Umgang mit Antibiotika zur Abnahme resistenter Erreger, wie in den 90er-Jahren in Finnland eindrucksvoll bewiesen wurde. Dort war bei massiver Resistenzentwicklung für Makrolide bei Streptokokken eine Restriktion erfolgt (8). Erschreckend ist, dass nur ein Drittel der niedergelassenen Ärzte der These zustimmt, dass ihr Verordnungsverhalten auf die Antibiotika-
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Tabelle 2:
WHO-Liste der Watch-group-Antibiotika: Antibiotika mit höherem Resistenzpotenzial, die speziellen, limitierten Indikationen vorbehalten sein sollten (Stand: März 2017)
L Chinolone und Fluorchinolone (z.B. Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin)
L Makrolide (z.B. Azithromycin, Clarithromycin Erythromycin)
L Glycopeptide (z.B. Teicoplanin, Vancomycin)
L Antipseudomonas-Penicillin + Betalactamase-Inhibitor (z.B. Piperacillin-Tazobactam)
L Carbapeneme (z.B. Meropenem, Imipenem + Cilastatin)
L Peneme (z.B. Faropenem)
resistenzsituation in ihrer Region Einfluss hat. Nur 67 Prozent der niedergelassenen Ärzte halten die Resistenzraten für ihren Arbeitsplatz relevant. Bei Klinikärzten ist das Bewusstsein deutlich höher (9). Der häufige Einsatz von Antibiotika führte in den letzten Jahren zu teils massiven Resistenzraten von Bakterien weltweit – insbesondere in wirtschaftlich ärmeren Ländern (10). Die Prävalenz von multiresistenten Erregern steigt aber auch in Deutschland an (11). Niedergelassene Ärzte sollten ihre lokalen Resistenzraten kennen. Dies ist mittlerweile leicht möglich, da alle Labore gesetzlich verpflichtet sind, diese zu veröffentlichen. Sie sollten darauf achten, die Grafiken richtig zu interpretieren. Wenn beispielsweise bei Harnwegsinfektionen 22 Prozent der Isolate von Escherichia coli gegen Trimethoprim resistent sind, gilt dies nur für die durchgeführten Urinkulturen. Bei unselektionierten Patienten in der Primärversorgung wird die Rate deutlich niedriger liegen, wie Studien auch schon bewiesen haben (12). In Leitlinien werden Substanzen, deren Resistenzen bei über 20 Prozent liegen, nicht mehr empfohlen, was zu deutlichen Veränderungen der Substanzwahl bei der aktuellen «Leitlinie Harnwegsinfektion» führte (13). Während multiresistente grampositive Erreger (MRSA, VRE) seit einigen Jahren wenigstens keinen Anstieg mehr ver-
Tabelle 3:
Infektionen, bei denen kürzere Antibiotikaeinnahmedauern gleichwertig waren
Erkrankung
Ambulant erworbene Pneumonie Pyelonephritis Exazerbation einer COPD Akute bakterielle Sinusitis Erysipel Chronische Osteomyelitis
Kurze Behandlungsdauer
3–5 Tage
5–7 Tage ≤ 5 Tage
5 Tage 5–6 Tage 42 Tage
Lange Behandlungsdauer
7–10 Tage
10–14 Tage ≥ 7 Tage
10 Tage 10 Tage 84 Tage
zeichnen, kam es bei gramnegativen Erregern (E. coli, K. pneumoniae, A. Baumanii) zu einem sprunghaften Anstieg von multiresistenten Isolaten (14). Dies führt zu einem Anstieg von Mortalität, aufwendigen Hygienemassnahmen sowie volkswirtschaftlichen Kosten vor allem im Krankenhaus (15). Ein britischer Report von Jim O’Neill geht von einer Zunahme von derzeit 70 000 Toten auf 10 Millionen Tote 2050 weltweit durch antimikrobielle Resistenz aus (16). Antibiotika sind eine besondere Medikamentenklasse, da ihre Anwendung Auswirkungen auf die Allgemeinheit hat. Sie werden deshalb auch «social drugs» genannt (17). Die Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Resistenzen fällt den verschreibenden Ärzten zu (18). Es spielen aber auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Der Einsatz von Antibiotika in Tiermedizin und Umwelt sowie die globale Mobilität führen zur Anwesenheit multiresistenter Erreger im gesamten Nahrungskreislauf (one world, one health). Ein alltäglich unterschätzter Mechanismus ist die Übertragung multiresistenter Erreger von Mensch zu Mensch (Transmission). Hier sollte insbesondere die hygienische Händedesinfektion durch medizinisches Personal häufiger durchgeführt werden (vgl. auch Kasten 1). Nicht durchgeführte Impfungen (z.B. Pneumokokken) und mangelnde diagnostische Möglichkeiten für eine bakterielle Infektion führen zu einem inadäquaten Einsatz von Antibiotika. Eine suboptimale Dosierung führt ebenfalls zur Resistenzentwicklung. Neuere Untersuchungen zeigen, dass auch das Paradigma der langen Antibiotikaeinnahme (traditionell bei den meisten Indikationen 7 Tage) wackelt (19). Eine längere Einnahme führt zur vermehrten Resistenz – entgegen dem lange von uns Ärzten propagierten Gegenteil!
Kürzere Einnahmedauer oft genauso wirksam
Bei vielen Krankheiten konnte mittlerweile gezeigt werden, dass eine kürzere Einnahmedauer ebenso wirksam ist. Hausärztlich relevant sind diese Erkenntnisse bei Hautinfektionen (Erysipel), ambulant erworbener Pneumonie oder bakterieller Sinusitis (20) (Tabelle 3). In den neueren englischsprachigen Leitlinien werden deshalb keine strikten Einnahmedauervorgaben mehr gemacht, sondern der Arzt wird in seiner Therapiefreiheit gestärkt (as long as prescribed). Im Praxisalltag wäre hier der klinische Verlauf zu beurteilen und bei Besserung der Symptomatik, zum Beispiel nach einem weiteren Tag, das Antibiotikum abzusetzen. Hier wird bei Ärzten viel Unsicherheit in der Therapie entstehen. Auch in der Bevölkerung ist der Grundsatz, das Antibiotikum «bis zum Packungsende» einzunehmen, fest verankert. Durch die neuen Richtlinien werden die Patienten hier zunächst irritiert sein. Kritiker sehen auch durch im Blister verbleibende Tabletten eine Gefahr für einen unkritischen Selbsteinsatz der Patienten bei der nächsten Infektion. Eine Möglichkeit wäre hier die Auseinzelung der Antibiotika aus medizinischer Notwendigkeit in der Apotheke, wie sie ja auch bei anderen Medikamenten wie Benzodiazepinen üblich ist. Die häufigsten Indikationen für eine Antibiotikatherapie beim Allgemeinarzt sind europaweit die akuten Atemwegsund Harnwegsinfektionen. Jeder dritte Europäer und jeder vierte Deutsche hat 2016 ein Antibiotikum verschrieben bekommen. Bei Kindern unter fünf Jahren waren es sogar 70 Prozent (21). Eine Studie zeigte, dass es unter Ärzten Un-
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Kasten 1:
Schlüsselfaktoren für die Resistenzentwicklung
L Fehl- und Übergebrauch in der Humanmedizin
L Fehl- und Übergebrauch in der Tiermedizin
L Transmission (Übertragung von Mensch zu Mensch) im Gesundheitssektor
L suboptimale Dosierung und falsche Substanzwahl
L Umweltkontamination
L fehlende Impfungen
L fehlende Diagnosemöglichkeiten einer bakteriellen Infektion
L Reisen
Kasten 2:
Gründe für die inadäquate Verordnung von Antibiotika von Hausärzten
L schwer einschätzbarer klinischer Verlauf L bevorstehendes Wochenende L Patient fordert Antibiotikum L Patient will schnell wieder arbeiten L Arzt will auf der sicheren Seite sein L unbekannter Patient L Sprachbarriere L inkomplianter Patient L Multimorbidität L zu teure Diagnostik
terschiede in der Verschreibungshäufigkeit gibt. Dabei war ein Viertel der Ärzte für 42,4 Prozent der Rezepte verantwortlich (22). In Grossbritannien wurde aufgrund dieser Tatsache im Rahmen einer Studie ein Brief mit Möglichkeiten zur Reduktion von Antibiotikaanwendungen an die jeweiligen Ärzte geschrieben. Daraufhin wurden 3,3 Prozent weniger Antibiotika verschrieben. Die ebenso erfolgte Patienteninformation in diesen Praxen führte zu keiner Reduktion der Verschreibungshäufigkeit (23).
Grosses Einsparpotenzial bei Atemwegsinfekten
Gerade bei den akuten Atemwegsinfektionen lassen sich Antibiotikaverordnungen einsparen. In der Ärzteschaft ist zwar bekannt, dass die Mehrzahl der akuten Atemwegsinfektionen (Rhinosinusitis, Otitis media, Tonsillopharyngitis, Bronchitis) viral bedingt ist. Studien zeigten, dass mehrere Gründe für die trotzdem zu häufige Verschreibung antibakterieller Substanzen verantwortlich sind (24) (Kasten 2). An erster Stelle steht die Sorge vor einem sich verschlechternden Krankheitsbild und etwaigen Komplikationen, insbesondere vor einem Wochenende. Diese Sorge scheint unbegründet, wie immer mehr Studien bei typischen hausärztlichen Krankheitsbildern zeigen. So konnte 2017 beispielsweise eine prospektive britische Studie über zehn Jahre bei knapp 30 000 Patienten mit akutem infektiösem Husten zeigen, dass Antibiotika weder Pneumonien noch Krankenhausaufnahmen oder Tod signifikant innerhalb von 30 Tagen verringern konnten. Auch Symptomfreiheit trat nicht früher ein. Zusätzlich war bei dieser Studie interessant, dass Patienten, die in der ersten Konsultation ein Antibiotikum erhielten, signifikant häufiger den Arzt erneut aufsuchten, wenn im Verlauf der Erkrankung neue Symptome hinzukamen (25). Eine britische Kohortenstudie über zehn Jahre in 610 Praxen zeigte, dass bei Reduktion der Verschreibungshäufigkeit bei Atemwegsinfektionen um 10 Prozent mehr Pneumonien und auch mehr Peritonsillarabszesse auftraten. Allerdings war hier die absolute Zahl sehr gering. In einer hypothetischen Praxis mit 7000 Patienten führte dies im Jahr zu einer (einzigen) Pneumonie und zu einem (einzigen) Peritonsillarabszess mehr in zehn Jahren (26). Diese Erkrankungen sind dann auch gut behandelbar und rechtfertigen das Ausmass des Antibiotikaeinsatzes nicht.
Die Autoren fanden des Weiteren keine Zunahme von Mastoiditiden bei Otitis media oder intrakraniellen Abszessen und Meningitis bei Sinusitiden. Auch die Verhinderung eines rheumatischen Fiebers bei Gruppe-A-Streptokokken-Pharyngitis muss bezweifelt werden. Die aktuelle Empfehlung beruft sich auf eine Studie aus den 1950er-Jahren, die methodisch angreifbar ist. Natürlich sollten jedem Arzt die «red flags» der einzelnen Erkrankungen bekannt sein. Bezüglich der Symptomkontrolle sind die Studien bei Atemwegsinfektionen konsistent. Eine antibiotische Therapie führt nicht zur schnellen effektiven Symptomkontrolle bei Otitis media, Rhinosinusitis oder akuter Bronchitis (27–29). Bei der unkomplizierten Harnwegsinfektion allerdings mehren sich die Zeichen, dass eine antibiotische Therapie schneller zu Schmerzfreiheit führt (30, 31). Trotzdem kann hier leitliniengerecht nach entsprechender Aufklärung der Patientinnen auf ein Antibiotikum verzichtet werden (32).
Tipps zur Reduktion von Antibiotikaverschreibungen
Eine prophylaktische Gabe eines Antibiotikums zur Verhinderung einer Komplikation scheint also nicht von Erfolg gekrönt zu sein. Praktisch bietet sich hier auch zur Beruhigung des Arztes und des Patienten das «Standby-Rezept» an. Hierbei wird ein Rezept für ein Antibiotikum bereits ausgestellt, allerdings soll der Patient dies erst bei Hinweisen auf eine Komplikation oder bei einer deutlichen Verschlechterung seiner Symptomatik in der Apotheke einlösen. Studien zeigten, dass diese Massnahme zur Reduktion von Antibiotikaeinnahmen führt (33). Noch seltener wird das Rezept eingelöst, wenn der Patient nochmals zur Abholung in die Praxis kommen muss, wo es beispielsweise am Tresen vorbereitet ausliegt. Als zweithäufigsten Grund für eine unkritische Antibiotikaverordnung nennen Ärzte die Forderungshaltung von Patienten. Dies mag im Ausnahmefall stimmen, allerdings wird dies von Ärzten deutlich überschätzt. Mehrere Untersuchungen zeigen, dass nur wenige Patienten mit einer fixen Erwartungshaltung bezüglich Antibiotikaverordnung in das ArztPatienten-Gespräch kommen (34). Vielmehr ist es ihnen wichtig zu erfahren, ob eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt (35).
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Die Patienten sollten über die Genese (Viruserkrankung) und über den natürlichen Verlauf mit etwaigen neu auftretenden Symptomen und die voraussichtliche Dauer aufgeklärt werden. Ausserdem sollte im Gespräch deutlich werden, dass Antibiotika nur bei bakteriellen Infekten und nicht bei viralen Infekten helfen. Im Eurobarometer 2016 wusste dies weniger als die Hälfte der Deutschen. In Schweden konnten dies immerhin 72 Prozent korrekt beantworten. Eine Herausforderung für den Arzt ist diese Unwissenheit bei Patienten mit Sprachbarrieren oder auch im Bereitschaftsdienst. Hierbei helfen sogenannte Infozepte, bei denen die Genese der Erkrankung sowie Therapiemassnahmen erklärt werden (http://www.infozeptgenerator.de). Auch die Seite http://www.gesundheitsinformation.de bietet für interessierte Patienten schöne Artikel. Zur Reduktion von Antibiotikaeinnahmen würde auch ein verlässlicher Point-of-care-Test führen, der am besten noch quantitativ die Schwere einer bakteriellen Infektion angibt. Leider gibt es diesen Test noch nicht. Der CRP-Test kann leider nicht sicher zwischen einer viralen und einer bakteriellen Infektion differenzieren (37). Viele Leitlinien (z.B. Rhinosinusitis, akute Bronchitis, Divertikulitis) empfehlen ihn dennoch bei unklarer Indikation für ein Antibiotikum (38–40). Einen klaren Cut-off, ab wann eine bakterielle Infektion vorliegt, gibt es nicht. Besser als der CRP-Test scheint der PCT-(Procalcitonin-)Test zu sein. Er konnte im stationären Setting bereits bei Pneumonien zur Reduktion von Antibiotikaverordnungen führen (41). Im ambulanten Bereich fehlen grössere Studien. Zurzeit ist der PCT-Test sehr teuer, in der Schweiz aber seit Jahren über die obligatorische Krankenpflegeversicherung erstattungsfähig. Durch das Fehlen des Point-of-care-Tests wird in der Praxis die Prozedur kompliziert, da der Patient am Abend oder am Folgetag erneut mit dem Arzt in Kontakt treten muss. Ein weiterer interessanter alltäglicher Grund für Ärzte, Antibiotika zu verschreiben, ist der medikolegale Aspekt. Viele Ärzte wollen «auf der sicheren Seite» sein und sehen sich mit einer überflüssigen Antibiotikatherapie geschützt, da sie ja einen abwendbar gefährlichen Verlauf bedacht und dokumentiert haben. Wie oft es in der juristischen Praxis tatsächlich zu Anklagen oder gar Verurteilungen kommt, ist nicht bekannt. In einer persönlichen Mitteilung erklärte mir der Justiziar der grössten deutschen Ärztehaftpflichtversicherung, dass ihm kein einziger Fall bekannt sei, bei dem Hausärzte wegen fehlender Antibiotikagabe angeklagt oder gar verurteilt wurden. Einzelne Urteile sollten aber sowieso einen unkritischen Verbrauch auf keinen Fall legitimieren. Bei einer juristischen Auseinandersetzung wird vor allem in der Praxisdokumentation das Fehlen von «red flags» helfen.
Unerwünschte Wirkungen: häufig, aber selten schwerwiegend
Antibiotika sind potenzielle Lebensretter. Richtig eingesetzt, verhindern sie den Tod, zum Beispiel bei einer Sepsis. Sie haben aber auch unerwünschte Wirkungen, die in den letzten Jahren besser untersucht wurden. Insgesamt treten selten schwerwiegende unerwünschte Nebenwirkungen auf (42). Eine klassische Nebenwirkung ist die Diarrhö. Sie tritt bei 5 bis 25 Prozent der therapierten Patienten auf. Es wird in allen Fachinformationen darauf hingewiesen. Prinzipiell können
alle Antibiotika durch die Dysbiose im Mikrobiom Durchfall auslösen. Ein genauerer Blick lohnt allerdings. Durch die Zerstörung verschiedener Bakterienspezies wird auch deren Enzymproduktion reduziert. Dies führt zur Dysfunktion der Darmepithelien und deshalb zur verminderten Resorption von Wasser und Elektrolyten. Dies resultiert in einer osmotischen Diarrhö und ist generell ungefährlich. Ebenso ungefährlich ist eine sekretorische Diarrhö durch mangelnden Abbau von Gallensäuren im Kolon. In diesen Fällen sollte das Antibiotikum weiter gegeben werden. Anders verhält es sich, wenn Fieber oder Blutbeimengungen auftreten – verbunden mit einem schweren Krankheitsgefühl. Hierbei sollte man an die potenziell tödlich verlaufende Clostridieninfektion denken und den Stuhl daraufhin untersuchen. Am häufigsten tritt die Infektion nach Gabe von Clindamycin und Amoxicillin auf (Tabelle 4). Als weitere typische Auslöser werden Cephalosporine (Ceftriaxon) und Fluorchinolone genannt (43). Bei einer Clostridieninfektion sollte das Antibiotikum abgesetzt werden.
Tabelle 4:
Antibiotikaklassen und ihre Assoziation mit einer Clostridium-difficile-Infektion
L Amoxicillin L Clindamycin L Cephalosporine L Fluorquinolone L Penicilline L Trimethoprim L Makrolide L Metronidazol L Tetracycline
sehr hoch sehr hoch sehr hoch sehr hoch mässig mässig mässig niedrig niedrig
Milde Verläufe ohne Fieber oder schwere Krankheitszeichen müssen nicht zwangsläufig behandelt werden, und es kann der natürliche Verlauf abgewartet werden. Bei schwereren Verläufen sollte Metronidazol oder Vancomycin gegeben und eine Krankenhausbehandlung erwogen werden. Zurzeit scheinen in der Therapie für Vancomycin oral bessere Daten zu sprechen, allerdings sind die Tagestherapiekosten um ein Vielfaches höher. Schwerwiegende Verläufe sollten stationär behandelt werden. Hier werden in der Therapie auch Reserveantibiotika eingesetzt und bei rekurrenten Infektionen Stuhltransplantationen erwogen. Eine Kontrolle des normal geformten Stuhls nach Therapie ist wenig sinnvoll, da noch wochenlang positive Testergebnisse resultieren. Eine prophylaktische Gabe von Probiotika zur Verhinderung einer antibiotikaassoziierten Diarrhö wird kontrovers diskutiert. Dänische Kollegen konnten in einer 2017 veröffentlichten Metaanalyse eine 51-prozentige Reduktion des Risikos (number needed to treat, NNT: 11) bei begleitender Gabe von Lactobacillus rhamnosus GG oder in etwa gleichem Ausmass von Saccharomyces boulardii finden. Anfang 2018 wurde allerdings ein Rote-Hand-Brief zur Therapie von S. boulardii bei Immunsupprimierten oder Schwerkranken veröffentlicht.
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Aufgrund selten auftretender Fungämien mit Todesfolge sind sie nun in dieser Patientengruppe kontraindiziert. Eine weitere häufige Nebenwirkung einer antibiotischen Therapie ist ein Hautausschlag, der die Patienten beunruhigt und dazu führt, dass die Substanz im weiteren Leben als «unverträglich» oder «allergisch» gilt (44). Dies ist nur selten der Fall. Hautausschläge können bei Infektionskrankheiten unabhängig von Medikamenten auftreten. Eine begleitende NSAR-Therapie führt oft auch zu einem Hautausschlag, insbesondere bei Asthmatikern (45). Patienten, die angeben, eine «Penicillinallergie» zu haben, führen dies häufig auf einen Ausschlag in der Kindheit zurück. Die genauen Umstände sind meist nicht mehr erinnerlich. Bis zu 10 Prozent der deutschen Patienten geben eine Penicillinallergie an. Wahrscheinlich trifft dies in Wahrheit nur bei weniger als 1 Prozent der Bevölkerung zu (46). Insbesondere schwerwiegende, potenziell tödliche anaphylaktische Sofortreaktionen sind selten. Patienten mit Penicillinunverträglichkeit werden häufiger mit Reserveantibiotika behandelt, was bekannterweise zu vermehrter antimikrobieller Resistenz führt. Patienten, die in
ihrem Leben häufig mit Antibiotika behandelt werden und
eine Penicillinallergie angeben, sollten deswegen häufiger
beim Allergologen getestet werden (47). Dieser kann mit
Prick-Intradermal- oder Epikutantests viele antibiotische
Substanzen testen und eine Arzneimittelunverträglichkeit
ausschliessen. Sollte eine Unverträglichkeit bestätigt werden,
ist dem Patienten ein Allergiepass auszuhändigen und die Art
der Reaktion adäquat zu dokumentieren.
L
Dr. med. Raphael Weißgerber Facharzt für Allgemeinmedizin D-93152 Nittendorf
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2018. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Anpassungen an Schweizer Verhältnisse wurden durch die Redaktion von ARS MEDICI vorgenommen.
Literatur beim Verfasser
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