Transkript
STUDIE REFERIERT
Osteoporose
Schützt L. reuteri vor Knochenschwund?
Aus Tierversuchen ist bekannt, dass eine Störung des intestinalen Mikrobioms negative Folgen für die Knochengesundheit haben kann. Bei Labormäusen konnte der Mikrobenstamm Lactobacillus reuteri 6475 die Knochendichte steigern. In einer Studie mit 90 Frauen zeigte sich der gleiche Effekt – worauf er beruhen könnte, weiss man bis anhin nicht.
Journal of Internal Medicine
Lactobacillus reuteri, ein Milchsäurebakterium, gehört zur mikrobiellen Darmflora des Menschen. Einige Stämme von L. reuteri werden als Probiotika vermarktet, so auch L. reuteri 6475. Nachdem die Gabe von L. reuteri 6475 bei Mäusen zu einer erhöhten Knochendichte geführt hatte, überprüfte eine Forschergruppe am Sahlgrenska-Universitätsspital in Mölndal, Schweden, ob ein ähnlicher Effekt auch bei Menschen zu verzeichnen ist.
Randomisiert und doppelblind
In die randomisierte, doppelblind durchgeführte ELBOW-Studie (Effects of Lactobacillus reuteri on bone in older women) wurden 90 Frauen im Alter zwischen 75 und 80 Jahren aufgenommen, die noch keine Osteoporose hatten und gemäss DEXA-Messung in Wirbeln, Hüfte oder Humeruskopf einen T-Wert ≤ −1 aufwiesen. Sie nahmen entweder L. reuteri 6475 1 × 1010 CFU/Tag (2 Portionen à 5 × 109 CFU in Maltodextrinpulver) oder Plazebo (Maltodextrinpulver) ein. Primärer Endpunkt war die Veränderung der dreidimensionalen Knochendichte im Schienbein (vBMD in mg/cm3). Die distale Tibia ist reich an trabekulärem Knochen und für Messungen leicht zugänglich. Trabekulärer Knochen hat einen weitaus höheren «Turnover» als kompakter Knochen, sodass Effekte auf die Knochendichte besonders rasch zu erkennen sind. Die Knochendichte wurde mittels hochauflösender, quantitativer Computertomografie (HR-pQCT) zu Beginn der Studie und nach 12 Monaten bestimmt. Als sekundäre Endpunkte wurden die zweidimensionale Knochendichte in Hüfte, Femurkopf und den Lumbalwirbeln L1–L4 (aBMD in g/cm2) und in
kompakter Knochenstruktur bestimmt sowie diverse Knochenstoffwechselund Entzündungsmarker im Blut, die Körperzusammensetzung (Fett-/Magermasse) und der HbA1c-Wert.
Weniger Knochenabbau mit L. reuteri
Insgesamt blieben 70 Frauen bis zum Ende in der Studie, 34 mit L. reuteri und 36 mit Plazebo. Nebenwirkungen meldeten die Teilnehmerinnen in beiden Gruppen etwa gleich häufig (80% mit L. reuteri, 87% mit Plazebo), am häufigsten gastrointestinale Nebenwirkungen (47% mit L. reuteri, 51% mit Plazebo). Im Mittel verloren die Frauen in einem Jahr mit L. reuteri 0,83 Prozent der Tibiaknochendichte (95%-Konfidenzintervall [KI]): −1,47 bis −0,19%). In der Plazebogruppe war es mit −1,85 Prozent gut doppelt so viel (95%-KI: −2,64 bis 1,07%). Diese Werte wurden mit der Intention-to-treat-Analyse errechnet (alle 90 Frauen); betrachtete man nur die Frauen, die sich tatsächlich an das Studienprotokoll gehalten hatten (Per-protocol-Analyse), änderte das nichts Wesentliches am Gesamtergebnis. In der Intention-to-treat-Analyse zeigten sich bezüglich der sekundären Endpunkte keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen. In der Per-protocol-Analyse war bei den Frauen mit L. reuteri ein geringerer Rückgang der Knochendichte auch in den oben genannten anderen Regionen zu verzeichnen (−0,49% vs. −1,29%).
Und der Wirkmechanismus?
Ratlos sind die Studienautoren bezüglich eines möglichen Wirkmechanismus von L. reuteri auf die Knochendichte.
In-vitro-Experimente und Tierversuche
haben in der Vergangenheit Hinweise
darauf geliefert, dass L. reuteri Entzün-
dungsprozesse hemmen, den Blutzu-
ckerspiegel bei Diabetes senken und die
Körperzusammensetzung beeinflussen
könnte. Nichts davon war in der vorlie-
genden Studie zu beobachten.
Die Autoren geben zu bedenken, dass
die Aussagekraft der Resultate auf-
grund der geringen Probandenzahl be-
grenzt sei. Zudem seien bereits vor der
Studie erlittene Frakturen in der Plaze-
bogruppe etwas häufiger gewesen (sta-
tistisch nicht signifikant), sodass mögli-
cherweise die Knochenqualität in die-
ser Gruppe doch etwas schlechter und
die Abbaurate in der Folge generell
etwas höher gewesen sein könnte, spe-
kulieren Nilsson und ihre Co-Autoren.
Auch weisen sie darauf hin, dass nicht
untersucht wurde, ob sich beide
Gruppen bezüglich ihres Vitamin-D-
Status unterschieden.
Auf der anderen Seite handelt es sich
um eine lege artis durchgeführte
doppelblinde, randomisierte Studie mit
einem eindeutigen Resultat zugunsten
der L.-reuteri-6475-Supplementation.
Insofern seien weitere, grössere Studien
nötig, um das Resultat zu bestätigen
und, falls dies der Fall ist, hinter das
Geheimnis des Wirkmechanismus zu
kommen.
RBO s
Quelle: Nilsson AG et al.: Lactobacillus reuteri reduces bone loss in older women with low bone mineral density – a randomized, placebo-controlled, double-blind, clinical trial. J Intern Med 2018, online Jun 21. doi: 10.1111/joim. 12805.
Interessenlage: Die Studie wurde vom Hersteller von L. reuteri 6475 finanziert. Die Autoren geben weitere Sponsoren von anderen Forschungsprojekten und Kongressreisen an.
ARS MEDICI 24 | 2018
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