Transkript
FORTBILDUNG
Rezepte gegen schlechten Atem
Ursachenforschung und Behandlungsoptionen bei Halitosis
Schlecht riechender Atem beziehungsweise faul-übel riechender Mund- oder Nasengeruch (Halitosis) ist ein weltweit häufiges Problem, das mit dem Lebensalter zunimmt und für die Betroffenen psychosozial überaus belastend sein kann. Zudem ist es manchmal Ausdruck einer chronischen Erkrankung. Daher sollte auch der Hausarzt mögliche Ursachen und Therapiemöglichkeiten kennen.
Stephan Hollerbach
Die heutige Definition der Halitosis lautet «merklicher, schlechter Geruch aus den Atemwegen». Dieses Problem ist weltweit häufig anzutreffen: Bevölkerungsbezogene Quellen (1, 2) sprechen von einer Häufigkeit von 6 bis 23 Prozent der Menschen in China und von bis zu 50 Prozent der Bevölkerung in den USA – wobei hier anzumerken ist, dass offenbar die Prävalenz der Halitosis in den Ländern als am höchsten gilt, in denen die meiste Fernsehwerbung für Atemsprays und Mundspüllösungen gezeigt wird.
Auslöser und Pathophysiologie
Halitosis ist ein multifaktorielles Geschehen beziehungsweise kann durch viele verschiedene Faktoren ausgelöst und unterhalten werden (1–6) (Abbildung 1). In den meisten Fällen von Halitosis (ca. 80–85 % der Patienten) liegt die Geruchsquelle im Bereich von Mundhöhle, Zähnen, Zahnfleisch, Zunge und Rachen (3–6), sodass einer sorgfältigen Untersuchung
MERKSÄTZE
Die Halitosis kann ein individuell sehr belastendes Leiden für Betroffene sein.
Eine gute Behandlung ist heute in der Regel gut möglich. Dabei sollten Allgemeinärzte primär eng mit Zahnärzten und MKG-Spezialisten sowie HNO-Kollegen zusammenarbeiten. Auch eine mögliche psychiatrische Komorbidität sollte früh erfasst und dem Spezialisten zugeführt werden.
Die Dauerbehandlung kann von vielen Patienten zu Hause selbst einfach durchgeführt werden und besteht im Wesentlichen aus Zahn- und Mundhygiene, Zahnseideanwendung und Zungenbürsten oder -schaben.
Medikamente, die Mund- und Rachengerüche auslösen, sollten identifiziert und möglichst gemieden werde. Das Rauchen und die Anwendung stark riechender Gewürze wie Knoblauch sollten ebenfalls eingestellt werden.
Verschiedene natürliche oder extrahierte Spüllösungen, Tees oder Öle können zudem die Gerüche neutralisieren und überdecken helfen.
Eine ausgewogene, obst- und gemüsereiche Ernährung beziehungsweise fleisch- und bezüglich tierischer Proteine reduzierte Kost hilft oft, das Problem weiter zu reduzieren.
Kasuistik
Ein 54-jähriger Mann bemerkt, dass andere Menschen sich zunehmend häufig beim Sprechen von ihm abwenden und sich von ihm fernhalten. Seine Ehefrau beklagt einen neu aufgetretenen, «faulig-kadaverigen Geruch» (Halitosis), der ihm beim Atmen aus der Mundhöhle entströme, besonders in Nüchternphasen. Seit einigen Monaten hat er auch wiederkehrende abdominelle Beschwerden wie Brennen im Oberbauch, epigastrische Druckgefühle und vermehrtes Sodbrennen. Die Anwendung von Mundwässern und vermehrtes Zähneputzen bringen anfangs eine Besserung der Halitosisbeschwerden, eine Zahnbehandlung mit professioneller Zahnreinigung führt ebenfalls zur Erleichterung. Nach einigen Monaten kehren die Beschwerden jedoch zurück, vor allem die epigastrischen Schmerzen. Bei einer daraufhin durchgeführten Gastroskopie finden die Ärzte eine ausgeprägte, chronisch-erosive Pangastritis, histologisch ist massenhaft das Bakterium Helicobacter pylori (H.p.) in der Mukosa nachweisbar. Daraufhin erfolgt die ambulante Eradikationstherapie durch den Allgemeinarzt, die mit einem bismuthaltigen Vierfachschema und Protonenpumpeninhibitoren (PPI) in doppelter Standarddosis über zehn Tage durchgeführt wird. Zur Erleichterung des Patienten verschwinden danach nicht nur die Bauchbeschwerden, sondern auch der faulige Mundgeruch.
dieser Regionen die wichtigste Bedeutung zukommt. Weitere Ursachen können im Bereich der Nasenhöhlen und Nebenhöhlen und in einigen Fällen auch in den tieferen Atemwegen (Bronchiektasen, chronisch rezidivierende Infektionen) liegen. Erst danach folgen gastroenterologische und internistischsystemische Krankheitsbilder. Dazu zählen vor allem der gastroösophageale, saure Reflux (GERD), Prädispositionen wie Ösophagusdivertikel (Zenker) und Tumoren, Magenausgangsstenosen, H.-p.-Gastritis und chronische Lebererkrankungen. Andere Organ- und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz, die Ahornsirupkrankheit, Trimethylaminurie, Leukämien oder Agranulozytose machen sich zumeist primär durch andere Symptome bemerkbar und werden in der Regel nicht erst anhand des Mundgeruchs erkannt (1, 4, 6, 7).
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FORTBILDUNG
«Echte Halitosis»
«Eingebildete Halitosis»
Physiologisch: «fauler Morgenodor»
Pseudohalitosis
Pathologisch
Halitophobie
Intraorale Ursachen
Extraorale Ursachen
• Zahn(fleisch)läsionen • Infektionen • Xerostomie • Mukosaläsionen
• Sinusitis/Pharyngitis • GERD
• Bronchiektasen/CF • Pylorusstenose
• Infektionen der oberen • Leberinsuffizienz
Atemwege
• H. pylori/Ulzera
• Diabetes mellitus
• Leukämie
• Nierenversagen
• Agranulozytose
• Trimethylaminurie
Abbildung 1: Mögliche Ursachen von Halitosis (CF: zystische Fibrose, GERD: gastroösophageale Refluxkrankheit
Atemgeruchstest
Halitosis vorhanden
Halitosis nicht vorhanden
Zahnarzt: Theranostik
negativ
Röntgenthorax/Labor HNO-Untersuchung
Atemlufttest Gaschromatografie
BANA-Test*
positiv
negativ
negativ
GI-Endoskopie H.p./GERD/Ulkus
Internist DM/Leber/Niere Ahornsirupkrankheit
Pseudohalitosis/ Halitophobie
Abbildung 2: Diagnostik der Halitosis (*BANA-Test = mikrobiologischer Schnelltest auf spezielle Fäulnisbakterien; Theranostik: Therapie/Diagnostik; H.p.: Helicobacter pylori, GI: Gastrointestinaltrakt, GERD: gastroösophageale Refluxkrankheit, DM: Diabetes mellitus)
Diagnosebasiert
Halitosis vorhanden
Eingebildete Halitosis
Orale/pharyngeale/ nasale Therapie
+ regelmässige Zahnreinigung + Zahnseide
Zungenreinigung Mundspülungen
Ernährung
GERD-Thx H.-p.-
Eradikation Diabetes-Thx Hormon-Thx Enzymtherapie Medikation
Abbildung 3: Therapie der Halitosis (GERD: gastroösophageale Refluxkrankheit, Thx: Theranostik [Therapie/Diagnostik])
Schliesslich können auch Medikamente Mundgerüche beziehungsweise geruchsintensive Exhalate verursachen. Die wichtigsten Substanzen und Gruppen, denen ein Zusammenhang mit schlechtem Atemgeruch zugeschrieben wird, sind in Tabelle 1 aufgelistet. Pathophysiologisch spielt eine pathologische Bakterienflora, zum Teil bestehend aus Anaerobiern und gramnegativen Keimen, eine besondere Rolle. Insbesondere diese gerne filmartig am Zungenrücken und in Zahn- und Zahnfleischlücken wachsenden Bakterienarten werden für die Entwicklung von flüchtigen Schwefelverbindungen (VCS) verantwortlich gemacht, die in Kombination mit einer protein- oder fleischreichen Kost und/oder Läsionen der Mundorgane schweflig-faulig riechende Zustände hervorrufen und unterhalten können. Bei anderen der oben genannten Ursachen liegt die Pathophysiologie natürlich in der Grundkrankheit begründet, zum Beispiel bei entgleistem Diabetes mellitus, Nierenversagen, nekrotischen besiedelten Tumoren, Stase von Mageninhalt bei Pylorusstenosen, Regurgitation von Speiseresten beim Zenker-Divertikel oder rezidivierendem Erbrechen. Die Primärdiagnostik der Halitosis lässt sich oft nicht apparativ gut durchführen, und bereits früh lassen sich dabei differenzialdiagnostische Pfade ebnen (Abbildung 2).
Pragmatische Therapie der Halitosis
Aufgrund der oben aufgeführten pathophysiologischen Überlegungen und Hypothesen basiert die klinisch-praktische Behandlung bei «gesicherten Fällen» auf den folgenden Grundprinzipien: L chemische Reduktion der angeschuldigten pathologischen
(Bakterien-)Flora in der Mundhöhle, am Zahnfleisch und an den Zähnen L mechanische Entfernung des Biofilms am Zungengrund (und an anderen Stellen) L Überdecken/Neutralisation dennoch entstandener Gerüche durch angenehm duftende Substanzen/Lösungen/Spülungen L im Einzelfall: Behandlung von anderen disponierenden Erkrankungen, z.B. Bronchiektasen, H.-p.-Gastritis, Diabetes, chronische Lebererkrankungen.
Die Therapie der Halitosis stellt eine interdisziplinäre Aufgabe dar, bei der es auf ein gut funktionierendes Ärztenetzwerk ankommt. Abbildung 3 zeigt einen pragmatischen Weg, mit dem sich viele der betroffenen Patienten mit Halitosis in der Praxis gut behandeln lassen. Primär sollte stets der Zahnarzt bei der Therapie kontaktiert werden, da im Bereich der Zähne und Mundhöhle die meisten Ursachen zu finden sind, vor allem Zahnlöcher, Karies, Lücken, Wurzelprobleme, Vereiterungen und die Gingivitis. Die Patienten sollten dabei stets angehalten werden, eine regelmässige Mund- und Rachenhygiene zu betreiben. Dazu zählen eine gründliche tägliche, mindestens zweimalige Zahnreinigung (am besten mittels elektrischer Zahnbürste) und tägliche Spülungen (spezielle Substanzen, siehe unten). Allerdings deuten frühere klinische Studien darauf hin, dass die Endpunkte «fauliger Mundgeruch» und Speichelodor durch die regelmässige Anwendung von Zahnseide im Vergleich zum reinen Zähneputzen signifikant geringer ausfallen (5) können.
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Tabelle 1:
Medikamente, die Halitosis verursachen können
Antihistaminika Anticholinergika Antihypertensiva Appetitzügler Antidepressiva
Diuretika Anti-Parkinson-Mittel Sulfasalazine Antibiotika im Langzeitgebrauch
Tabelle 2:
«Natürliche» Substanzen/Öle, die zur regelmässigen Mundspülung/zum Rachengurgeln bei Halitosis angewendet werden können
Limetten- oder Zitronenwasser In Wasser gelöstes Backpulver (Natron) Pfefferminzöl (in Wasser gelöst) Teebaumöltropfen (in Wasser gelöst) Kardamomtee Ayurvedisch: Blätter des Neembaums Chlorophylltabletten
Zudem kann die Anwendung mechanischer Instrumente (mit Bewegungsrichtung von posterior nach anterior) zur Reduktion von Biofilm am Zungengrund so erlernt werden, dass kein Brechreflex mehr auftritt, die Compliance hoch ist und eine Langzeitanwendung klinisch (möglicherweise komplementär zur Zahnseide und Mundhygiene) wirksam ist (8, 9). Da möglicherweise auch Ernährungsfaktoren eine Rolle spielen, sollte – besonders in «schweren Fällen» – die Zufuhr von Fleisch, Milch und Käse probatorisch vorübergehend reduziert werden. Nahrungsmittel, die besonders positive Effekte bei Halitosis aufweisen, sind vor allem Avocados, Apfelcider, Kurkuma, Guaveblätter, Ingwer, Kardamomsamen, Petersilie, Pfefferminze, Rosmarin, Sellerie, Zimt und Zitrusfrüchte. Führen diese Massnahmen und Behandlungen – auch nach Überprüfung der Compliance der Patienten – nach mindestens vier Wochen Therapie nicht zu einem befriedigenden oder guten Ergebnis, sollten weitere diagnostische Schritte unternommen werden (siehe oben). Findet man dabei eine behandelbare Grundkrankheit, sollte eine spezifische Therapie erfolgen. Für die H.-p.-Gastritis besteht dafür auch eine relativ gute Evidenzlage, sodass eine H.-p.-Eradikation bei eindeutigem Nachweis jedenfalls versucht werden sollte (7). Liegt der Verdacht auf eine «eingebildete Halitosis», eine Pseudohalitosis und/oder eine relevante psychische Begleiterkrankung (z.B. Angst- und Panikstörung) nahe, sollte zusätzlich eine Abklärung und gegebenenfalls Therapie bei einem psychiatrisch-psychosomatisch ausgerichteten Fachkollegen angestrebt werden. Auch bei diesen Patienten ist es sinnvoll, sie (z.T. auch aus Konditionierungsgründen) zu einer regelmässigen Mund- und Rachenhygiene zu ermuntern.
Möglichkeiten der Lokaltherapie
Zur chemischen Bakterienreduktion werden häufig relativ
«scharfe», desinfizierende Substanzen eingesetzt, die vor
allem die Wirkstoffe Chlorhexidin, Cetylpyridiniumchlorid
und/oder Triclosan enthalten (z. B. Hexoral, Listerine N,
GUM, Odol u.v.a.m.). Diese Substanzen sind in der Praxis
wahrscheinlich unterschiedlich effektiv und reduzieren die
bakterielle Flora in der Mundhöhle und in den Zähnen/Zwi-
schenräumen für einige Zeit (9–12).
Jedoch verursachen die oben genannten Substanzen – bei
häufiger Anwendung – signifikante Nebenwirkungen. Dazu
zählen besonders Geschmacksstörungen, Zahnverfär-
bungen, Trockenheitsgefühl im Rachen, metallische Ge-
schmackssensationen sowie pelzige Gefühlswahrnehmungen
und andere unangenehme Lokalerscheinungen.
Daher gehen viele Anwender dazu über, eher den Geruch
«maskierende» oder neutralisierende Substanzen einzuset-
zen. Das Angebot in Internet, Drogerien, Supermärkten und
so weiter ist schier unüberschaubar, eine «evidenzbasierte»
Beurteilung einzelner Substanzen sicherlich nicht möglich.
Diese Lösungen enthalten Mischungen aus Eukalyptusöl,
Zinkchlorid, Menthol, Thymol und anderen organischen
Ölen, Poloxamer, Benzoesäure und Natriumfluorid. Ein An-
wendungsversuch in der Praxis über mindestens 14 Tage
kann durchaus empfohlen werden.
Auch rein «komplementärmedizinische» Massnahmen kön-
nen wahrscheinlich einen guten Beitrag leisten und schneiden
in Bezug auf Verträglichkeit und Sicherheit sehr gut ab. Dazu
hier folgende Tipps (vgl. auch Tabelle 2):
L Spülen der Mundhöhle mit Limetten- oder Zitronenwasser
oder Spülen/Gurgeln mit in Wasser gelöstem Backpulver
(neutralisierende Wirkung). Auch grüner Tee, der reich an
Epigallocatechingallaten (ECG) ist, kann eingesetzt werden.
L Bei Unwirksamkeit oder nicht ausreichender Wirkung die-
ser Massnahmen kann auf Substanzen wie Thymol (in Was-
ser gelöst), Pfefferminzöl- und/oder Teebaumöltropfen (in
Wasser gelöst) übergegangen werden. Sehr seltene Allergien
können hier gegebenenfalls eine Rolle als Nebenwirkung
spielen.
L Besonders «esoterisch angehauchte» beziehungsweise
«alternativ» eingestellte Patienten können von Lösungen
wie Kardamomtee und/oder Blätterextrakten des ayurve-
dischen Neembaums profitieren, die als Aufguss, Tee oder
Spüllösung nachhaltige Wirkungen in der Mundhöhle und
am Zahnfleisch entfalten sollen. Die individuelle Verträg-
lichkeit sollte geprüft werden.
L Chlorophylltabletten wird eine geruchsneutralisierende
Wirkung zugesprochen, im Einzelfall lohnt sich ein Be-
handlungsversuch.
L
Prof. Dr. med. Stephan Hollerbach Klinik für Innere Medizin/Gastroenterologie Allgemeines Krankenhaus Celle (AKH) D-29223 Celle
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Literaturverzeichnis in der Onlineversion am Ende des Beitrages.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 5/2018. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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