Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 15.6.2018
Erhöhung der Patientensicherheit mit elektronischer Dokumentation und elektronischem Austausch von medizinischen Daten
Ruth Humbel Nationalrätin CVP Kanton Aargau
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine gesetzliche Grundlage zu unterbreiten, die vorsieht, dass sowohl die medizinischen Patientendokumentationen elektronisch strukturiert geführt sowie für die Behandlung relevante Dokumente wie Rezepte, Überweisungen und Untersuchungsberichte elektronisch in strukturierter Form übermittelt werden.
Begründung Der Bericht der Expertengruppe «Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatori-
schen Krankenpflegeversicherung» sieht mit Massnahme 38 die Aufhebung der doppelten Freiwilligkeit bezüglich der Nutzung des elektronischen Patientendossiers vor. Unabhängig davon, ob das EPD für Ärzte verpflichtend wird oder nicht, muss für Leistungserbringer die Verpflichtung geschaffen werden, Patientendokumentationen elektronisch zu führen und für die Behandlung relevante Daten elektronisch auszutauschen. Für die Codierung und Strukturierung sind möglichst international gebräuchliche Normen anzuwenden. Die Verpflichtung zur Führung einer elektronischen Patientendokumentation bezieht sich einzig auf das Führen einer elektronischen Krankengeschichte in einem sogenannten Primärsystem wie etwa einem Praxisinformationssystem. Sie bildet die Basis für eine koordinierte Versorgung und schafft die technische Voraussetzung für die elektronische Vernetzung des ambulanten Sektors. Es wird die Möglichkeit geschaffen, dass das EPD überhaupt eingesetzt werden kann.
Der Wechsel von handschriftlichen zu elektronischen Daten erhöht die Effizienz und Qualität der Leistungserbringung, leistet einen Beitrag an die Patientensicherheit und dämpft die Kosten. Ineffizienzen wie doppeltes Erfassen gleicher Daten, Rückfragen bei unleserlicher Schrift oder daraus resultierende Fehler bei der Medikation lassen sich vermeiden. Auch das Recht der Patientinnen und Patienten, eine Kopie der Krankengeschichte zu erhalten, kann einfacher gewährleistet werden. Mit der Umsetzung der Motion kann das Ziel des Bundesrats der Strategie «Gesundheit 2020» erreicht werden, Medikationsfehler zu vermeiden und die Patientensicherheit zu gewährleisten. Elektronische Krankengeschichten sowie der elektronische Austausch relevanter Patientendaten leisten einen Beitrag an die Qualitätssicherung, die gemäss KVG Artikel 58 vorgeschrieben ist und mit der KVG-Revision «Qualität und Wirtschaftlichkeit» verbindlich durchgesetzt wird.
STELLUNGNAHME DES BUNDESRATES VOM 5.9.2018 (LEICHT GEKÜRZT)
Das schweizerische Gesundheitswesen ist im Vergleich zu anderen Ländern in geringem Ausmass digitalisiert. Dies betrifft insbesondere den ambulant-ärztlichen Bereich. Lediglich 35% der Arztpraxen führen die Behandlungsdokumentation vollständig elektronisch. Dies ist insofern problematisch, als die Digitalisierung im ambulanten Umfeld zur Erhöhung der Behandlungsqualität beitragen soll. In einer 2015 veröffentlichten Studie für die Schweiz gaben 57 Prozent aller elektronisch dokumentierenden Ärztinnen und Ärzte an, dass sich die Qualität ihrer Arbeit mit der Digitalisierung der Praxis erhöht habe. Andere Länder haben vor Jahren die Ärzte und Ärztinnen verpflichtet, die Behandlung digital zu dokumentieren (z.B. Schweden, Kanada). Eine Evaluationsstudie zum Nutzen der digitalen Gesundheitsinformation aus Kanada zeigt positive Auswirkungen hinsichtlich Qualität, Zugang und Produktivität. Die Zielsetzung der Motion stimmt mit den gesundheitspolitischen Prioritäten des Bundes-
rates überein, die Qualität der Leistungen und der Versorgung zu fördern, indem insbesondere eHealth gestärkt wird. Aus der Strategie «Gesundheit 2020» leitet sich die gemeinsame Strategie des Bundes und der Kantone («eHealth Schweiz 2.0») vom 1. März 2018 ab, welche insbesondere die Einführung und aktive Förderung des elektronischen Patientendossiers vorantreibt. Die Sorgfaltspflicht der medizinischen Fachpersonen gemäss Art. 40 Bst. a des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2006 über die universitären Medizinalberufe umfasst auch die Pflicht zur Dokumentation und zum Führen einer Krankheitsgeschichte. Sie dient dem Schutz der Patientinnen und Patienten und ist gesundheitspolizeilich motiviert. Gesundheitspolizeiliche Vorschriften liegen aufgrund der verfassungsmässigen Kompetenzaufteilung im Zuständigkeitsbereich der Kantone. Dementsprechend haben die Kantone die Behandlungsdokumentation bereits verschiedentlich geregelt. Es obliegt darum den
Kantonen, die in der Strategie «eHealth Schweiz 2.0» vorangetriebene Digitalisierung in ihr eigenes Recht zu überführen. Diese Stossrichtungen können krankenversicherungsrechtlich mit der Vorlage zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung betreffend die Zulassung von Leistungserbringern ergänzt werden, welche zurzeit im Parlament beraten wird. So soll der Bundesrat in Zukunft im ambulanten Bereich Auflagen erlassen, insbesondere in Bezug auf die Qualität und die Wirtschaftlichkeit. Ein mögliches Element des Qualitätsmanagements könnte hierbei die elektronisch geführte Krankengeschichte sein.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
ARS MEDICI 22 | 2018
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POLITFORUM
INTERPELLATION vom 15.6.2018
Sonnenschutz bei der Arbeit im Freien – Regulierungsmassnahmen der Suva schiessen übers Ziel hinaus
Sandra Sollberger
Nationalrätin SVP Kanton Basel-Landschaft
Im Mai 2018 erklärte die Suva das Tragen eines Nackenschutzes und einer Stirnblende zum Schutz vor UV-Strahlung bei der Arbeit im Freien per 1. Januar 2019 für obligatorisch. Die Suva stützt ihre neuen Vorschriften dabei auf Artikel 45 der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV) sowie auf die neue Verordnung über die Sicherheit von persönlichen Schutzausrüstungen (PSAV). Artikel 45 VUV sieht vor, dass Arbeitgeber die erforderlichen Massnahmen zum Schutz vor gesundheitsgefährdender, nicht ionisierender Strahlung während der Arbeit zu ergreifen haben. Beim Gebot der Erforderlichkeit geht es um die Verhält-
nismässigkeit einer Massnahme. Ist der Schutzzweck bereits mit einem milderen Mittel zu erreichen, so muss dieses zur Erfüllung des Schutzzwecks genügen. Diese Vorschriften wurden eigenmächtig ohne Konsultation der stark betroffenen Branchen erlassen. Die Kompetenz der Suva für eine solche Anordnung lässt sich aber weder aus Artikel 45 VUV (Verordnung über die Unfallverhütung, SR 832.30) noch aus dem Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Produktesicherheit (PrSG, SR 930.11) oder der Verordnung über die persönliche Schutzausrüstung (PSA-Verordnung, SR 930.115) herleiten. Deshalb fehlen die nötigen gesetzlichen Grundlagen einer solchen Vorschrift.
Ich stelle deshalb dem Bundesrat folgende Fragen: 1. Worin sieht er die Grundlagen für die Kompe-
tenz der Suva zum Erlass solcher Vorschriften?
2. Indem die Suva Massnahmen ohne Prüfung von Alternativen und Konsultation der stark betroffenen Branchen für obligatorisch erklärt, wird das Prinzip der Verhältnismässigkeit verletzt. Wie stellt er sich zu dieser Verletzung?
3. Weshalb lässt sich die Gefährdung nur auf einzelne Branchen reduzieren. Gemäss Argumentation der Suva sind ja alle Branchen und Bevölkerungsgruppen, die sich im Freien aufhalten, betroffen – beispielsweise Bademeister, Skilehrer, Bauern, Velokuriere, Briefträger …?
4. Der Einsatz von Kopfbedeckungen mit Stirnblende und Nackenschutz schränkt das Sichtfeld des Nutzers ein. Die grundlegenden Anforderungen an die persönliche Schutzausrüstung (Anhang II der EU-PSA-Verordnung) sehen vor, dass der Nutzer seine Tätigkeit normal ausüben kann und insbesondere das Sichtfeld nicht übermässig eingeschränkt wird. Wie stellt er sicher, dass nicht eine unnötige zusätzliche Gefährdung stattfindet?
STELLUNGNAHME DES BUNDESRATES VOM 5.9.2018 (LEICHT GEKÜRZT)
1. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. Nach Artikel 82 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung hat er zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den gegebenen Verhältnissen angemessen sind. Der Arbeitgeber hat seinen Arbeitnehmern zumutbare und wirksame persönliche Schutzausrüstungen wie Schutzhelme, Schutzkleidung, Hautschutzmittel oder nötigenfalls auch besondere Wäschestücke zur Verfügung zu stellen. Die Publikationen der Suva wie Merk-, Faktenblätter oder Plakate konkretisieren die auf Verordnungsstufe bestehenden Schutzvorschriften. Sie sollen für den Arbeitgeber ein Hilfsmittel für die konkrete Umsetzung in der Praxis sein. Bei den Publikationen der Suva handelt es sich lediglich um Empfehlungen und nicht um Vorschriften. Wie bei den Richtlinien der Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS) besteht keine Verpflichtung, die in den Suva-Publikationen vorgeschlagenen Massnahmen umzusetzen. Der Arbeitgeber, der sich an die Massnahmen gemäss Richtlinien der EKAS hält, hat jedoch die Vermutungswirkung für sich, dass er damit alles getan hat, um die auf Verordnungsebene bestehenden Schutzvorschriften umzusetzen.
Nach Artikel 50 Absatz 1 VUV beaufsichtigt die Suva die Anwendung der Vorschriften über die Verhütung von Berufskrankheiten in allen Betrieben. Diese Aufsichtsfunktion der Suva impliziert die Ermächtigung, Merkblätter, Faktenblätter, Plakate und weitere Publikationen für die Betriebe zu veröffentlichen. 2. Die Suva-Publikationen wie z.B. das Plakat zum Thema Hautschutz («Ein Profi geht mit gutem Beispiel voran») haben keinen obligatorischen Charakter und sind somit keine Vorschriften.Wie in Ziffer 1 ausgeführt, handelt es sich um empfohlene Massnahmen zwecks Umsetzung der auf Verordnungsebene bestehenden Schutzvorschriften. Bekanntermassen haben die UV-Belastung und das damit verbundene Risiko von Hautkrebs in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Im internationalen Vergleich weist die Schweiz eine der höchsten Hautkrebsraten auf. Täglich erkranken etwa drei Personen aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit neu an Hautkrebs. Zahlreiche ältere und neuere Studien belegen, dass «Outdoorworker» ein erhöhtes Risiko haben, an weissem Hautkrebs zu erkranken. In einigen Berufen wird überwiegend im Freien gearbeitet, wo die meiste schädigende Sonneneinwirkung erfolgt. Es ist daran zu erinnern, dass der Arbeitgeber in der Pflicht ist, die notwendigen Schutzausrüstungen zur Verfügung zu stellen, um die Arbeit-
nehmer vor Berufskrankheiten zu schützen. Gleichzeitig hat der Arbeitnehmer die Pflicht, die Schutzausrüstungen zu verwenden, um sich vor der Sonne zu schützen. Vor diesem Hintergrund verletzen die empfohlenen Schutzmassnahmen das Prinzip der Verhältnismässigkeit nicht. 3. Das Plakat zum Thema Hautschutz: «Ein Profi geht mit gutem Beispiel voran» richtet sich speziell an die Arbeitnehmer, die auf einer Baustelle im Freien arbeiten, weil es sich um eine exponierte Arbeitsgruppe handelt. Eine Einschränkung auf die Baubranche ist damit jedoch nicht verbunden. Die empfohlenen Schutzmassnahmen wie das Tragen einer Kopfbedeckung mit Stirnblende und Nackenschutz in den Monaten Juni und Juli richten sich vielmehr an alle Arbeitnehmer, die Arbeiten im Freien verrichten (z.B. Landschaftsgärtner). 4. Der Bundesrat ist der Meinung, dass der Einsatz von Kopfbedeckungen mit Stirnblende und Nackenschutz bei den Arbeiten im Freien notwendig und zweckmässig ist. Die Kopfbedeckung soll den Arbeitnehmer vor der Strahlenbelastung durch die Sonne schützen und somit das Risiko vermindern, an weissem Hautkrebs zu erkranken. Wird die Schutzausrüstung richtig getragen, ist damit weder eine Einschränkung in der normalen Arbeitsausführung noch eine sicherheitsrelevante Einschränkung des Gesichtsfeldes verbunden.
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ARS MEDICI 22 | 2018