Transkript
FORTBILDUNG
Mildes Laxans, Magenmittel und pflanzliches «Statin»
Gesundheitsfördernde Eigenschaften von Leinsamen
Der Lein, auch Flachs genannt, ist eine der ältesten Kulturpflanzen des Menschen. Bereits 5000 Jahre v. Chr. war der Lein den Babyloniern bekannt. Von dort gelangte er über Ägypten, Griechenland und Italien nach Mitteleuropa. Wegen seiner arzneilichen und vor allem ernährungsphysiologischen Eigenschaften ist der Leinsamen heute wieder aktuell.
Ernst-Albert Meyer
Der botanische Name Linum usitatissimum bedeutet der «allergebräuchlichste» oder «äusserst nützliche Lein». Dieser Name bringt die Wertschätzung des Menschen gegenüber dieser vielfältig anwendbaren Pflanze zum Ausdruck. Schon im alten Ägypten baute man den Lein feldmässig an, um aus den Fasern seiner Stängel die bis heute begehrten Leinenstoffe herzustellen und die Samen arzneilich zu nutzen. Als Mittel gegen Katarrh, Unterleibsschmerzen, Durchfall, Husten und Schwindsucht findet der Leinsamen bereits Erwähnung in verschiedenen alten Schriften, er ist sogar schon seit etwa 5000 v. Chr. bekannt. Der Lein ist eine einjährige Pflanze von 60 bis 100 cm Höhe, die endständige Blüten mit fünf blauen, gelegentlich auch weissen Blütenblättern und schmal-lanzettlichen Blättern ausbildet. Die Früchte sind runde, erbsengrosse Kapseln, die acht bis zehn braune, flache und glänzende Samen enthalten. Hauptanbauländer sind Kanada, China, die USA, Indien, Argentinien und Äthiopien. Die Droge – also die arzneilich verwendeten Leinsamen – besteht aus den getrockneten, reifen, braunen Samen des Leins.
Ballaststoffe und fettes Öl
Leinsamen enthalten rund 25 Prozent Ballaststoffe. Davon sind 3 bis 19 Prozent Schleimstoffe, die in der Oberhaut (Epidermis) der Samenschale lokalisiert sind. Weiterhin sind 30 bis 45 Prozent fettes Öl, etwa 25 Prozent Eiweisse und 0,1 bis
MERKSÄTZE
Leinsamen ist ballaststoffreich und hat laxierende und schleimhautschützende Eigenschaften.
Die in der Samenschale vorhandenen Schleimstoffe besitzen ein hohes Wasserbindungsvermögen, worauf der abführende Effekt von Leinsamen zurückgeht.
Mit seinem Gehalt an a-Linolensäure, einer Omega-3-Fettsäure, stellt Leinöl hinsichtlich des kardioprotektiven Effekts eine Alternative zu Fischölen dar.
Kasten 1:
Zubereitung von Leinsamenschleim
Drei Esslöffel Leinsamen am besten am Abend vorher mit 500 ml Wasser einweichen und über Nacht quellen lassen. Am Morgen kurz aufkochen und mit einem groben Sieb oder einer Lage Mull den Schleim von den Leinsamen trennen. Den Leinsamenschleim in eine Thermosflasche füllen und ihn über den Tag verteilt sowie abends vor dem Schlafengehen körperwarm und schluckweise trinken. Achtung: Leinöl wird schnell ranzig (oxidiert). Deshalb sollte man die Flasche nach der Entnahme der Samen sofort verschliessen und dunkel sowie kühl aufbewahren.
1,5 Prozent zyanogene Glykoside vorhanden. Die Kommission E beim damaligen Bundesgesundheitsamt nennt als Wirkungen der Positivmonografie: laxierend (über eine Volumenzunahme des Darminhalts) und schleimhautschützend (durch einen abdeckenden Effekt). Als Indikationen werden empfohlen: L habituelle Obstipation L durch Abführmittel geschädigtes Kolon L Colon irritabile L Divertikulitis L als Schleimzubereitung bei Gastritis und Enteritis L als Kataplasma bei lokalen Entzündungen (äusserliche
Anwendung). Als Kontraindikation ist Ileus jeglicher Genese zu beachten. Nebenwirkungen sind bei Beachtung der Dosierungsanleitung (ausreichende Flüssigkeitszufuhr) nicht bekannt. Bei insulinpflichtigen Diabetikern kann eine Reduktion der Insulindosis notwendig werden.
Mildes Abführmittel ohne Gewöhnungseffekt
Die in der Samenschale vorhandenen Schleimstoffe besitzen ein hohes Wasserbindungsvermögen. So können 100 g Leinsamen 1300 bis 3000 g Wasser binden, was zu einer grossen Volumenzunahme der Leinsamen führt. Nach dem Europäischen Arzneibuch soll Leinsamen mindestens die Quellzahl 4
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aufweisen, das heisst beim Quellen sein Volumen mindestens um das Vierfache vergrössern. Der abführende Effekt des Leinsamens basiert auf dieser hohen Wasserbindungsfähigkeit. Es kommt so zu einer Zunahme des Stuhlvolumens – durch den erhöhten Füllungsdruck auf die Darmwand wird die Darmperistaltik angeregt. Der Transport des Darminhalts wird ausserdem durch die Konsistenzverbesserung des Stuhls und den Gleiteffekt der sich bildenden Schleimschicht verbessert. Ein schneller Wirkungseintritt ist bei Leinsamen nicht zu erwarten: Es dauert 12 bis 24 Stunden, bis das Laxans wirkt. Ein Gewöhnungseffekt ist jedoch nicht bekannt. Bei Obstipation sollte zwei- bis dreimal täglich 1 Esslöffel unzerkleinerter Leinsamen mit jeweils mindestens 150 ml Wasser eingenommen werden (1 Esslöffel Leinsamen entspricht etwa 10 g). Leinsamen sollten nicht mit Milch eingenommen werden, da hier kein Quelleffekt eintritt. Wird zerkleinerter (geschroteter) Leinsamen verwendet, kann der Quellvorgang schon im Magen und nicht – wie erwünscht – erst im Dickdarm einsetzen. Ausserdem wird bei zerkleinertem Leinsamen auch das fette Öl freigesetzt, das zu einer hohen Kalorienbelastung führt. Leinsamen ist wegen seiner guten Verträglichkeit besonders bei der häufig auftretenden Verstopfung im Alter zu empfehlen. Bei geriatrischen Patienten verbesserte laut einer klinischen Studie die Einnahme von Leinsamen (2-mal täglich 32 g) die Häufigkeit der Defäkation (1).
Lässt Schleimhautläsionen abheilen
Eine Therapiemöglichkeit bei gastritischen Beschwerden besteht in der Anwendung von Leinsamenschleim. In Tierversuchen zeigte Schleim eine deutliche protektive Wirkung bei stressverursachten Läsionen der Magenschleimhaut. Dabei geht man davon aus, dass im Schleim enthaltene Polysaccharide und Glykoproteine eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Magenschleim aufweisen. Daraus resultiert die Fähigkeit des Leinsamenschleims, sich für zwei bis drei Stunden an den natürlichen Magenschleim anzuheften. Die dadurch zusätzlich aufgebaute Schleimschicht gibt dem Magen Zeit und Ruhe, sich selbst zu regenerieren und Entzündungen und Läsionen abzuheilen. Für diese Indikation sollte frisch bereiteter Leinsamenschleim zur Anwendung kommen (siehe Kasten 1). Eine Kur mit Leinsamenschleim kann ausserdem eine Alternative – zumindest unterstützend – zu Protonenpumpenhemmern sein, die aufgrund ihrer Neben- und Wechselwirkungen und der zu häufigen und unkritischen Einnahme zunehmend in der Kritik stehen.
Leinöl statt Fischöl
Durch eine ungesunde Ernährung (vorwiegend tierische Fette) werden dem Körper zu viele Omega-6-Fettsäuren zugeführt, welche nach ihrer Verstoffwechslung an der Entstehung einer Reihe von (Zivilisations-)Krankheiten beteiligt sind. Die für den Menschen essenziellen Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren konkurrieren um das gleiche Enzymsystem (Desaturasen, Elongasen) im Körper. Eine verstärkte Einnahme der ernährungsphysiologisch wertvollen Omega-3Fettsäuren fördert eine antithrombotische, entzündungshemmende sowie vasodilatatorische Wirkung. Zusätzlich verringern Omega-3-Fettsäuren die Triglyzeridspiegel, verbessern das Verhältnis von HDL-(high-density lipoprotein-) zu LDL-
Kasten 2:
Keine Vergiftungsgefahr!
In der Verbraucherpresse erscheinen hin und wieder Meldungen, die vor zu grossen Mengen von Leinsamen warnen. Denn aus den enthaltenen zyanogenen Glykosiden Linustatin und Neolinustatin würde im Körper Blausäure freigesetzt, die Vergiftungen auslösen kann. Toxikologische und klinische Untersuchungen haben diesen Verdacht jedoch nicht bestätigt. Denn im sauren Milieu des Magens kann keine Blausäure entstehen, da das für die Spaltung der cyanogenen Glykoside verantwortliche Enzym Linamarase durch die Magensalzsäure inaktiviert wird.
(low-density lipoprotein-)Cholesterol und sollen so das
Risiko für eine koronare Herzkrankheit reduzieren.
Doch die kardioprotektiven Effekte einer Supplementation
mit Omega-3-Fettsäuren werden seit Jahren in der Fachlite-
ratur kontrovers diskutiert (siehe Kasten 2). Um die Zufuhr
der gesunden Omega-3-Fettsäuren zu erhöhen, wird ein
regelmässiger Verzehr von Kaltwasserfischen (Makrele,
Hering, Thunfisch und Lachs) oder ihren Fischölen empfoh-
len. Kritiker weisen jedoch auf die hohe Schwermetall-
belastung der Fische und die Belastung von in Fischfarmen
gezüchteten Lachsen mit Hormonen hin. Leinöl stellt hier
eine Alternative dar – es enthält hauptsächlich die wichtige
a-Linolensäure, eine Omega-3-Fettsäure.
L
Ernst-Albert Meyer Fachapotheker für Offizin-Pharmazie und Medizin-Journalist D-31840 Hessisch Oldendorf
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Literatur: 1. Wirths W et al.: Fiber-rich snacks with reference to their effect on the
digestive activity and blood lipids of the elderly (Article in German). Z Gerontol 1985; 18: 107–110.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2017. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Fischöl bei Diabetes mellitus
Die ASCEND-Studiengruppe untersuchte unter anderem,
inwieweit Patienten mit Diabetes mellitus von einer
präventiven Gabe von Fischölkapseln kardiovaskulär profi-
tieren können. Dafür erhielten 15 480 Diabetiker ohne kar-
diovaskuläre Vorerkrankung Fischölkapseln (1 g/1-mal tgl.)
oder Plazebo. Nach 7,4 Jahren waren rund drei Viertel der
Verumpatienten der Therapie treu geblieben. Zwar ergaben
sich keinerlei Sicherheitsbedenken, aber auch kein signi-
fikanter Unterschied hinsichtlich des Risikos ernsthafter
vaskulärer Erkrankungen.
Mü
Quelle: ASCEND Study Collaborative Group: Effects of n-3 fatty acid supplements in diabetes mellitus. N Engl J Med 2018; 379: 1540–1550.
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