Transkript
FORTBILDUNG
Serie: E-Health – Digitalisierung im Gesundheitswesen
«Was hab’ ich?»
Damit Arzt und Patient sich auf Augenhöhe begegnen
Auch ehrenamtliches Engagement findet in E-Health seinen Platz. Für «Was hab’ ich?» übersetzen derzeit rund 170 Medizinstudierende und Ärzte verschiedenste Arztberichte in eine für Patienten leicht verständliche Sprache. Davon profitieren nicht nur die Patienten, sondern auch die freiwilligen Übersetzer.
Daphne Schönegg
2011 aus einer spontanen Idee dreier engagierter junger Köpfe entstanden, erfüllt «Was hab’ ich?» seither ein wachsendes Bedürfnis. Nutzer senden alle Arten von Arztberichten und Befunden ein – anonym und kostenlos. Medizinstudenten ab dem 8. Semester und Ärzte bereiten die Befunde patientengerecht auf und übersetzen sie in eine leicht verständliche Sprache, und das mit Erfolg: In den letzten sieben Jahren wurden mehr als 37 000 Befunde übersetzt und über 1800 Mediziner für patientengerechte Kommunikation sensibilisiert. Seit 2017 Zeit bietet «Was hab’ ich?» seine Dienstleistungen auch in der Schweiz an.
Abbildung 1: Feedback eines Nutzers
Mehr Verständnis für die Patienten
Immer mehr Patienten bekommen von ihrem Arzt einen Bericht mit – teils auf eigenen Wunsch, teils nur zum Überbringen des Briefs an den nachbehandelnden Hausarzt. Die Berichte richten sich in den wenigsten Fällen an die Patienten, sie sind folglich in unserer für Laien oft unverständlichen oder gar angsteinflössenden Fachsprache verfasst. Der Inhalt der Arztbriefe ist natürlich trotzdem relevant für die Patienten, betrifft er doch ihre Erkrankung und damit etwas sehr Persönliches. Das Verständnis der eigenen Erkrankung ist eine wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient. Nur wer seine Krankheit versteht, kann gezielt nachfragen, Informationen einholen, mitbestimmen. Es ist also nur zu begrüssen, wenn Patienten ihre Arztbriefe lesen und verstehen möchten. Die Ziele von «Was hab’ ich?» sind entsprechend formuliert. Patienten sollen einen Kontext rund um die Fachbegriffe erhalten, ihre Arztberichte besser verstehen, Entscheidungen treffen können. Dabei wollen wir keineswegs das direkte Gespräch mit dem Patienten ersetzen! Wir wollen aber dort weiterhelfen, wo Zeit oder Erklärungsansätze fehlen. Unsere Übersetzungen schaffen den Ausgangspunkt für ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt oder Hausarzt. So verstehen auch die Nutzer unser Angebot (Abbildung 1 und 2). Das Angebot von «Was hab’ ich?» richtet sich insbesondere auch an Personen mit geringem Einkommen. Durch den kostenlosen Service können alle – unabhängig von ihren finanziellen Mitteln – zu aktiven Mitarbeitern bei der eigenen Gesundheit werden. «Was hab’ ich?» arbeitet nicht gewinnorientiert. Das Projekt finanziert sich kostendeckend durch die Unterstützung von Partnern und Förderern sowie durch Spenden.
Abbildung 2: Feedback einer Nutzerin
Ausbildung
Wenn auch der Patient im Mittelpunkt steht, sind bei «Was hab’ ich?» genauso die Studierenden wichtige Partner. Sie sollen möglichst früh für patientenfreundliche Kommunikation sensibilisiert werden. So bietet «Was hab’ ich?» neben der individuellen Einarbeitung und Schulung der neuen Freiwilligen auch eigens entwickelte universitäre Lehrgänge in Kommunikation an. Diese stossen bei den Universitäten und bei den Studierenden auf grossen Anklang. Oftmals geht aus der Teilnahme an einem Unikurs auch eine aktive Übersetzerkarriere bei «Was hab’ ich?» hervor. Die Einarbeitungsphase für neue Übersetzer umfasst einen Onlinelehrgang (E-Learning) sowie fünf kürzere Übersetzungen unter Supervision. Diese ersten Übungsübersetzungen werden telefonisch mit einem speziell ausgebildeten Supervisor genauestens durchbesprochen. Erst die überarbeitete Fassung wird dann dem Nutzer zugestellt. Die weiteren Befunde können aus einem Pool von etwa 30 aktuellen Befunden selbst ausgewählt werden – so kann entweder das Wissen in einem vertrauten Fachgebiet vertieft oder aber ganz neues Wissen erarbeitet werden. Auch nach der Ausbildungsphase stehen die Supervisoren sowie mehrere Konsiliarärzte jederzeit bei fachlichen oder
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sprachlich-stilistischen Problemen zur Verfügung. Chat und Forum klären auftauchende Fragen in Echtzeit. Braucht man an einer kniffligen Stelle eine Inspiration für seine eigene Übersetzung, hilft der Blick in die Ressourcendatenbank: Über die Jahre ist zu diversen Begriffen eine Übersetzungsvorlage entstanden, die übernommen und bei Bedarf angepasst werden kann. Auch ein Laborwertelexikon mit Normwerten und einer laiengerechten Erklärung der Parameter steht den Übersetzern zur Verfügung. Die fertigen Übersetzungen bleiben ausserdem in einer anonymisierten Form (ohne Originalbefund) für alle Übersetzer einsehbar. Der Vergleich mit anderen, ähnlichen Übersetzungen ist besonders wertvoll. Er zeigt beispielsweise, wo man sich noch genauer ausdrücken könnte, an welcher Stelle man sich in Details verliert, wo man vielleicht einen ganz anderen Schwerpunkt gesetzt hat als die Kollegin.
Abbildung 3: Feedback einer Nutzerin
Mit jeder Übersetzung eine Fortbildung
Was lernt man nun als Student durch die ehrenamtliche Übersetzertätigkeit? In erster Linie natürlich die patientengerechte Kommunikation, das Herausfiltern schwieriger Textstellen, die Differenzierung zwischen Übersetzung und Interpretation und die einfache Darstellung komplexer Sachverhalte in einer leicht verständlichen Sprache. Auch nach mehr als zwei Jahren Übersetzertätigkeit bin ich immer noch bei jedem Befund aufs Neue überrascht, wie viele schwierige Punkte sich aus einem einzigen Begriff ergeben können. An manchen Ausdrücken kann man auch regelrecht verzweifeln. Ein Beispiel aus einem aktuellen übersetzten Befund: Netzhautforamen. Klar, ein Loch in der Netzhaut. Aber was ist die Netzhaut überhaupt? Wo im Auge befindet sie sich? Warum sollte da kein Loch sein? Wie entsteht das Loch? Lassen Sie mich etwas ausholen ... Lohn der ehrenamtlichen Arbeit ist die Anwendung des Wissens im Alltag. Was man schon mal in einfachen Worten aufgeschrieben hat, kann man dem Patienten auch im Gespräch einfach erklären. In den klinischen Kursen gelingt mir der Wechsel zwischen Fachlatein mit dem Dozenten und normalem Deutsch mit dem Patienten immer besser. Die Fortschritte in der Kommunikation werden so jeden Tag sichtbar. Auch ist es sehr interessant, die Veränderung des eigenen Stils über die Jahre zu beobachten. Einzelne Sätze, mit denen ich eben noch zufrieden war, würde ich jetzt schon wieder ganz anders formulieren – «lifelong learning» gilt eben auch in der Telemedizin. Ein zusätzlicher Lohn sind die Feedbacks der Nutzer, aus denen immer eine grosse Dankbarkeit spricht (Abbildung 3 und 4). Die Nutzer bewerten Verständlichkeit, Ausführlichkeit und Nutzen der Übersetzung durch Vergabe von bis zu fünf Sternen oder Herzchen. Zusätzlich können sie ihrem Übersetzer ein kurzes schriftliches Feedback geben. Der Zusammenhalt im Team von «Was hab’ ich?» ist enorm und eine grosse Bereicherung. Hilfe wird jederzeit auch ausserhalb der Übersetzungen angeboten, sei es bei fachlichen Fragen zu Lernstoff oder bei Tipps für Bewerbungsgespräche. Aktiven Übersetzern wird ein Zugang zu «e.Med» (Springer Medizin) und zum «Pschyrembel» offeriert. Zudem können Webinare gebucht werden, beispielsweise zu «Transfersichernder Kommunikation» oder Sonographie. Jedes Jahr findet als Höhepunkt eine grosse digitale Weih-
Abbildung 4: Feedback eines Nutzers
nachtsfeier für alle Mitglieder statt. Auf diese Weise wird das Engagement der Übersetzer spürbar wertgeschätzt.
Ein Blick in die Zukunft
Aus der ursprünglichen Idee hervorgegangen sind zwei wei-
tere Projekte, deren übergeordnetes Ziel die Bereitstellung
von jederzeit verfügbaren, leicht verständlichen und mög-
lichst personalisierten Gesundheitsinformationen ist.
Der «Befunddolmetscher» erklärt in Form eines Lexikons
über 10 000 oft in Arztbriefen vorkommende Fachbegriffe.
Zu vielen Themen finden sich ausführliche Erklärungen in
einfacher Sprache. Nutzer können einzelne unklare Begriffe
aus ihren Arztberichten selbst nachschlagen und Hinter-
grundinformationen zu Untersuchungen erhalten.
Das Projekt «Patientenbrief» will allen Patienten bei Spital-
austritt einen einfach verständlichen Befund zusätzlich zum
Austrittsbericht zur Verfügung stellen. Dafür arbeitet «Was
hab’ ich?» im Rahmen eines vom Innovationsfonds der Bun-
desregierung (Deutschland) geförderten Forschungsprojekts
an einer Software, die den «Patientenbrief» automatisch auf
Basis strukturierter Daten erstellen soll. Der «Patientenbrief»
will als Bindeglied zwischen Spital und nachbetreuendem
Arzt wirken.
Unsere Vision ist, dass Arzt und Patient auf Augenhöhe mit-
einander sprechen können. Unterstützen Sie uns, wenn Sie
diese Vision teilen – sei es durch Bekanntmachen des Projekts
oder durch aktive Mitarbeit.
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cand. med. Daphne Schönegg Übersetzerteam «Was hab’ ich?» Campus Team Universität Zürich E-Mail: daphne.schoenegg@uzh.ch Internet: washabich.ch
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