Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Die DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) der EU ist wohl eine der schwachsinnigsten Verordnungen, die den EUBürokraten je eingefallen sind – und es ist ihnen schon viel eingefallen. In Wien stellte sich jemand die Frage (es ist jedenfalls zu hoffen, dass das der Hintergrund war): «Wie kann man Schwachsinn als solchen am besten entlarven?» Und er muss zu dem schlauen Schluss gekommen sein: «Indem man ihn anwendet.» Jedenfalls klagte in Wien der Bewohner einer Mietwohnung dagegen, dass auf dem Schild unter seiner Klingel sein Name stand. Begründung – gemäss DSGVO: Damit würde sein Recht auf Schutz seiner Privatsphäre verletzt. Die Juristen der kommunalen Hausverwaltung namens Wiener Wohnen, die rund 220 000 Wohnungen in Wien verwaltet, fanden, der Herr habe Recht. In der Folge beschloss die Verwaltung, auf 220 000 Klingelschildern in Wien die Namen der Mieterinnen und Mieter zu entfernen und durch Nummern zu ersetzen. Nein, das ist kein 1.-April-Scherz. Das ist die DSGVO.
LLL
Nachtrag: Jeder, der doch lieber seinen Namen auf dem Schild sähe, zum Beispiel weil der Notfallarzt im Falle eines Falles schneller zu ihm fände und ihm vielleicht wegen ein paar Minuten Zeitgewinn das Leben rettet, kann eine namentliche Beschilderung beantragen. Bei allen andern haben’s Post und Notfallarzt halt etwas schwerer.
LLL
Die DSGVO der EU konsequent angewendet, auch in der Arztpraxis: Aus dem Lautsprecher tönt’s dann so ins Wartezimmer: «Leider ist es uns aus Datenschutzgründen verboten, Sie namentlich aufzurufen. Als Nächster bitte der Herr mit den Erektionsstörungen.»
LLL
Was wir aus der Wiener DSGVO-Posse lernen: Unsinn, den man über vernünftiges Argumentieren nicht los wird, muss man so exzessiv anwenden, dass sogar der vorletzte Trottel nicht ums Schimpfen herumkommt.
LLL
Möglicherweise kennen Sie auch als Nicht-Schaffhauser den Dialog «Darf der das? – Der darf das. – Dass der das darf!» Chläggisch: «Taar da da? – Da taar da. – Da da da taar!» Dieses «Da taar da.» war kürzlich Thema unter Hundebesitzern. Sehr aufschlussreich. Marlon, der potente Schäferrüde, hängt mit seiner Schnauze penetrant am Hintern von Cleo, der schicken braunen Grosspudeldame. Das Frauchen von Marlon entschuldigt sich, halb scherzhaft, halb peinlich berührt: Das komme ja einer sexuellen Belästigung gleich. Das Frauchen der bezaubernden Cleo aber beruhigt: «Ach, der Marlon ist so ein schöner Bursche. Der darf das.» So, so, wie im richtigen Leben also: Wenn’s der «Richtige» ist, der mit den «richtigen» Eigenschaften und der «richtigen» Einstellung (und vielleicht auch noch der «richtigen» Bankverbindung, dann «taar da da …» – trotz #MeToo.
LLL
Gelesen: «As long as women who accuse men of sexual attacks are believed without evidence or due process, no man is safe.» Und gedacht: Die Waffen der Frau sind auch nicht mehr, was sie einmal waren. Heute genügt es, einen Mann – und sei’s nach 30 Jahren, meist aus Anlass einer Berufung oder einer Wahl mit medialer Aufmerksamkeit – öffentlich der sexuellen Belästigung oder schlimmerer Dinge anzuklagen, um ihn gesellschaftlich, beruflich oder politisch zur Schnecke zu machen. Da hilft dann nicht mal eine #HIM.TOO-Kam-
pagne. Wer sich als Mann dagegen wehrt, muss einen Prozess anstrengen, der viel kostet – Geld und Glaubwürdigkeit. Anschuldigung und Prozess sind zwar eine Lose-lose-Situation, aber der Mann hat in der Regel mehr zu verlieren. Jürg Kachelmann könnte, wenn er könnte, ein Lied davon singen. Ronaldo vermutlich auch. Das ist offenbar das neue Risiko des Prominentseins.
LLL
Schlimm, wie wir als Kinder lebten und assen. Statt Milch gab’s – Katastrophe – Ovomaltine, Nesquick, Forsanosa oder Suchard Express. Erstaunlich nur: Wir leben immer noch – und im Durchschnitt sogar länger als unsere zuckerlosen Vorfahren.
LLL
Okay, Sie meinen, ohne Zucker würden wir noch älter? Schon möglich. Aber muss deshalb Zucker besteuert werden? Damit Grossmutter 102 wird statt nur 99? Na dann. Zugegeben, das schafft wenigstens Arbeitsplätze im Pflegebereich. Arbeitsplätze für Angestellte, die wir gar nicht haben. Na ja, auch dafür wird irgendeine Kommission eine Lösung finden. Ohnehin weiss man nie, welche Auswirkungen gut gemeinte Massnahmen haben. Wenn Zucker besteuert wird, vielleicht haben die Leute dann weniger Geld für Äpfel und Schweizer Aprikosen. Und was das dann wieder für Folgen hat – für die Lebenserwartung und die Walliser Obstwirtschaft – wer weiss das schon.
LLL
Und das meint Walti: Früher hat man Tagebücher geführt und war sauer, wenn jemand darin gelesen hat. Heute postet man alles auf Facebook und ist sauer, wenn es keiner liest.
Richard Altorfer
856
ARS MEDICI 21 | 2018