Transkript
EDITORIAL
Negativ? Positiv!
Es gibt eine Reihe von Menschen, die überzeugt sind, dass heute alles schlechter ist – und das nicht nur beim Blick auf klimatische oder politische Entwicklungen. Auch die Welt der Medizin, genauer die der Kardiologie, Schwerpunktthema dieser Ausgabe von Ars Medici, hat sich über die Jahre verändert. Die finanziellen Möglichkeiten der Pharmaunternehmen sind kleiner geworden, Devices und minimalinvasive Prozeduren gewinnen an Bedeutung. Seltener hört man heute an den grossen Kongressen von multinationalen, multizentrischen Studien mit Zehntausenden Teilnehmern und dem Potenzial, die Therapielandschaft (und möglicherweise auch Aktienkurse) grundlegend zu verändern. Der diesjährige Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie fand in München statt und konnte immerhin mit einem Besucherrekord aufwarten. Mehr als 33 000 Teilnehmer fanden ihren Weg in die bayerische Hauptstadt, um sich über aktuelle Entwicklungen zu orientieren und mit Kollegen auszutauschen – darunter bereits zum achten Mal eine Abordnung von Schweizer Kardiologen per Velo. Auf-
fällig war, dass etliche der in diesem Jahr präsentierten Studien die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen konnten. Aber sind es deshalb «schlechtere» Studien? Das ist, wie so oft im Leben, eine Frage der Perspektive. Mit Blick auf die tägliche Praxis muss die Antwort lauten: Nein, ganz und gar nicht. Auch diese Studien liefern wichtige Informationen, und deshalb gebührt auch den Firmen Dank, die immer weiter in grosse Studien investieren, selbst zu Produkten, die bereits länger am Markt sind. Denn auch widerlegte Hypothesen liefern Evidenz und erlauben wichtige Rückschlüsse für den Alltag. Manches Ereignis ist vielleicht in der untersuchten Gruppe weniger häufig als angenommen. Manche Zusammenhänge sind dadurch vielleicht besser zu verstehen. Und, last but not least, man kann seinen Patienten vor diesem Hintergrund vielleicht auch manches Mal die Einnahme und die Nebenwirkungen von Medikamenten ersparen, welche die Behandlung nicht signifikant verbessern. Das wäre sogar noch volkswirtschaftlich von Vorteil. Seien wir doch froh, dass auch negative Ergebnisse publiziert werden. Dass sie nicht unter den Tisch gekehrt werden, wenn sie Erwartungen nicht erfüllen oder nicht zu vorherigen Daten passen wollen. Nicht wundern darf man sich, dass Fortschritte in der heutigen Zeit kleiner ausfallen. Bei einer immer besseren medizinischen Grundversorgung, zumindest bei uns, ist ein Vergleich mit Plazebo ethisch kaum mehr vertretbar. Und im Vergleich zu einer immer besseren Standardtherapie fallen Veränderungen nun einmal immer kleiner aus. Einen ersten Eindruck vom spannenden Kongress vermittelt Ihnen unser Übersichtsbeitrag auf Seite 859 dieser Ausgabe, im CongressSelection Kardiologie finden Sie später noch viele weitere Informationen.
Christine Mücke
ARS MEDICI 21 | 2018
849