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BERICHT
Blutverdünnung bei betagten Patienten
Benefit der NOAK auch im höheren Alter vorhanden
Viele ältere Personen sind mittlerweile mit NOAK antikoaguliert. Wie NOAK bei eingeschränkter Nierenfunktion und Sturzgefährdung eingesetzt werden können, erklärte PD Dr. Alexander Breitenstein vom Universitären Herzzentrum Zürich am 4. Alterstraumatologiekongress in Regensdorf.
Ein häufiger Grund für eine Antikoagulation bei alten Patienten ist das Vorhofflimmern, eine der häufigsten supraventrikulären Rhythmusstörungen mit einer durchschnittlichen Prävalenz von etwa 2 Prozent (1). Vorhofflimmern ist nicht per se akut lebensbedrohlich, jedoch vergesellschaftet mit erhöhter Morbidität und Mortalität. Die Komplikation mit dem grössten Einfluss auf die Lebensqualität sind zweifellos thromboembolische Ereignisse wie PD Dr. Alexander Breitenstein etwa der Hirnschlag. «Die wichtigste Massnahme bei Patienten mit Vorhofflimmern ist daher der Schutz vor einem solchen Ereignis durch eine suffiziente Antikoagulation», betont Breitenstein. Doch nicht alle Patienten mit Vorhofflimmern haben dasselbe Risiko für einen Hirnschlag. Dabei spielt die Häufigkeit der Vorhofflimmernepisoden keine Rolle, ausschlaggebend sind die Risikofaktoren, welche im CHA2DS2-VASc-Score (Kasten) zusammengefasst werden. Fehlen alle Risikofaktoren (CHA2DS2VASc-Score von 0), ist keine Blutverdünnung nötig, bei 1 Punkt kann eine orale Antikoagulation erwogen werden, und bei mehr als 2 Punkten ist eine solche gemäss ESCGuidelines, bevorzugt mit einem oralen Nicht-Vitamin-KAntagonisten (NOAK), indiziert (2). Gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten sind die in der Schweiz erhältlichen
Kasten:
CHA2DS2-VASc-Score zur Hirnschlagrisiko-Abschätzung
Congestive heart failure (Herzinsuffizienz): 1 Punkt Hypertonie: 1 Punkt Alter: > 75 = 2 Punkte Diabetes mellitus: 1 Punkt Stroke/TIA (Hirnschlag/transienter Hirnschlag): 2 Punkte Vaskuläre Erkrankung (pAVK, Herzinfarkt, schwere Aortenverkalkung): 1 Punkt Alter 65–74 Jahre: 1 Punkt Sex category (Geschlecht): Frauen: 1 Punkt
Präparate Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban im Schutz vor einem Hirnschlag mindestens gleich gut oder besser, dies bei gleichzeitig erhöhter Sicherheit im Sinn von weniger Blutungen, insbesondere der so gefürchteten intrakraniellen Blutungen, wie in den grossen Zulassungsstudien belegt wurde (3).
Einsatz bei chronischer Niereninsuffizienz
Unter verschiedenen Umständen ist jedoch Vorsicht geboten. Bei Patienten mit chronischer Niereinsuffizienz ist das Risiko für thromboembolische Ereignisse wie auch jenes für Blutungen erhöht. Da die NOAK über die Niere ausgeschieden werden, muss deren Dosis angepasst werden. Bis zu einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von 30 ml/min können Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban und Dabigatran eingesetzt werden. Unterhalb einer Kreatininclearance (CrCl) von 50 ml/min beginnt die Kardiologie des Universitätsspitals Zürich gemäss Breitenstein mit Dosisreduktionen (Abbildung) bei Edoxaban, Rivaroxaban und Dabigatran. Bei Apixaban ist die Entscheidung bezüglich einer Dosisreduktion nicht primär abhängig von der eGFR, sondern vom Vorhandensein von 2 der 3 folgenden Faktoren: Kreatininplasmakonzentration > 133 µmol/l, Alter > 80 Jahre, Gewicht < 60 kg. Beträgt der CrCl weniger als 30 ml/min (15–30 ml/min), können die Faktor-Xa-Hemmer in reduzierter Dosis (Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban) auch trotz begrenzter Evidenz eingesetzt werden. Einzig Dabigatran wird unterhalb von 30 ml/min nicht mehr eingesetzt, da es zu 80 Prozent über die Niere ausgeschieden wird. Unterhalb von 15 ml/min wie auch bei dialysepflichtigen Patienten werden die NOAK mangels Daten nicht mehr eingesetzt (3).
Alter ab 75 Jahre
Auch Patienten über 75 Jahre schützen NOAK im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten gemäss einer Metaanalyse tendenziell besser vor einem Hirnschlag, dies ohne vermehrtes Auftreten von Blutungen (4). Das bedeutet, dass auch über 75-Jährige mit einem NOAK antikoaguliert werden sollen. Selbst bei erhöhtem Sturzrisiko ist gemäss einer Subgruppenanalyse der ENGAGE-AF-TIMI-48-Studie die Einnahme von Edoxaban nicht gefährlicher als ein Vitamin-KAntagonist (5).
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ARS MEDICI 21 | 2018
BERICHT
spiegel. Bei kleinen Blutungen reicht ein Hinauszögern oder Überspringen der nächsten NOAK-Dosis. Eine Änderung des NOAK-Präparats wie auch der Begleitmedikation kann eventuell erwogen werden. Ist die Blutung grösser, aber nicht lebensbedrohend, ist neben den ohnehin durchzuführenden Massnahmen wie Flüssigkeitsersatz, Thrombozyten- und eventuell Erythrozytensubstitution sowie Gabe von Tranexamsäure zusätzlich eine mechanische interventionelle oder chirurgische Blutstillung geboten. Im Fall von Dabigatran ist mittlerweile bereits ein Antidot verfügbar, das schnell und konstant dessen Aktivität hemmt. Bei lebensbedrohlichen Blutungen können des Weiteren Blutgerinnungsfaktoren verabreicht werden. Andexanet-alpha ist ein Antidot gegen die Faktor-Xa-Hemmer, das demnächst zugelassen werden soll.L
Valérie Herzog
Was tun bei Blutungen?
Präsentiert sich ein NOAK-Patient dennoch mit Blutungen, ist gemäss den neuesten Guidelines (6) eine der wichtigsten zu klärenden Fragen der Einnahmezeitpunkt der letzten NOAK-Dosis. Dies, weil die Halbwertszeit dieser Substanzen 8 bis 12 Stunden beträgt und somit deutlich kürzer ist als bei den gängigen Vitamin-K-Antagonisten. Eine Blutlaboranalyse soll durchgeführt werden und gibt Aufschluss über Kreatinin, Hämoglobin, den allgemeinen Koagulationsstatus (Thrombozyten, INR/Quick) und eventuell den NOAK-Blut-
KURZ UND BÜNDIG
Vorhofflimmern ist bei der älteren Population häufig. Die einschneidendste Komplikation dieser Rhythmusstörung
ist der Hirnschlag, daher müssen gefährdete Patienten antikoaguliert werden.
Alter per se ist kein Grund, nicht zu antikoagulieren.
Quelle: «Herausforderung und Management Blutverdünnung von ATZPatienten», 4. Alterstraumatologiekongress in Regensdorf, 23. März 2018.
Referenzen: 1. Zoni-Berisso M et al.: Epidemiology of atrial fibrillation: European per-
spective. Clin Epidemiol 2014; 6: 213–220. 2. Kirchof et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrilla-
tion developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016; 38: 2893– 2962. 3. Steffel J et al.: Vorhofflimmern und Antikoagulation – Update 2016. Cardiovasc Medicine 2017; 20: 3–8. 4. Sardar P et al.: New oral anticoagulants in elderly adults: evidence from a meta-analysis of randomized trials. J Am Geriatr Soc 2014; 62: 857–864. 5. Steffel J et al.: Edoxaban versus warfarin in atrial fibrillation patients at risk of falling: ENGAGE AF-TIMI 48 analysis. J Am Coll Cardiol 2016; 68: 1169–1178. 6. Steffel J et al.: The 2018 European Heart Rhythm Association Practical Guide on the use of non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Eur Heart J 2018; 39(16): 1330–1393.
EHRA Practical Guide NOAK bei Vorhofflimmern
https://academic.oup.com/eurheartj/article-abstract/ 39/16/1330/4942493?redirectedFrom=fulltext