Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Lukas Cranach der Ältere, 1546: Der Jungbrunnen
Physiologie
Senolytischer Cocktail als Jungbrunnen?
Senolytische Substanzen haben die Eigenschaft, mehr oder weniger selektiv seneszente Zellen zu vernichten. Seneszente Zellen sind gealterte Zellen, die sich nicht mehr teilen; ihre Anzahl steigt mit dem Alter. Die Zellseneszenz wird als Schutzmechanismus interpretiert, der das weitere Wachstum defekter Zellen verhindern soll. Normalerweise entfernt das Immunsystem seneszente Zellen aus dem Organismus. Mit zunehmendem Alter klappt das aber immer schlechter. Das ist von Nachteil, weil seneszente Zellen ihre Nachbarzellen beeinflussen
und das Altern des Organismus beschleunigen können. So zeigte sich in einem Tierversuch mit jungen Labormäusen, dass bereits wenige injizierte seneszente Zellen ausreichten, um bei ihnen Altersphänomene, wie langsamere Bewegungen oder schwindende Kraft und Ausdauer, zu bewirken (1). Auch fanden sich bei der Autopsie der Mäuse mehr seneszente Zellen als injiziert worden waren, was für den bereits erwähnten negativen Nachbarschaftseffekt spricht. Im nächsten Schritt verabreichte man den künstlich gealterten
Mäusen einen Cocktail aus Dasatinib und
Quercetin, von dem man weiss, dass er senes-
zente Zellen in vitro vernichten kann. Nach
Auskunft der Forscher klappte das auch in
vivo: Die Alterungsprozesse verlangsamten
sich, und in der Autopsie waren weniger
seneszente Zellen auffindbar. Der senolyti-
sche Cocktail funktionierte aber nicht nur
bei künstlich, sondern auch bei natürlich ge-
alterten Mäusen im mittleren und hohen
Alter, berichtete das Team um Prof. James L.
Kirkland, Mayo Clinic Rochester, Minnesota.
Bei hochbetagten Mäusen habe der zweimal
pro Woche verabreichte Cocktail sogar le-
bensverlängernd gewirkt: Die im hohen Alter
behandelten Mäuse lebten im Durchschnitt
um rund ein Drittel länger als ihre nicht be-
handelten Altersgenossen (1).
In seinem Blog berichtet Prof. Helmut Schatz,
Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft
für Endokrinologie, dass Kirkland bereits mit
ersten, orientierenden Versuchen an Men-
schen begonnen habe (2).
RBO L
1. Xu M et al.: Senolytics improve physical function and increase lifespan in old age. Nat Med 2018; 24(8): 1246–1256.
2. Schatz H: Ein «senolytischer Cocktail» eliminiert gealterte Zellen und verlängert so das Leben. https://blog.endokrinologie.net, 1. August 2018.
Prävention
Grippeimpfung in Schweizer Apotheken
Während der letzten Grippesaison haben sich fast 20 000 Personen für eine Grippeimpfung in der Apotheke entschieden. Dies ergab eine Evaluation im Auftrag des schweizerischen Apothekerverbands pharmaSuisse. In der Grippesaison 2016/17 war das Impfen in Apotheken ohne ärztliches Rezept in 15 Kantonen möglich, in der Saison 2017/18 bereits in 18. Das Angebot in den Apotheken nahm zwischen den beiden Saisons zu: Die Zahl der Impfapotheken stieg von 316 auf rund 470 (+48%) und die durchgeführten Grippeimpfungen von 8366 auf knapp 20 000 (+135%). Auch die durchschnittliche Anzahl der durchgeführten Impfungen pro Apotheke verzeichnete einen Anstieg um 56 Prozent. Rund 30 Prozent der in der Apotheke Geimpften waren über 65 Jahre alt. Fast 20 Prozent
liessen sich zum ersten Mal gegen Grippe impfen, und rund 15 Prozent hätten sich ohne das Angebot in den Apotheken gar nicht impfen lassen.
Foto: pharmaSuisse
Der Apothekerverband pharmaSuisse geht davon aus, dass in der Grippesaison 2019/20 die Grippeimpfung ohne ärztliche Verordnung in rund der Hälfte aller Schweizer Apotheken möglich sein könnte. Unter www.impfapotheke.ch sind die Apotheken verzeichnet, die Impfungen anbieten. Aktuell ist die Grippeimpfung in Apotheken ohne ärztliches Rezept in 19 Kantonen möglich. Nicht dabei sind die Kantone Aargau, Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden, Glarus, Obwalden und Uri. Im Tessin ist die Impfung in der Apotheke mit Rezept möglich.
pharmaSuisse/red L
Pressemitteilung der Universität Basel, 12. Juli 2018.
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ARS MEDICI 17 | 2018
Ernährung
Phosphat kann den Blutdruck bei Gesunden steigern
Weil ein hoher Phosphatspiegel die Gefässe schädigt, wird chronisch Nierenkranken eine phosphatarme Ernährung empfohlen, denn ihre Nieren können ein Zuviel an Phosphaten nicht mehr ausscheiden. Doch auch bei Gesunden könnte das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei einer allzu hohen Phosphataufnahme steigen. Hinweise darauf lieferten epidemiologische Studien. Ein Team unter Leitung von Prof. Reto Krapf, Universität Basel, hat die statistische Assoziation erstmals in einer Studie mit 20 gesunden Probandinnen und Probanden experimentell überprüft. Die Hälfte der Versuchspersonen erhielt während 11 Wochen zu ihrer normalen Nahrung eine zusätzliche Dosis Natriumphosphat in Tablettenform. Dadurch erhöhte sich der Phosphatgehalt in ihrem Blut auf ein überdurchschnittliches, in der Bevölkerung jedoch weit verbreitetes Niveau. Die andere Hälfte erhielt Lanthan, ein phosphatbindendes Präparat für chronisch Nierenkranke und Dialysepatienten, und dazu noch Kochsalz (Natriumchlorid), um sie in Bezug auf die Gabe von Natrium der ersten Gruppe gleichzustellen. Nach 6 Wochen zeigte sich, dass die erhöhte Phosphataufnahme den Blutdruck bei jungen, gesunden Erwachsenen steigerte, und zwar um 4,1 mmHg systolisch und 3,2 mmHg diastolisch. Gleichzeitig nahm die Pulsrate im Mittel um 4 Schläge pro Minute zu. Alle Versuchspersonen erhielten für die zweite Phase der Studie eine hohe Dosis Vitamin D
(600 000 IU i.m.). Da Vitamin D die Aufnahme
von Phosphaten im Darm begünstigt, sollte
damit der potenzielle Einfluss gleichzeitiger
Vitamin-D-Gaben überprüft werden. In beiden
Gruppen zeigte sich kein Einfluss der Vitamin-
D-Gabe auf die kardiovaskulären Parameter. In
der Studie wurden auch die endotheliale Funk-
tion und die Elastizität der Blutgefässe unter-
sucht. Für beides fand sich kein Zusammenhang
mit der Phosphat- oder Vitamin-D-Zufuhr.
Der Phosphateffekt auf den Blutdruck war re-
versibel: Zwei Monate nach Abschluss der Stu-
die hatten sich die Werte bei den Probanden
wieder normalisiert.
Das Phosphatrisiko lauert übrigens eher nicht in
natürlicherweise phosphatreichen Lebensmit-
teln, sondern in Fertigprodukten, denn Phos-
phate sind weit verbreitete Zusatzstoffe in der
Lebensmittelindustrie: Sie sorgen beispiels-
weise dafür, dass Schmelzkäse streichfähig ist,
stabilisieren die Farbe von Getränken, helfen bei
der Konservierung von Fleisch- und Wurstpro-
dukten, finden sich aber auch in Backwaren und
insbesondere im Fast Food. In der Bevölkerung
liege die Aufnahme von Phosphatsalzen darum
bereits häufig über der in den USA empfohlenen
Tagesdosis von 700 mg, heisst es in einer Pres-
semitteilung der Universität Basel.
RBO L
Mohammad J et al.: A controlled increase in dietary phosphate elevates BP in healthy human subjects. J Am Soc Nephrol 2018; 29(8): 2089-2098. Pressemitteilung der Universität Basel, 23. August 2018.
Neurologie
Neuer Behandlungsansatz für Juckreizgeplagte
Zwei Rezeptoren im Rückenmark und ein passendes experimentelles Arzneimittel: Forscher der Universität Zürich haben einen neuen Ansatz entdeckt, mit dem sich der Juckreiz unterdrücken lässt. Experimentell konnten sie damit nicht nur akute, sondern auch chronische Beschwerden lindern. Für letztere gibt es bisher keine gezielte Behandlung. Das Team um Prof. Hanns Ulrich Zeilhofer, Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich, konnte mit einer neuen Substanz die Wirkung bestimmter Nervenzellen im Rückenmark verstärken, welche die Weiterleitung von Juckreizsignalen ins Hirn hemmen. Dafür sind zwei bestimmte GABA-Rezeptoren dieser Nervenzellen entscheidend. Die neue Substanz bindet an diese Rezeptoren und wurde ursprünglich als angstlösendes Medika-
ment entwickelt. In Tierversuchen mit Mäusen und Hunden konnten die Pharmakologen zeigen, dass sie nicht nur akuten Juckreiz unterdrückt, sondern auch bei ekzemartigen Veränderungen der Haut und entsprechenden chronischen Juckbeschwerden wirkt. Zeilhofer hofft, dass die Substanz auch beim Menschen den gewünschten Effekt entfalten wird. Gleichzeitig betont er, dass die neuen Erkenntnisse auch für die Tiermedizin wichtig seien, denn Haushunde leiden wie Menschen häufig an chronischem Juckreiz. In Zusammenarbeit mit dem Hersteller will man nun das Medikament zur Marktreife bringen.
Universität Zürich/red L
Ralvenius WT et al.: Itch suppression in mice and dogs by modulation of spinal α2 and α3 GABAA receptors. Nature Communications, online August 13, 2018.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Kein schwarzes Loch in Genf
In der Nähe von Genf geht Anfang September die grösste Maschine der Welt in Betrieb, der Ringbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) am Kernforschungszentrum Cern. Manche fürchten, dass die beschleunigten Teilchen ein alles verschlingendes schwarzes Loch bewirken könnten. Diese Angst erweist sich als unbegründet. Der Beschleuniger läuft neun Tage lang, dann platzt eine Schweissnaht, und ein Heliumtank explodiert. Die Reparatur dauert etwa ein Jahr. Die bis heute bedeutendste Entdeckung mithilfe des LHC ist der Nachweis des HiggsBosons im Jahr 2012. Die Existenz dieses Elementarteilchens wurde bereits 1964 von den Physikern François Englert und Peter Higgs postuliert. Beide erhalten ein Jahr nach der Entdeckung des Teilchens den Nobelpreis für Physik.
Vor 50 Jahren
Spitalgebühr für Betrunkene
In einem Hamburger Krankenhaus wird eine neue Gebühr eingeführt: Betrunkene oder unter dem Einfluss von Drogen eingelieferte Patienten müssen künftig zusätzlich 30 Mark bezahlen; zum heutigen Wechselkurs entspricht das etwa 18 Franken. Damit soll den erhöhten Aufwendungen des Spitals für solche Patienten Rechnung getragen werden.
Vor 100 Jahren
Wundreinigung mit Salzsäure plus Pepsin
Schwer infizierte Wunden mit zerfetztem,
nekrotischem Wundgewebe, wie sie bei Kriegs-
verletzungen häufig sind, seien am besten mit
künstlichem Magensaft zu reinigen, berichtet
ARS MEDICI. Zunächst soll die Wunde gründlich
mit 0,2%iger Salzsäure mindestens eine halbe
Stunde lang gespült werden. Danach wird eine
Gaze aufgelegt, die mit 0,2%iger Salzsäure plus
Pepsin getränkt ist. Der Erfolg sei eine «frappant
gute und schnelle Reinigung mit Auftreten fri-
scher, reiner Granulation schon nach ein- bis
zweimaliger Applikation». Die Patienten wür-
den bei der Behandlung nur ein leichtes Brennen
verspüren.
RBO L
ARS MEDICI 17 | 2018