Transkript
Probleme auf Flugreisen
Ist Ihr Patient flugtauglich?
BERICHT
Heute sind Flugreisen für viele erschwinglich. Ferien ohne Flugzeug sind fast nicht mehr vorstellbar. Doch nicht immer entscheidet der Preis über die Möglichkeit, ein Flugzeug zu besteigen. Denn bei besonderen Konstellationen wie Schwangerschaft, bestimmten Erkrankungen oder Einschränkungen des Bewegungsapparates ist die Flugtauglichkeit fraglich. Worauf zu achten ist, fasste Prof. Dr. med. Silvia Ulrich, Klinik für Pneumologie, Universitätsspital Zürich, zusammen.
Während das Flugpersonal eigene fliegerärzt-
liche Untersuchungen absolvieren muss, ent-
scheidet bei Passagieren meist der Hausarzt,
wann eine Flugtauglichkeit nicht mehr gege-
ben ist. Denn im Flugzeug herrschen andere
Bedingungen als auf Meereshöhe. Der Kabi-
nendruck auf einem Langstreckenflug ent-
spricht einem Aufenthalt in den Bergen auf
einer Höhe von etwa 2500 Meter über Meer,
Prof. Dr. med. Silvia Ulrich (Foto: vh)
die Sauerstoffkonzentration ist entsprechend tiefer. Liegt die normale Sauerstoffsättigung auf Meereshöhe etwa bei 97 Prozent, sinkt sie in der
Flugzeugkabine auf zirka 92 Prozent ab. Ein grösseres Pro-
blem ist auch die vergleichsweise tiefe Luftfeuchtigkeit von
maximal 15 Prozent im Flugzeug und der damit verbundene
Flüssigkeitsverlust – ein grosser Unterschied zu sonst etwa
83 Prozent im Unterland und 20 bis 30 Prozent in den Bergen.
Bei der Beurteilung der Flugreisetauglichkeit bei Patienten
mit Lungen- und Herzerkrankungen stehen die Auswirkung
der hypobaren Hypoxie während des Fluges sowie die Immo-
bilität über längere Zeit im Mittelpunkt.
Thromboserisiko bei Langstreckenflug
Bei verschiedenen Gesundheitskonstellationen erfordern die
Gegebenheiten im Flugzeug gewisse Voraussetzungen, unter
denen ein Passagier einen Langstreckenflug unbeschadet
übersteht. Beispielsweise können schwangere Frauen mit
KURZ & BÜNDIG
s Schwangere können bei unkomplizierter Schwangerschaft je nach Fluggesellschaft bis zur 36. Woche fliegen.
s Bei Flügen unter 6 Stunden braucht es keine besonderen thromboseprophylaktischen Massnahmen.
s Ein zusätzlicher Sauerstoffbedarf auf Flügen muss bei den Fluggesellschaften angemeldet werden.
unkomplizierten Schwangerschaften je nach Fluggesellschaft bis zur 36. Schwangerschaftswoche mitfliegen. Es empfiehlt sich, ab der 28. Schwangerschaftswoche ein medizinisches Attest mitzuführen, indem vermerkt ist, dass die Schwangerschaft komplikationslos verläuft. Das verlangt beispielweise die Fluggesellschaft Swiss von werdenden Müttern (Kasten). Weil Schwangere ein höheres Risiko für Thrombosen haben, sind Stützstrümpfe, viel Flüssigkeit und Umhergehen während des Fluges sicher nicht verkehrt, so der Rat von Ulrich. «Bei nicht schwangeren Passagieren mit erhöhtem Risiko für Thrombose empfehlen wir als Prophylaxe eines der neuen oralen Antikoagulanzien, zum Beispiel Rivaroxaban 10 mg 2 Stunden vor dem Flug», berichtet Ulrich, auch wenn es hierzu natürlich keine prospektiven Studien gebe. Viel trinken, die Beine bewegen und eventuell Stützstrümpfe schaden generell bei allen Passagieren nicht. Diese Massnahmen gelten insbesondere für Langstreckenflüge, denn das Risiko für venöse Thromboembolien steigt mit der Flugdauer (1). Bei Flügen unter 6 Stunden braucht es normalerweise keine besonderen thrombosevorbeugenden Massnahmen, so Ulrich.
Flugreise mit COPD und Pneumothorax?
Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) haben schon bei normaler Raumluft eine erniedrigte Sauerstoffsättigung. Begeben sie sich in ein Flugzeug, fällt diese weiter ab. Ab welchem Sättigungsabfall tatsächlich Gefahr für den Patienten besteht, darüber gibt es keine Daten, so Ulrich. Die British Thoracic Society empfiehlt COPDPatienten eine Flugerlaubnis zu erteilen, wenn sie unter optimaler Therapie stabil sind und die Sättigung annähernd normal ist (2). Wird schon vor der Flugreise zusätzlicher Sauerstoff benötigt, wird empfohlen, die Dosis im Flugzeug zu verdoppeln, wobei aber bei Patienten mit Kohlendioxidretention Vorsicht geboten ist. Notfallmedikamente wie Inhalatoren, Prednison und Antibiotika sollten mitgeführt werden. Bei Patienten mit tieferer Sättigung oder deutlicher Entsättigung im Hypoxietest soll ein portabler Sauerstoffkonzentrator mitgeführt werden. Die Erlaubnis für seinen Gebrauch oder die Anwendung von mitgebrachtem Sauerstoff sind je nach Fluggesellschaft unterschiedlich und sollen
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BERICHT
Tabelle:
Flugtauglichkeit nach Herzinfarkt (STEMI, NSTEMI) und elektiver perkutaner koronarer Intervention (PCI) (4)
Zustand Post-STEMI und -NSTEMI
Elektive PCI
Befund
Low Risk: Alter < 65, erstes Ereignis, erfolgreiche Reperfusion, EF > 45%, keine Komplikationen, keine weitere Untersuchung oder Intervention geplant
Medium Risk: EF > 40%, keine Symptome einer Herzinsuffizienz, kein Hinweis für eine induzierbare Ischämie oder Arrhythmie, keine weitere Untersuchung oder Intervention geplant
High Risk: EF < 40%, Zeichen und Symptome einer Herzinsuffizienz oder geplante weitere Abklärung oder Intervention wie Revaskularisation oder Schrittmachereinlage
keine Komplikationen
Wartezeit flugtauglich nach 3 Tagen
flugtauglich nach 10 Tagen
nicht flugtauglich, bis Situation stabil ist
flugtauglich nach 2 Tagen
unbedingt vor Flugantritt geklärt werden. Viele Fluggesellschaften stellen Sauerstoff zur Verfügung (Kasten). Patienten mit Lungenerkrankungen und einer Sauerstoffsättigung von > 92 Prozent, einem Sauerstoffpartialdruck
Kasten:
Nützliche Adressen
Fliegerärztliche Tauglichkeitsuntersuchnung für Piloten www.bazl.admin.ch/medical
> 70 mmHg, einem CO2-Partialdruck < 45 mmHg auf Meereshöhe und einer FEV1 < 55 Prozent sind flugreisetauglich, sie brauchen keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr (2 l/min nasal) auf einem Langstreckenflug (2). Patienten mit Pneumothorax sollten dagegen absolut nicht fliegen, weil es auf dem Flug zu lebensbedrohlichen Volumenverschiebungen kommen könnte. Das Flugverbot gilt so lange, bis der Pneumothorax vollständig auf dem Thoraxröntgenbild sichtbar resorbiert ist, danach gilt noch eine mindestens 7-tägige Wartezeit. Das gilt auch für Patienten mit artifiziellem Pneumothorax infolge Thoraxoperationen. Bei traumatischem Pneumothorax sollte die Flugreise um mindestens zwei Wochen verschoben werden. Bestimmungen bei der Swiss https://www.rosenfluh.ch/qr/betreuung Formulare Flugtauglichkeit SWISS www.swiss.com/corporate/medicalservices/de Liste der verschiedenen Fluggesellschaften und ihrer Sauerstoff-Richtlinien https://www.rosenfluh.ch/qr/checkliste Checkliste für Flugreisen mit Sauerstofftherapie https://www.rosenfluh.ch/qr/merk Reisen mit Sauerstofftherapie https://www.rosenfluh.ch/qr/lungezuerich Offene Tuberkulose beim Sitznachbarn Darf man Patienten mit infektiösen Lungenerkrankungen wie beispielsweise einer offenen Tuberkulose (Tb) oder mit Verdacht auf Tb fliegen lassen? Tatsache ist, dass solche Patienten unerkannt Flugreisen unternehmen, so Ulrich. Die Ansteckungsgefahr in Flugzeugen ist insgesamt gering, weil die Luft aus der Flugzeugklimaanlage laminar von oben nach unten strömt und längs entlang der Seitenwand unter die Sitzflächen in den Gepäckraum und dann nach aussen geleitet wird. Die Luft wird etwa alle 2 Minuten ausgetauscht, sie kommt von aussen durch die Triebwerke in das Flugzeug hinein. Dabei passiert sie sogenannte HEPA-Filter (HEPA = high efficiency particulate air), die über 99 Prozent der Partikel zwischen 0,1 und 0,3 µm herausfiltern (3). Tb-Bakterien bleiben mit ihrer Grösse von 0,2 bis 0,5 µm in diesem Filter hängen. Somit besteht laut Angaben des Deutschen Amtes für Gesundheit kein erhöhtes Infektionsrisiko für Tuberkulose, solange die Klimaanlage funktioniert, so Ulrich. Aus infektiologischer Sicht muss für die Flugtauglichkeitsentscheidung bei einem Tb-Verdachtspatienten festgestellt werden, ob eine offene Lungentuberklose vorliegt. Das zuverlässigste Mittel ist hierzu gemäss Ulrich das Thoraxröntgenbild: Ist es bland, kann der Patient fliegen. Liegt dagegen eine Lungentuberkulose vor, entscheiden nach mindestens zwei Wochen Behandlung bei guter Compliance drei negative Sputumproben und die klinische sowie die radiologische Besserung über die Flugtauglichkeit. 526 ARS MEDICI 12 | 2018 BERICHT Hat der Patient Kontraindikationen für eine Flugreise? von Flugreise abraten Ja Nein Ist der Patient in einer Hochrisikogruppe? Erhält der Patient schon länger eine Sauerstofftherapie? Ist seine Sauerstoffsättigung < 95% auf Meereshöhe? Sauerstoff für den Flug verschreiben oder Hypoxie-Challenge-Test durchführen Nein Sauerstoff mindestens 2 l/min nasal während des Flugs Hypoxie-Challenge-Test: PaO2 < 6,6 kPa oder SpO2 < 85%? Ja Nein Standardbehandlung optimieren und zur Thromboseprophylaxe raten Abbildung: Vorgehen bei der Flugtauglichkeitsuntersuchung (2) Flugtauglich mit Lungenhochdruck? Wenn Patienten mit idiopathischer pulmonaler Hypertonie (PAH) einen Langstreckenflug antreten möchten, stellen sich einige Fragen. Grundsätzlich ist laut der Pneumologin nichts dagegen einzuwenden, sofern der Patient medikamentös stabil eingestellt ist und die Sauerstoffsättigung genügend hoch ist. Die Sauerstoffsättigung soll folgendermassen aussehen: Bei Werten < 95 Prozent empfiehlt sich eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr von 2 l/min nasal während des Fluges. Dies ebenso bei einer Belastbarkeit gemäss NYHA-Klasse 3 bis 4. Bei einer NYHA-Klasse 1 bis 2 ist eine Flugreise ohne Sauerstoff möglich (4). Ist zusätzlicher Sauerstoff nötig, müssen die Bedingungen in jedem Fall vorher bei der Fluggesellschaft abgeklärt und angemeldet werden (siehe Kasten). Eine Ausnahme sind Patienten mit Eisenmenger-Syndrom. Sie können, wenn sie stabil sind, problemlos fliegen, auch bei deutlich tieferen Sättigungswerten. Wie lange warten nach Herzinfarkt? Die im Flugzeug abfallende Sauerstoffsättigung wird normalerweise mit einer Steigerung der Herzfrequenz kompensiert. Wie verhält sich das nach einem Herzinfarkt, der beispielsweise erfolgreich reperfundiert werden konnte? Wie lange muss der schon kurz nach dem Eingriff beschwerdefreie und medikamentös eingestellte Patient warten? Die British Cardiovascular Society empfiehlt, den Flug nach 3 Tagen zuzulassen, sofern der Patient nach der Revaskularistion stabil ist, die linksventrikuläre Auswurffraktion (EF) über 45 Prozent liegt und keine weitere Intervention geplant ist (Tabelle). Bei einer EF > 40 Prozent ohne Anzeichen einer Herzinsuffizienz, einer Angina pectoris oder einer Arrhythmie kann nach 10 Tagen geflogen werden. Bei einer EF < 40 Prozent und Herzinsuffizienzsymptomen sowie geplanten Untersuchungen oder Eingriffen soll mit dem Fliegen so lange gewartet werden, bis die Situation stabil ist (3). Vorgehen bei der Flugtauglichkeitsuntersuchung Als Erstes muss abgeklärt werden, ob eine Flugreise kontraindiziert ist (Abbildung). Das ist gemäss British Thoracic Society der Fall bei infektiöser Tuberkulose, einem nicht drainierten Pneumothorax, schwerer Hämoptyse, Patienten mit Langzeit-Sauerstofftherapie > 4 l/min bereits auf Meereshöhe sowie bei jeglicher lebensbedrohlichen Erkrankung. Bestehen keine Kontraindikationen, müssen Hochrisikopatienten identifiziert werden: s vorgängige Flugunverträglichkeit s schwere COPD (FEV1 < 30%), schweres Asthma, bläschen- bildende Erkrankungen s schwere restriktive Erkrankung (FVC < 1 l), insbesondere mit Hypoxämie oder Hypokapnie s Komorbiditäten, die bei Hypoxämie schlechter werden (zerebrovaskuläre/kardiale Erkrankungen, pulmonale Hypertonie) s vorgängige Thromboembolie oder Risiko dafür s zusätzlicher Sauerstoffbedarf s kürzlicher Pneumothorax, zystische Fibrose, Lungentuberkulose. Im positiven Fall sollte die Situation erst stabilisiert werden, bis eventuell eine Flugerlaubnis erteilt werden kann. Ein Hypoxie-Challenge-Test oder die direkte Verschreibung von zusätzlichem Sauerstoff kann je nach Problematik eine Flug- reise ermöglichen. s Valérie Herzog Quelle: «Flugtauglichkeit». Fortbildungssymposium der Vereinigung allgemeiner und spezialisierter Internistinnen und Internisten Zürich, 25. Januar 2018 in Zürich. Referenzen: 1. Chandra et al.: Meta-analysis: travel and risk for venous thromboembo- lism. Ann Int Med 2009; 151: 180–190. 2. Ahmedzai S et al.: Managing passengers with stable respiratory disease planning air travel: British Thoracic Society recommendations. Thorax 2011; 66 (Suppl 1): i1–30. 3. Hufnagel L et al.: Forecast and control of epidemics in a globalized world. Proc Nat Acad Sci USA 2004; 101: 15 124–15 129. 4. Smith D et al.: Fitness to fly for passengers with cardiovascular disease. Heart 2010; 96 (Suppl 2): ii1–16. ARS MEDICI 12 | 2018 527