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FORTBILDUNG
Asthma – Fallstricke bei Diagnose und Therapie
Asthma wird immer noch häufig übersehen, nicht korrekt diagnostiziert und unzureichend therapiert. Dabei kann ein Asthmatiker heute unter gewissen Voraussetzungen ein beschwerdefreies Leben führen. Der folgende Überblick basiert auf langjähriger praktischer Erfahrung. Typische Fallstricke werden anhand von Fallbeispielen erläutert.
Thomas Hausen
Die Voraussetzungen für ein gutes Leben mit Asthma sind eigentlich klar definiert. Die Diagnose wird «überhaupt» und «frühzeitig» gestellt. Der Patient erhält eine Therapie, die bezüglich Anzahl der Substanzen und Dosierung ausreichend bemessen und ständig an die aktuelle Intensität der Entzündung angepasst wird und die der Patient regelmässig und korrekt durchführt. Leider scheitert diese Zielvorstellung immer wieder an einigen Punkten.
Diagnose nicht verpassen!
Die Mutter kommt mit dem kleinen Christoph am Morgen in die Praxis und schildert voller Angst, dass ihr Sohn nachts um Luft ringend im Bett gesessen hätte. Wegen fehlender Auffälligkeiten bei der klinischen Untersuchung werden die Beschwerden der als ängstlich geltenden Mutter zugeschrieben und bagatellisiert. Das Scheitern einer guten Asthmabehandlung beginnt bereits mit der übersehenen Diagnose. Die Asthmadefinition der Deutschen Atemwegsliga lautete 2017: «Asthma ist eine
MERKSÄTZE
Bei Asthma ist Husten das häufigste Symptom, Luftnot fehlt fast immer.
Husten und Auswurf bedeuten nicht immer einen Infekt. Es gilt, nicht den Infekt nachzuweisen, sondern eine allergi-
sche Reaktion sicher auszuschliessen. Selbst grün verfärbter Auswurf enthält nur zu 80 Prozent
Bakterien. Giemen hört man nur bei Allergikern und Rauchern. Bei COPD immer nach einer asthmatischen Komponente
fahnden! Inhalierte Kortikoide (ICS) sind bei Asthma ein Muss, bei
COPD ein seltenes Kann!
chronisch entzündliche Erkrankung der Atemwege, die durch eine bronchiale Hyperreagibilität und eine variable Atemwegsobstruktion charakterisiert ist.» Die Beschwerden treten spontan, das heisst sowohl in Ruhe als auch unter Belastung, auf. Häufig wird der Asthmatiker auch nachts – in den frühen Morgenstunden – durch Beschwerden geweckt. Die wechselnde Intensität der Entzündung erklärt die variable Obstruktion und damit das Nebeneinander von Beschwerden und Wohlbefinden. Im Gegensatz dazu schläft der COPD-Patient in der Regel durch, und seine Beschwerden beginnen mit der Belastung, das heisst, wenn sein Luftbedarf durch die starre Obstruktion begrenzt wird.
Husten ist das häufigste Symptom
Frau S. hustet über mehrere Wochen. Erst beim gezielten Befragen muss sie zugeben, dass sie auch Belastbarkeit eingebüsst hat. Richtige Luftnot verspüre sie aber nicht. Die Lungenfunktion zeigt zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Auffälligkeiten. Im Allergietest sind jedoch Reaktionen auf Baum- und Grasallergene nachweisbar. Durch das Führen eines Beschwerdekalenders kann ein periodisches allergisches Asthma bestätigt werden. Als typisch für Asthma gilt das anfallartige Auftreten von Husten und Luftnot. Luftnot fehlt jedoch fast immer, und Hustenreiz ist das einzige wegweisende Symptom. Auffällig ist ein Hustenreiz, der überwiegend trocken ist, länger als vier Wochen dauert und wiederholt zu einer bestimmten Jahreszeit oder bei Exposition mit identischen Auslösern auftritt. 40 Prozent aller Personen, die regelmässig husten, sind Asthmatiker! In den meisten Fällen lässt sich dafür ein Auslöser eruieren. Für die häufigste Form, das allergische Asthma, ergeben sich typische Jahreszeiten, in denen die Beschwerden auftreten: zwischen Weihnachten und Ostern, mit einem Maximum im März (Frühblüher), nach einem kurzen beschwerdefreien Intervall von nur wenigen Wochen dann wieder bis August (Gräser) und in den Monaten der Heizperiode (Hausstaubmilbe), mit dem Maximum im September. Aber auch ein Infekt oder sportliche Aktivität können die Beschwerden triggern.
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Nicht vorschnell ein Antibiotikum verordnen
Husten und Auswurf sind klassische Fallstricke bei der Asthmadiagnose. In den typischen Jahreszeiten stellen sich immer wieder Patienten mit Husten und Auswurf vor, der oft auch gelblich verfärbt ist. Leider zu schnell führt diese Konstellation zur Verordnung eines Antibiotikums, zumal dann, wenn unsere Praxen voller Patienten mit einem Infekt sind. Bessert sich der Husten dann nicht, wird das auf ein falsches Antibiotikum geschoben und nicht auf die falsche Diagnose, sodass ein weiteres, vielleicht sogar ein drittes Antibiotikum verordnet wird. Ein Hinweis auf die richtige Diagnose ist, wie bereits gesagt, der trockene Reizhusten. Sofern Auswurf hinzutritt, ist dieser zäh wie Weingummi und gering in der Menge. Eine gelbliche Verfärbung deutet auf eine allergische und nicht auf eine bakterielle Ursache hin. Das Fehlen von Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen oder einer Rötung und Hypertrophie im Waldeyer-Rachenring sollte uns immer aufmerken lassen. Ist der Patient dann auch noch Allergiker, sollten alle Alarmglocken läuten. Manchmal hilft auch ein Blick in den Computer. Dort finden sich vielleicht wiederholte, vemeintliche Infekte zur selben Jahreszeit. Ein Infekt heilt in den allermeisten Fällen ohne Therapie aus. Eine unerkannte chronische Atemwegserkrankung schenkt dem Krankheitsprozess dagegen nur Zeit, ungehemmt fortschreiten zu können.
Asthma, COPD oder Asthma plus COPD?
Frau H., langjährige Raucherin, entwickelt im fünften Lebensjahrzehnt wiederholt akute Luftnotanfälle, ohne dass auch bei sorgfältiger Befragung ein Auslöser zu eruieren ist. Die Lungenfunktionsmessung ergibt eine fortgeschrittene, nicht voll reversible Obstruktion. Erst eine intensive antientzündliche Therapie im Sinne eines Asthmas führt zur Stabilisierung. Wenn Luftnot anfallsartig auch in Ruhe auftritt und beim besten Willen kein Auslöser eruierbar ist, sollte immer an ein intrinsisches Asthma gedacht werden. Bei dieser Patientin kann zwar auch ein Nebeneinander von Asthma und COPD vorliegen, aber selbst unter dieser Voraussetzung ändert sich an der Therapie nichts.
Giemen bei der Auskultation sollte immer an Asthma und COPD denken lassen. Die Frage nach Allergien oder dem Rauchen geben hier den entscheidenden Hinweis. Giemen hört man «nur» bei Allergikern und Rauchern. Eine Lungenfunktionsuntersuchung oder die Messung von FeNO (Fraktion des ausgeatmeten Stickoxids [fraction of exhaled nitric oxide]) kann hilfreich sein. Mit zunehmendem Alter nimmt das allergische Asthma an Häufigkeit ab, und wir müssen mehr mit einem intrinsischen Asthma und einer COPD rechnen. Weil die Differenzierung zwischen Asthma und COPD nicht immer einfach ist, finden wir immer wieder Asthmatiker unter den COPD-Patienten. Bei COPD sollte daher immer auch nach einer asthmatischen Komponente gefahndet werden, denn das Zusammentreffen von Asthma und COPD (ACO = Asthma COPD overlap) – ein rauchender Asthmatiker kann ja auch zusätzlich eine COPD entwickeln – erschwert die korrekte Diagnose und Therapie.
Asthma plus COPD (ACO) immer wie Asthma behandeln
Die exakte Diagnose und die daraus folgende korrekte Therapie wird vor allem für den Patienten mit Asthma oder einem asthmatischen Anteil bei COPD lebenswichtig. Während die Therapie bei COPD immer noch rein symptomatisch ist, können wir bei Asthma eine semikausale Therapie durchführen. Damit haben wir einen erheblichen Einfluss auf die Prognose des Patienten. Beim Asthma sind Kortikoide, vor allem die inhalierbare Form (ICS), die Basis jeder Therapie. Bei der COPD wird das ICS wegen seiner fast fehlenden Wirkung und vor allem der intensiven Nebenwirkungen immer mehr zu einem Nischenpräparat: Insofern sind ICS bei Asthma ein Muss, bei COPD ein seltenes Kann!
Grundlegende Regeln der Asthmatherapie
ICS-Dosis Die korrekte ICS-Dosis bei Asthma lässt sich mit Hilfe verschiedener Untersuchungsmöglichkeiten zur Beurteilung der Entzündungsaktivität gut bestimmen (Tabelle). Für ICS beim Asthma gilt: So viel wie nötig, so wenig wie eben möglich!
Tabelle:
Direkte und indirekte Möglichkeiten zur Bemessung der Entzündungsaktivität bei Asthma
Direkte Methoden Nachweis von Eosinophilen: – im Sputum nach spontaner
Expektoration – im induzierten Sputum – nach bronchialer Lavage – nach Bronchoskopie
Indirekte Methoden Lungenfunktion inkl. Bronchospasmolysetest Peak-Flow-Messung bronchiale Provokation FeNO-Messung
FeNO: Fraktion des ausgeatmeten Stickoxids (fraction of exhaled nitric oxide); Peak-Flow: maximaler Atemstrom bei Exspiration
Therapiedauer bei periodischem Asthma Die Dauer der Therapie richtet sich nach der Form des Asthmas. Bei periodischem, saisonalem Asthma beginnt sie kurze Zeit vor dem vermuteten Beginn der Beschwerden. Für den Nutzen eines vorzeitigen Beginns gibt es keine Belege in der Literatur, diese Vorgehensweise ist aus Erfahrung jedoch trotzdem zu empfehlen. Zwar besteht vor Beginn der Allergenbelastung noch keine Entzündung, und somit kann ein ICS auch noch keine Entzündung unterdrücken, aber die Überlegung, erst bei Auftreten von Beschwerden mit der Therapie zu beginnen, hat den Nachteil, dass zu diesem Zeitpunkt immer mit einer intensiveren Behandlung begonnen werden muss. Besonders trifft das für diejenigen Patienten zu, die jedes Jahr mit dem Beginn der Therapie zögern, weil sie hoffen, in diesem Jahr keine Beschwerden zu bekommen. Bei ihnen kommt es dann immer wieder zu massiven Beschwerden, die mit intensiven Massnahmen abgefangen werden müssen, manchmal sogar eine stationäre Behandlung notwendig machen.
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Beginnt die Allergenbelastung hingegen sozusagen unter dem Schutz eines ICS, kann sich eine Entzündung erst gar nicht entwickeln, und Beschwerden bleiben aus. Je nach Intensität der Allergenbelastung muss die Intensität der Therapie lediglich angepasst werden, was viele Patienten nach entsprechenden Vorgaben auch ohne Besuch in der Praxis selbst tun können. Der folgende Fall schildert die Therapie beim periodischen Asthma. Bei rechtzeitiger Adaptation der Therapie auf die Zunahme der Entzündungsintensität hätte der eintretende «Notfall» verhindert werden können. Frau L. leidet unter einem periodischen allergischen Asthma mit Sensibilisierung gegen Bäume und Gräser. In vielen Jahren zuvor konnte eine optimale Therapie und Dosierung ermittelt werden, welche die Patientin jedes Jahr mit dem Jahreswechsel begann. Als in einer Praxis tätige MPA wurde sie aus wissenschaftlichen Gründen gebeten, in regelmässigen wöchentlichen Abständen einen Lungenfunktionstest und eine Messung des FeNO durchzuführen. Anfang April stört sie ein unstillbarer trockener Hustenreiz. Der Lungenfunktionstest – den man ohne die Studie bei ihr nicht durchgeführt hätte – belegt einen akuten Verlust der FEV1 (forciertes exspiratorisches Volumen in 1 s; Einsekundenkapazität) um fast die Hälfte. Gleichzeitig unterstreicht der stark angestiegene FeNO-Wert, dass es sich um eine Notfallsituation handelt. Die umgehend intensivierten Massnahmen konnten den drohenden Asthmaanfall abfangen. Nicht Luftnot, sondern nur der Hustenreiz signalisierte den Notfall! Selbstverständlich kann die Therapie am Ende der Saison bis zur nächsten Saison ausgesetzt werden. Es ist allerdings zu empfehlen, im beschwerdefreien Intervall nach Hinweisen auf eine geringe Entzündungsaktivität zu fahnden, um den Übergang in ein perenniales Asthma nicht zu spät zu bemerken.
Therapiedauer bei perennialem Asthma Die Therapie erfolgt ganzjährig mit regelmässiger Überprüfung von Dosis und Durchführung. Bei perennialem Asthma mit periodischem Höhepunkt wird die ganzjährige Therapie rechtzeitig vor Beginn des Expositionshöhepunkts an die voraussichtliche Zusatzbelastung angepasst.
Inhalationssystem ist wichtiger als gewählte Substanz Herr F., ein Patient mit COPD, soll regelmässig die Kombination Ipratropium plus Fenoterol inhalieren. Er kommt in die Praxis und klagt, dass die Medikamente ihre Wirkung verloren hätten. Die Überprüfung der Inhalationstechnik klärt das Problem: Herr F. nimmt die Kappe des Dosieraerosols ab, schüttelt es, atmet tief aus, umschliesst das Mundstück mit den Lippen, sprüht in den Mund und hält den Atem
an und versucht nach einigen Sekunden, krampfhaft zu schlucken. Er hatte vergessen, dass er zum Inhalieren einatmen sollte. Eine Inhalationstherapie kann nur erfolgreich sein, wenn der Patient ein Inhaliersystem erhält, mit dem er gut zurechtkommen kann, und wenn ihm die Inhalationstechnik ausführlich vermittelt und sie kontrolliert wird. Wir wissen, dass 40 bis 80 Prozent aller Patienten entscheidende Fehler bei der Inhalation begehen. Bedauerlicherweise hat sich an dieser Feststellung in den zurückliegenden 50 Jahren nichts geändert, und wir Ärzte sind daran sicher nicht ganz unschuldig. Bereits drei Tage nach Einführung in die Inhalationstechnik begehen 30 Prozent der Patienten grundlegende Fehler. Wenn nicht korrekt inhaliert wird, kann in den Atemwegen auch nichts ankommen. Aus diesen Gründen gehört die Überprüfung der Inhalationstechnik und eine eventuelle Korrektur unbedingt zur Langzeitbetreuung von Patienten mit einer chronischen Atemwegserkrankung. Eine Kontrolle der Inhalationstechnik sollte auf jeden Fall vor einer eventuellen Eskalation der Therapie erfolgen. Sollte sich herausstellen, dass das Problem der Inhalator ist, sollte auch über einen Wechsel des Systems nachgedacht werden. Eine Steigerung der Dosis in der Therapie hat immer auch einen Einfluss auf die Adhärenz, das heisst, ein Mehr an Therapie hat meistens ein Weniger an Adhärenz zur Folge.
Zu guter Letzt: Keep it simple!
Bei der Zusammenstellung der Asthmatherapie kann durch
die Wahl der Substanz eventuell auf die zusätzliche Verord-
nung einer Bedarfsmedikation verzichtet werden. Zu denken
ist hier an eine Kombination mit Formoterol, das zu den
RABA (rapid acting beta-agonist) zählt und zur Bedarfsthe-
rapie zugelassen ist. Somit hat der Patient nur ein einziges
System, das sowohl für die Dauer- als auch die Bedarfsthera-
pie geeignet ist. Die Möglichkeit, bei der Inhalation Fehler zu
machen, reduziert sich auf ein einziges Inhaliersystem. Wenn
zwei oder mehr zu inhalierende Einzelsubstanzen nötig sind,
sollte möglichst für alle das gleiche Inhaliersystem verwendet
werden.
L
Dr. med. Thomas Hausen Grafenstrasse 52 D-45239 Essen E-Mail: th.hausen@t-online.de
Interessenlage: Der Autor deklariert, dass im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte bestehen.
Lesetipp: «Pneumologie in der Praxis» ist der Titel des neuen Buchs von Dr. Thomas Hausen, das in unserem Buchtipp auf Seite 466 vorgestellt wird.
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