Transkript
FORTBILDUNG
Antidepressiva im Vergleich
Entscheidungshilfe zur initialen medikamentösen Behandlung der Major Depression
In einem systematischen Review mit Netzwerkmetaanalyse erwiesen sich alle untersuchten Antidepressiva als wirksamer im Vergleich zu Plazebo. Ein Ranking entsprechend ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit erleichtert dem Arzt die Auswahl geeigneter Substanzen für seine Patienten.
The Lancet
Depressionen gehören weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Zur Behandlung stehen derzeit mehr als 40 Antidepressiva zur Verfügung. Ärzte benötigen daher eine gute Informationsbasis, um individuell am besten geeignete Medikamente für ihre Patienten auswählen zu können. In einem systematischen Review mit Netzwerkmetaanalyse untersuchten Andrea Cipriani von der Universität Oxford (GB) und ihre Arbeitsgruppe die Wirksamkeit und Verträglichkeit von 21 Antidepressiva (Kasten) zur initialen Akutbehandlung von Patienten mit unipolarer Major Depression im Vergleich zu Plazebo. Des Weiteren erstellten sie ein Ranking der Antidepressiva entsprechend ihrer relativen Wirksamkeit und Verträglichkeit. Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich über acht Wochen.
Antidepressiva wirksamer als Plazebo
Die Forscher schlossen 522 randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) mit 116 477 Patienten in ihre Netzwerkmetaanalyse ein. Hier erwiesen sich alle Antidepressiva als wirksamer im Vergleich zu Plazebo. Die Odds-Ratios (OR) variierten von 2,13 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,89–2,41) unter Amitriptylin bis 1,37 (1,16–1,63) unter Reboxetin. Bei der Evaluierung der Verträglichkeit zeigte sich, dass nur Agomelatin (OR: 0,84; 0,72–0,97) und Fluoxetin (0,88; 0,80–0,96) mit weniger Behandlungsabbrüchen verbunden waren als Plazebo. Unter Clomipramin wurden dagegen höhere Abbruchraten beobachtet als unter Plazebo (1,30; 1,01–1,68).
MERKSÄTZE
Kasten:
Antidepressiva
L Agomelatin (Valdoxan®) L Amitriptylin (Saroten®) L Bupropion (Wellbutrin® XR) L Citalopram (Seropram® und Generika) L Clomipramin (Anafranil®) L Desvenlafaxin (in der Schweiz nicht erhältlich) L Duloxetin (Cymbylta® und Generika) L Escitalopram (Cipralex® und Generika) L Fluoxetin (Fluctine® und Generika) L Fluvoxamin (Floxyfral®) L Levomilnacipran (nicht im AK der Schweiz) L Milnacipran (nicht im AK der Schweiz) L Mirtazapin (Remeron® und Generika) L Nefazodon (in der Schweiz seit 2003 vom Markt
genommen) L Paroxetin (Deroxat® und Generika) L Reboxetin (Edronax®) L Sertralin (Zoloft® und Generika) L Trazodon (Trittico®) L Venlafaxin (Efexor® und Generika) L Vilazodon (nicht im AK der Schweiz) L Vortioxetin (Brintellix®)
Alle Antidepressiva sind wirksamer als Plazebo.
Gemäss Review gehören Agomelatin, Escitalopram und Vortioxetin zu den wirksamsten und verträglichsten Antidepressiva.
Gemäss Review gehören Fluvoxamin, Reboxetin und Trazodon zu den am wenigsten wirksamen und unverträglichsten Antidepressiva.
Ranking der Wirksamkeit und Verträglichkeit
In Head-to-head-Studien erwiesen sich Agomelatin, Amitriptylin, Escitalopram, Mirtazapin, Paroxetin, Venlafaxin und Vortioxetin wirksamer als andere Antidepressiva (Bereich OR: 1,19–1,96). Fluoxetin, Fluvoxamin, Reboxetin und Trazodon waren am wenigsten wirksam (Bereich OR: 0,51– 0,84). Agomelatin, Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Sertralin und Vortioxetin waren verträglicher als andere Antidepres-
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siva (Bereich OR: 0,43–0,73). Unter Amitriptylin, Clomipramin, Duloxetin, Fluvoxamin, Reboxetin, Trazodon und Venlafaxin wurden die höchsten Abbruchraten beobachtet (Bereich OR: 1,30–2,32).
Diskussion
Die Autoren weisen darauf hin, dass im Rahmen ihrer Netzwerkmetaanalyse nur durchschnittliche therapeutische Effekte evaluiert werden konnten. Individuelle Einflüsse wie das Geschlecht, die Schwere der Symptome oder die Dauer der Erkrankung konnten nicht evaluiert werden. Untergruppen wie psychotische Patienten mit Depressionen oder Personen mit behandlungsresistenten Depressionen wurden ebenfalls nicht berücksichtigt. Des Weiteren machen Cipriani und ihre Kollegen darauf aufmerksam, dass sich die Ergebnisse auf die Wirksamkeit der Antidepressiva im Rahmen einer Initialbehandlung beziehen und keine Informationen zur Auswahl geeigneter Substanzen nach einem ersten Fehlschlag liefern. Trotz dieser Limitationen repräsentiert die Studie ihrer Ansicht nach derzeit die umfangreichste Evidenzbasis zur Auswahl eines ersten Medikaments für die Behandlung einer akuten Major Depression bei Erwachsenen.
Kommentar
In einem Kommentar merken Sagar Parikh und Sidney Kennedy von der Universität Michigan (USA) an, dass aus der Wirksamkeit der Antidepressiva innerhalb eines 8-wöchigen
Beobachtungszeitraums keine Rückschlüsse auf Langzeitef-
fekte wie die Funktionsfähigkeit im Alltag gezogen werden
können. Die individuelle Heterogenität des Ansprechens
kann anhand der Netzwerkmetaanalyse ebenfalls nicht beur-
teilt werden.
Dennoch sind die Kommentatoren der Meinung, dass Ci-
priani und ihre Kollegen signifikante praxisrelevante Unter-
schiede zwischen verschiedenen Antidepressiva aufzeigen
konnten. Unter Berücksichtigung beider Rankings identifi-
zierten sie Agomelatin, Escitalopram und Vortioxetin als zu-
gleich wirksamste und verträglichste Substanzen. Diese Anti-
depressiva könnten Ärzte daher als erste Behandlungsoption
anbieten. Fluvoxamin, Reboxetin und Trazodon waren da-
gegen mit dem ungünstigsten Wirksamkeits- und Verträg-
lichkeitsprofil verbunden und sollten daher zur initialen Be-
handlung eher nicht gewählt werden.
L
Petra Stölting
Quellen: Cipriani A et al.: Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. Lancet, published online February 21, 2018. Parikh SV, Kennedy SH: More data, more answers: picking the optimal antidepressant. Lancet, published online February 21, 2018.
Interessenlage: 4 der 18 Autoren der referierten Studie haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Beide Kommentatoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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