Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Mehr Beta-Amyloid im Gehirn bei Schlafmangel
Beta-Amyloid-Ablagerungen gelten als Risikofaktor für die Alzheimer-Demenz, und akuter Schlafmangel erhöht deren Konzentration im Liquor. Aufgrund von Tierversuchen geht man geht davon aus, dass schädliche Beta-Amyloide, wie auch andere Stoffwechselabbauprodukte im Gehirn, über das glymphatische System, ein spezielles Gefässsystem im ZNS, vor allem während des Schlafens entsorgt werden. Dr. Maiken Needergard, die das glymphatische System 2013 beschrieb, erklärte seine Funktionsweise damals so: «Das Hirn hat nur eine begrenzte Menge an Energie zur Verfügung, und es scheint, als müsse es sich zwischen zwei funktionellen Zuständen entscheiden – entweder ist es wach und passt auf, oder es schläft und räumt auf.» (1) Nun hat ein Neuroradiologenteam in den USA im Gehirn von 20 gesunden Probanden, 10 Männern und 10 Frauen im Alter von 22 bis 72 Jahren, den Gehalt an BetaAmyloiden gemessen, zuerst nach einer durchwachten Nacht, das heisst nach durchschnittlich 31 Stunden Schlafentzug,
und ein paar Tage später nach einem gesunden Nachtschlaf (2). Sie setzten dafür die 18F-Florbetaben-PET-Computertomografie ein, ein gängiges Verfahren zur Diagnose von Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn. Nach dem Schlafentzug war die BetaAmyloid-Belastung um durchschnittlich 5 Prozent höher als nach dem Schlafen, und zwar in der rechten Hippocampusund Thalamusregion. Das Phänomen trat unabhängig davon auf, ob der Proband ein erhöhtes genetisches Risiko für AlzheimerDemenz hatte (APOE-Gentypus) oder nicht. Der Befund, dass nach einer durchwachten Nacht besonders viel Beta-Amyloid im Hippocampus zu finden war, passt zu früheren, epidemiologischen Erkenntnissen, wonach Schlafstörungen ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz sind. Schliesslich gehört der Hippocampus zu den in diesem Zusammenhang besonders vulnerablen Gehirnregionen. Aber auch chronischer Schlafmangel scheint das Beta-Amyloid in die Höhe zu treiben,
denn der individuelle Basiswert an Beta-
Amyloid war in subkortikalen Regionen
und im Precuneus höher, je weniger gene-
rell geschlafen wurde.
Daraus schliessen die Autoren der Studie
zum einen, dass chronischer Schlafmangel
zu einer erhöhten Beta-Amyloid-Belas-
tung und damit zu einem erhöhten Alzhei-
mer-Risiko führt. Zum anderen konstatie-
ren sie, dass eine durchwachte Nacht die
«Müllentsorgung» im Gehirn massiv stört,
sodass am Morgen danach mehr Beta-
Amyloide zu finden sind als nach einem
gesunden Schlaf. Die gute Nachricht: Die
Beta-Amyloide können auch später noch
weggeräumt werden, denn ihr Gehalt war
bei den Probanden in der Folge wieder
niedriger, wie die Messung nach einem ge-
sunden Nachtschlaf zeigte.
RBO L
1. Xie L et al.: Sleep Drives Metabolite Clearance from the Adult Brain. Science 2013; 342: 373–377.
2.Shokri-Kojori E et al.: β-Amyloid accumulation in the human brain after one night of sleep deprivation. Proc Natl Acad Sci USA 2018, online first April 9, 2018.
Kardiologie
Atherosklerose wegen Cannabis? Eher ist der Tabak schuld
Langfristiger Cannabiskonsum wurde wiederholt mit Atherosklerose in Verbindung gebracht. Nun konnte in einer Langzeitstudie nachgewiesen werden, dass nicht der Cannabiskonsum an sich, sondern Tabakrauch der Hauptauslöser dafür ist. Es zeigte sich, dass regelmässiger Cannabiskonsum nur dann schädlich für die Herzarterien ist, wenn Cannabis zusammen mit Tabak konsumiert wird. «Unsere Studie bestätigt die starke und konsistente Verbindung zwi-
schen Tabakkonsum und der Bildung von Plaques», sagte Prof. Reto Auer, Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), denn Cannabiskonsumenten rauchtenvielTabak und erhöhten dadurch ihr Risiko für Herzinfarkte. Grundlage dieser Erkenntnis sind Daten der CARDIA-Kohorte, in der seit 1985 die Entwicklung von Atherosklerose und deren Risikofaktoren bei jungen Erwachsenen verfolgt werden. Erfasst wird dabei unter anderem der Cannabis- und der Tabakkonsum von über 5000 Personen in den USA, beginnend im frühen Erwachsenenalter. Für die vorliegende Studie wurden rund 3000 Personen mittleren Alters berücksichtigt, die in ihrem Umfeld eine typische Cannabis- und Tabakexposition aufwiesen, und bei denen über 25 Jahre hinweg der Tabak- und Cannabiskonsum erhoben wurde. Im 25. Jahr wurde mit einer Computertomografie das Kalzium in den Herz- und Baucharterien ge-
messen. Bei 60 Prozent der Probanden fanden sich atherosklerotische Plaques. Die meisten dieser Personen mit Plaques konsumierten Cannabis (84%), aber nur 6 Prozent von ihnen täglich; hingegen rauchte rund die Hälfte von ihnen (49%) täglich Tabak. Bei Cannabiskonsumenten, die niemals Tabak geraucht hatten, fand sich im Allgemeinen hingegen kein Zusammenhang mit Atherosklerose, nur bei Personen mit sehr hohem Cannabiskonsum zeigte sich ein Trend für ein erhöhtes Atheroskleroserisiko. Man müsse dieses Resultat allerdings sorgfältig interpretieren, weil diese spezielle Gruppe nur sehr wenige Probanden umfasst habe, sagte Auer.
Universität Bern/RBO L
Auer R et al.: Lifetime marijuana use and subclinical atherosclerosis: the coronary artery risk development in young adults (CARDIA) study. Addiction 2018; 113(5): 845-856.
© Mitch – Fotolia.com
310
ARS MEDICI 8 | 2018
©Rega
Notfallmedizin
Mehr Schwerverletzte überleben
Rückspiegel
Wer heute eine schwere Verletzung erleidet, hat deutlich bessere Chancen zu überleben als vor wenigen Jahren. Dazu tragen Verbesserungen in der chirurgischen Erstversorgung ebenso bei wie neue Massnahmen, um den Blutverlust zu verringern. Das Universitätsspital Zürich hatte 2013, gemeinsam mit Schutz & Rettung Zürich und der Rega, ein neues Vorgehen bei der Erstversorgung Schwerverletzter eingeführt: die Gabe von Tranexamsäure bereits am Unfallort und nicht erst im Spital. Eine Auswertung der Fälle schwer verletzter Patienten von Dezember 2014 bis März 2016, die von Schutz & Rettung und der Rega in die Kantonsspitäler St. Gallen und Luzern sowie ins Uni-
versitätsspital Zürich (USZ) eingeliefert wurden,
zeigt nun den durchschlagenden Erfolg des
neuen Vorgehens. So sank die Notwendigkeit
sogenannter Massivtransfusionen (mehr als 10
Beutel Blut bis zum Eintritt in die Intensivstation)
bei Schwerverletzten von 12 auf 4 Prozent. Nur
noch 27 statt 53 Prozent der Patienten benötig-
ten Erythrozytentransfusionen, und nur noch
6 statt 31 Prozent Blutplasma.
Insgesamt überlebten am USZ durch die neuen
Massnahmen 62 Prozent mehr Patienten ihre
schweren Verletzungen als noch vor wenigen
Jahren. Zudem mussten sie nicht so lange auf der
Intensivstation bleiben wie früher, und die Ge-
samtdauer des Spitalaufenthalts verkürzte sich
um durchschnittlich 3 Tage.
Im Rahmen der Studie unter der Leitung von Dr.
Philipp Stein, Oberarzt am Institut für Anästhe-
siologie des USZ, konnte zudem weltweit erst-
malig gezeigt werden, dass die gängige Dosie-
rung des Medikaments bei einigen Patienten un-
zureichend sein kann und gezielt angepasst
werden muss.
USZ/RBO L
Stein P et al.: The Impact of prehospital tranexamic acid on blood coagulation in trauma patients. Anesthesia and Analgesia 2018; 126(2): 522–529.
Kardiologie
Besser Sartane statt ACE-Hemmer
Sartane sind Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB), die für mehrere kardiovaskuläre Indikationen zugelassen sind, darunter auch bei Hypertonie. Sie entfalten ihre Wirkung, wie die ACEHemmer, über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS). In den meisten Richtlinien werden ACE-Hemmer als erste Wahl empfohlen, ein Sartan nur dann, wenn der Patient den ACEHemmer nicht verträgt und beispielsweise unter Reizhusten leidet, einer typischen, reversiblen Nebenwirkung der ACE-Hemmer. Potenziell lebensbedrohlich ist hingegen eine andere, sehr seltene Nebenwirkung der ACE-Hemmer: das Angioödem. Prof. Franz H. Messerli, St. Luke’s-Roosevelt Hospital Corporation, New York, und Prof. Stefano F. Rimoldi, Universitätsspital Bern, haben nun in einer Metaanalyse mit 119 Studien und insgesamt rund 250 000 Patienten beide Substanzklassen hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen
verglichen. Sie kommen zu dem Schluss, dass ARB genauso gut wirken wie ACE-Hemmer, aber weniger unerwünschte Nebenwirkungen haben. Im direkten Vergleich der Wirksamkeit beider Substanzklassen (head to head) zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich kardiovaskulärer Mortalität, Herzinfarkt, Schlaganfall und Niereninsuffizienz im Endstadium. Die Nase eindeutig vorn hatten die ARB bei der Sicherheit: Sartane wurden im Vergleich mit ACEHemmern deutlich seltener wegen Nebenwirkungen abgesetzt. Das Gleiche zeigte sich auch bei der Analyse plazebokontrollierter Studien mit ACE-Hemmern oder ARB. Es gebe darum kaum noch einen Grund, wenn überhaupt, ACEHemmer als erste Wahl einzusetzen. RBO L
Messerli FH et al.: Angiotensin-converting enzyme inhibitors in hypertension. To use or not to use? J Am Coll Cardiol 2018; 71(13): 1474–1482.
Vor 10 Jahren
Unbewusster Wille
Das Unterbewusstsein ist dem Bewusstsein rund 7 Sekunden voraus – so lässt sich das Resultat eines neurologischen Experiments am Max-Planck-Institut in Leipzig interpretieren. Die Forscher schauten den Probanden per Hirnscan beim Denken zu, während diese sich mehrfach hintereinander frei entscheiden sollten, ob sie einen linken oder einen rechten Knopf drücken. Der Clou: Sie mussten signalisieren, wann ihre Entscheidung fiel, noch vor dem Drücken des Knopfs. In der Bildgebung zeigte sich, dass der Entscheid für rechts oder links im Gehirn im Durchschnitt bereits 7 Sekunden früher fiel, als es den Probanden bewusst war.
Vor 50 Jahren
Sittenverfall wegen Herztransplantation
Anlässlich der neuen Möglichkeit von Herztransplantationen beklagt der deutsche Arzt und Nobelpreisträger Werner Forssmann den drohenden «Verlust an sittlicher Substanz». Er warnt davor, dass künftig Chirurgenteams einen Patienten im Todeskampf belagern könnten, um ihn, «wenn möglich, schon im Augenblick des Todes zu schlachten, um seine Organe zu verwerten». Auch grenze seiner Ansicht nach die Transplantation eines Herzens wegen des Risikos der immunologischen Abstossung «derzeit noch an Mord» des Transplantatempfängers.
Vor 100 Jahren
Seifenmangel
Weil es in den Kriegsjahren an Seife mangelt,
sind praktische Tipps gefragt, wie man Seife
möglichst sparsam, aber dennoch mit einem
guten hygienischen Resultat einsetzen kann.
In ARS MEDICI empfiehlt man den sogenann-
ten Seifenball. Dazu werden Seifenreste in
Mull eingewickelt, sodass der Seifenschaum
durch die porösen Stofflagen dringt. Selbst
kleinste Seifenreste trocknen im Stoff bis
zum nächsten Händewaschen wieder ein und
gehen, anders als ohne Mull, nicht beim Ab-
spülen verloren. Der Seifenball sei genauso
hygienisch wie ein Seifenstück, zumal er sich
beim Waschen wie jede Seife selbst reinige,
schreibt der Autor des Seifentipps. Die Reini-
gung der Haut mit dem Mull sei sogar besser,
besonders an behaarten Stellen.
RBO L
ARS MEDICI 8 | 2018