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Frühdiagnose der Demenz
Klinische Parameter werden durch Biomarker ergänzt
BERICHT
Eine beginnende Demenz objektiv zu erkennen beziehungsweise das Risiko für die Entwicklung einer Demenz einzuschätzen, ist heutzutage zwar möglich, aber immer noch eine methodische Herausforderung. Überdies stellen sich ethische Fragen nach dem Sinn einer Frühdiagnose der Demenz. Am 6. Demenzforum in Basel erläuterten Prof. Dr. phil. Andreas U. Monsch und PD Dr. med. Paul G. Unschuld die derzeitigen diagnostischen Möglichkeiten und die Konsequenzen, die sich aus den Befunden ergeben.
Den Abstieg von geistiger Gesundheit bis zur Demenz darf man sich nicht als Treppe mit klar definierten Stufen vorstellen, sondern eher als eine kontinuierlich abfallende, schiefe Ebene. Neurologen und Geriater haben in diesem Verlauf trotzdem bestimmte, aus Expertensicht sinnvolle, klinischdiagnostische Phasen definiert.
Subjektiv empfundener Verlust kognitiver Fähigkeiten
Es beginnt mit der Phase einer subjektiv empfundenen Abnahme der Kognition (SCD: subjective cognitive decline). In den einschlägigen Tests erreicht der Patient noch normale Resultate, er selbst empfindet aber bereits einen Verlust seiner kognitiven Fähigkeiten. SCD umschreibt somit eine mögliche Vorstufe des «mild cognitive impairement» (MCI), demjenigen Stadium, ab dem eine Hirnleistungsstörung zwar objektiv feststellbar ist, in dem der Patient aber noch recht selbstständig im Alltag zurechtkommen kann. Definitionsgemäss müssen für SCD zwei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein: 1. subjektive, persistierende Abnahme der kognitiven Leis-
tungsfähigkeit 2. normale Resultate in standardisierten kognitiven Tests. Auszuschliessen sind das Vorliegen eines MCI oder einer manifesten Demenz ebenso wie andere Erkrankungen, welche die subjektiv erlebte Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit erklären könnten (1). Ob sich SCD künftig tatsächlich als diagnostische Entität etablieren wird, sei allerdings noch nicht ganz klar, sagte Prof. Dr. phil. Andreas U. Monsch, Leiter der Memory Clinic Basel, am Demenzforum in Basel.
Präklinische Alzheimer-Demenz
Eine weitere neue Definition ist SCD-plus oder präklinische Alzheimer-Demenz, ein etwas weiter fortgeschrittenes Stadium mit subjektiv empfundener Einschränkung der Kognition sowie einigen weiteren klinischen und/oder radiologischen Befunden, die für das zukünftige Fortschreiten der Beschwerden in Richtung Demenz sprechen. Diese Definition ist seit Februar 2018 für das Zulassungsverfahren in den USA relevant (s. Kasten). Die folgenden Kriterien gelten als SCDplus:
s subjektiv empfundene Minderung der Gedächtnisleistung, die bei den Betroffenen Sorgen und Ängste auslöst
s Einsetzen der Beschwerden vor weniger als fünf Jahren s Alter ab 60 Jahre s schlechtere kognitive Leistungen als die Altersgenossen. Gegebenenfalls: s Bestätigung der Abnahme kognitiver Leistungsfähigkeit
durch einen Angehörigen s Vorliegen des Apoliprotein-E4-Gens (ApoE4) s Biomarker und/oder Bildgebung sprechen für Entwicklung
einer Alzheimer-Demenz.
Ethische Probleme der Biomarkerdiagnostik
Biomarker zur Diagnose verschiedener Demenzformen sind, von Standpunkt der Forschung aus betrachtet, wünschenswert. Abgesehen von grossen methodischen Herausforderungen, die von der Identifizierung potenzieller Biomarker bis zur Definition von Grenzwerten zu meistern sind, gibt es hier auch bedeutende ethische Fragen: Noch sind die therapeutischen Möglichkeiten bei Hirnleistungsstörungen sehr begrenzt, sodass sich bei jedem Patienten die Frage stellt, wie sinnvoll eine Demenzdiagnose noch vor dem tatsächlichen Eintritt kognitiver Symptome ist.
Schweizer Algorithmus mit BrainCheck und BrainCoach
Sicher sinnvoll ist der seit einiger Zeit verfügbare, praktikable Algorithmus zur Demenz, an den Andreas Monsch am Demenzforum erinnerte. Dabei geht es nicht um ein allgemeines Demenzscreening, sondern um das gezielte Suchen und Finden von Patienten mit beginnender oder manifester Demenz sowie um die Prävention einer Demenzentwicklung bei «kognitiv gelangweilten» Personen. Mithilfe von 4 Fragen, die auch nebenbei von der MPA beim Blutabnehmen anlässlich einer Check-up-Untersuchung gestellt werden können, kann man einfach und schnell erfahren, ob bei einem Patienten überhaupt ein Verdacht auf Demenz bestehen könnte. Wird eine dieser Fragen mit Ja beantwortet, ist als nächster Schritt der BrainCheck sinnvoll (s. Linktipps)
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Biomarkerbefunde genügen der FDA
Neuerdings genügen der US-amerikanischen Zulassungsbehörde Biomarkerbefunde für die Zulassung neuer Alzheimer-Medikamente. Anfang Februar 2018 teilte die FDA mit, dass man gewillt sei, Medikamente gegen «präklinische Alzheimer-Demenz» auch dann zuzulassen, wenn nur Effekte auf Biomarker nachgewiesen werden. Ein klinischer Wirksamkeitsnachweis, wie er bis heute für alle Medikamente als Voraussetzung für die Zulassung gilt, wäre demnach für Demenzmedikamente nicht mehr notwendig. Als präklinische Alzheimer-Demenz gilt beispielsweise ein erhebliches Mass an Beta-Amyloid-Plaques ohne klinische Symptome oder kognitive Defizite. Die FDA-Zulassung auf der Basis von Biomarkern sei bei dieser Indikation als vorläufig zu betrachten, da Postmarketingstudien den Beweis der klinischen Wirksamkeit noch nachliefern müssten. Die Zulassung von Medikamenten für weiter fortgeschrittene Stadien der Demenz erfordere aber auch weiterhin einen klinischen Wirksamkeitsnachweis vor der Markteinführung, so die FDA.
Medscape: Agency may approve drugs for «preclinical» disease solely on biomarker effects. 15. Februar 2018, www.medscape.com
Der BrainCheck ist auch sinnvoll, wenn Patienten oder Angehörige über kognitive Störungen berichten oder wenn Patienten für den Arzt «auffällig» werden. Mit dem BrainCheck kann man mit fast 90-prozentiger Sicherheit zwischen Gesunden und Patienten mit Hirnleistungsstörungen unterscheiden (2). Er besteht aus 3 Fragen an den Patienten, dem Uhrentest sowie 7 Fragen an die Angehörigen und ist auch als App für iPhone und iPad verfügbar. Meist werden Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung dann von ihrem Hausarzt an eine Memory Clinic oder einen Demenzspezialisten zur weiteren Abklärung überwiesen. Falls sich bei den allgemeinen Fragen vorab keine Hinweise auf eine kognitive Beeinträchtigung finden oder der BrainCheck negativ ausfällt, kommt das Präventionsprogramm BrainCoach für Personen infrage, die ihre kognitiven Fähigkeiten unterfordern und damit das Risiko für eine Demenzentwicklung erhöhen. Ziel ist, nach dem Motto «Use it or lose it!» mit dem BrainCoach die sogenannte kognitive Reserve zu erhöhen. In einer prospektiven Kohortenstudie (3) zeigte sich eine statistisch signifikante Assoziation zwischen kognitiv aktivierenden Aktivitäten, wie Lesen, Brettspiele, Musizieren oder Tanzen, und einem reduzierten Demenzrisiko, unabhängig vom Intelligenzquotienten und dem Bildungsniveau der Probanden. Es ist also nicht so wichtig, was genau man tut, sondern es geht um unspezifische Aktivitäten, die kognitive
www.braincheck.ch
www.braincoach-programm.ch
www.mocatest.org
Fähigkeiten stimulieren und fördern (4), und die nicht zuletzt vor allem Spass machen. Das Programm BrainCoach enthält auch ein «kognitives Buffet», das heisst sowohl Vorschläge und Anregungen für neue kognitive Aktivitäten als auch für das Wiederaufnehmen von Aktivitäten, die man früher gerne unternommen, irgendwann aber eingestellt hatte (s. Linktipps).
MoCA statt MMST
Bis heute ist der Mini-Mental-Status-Test (MMST) das übliche Screeningverfahren für kognitive Einschränkungen. Gemäss internationaler Übereinkunft von Demenzexperten solle der MMST mit der Zeit durch MoCA, das Montreal Cognitive Assessment, abgelöst werden, sagte Monsch. Das MoCA wurde in Kanada für das Screening auf leichte neurokognitive Störungen (MCI) entwickelt (s. Linktipps) (5). An der Memory Clinic in Basel wurde das deutschsprachige MoCA kürzlich in einer Studie mit 283 Gesunden normiert. Hier zeigte sich, dass die MoCA-Werte im Vergleich zum MMST im Schnitt 3 Punkte tiefer ausfielen, das MoCA also ein viel sensitiveres Instrument ist. Zudem haben die Basler Forscher eine Formel entwickelt, die es erlaubt, Alter, Geschlecht und Ausbildung der Patienten bei der Interpretation des MoCA-Resultats mit zu berücksichtigen. Damit werde eine wesentlich zuverlässigere Diagnostik möglich, erläuterte Monsch.
Demenz radiologisch diagnostizieren
Bildgebende Verfahren spielten bei der Diagnose und der Beobachtung des Verlaufs demenzieller Erkrankungen eine zunehmend wichtige Rolle, sagte PD Dr. med. Paul Gerson Unschuld, Leiter des Zentrums für demenzielle Erkrankungen und Altersgesundheit an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Einerseits sind sie von differenzialdiagnostischer Bedeutung, etwa um neurochirurgisch behandelbare Ursachen kognitiver Beeinträchtigungen zu finden, andererseits kann man mit bildgebenden Verfahren neurologische Biomarker für ein erhöhtes Demenzrisiko sowie den Abbau von Hirngewebe direkt nachweisen und, vor allem zu Forschungszwecken, pathophysiologische Prozesse näher untersuchen. Am Beispiel der Alzheimer-Demenz erläuterte Paul Unschuld einige Biomarker, die per Bildgebung bereits heute nachweisbar sind. So sind die typischen extrazellulären Amyloid-betaPlaques und intrazelluläres Tau-Protein schon Jahre vor der Manifestation der Demenz zu sehen, und das zentrale Merkmal, die Neurodegeneration mit deutlichem Verlust an Gehirnmasse, ist klar zu erkennen. Als in der Bildgebung wichtige Biomarker für die Suche nach einem Medikament gegen Alzheimer-Demenz in Studien nannte Unschuld den Nachweis von Amyloid-beta und Tau-Protein in PET (Positronenemissionstomografie) sowie Hirnfunktionsmonitoring mittels FDG-PET (FDG: Fluorodeoxyglukose) und die vMRT (volumetrische Magnetresonanztomografie).
Eisenablagerungen als Demenzrisiko?
Ein Beispiel, bei dem die neurologische Bildgebung Hinweise auf pathophysiologische Prozesse lieferte, ist die Frage, ob die Akkumulation von Eisen im alternden Gehirn ein Demenzrisiko sein könnte. 2010 konnte man in Färbungen
LINKTIPPS
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BERICHT
von Gehirnschnitten post mortem Eisenablagerungen nach-
weisen (6). Diese Eisenablagerungen seien im Zusammen-
hang mit Demenz interessant, weil sie bei der Entstehung re-
aktiver Sauerstoffmoleküle und damit oxidativem Stress im
Hirngewebe eine Rolle spielen könnten, erläuterte Unschuld.
In einer 2016 publizierten Studie konnten seine Mitarbeiter
zeigen, dass Eisen und Amyloid-beta bei Menschen mit MCI
an den gleichen Stellen im Gehirn zu finden sind (7). Ein Be-
weis für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung ist dies allerdings
nicht. In einer australischen Studie zeigte sich eine Korrela-
tion zwischen Eisenablagerungen und Amyloid-beta-assozi-
iertem kognitiven Abbau (8), in einer weiteren Studie, dass
Eisenablagerungen im Gehirn das Voranschreiten der Alzhei-
mer-Demenz beschleunigen könnten (9). Auf Nachfrage, ob
Eisen i.v., allzu grosszügig indiziert, möglicherweise ein Ri-
siko für Alzheimer-Demenz sei, äusserte sich Unschuld zu-
rückhaltend: «Wir wissen es nicht. Man darf nicht vergessen,
dass Eisen ein elementarer Faktor für verschiedene Prozesse
im menschlichen Organismus ist. Der Nachweis von erhöh-
tem Eisen in bestimmten Regionen im zentralen Nervensys-
tem und mögliche Effekte über freie Radikale sind das eine.
Die andere Frage ist, ob und gegebenenfalls wie dies mit dem
peripher messbaren Eisen zusammenhängt. Bisher gibt es
dazu keine Daten.»
s
Literatur: 1. Jessen F et al.: A conceptual framework for research on subjective cogni-
tive decline in preclinical Alzheimer's disease. Alzheimers Dement 2014; 10(6): 844–852. 2. Ehrensperger MM et al.: BrainCheck - a very brief tool to detect incipient cognitive decline: optimized case-finding combining patient- and informant-based data. Alz Res Ther 2014; 6(9): 69. 3. Verghese J et al.: Leisure activities and the risk of dementia in the elderly. N Engl J Med 2003; 348: 2508–2516. 4. Woods B et al.: Cognitive stimulation to improve cognitive functioning in people with dementia. Cochrane Database Syst Rev 2012; (2):CD005562. 5. Nasreddine ZS et al.: The Montreal Cognitive Assessment, MoCA: a brief screening tool for mild cognitive impairment. J Am Geriatr Soc 2005; 53(4): 695–699. 6. Fukunaga M et al.: Layer-specific variation of iron content in cerebral cortex as a source of MRI contrast. Proc Natl Acad Sci USA 2010; 107(8): 3834–3839. 7. van Bergen JMG et al.: Colocalization of cerebral iron with beta-amyloid in Mild Cognitive Impairment. Sci Rep 2016; 6: 35514. 8. Ayton S et al.: Cerebral quantitative susceptibility mapping predicts amyloid-beta-related cognitive decline. Brain 2017; 140(8): 2112–2119. 9. Ayton S et al.: Evidence that iron accelerates Alzheimer's pathology: A CSF biomarker study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2017; pii:jnnp-2017316551.
Renate Bonifer
Quelle: 6. Basler Demenzforum, 16. November 2017
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