Transkript
EDITORIAL
Erfolglosigkeit spart Geld
Die Situation und der Befund sind so typisch und logisch, dass man allein mit diesem Wissen Gesundheitspolitik machen könnte. Beziehungsweise sollte man die verantwortlichen Politiker dazu zwingen, die Schlussfolgerungen aus diesem Befund selbst herzuleiten und sie täglich mehrfach zu wiederholen. Worum geht’s? Gesundheitsökonomen der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) haben die Kosten der Alzheimer-Krankheit evaluiert. Und siehe da, zu aller Überraschung erweist sich die Alzheimer-Demenz als ziemlich kostengünstig. Rund 150 000 Personen leiden in der Schweiz daran, Tendenz stabil, und verursachen medizinische Kosten in der Grössenordnung von 1,1 Milliarden Franken jährlich. Das sind nicht einmal 2 Prozent der gesamten direkten Gesundheitsausgaben. Augen-, Ohren- und Hautleiden sind etwa gleich teuer. Keine Rede also von den gewaltigen Belastungen, die wegen Alzheimer auf unsere Gesellschaft zukommen. Vorderhand. Da nimmt es einen schon wunder, weshalb dem so ist. Zu den wichtigsten Gründen gehört die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Erkrankten zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt wird. Der zweite Grund aber und vermutlich der wichtigste ist das Fehlen von Medikamenten oder andersartigen Therapien, die den Krankheitsprozess wesentlich aufhalten oder die Krankheit gar heilen. Die Alzheimer-Demenz schreitet fort, und kein noch so teures oder exotisches Wässerchen oder Pülverchen kann etwas daran ändern.
Das ist tragisch – für die Betroffenen (inklusive Angehörige). Nicht aber für die Gesellschaft. Die spart dadurch Millionen bis Milliarden. Womit wieder einmal deutlich wird, vor welchen Alternativen unsere Gesellschaft im Hinblick auf die medizinische Versorgung steht. Wenn Lebenserwartung und Lebensqualität besser werden sollen, dann braucht es effiziente diagnostische und therapeutische Optionen. Die aber kosten. Die eindeutig kostengünstigere Alternative heisst: weniger lang krank sein und dafür länger tot. Das ist natürlich nicht nur bei Alzheimer so, aber dank der ZHAW-Studie wird die Problematik (sofern es denn ein Problem ist und nicht eher eine Chance) an diesem Leiden exemplarisch deutlich gemacht. Selbstverständlich kann man da und dort noch folgenlos sparen, aber sehr viel beschränkter als von eifrigen Gesundheitspolitikern ohne Verständnis für die wissenschaftliche Medizin (und vermutlich auch für die Anliegen der Betroffenen) behauptet oder erhofft. Die meisten Sparbemühungen jedoch haben Folgen: weniger Innovation und auf verschiedenen Umwegen (Medizinstudium, Zahl der Ärzte und Pflegenden, Limitationen usw.) schlechteres personelles, pharmakologisches und technisches Angebot. Die Interessen der Bevölkerung sind dagegen klar, auch wenn’s die Jüngeren noch nicht wissen …: Nach Befriedigung aller existenziellen und vieler eher komfortorientierter Bedürfnisse (Nahrung, Wohnen, Mobilität, Freizeit) bleibt als wesentliches Ziel nur noch die Lebensverlängerung bei optimaler Qualität. Es wäre schön, man würde im Gesundheitswesen endlich von der Vorstellung wegkommen, man könne sparen. Man kann die (immer noch reichlich vorhandenen) Ressourcen mehr oder weniger sinnvoll einsetzen, soll man auch, aber sparen im Sinne von weniger Ressourcen zur Verfügung stellen beziehungsweise den Dienstleistern für die Behandlung von Krankheiten und Gebrechen die Entschädigung zu kürzen, ist und bleibt in einer alternden Gesellschaft ein unsinniges Bemühen. Die ZHAW-Studie zeigt: Nicht behandelbare Kranke infolge (bislang) erfolgloser Pharmaforschung kosten wenig Geld. Die weiteren Schlüsse daraus sollte jeder Politiker selbst ziehen (können).
Richard Altorfer
ARS MEDICI 8 | 2018
305